Materialsammlung für eine Grundsatzdiskussion
Das GANZE Werk (Nord), Sprecherrat, 24. Februar 2008,
Broschüre, Gesamttext
DER KULTURAUFTRAG IM HÖRFUNK
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„Die Enquete-Kommission empfiehlt den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Beiträgen zur Kultur in den Hauptprogrammen breiteren Raum einzuräumen, sie stärker in die Hauptsendezeit zu rücken und mehr Möglichkeiten bereitzuhalten, musikalische Werke zusammenhängend darzubieten.“
Deutscher Bundestag - Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, 5. Handlungsempfehlung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk
„Wer zuhört, erweitert seinen Horizont, eröffnet sich neue Welten und gewinnt Einblick in das Denken anderer Menschen. Zuhören hilft bei der Lösung von Konflikten, fördert den zwischenmenschlichen Dialog und belebt den gesellschaftlichen Austausch.“
Ausschnitt aus: Stiftung Zuhören e.V., Auftrag
Inhaltsverzeichnis
Titelseite (mit Kulturniveau-Grafik) | Seite 1 | ||||
A. | Das Zuhören fördern | Seite 2 | |||
B. | Staatliche Festlegungen zum Kulturauftrag | Seite 3 | |||
1.) | Rundfunkstaatsvertrag, Festlegung zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks | ||||
2.) | NDR-Staatsvertrag, Festlegung zum Programmauftrag des NDR | ||||
3.) | Bundesverfassungsgericht, Ausführungen zum Kulturauftrag („Niedersachsenurteil“, BVerfGE 73, 118) | ||||
4.) | Bundesverfassungsgericht, Ausführungen zum Kulturauftrag und zur publizistischen Vielfalt („Rundfunkgebührenfestsetzung“, Urteil vom 11. September 2007) | Seite 4 | |||
C. | Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ – Zitate Aus dem Schlussbericht vom 11. Dezember 2007, Kapitel „Kulturauftrag und kulturelle Tätigkeit des Rundfunks“ | Seite 5 | |||
D. | Berichte über Kultursender und –sendungen für „Einschalthörer“ | Seite 6 | |||
1.) | Westdeutscher Rundfunk, WDR Radiobroschüre Nr. 14/15, 2007 „Jedes Musikwerk in voller Länge: Nur im WDR 3 Klassik Forum“ | ||||
2.) | Österreichischer Rundfunk: 40 Jahre Kultursender Ö1 | ||||
a.) | „Gutes Programm machen und darüber sprechen“, in: Frankfurter Rundschau, 4. Oktober 2007 | Seite 8 | |||
b.) | „Die Leute sind nicht so verblödet“, Interview mit dem Ö1-Programmchef Alfred Treiber, in: epd medien Nr. 78, 3. Oktober 2007 | Seite 9 | |||
E. | Neue Erkenntnisse der ARD-Medienforschung zu Kulturinteressierten Media-Perspektiven 05/2006 und 05/2007 | Seite 10 | |||
1.) | Die ARD-E-Musikstudie (Media-Perspektiven 05/2006) | ||||
a.) | Wer hört heute klassische Musik? (Zitate) | ||||
b.) | Klassische Musik im Radio (Zitate) | ||||
2.) | Die neue „MedienNutzerTypologie“ MNT 2.0 (Media-Perspektiven 05/2007) | Seite 11 | |||
a.) | Vorstellung der neuen MNT 2.0 | ||||
b.) | „MedienNutzerTypen“/Auswahl (Zitate) | Seite 12 | |||
c.) | Weiterentwicklung der „MedienNutzerTypologie“ (Zitat/Korrektur) | Seite 13 | |||
d.) | Radionutzung und MNT 2.0 (ein Zitat und zwei Auswahltabellen) | ||||
F. | Die bisherige Programmstrategie für NDR Kultur | Seite 14 | |||
1.) | Die Vorgaben des damaligen NDR Programmdirektors Hörfunk (2002) | ||||
2.) | Unter Wolfgang Knauer wird NDR Kultur teilweise formatiert (2003) | ||||
3.) | Unter Barbara Mirow wird NDR Kultur tagsüber systematisch durchformatiert (ab 2004) | ||||
4.) | Wolfgang Knauer verhilft der Enquete-Kommission zu Erkenntnissen über das Formatradio (2005/07) | Seite 15 | |||
Inhaltsverzeichnis, weiterführender Hinweis und Herausgeber | Seite 16 |
Seite 1 |
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Das Ziel: Qualität auf NDR Kultur
A. Das Zuhören fördern
B. Staatliche Festlegungen zum Kulturauftrag
C. Enquete-Kommission – Schlussbericht – Zitate
D. Kultursender und -sendungen für „Einschalthörer“
E. Neue Erkenntnisse der ARD-Medienforschung
F. Die bisherige Programmstrategie für NDR Kultur
Vorgelegt vom Sprecherrat (9 Mitglieder) der Bürgerinitiative
Das GANZE Werk (Nord),
Reinbek, 24. Februar 2008
Seite 2 |
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Materialien für eine Grundsatzdiskussion
A. Das Zuhören fördern
Stiftung Zuhören: „Wer zuhört, erweitert seinen Horizont“ - Das GANZE Werk: „Wir legen dem NDR eine Zusammenarbeit mit der Stiftung Zuhören nahe.“
Wer zuhört, erweitert seinen Horizont, eröffnet sich neue Welten und
gewinnt Einblick in das Denken anderer Menschen. Zuhören hilft bei der
Lösung von Konflikten, fördert den zwischenmenschlichen Dialog und belebt
den gesellschaftlichen Austausch. (Stiftung Zuhören, „Auftrag“, siehe unten)
Der verantwortliche Redakteur des Hessischen Rundfunks für das Neue Funkkolleg, Volker Bernius, berichtet von der Zuhörforscherin Margarete Imhof, sie sehe
das Problem darin, dass wir nicht lernen, genau hinzuhören, zwischen einzelnen Geräuschen zu differenzieren, sondern wegen des ständigen Lärms eher lernen müssen, Geräusche zu überhören und wegzuhören. Das führt dazu, dass wir abstumpfen und das Weghören zur Gewohnheit wird. (Zitat aus: Volker Bernius, Die Wiederentdeckung des Ohrs - Die neue Lust am Hören, http://www.stiftung-zuhoeren.de/pages/3341/0307_Zuhoeren.pdf, Seite 1)
So geht es auch vielen Kultur- und Musikliebhabern, wenn sie auf NDR Kultur als vermeintliche „Nebenbeihörer“ oder Benutzer eines „Begleitmediums“ Wort und Musik im schnellen Wechsel zu hören bekommen. So geht es ihnen auch dann, wenn an ihre Ohren Elemente dringen, die sie als unpassend und störend empfinden, was auf NDR Kultur häufig der Fall ist: Jingle und Sender-Claim „Hören und genießen“, Jingle und einer der vielen Tipps, gekünstelte Querverweise, anbiedernde und sich locker gebende Moderation.
Ganz anders das Zuhören, es wirkt in entgegengesetzter Richtung. Die Stiftung Zuhören (siehe http://www.stiftung-zuhoeren.de/, mit der der Hessische Rundfunk wie auch der Bayerische Rundfunk zusammenarbeiten, schreibt an zentraler Stelle zur Bedeutung des Zuhörens:
Zuhören heißt, sich zu konzentrieren, sich auf ein Gegenüber einzulassen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Wer zuhört, erweitert seinen Horizont, eröffnet sich neue Welten und gewinnt Einblick in das Denken anderer Menschen. Zuhören hilft bei der Lösung von Konflikten, fördert den zwischenmenschlichen Dialog und belebt den gesellschaftlichen Austausch. (a.a.O., „Auftrag“)
Und wir ergänzen: Wenn der Rundfunk die Bereitschaft zum richtigen Hören, zum Zuhören wecken will, muss er interessante, spannende, neugierig machende Inhalte in Wort und Musik bieten. In diesem Sinne legen wir dem NDR eine Zusammenarbeit mit der Stiftung Zuhören nahe. Die Stiftung Zuhören besteht seit fünf Jahren, ihre Schirmherrin ist die Präsidentin des Goethe-Instituts, Frau Prof. Dr. Jutta Limbach. Die Stiftung hat Anfang Mai 2007 im Bildungszentrum Kloster Banz, Bad Staffelstein, ein nationales Symposium mit dem Titel „Überall Bildung, Bildungsangebote und Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Hörfunks“ veranstaltet.
Das GANZE Werk (Nord), Sprecherrat, 5. November 2007
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Materialien für eine Grundsatzdiskussion - Dokumentation
B. Staatliche Festlegungen zum Kulturauftrag: Rundfunkstaatsvertrag, NDR-Staatsvertrag und Bundesverfassungsgericht
1.) Rundfunkstaatsvertrag, Festlegung in § 11, Absatz 2, Satz 3 zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Sein Programm hat der Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Er hat Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten. Quelle u.a.: http://www.lfk.de/gesetzeundrichtlinien/rundfunkstaatsvertrag/abschnitt2.html#para11
2.) NDR-Staatsvertrag, Festlegung in § 5, Absatz 1, Satz 2 und 3 zum Programmauftrag des NDR
Sein Programm hat der Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Er hat Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten und ist berechtigt, sich an Filmförderungen zu beteiligen. Quelle u.a.: http://www1.ndr.de/unternehmen/organisation/rundfunkstaatsvertrag2.pdf
3.) Bundesverfassungsgericht (BverfG), Urteil vom 4. November 1986 („Niedersachsenurteil“, BVerfGE 73, 118), Ausführungen zum Kulturauftrag
Leitsatz 1.a) zur „Grundversorgung“ durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten
In der dualen Ordnung des Rundfunks, wie sie sich gegenwärtig in der Mehrzahl der deutschen Länder auf der Grundlage der neuen Mediengesetze herausbildet, ist die unerläßliche „Grundversorgung“ Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten, deren terrestrischen Programme nahezu die gesamte Bevölkerung erreichen und die zu einem inhaltlich umfassenden Programmangebot in der Lage sind. Die damit gestellte Aufgabe umfasst die essentiellen Funktionen des Rundfunks für die demokratische Ordnung ebenso wie für das kulturelle Leben in der Bundesrepublik. Darin finden der öffentlich-rechtliche Rundfunk und seine besondere Eigenart ihre Rechtfertigung. Die Aufgaben, welche ihm insoweit gestellt sind, machen es notwendig, die technischen, organisatorischen, personellen und finanziellen Vorbedingungen ihrer Erfüllung sicherzustellen.
Abschnitte unter C. I. 2. a. - Hinweis: Am Schluss der beiden folgenden Zitate verlangt das BverfG vom Rundfunk in Deutschland, dass er zur Erfüllung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) „die ganze Breite umfassender Information“ bieten muss. Weil die privaten Anbieter dieses aus wirtschaftlichen Gründen nicht können, sind zur Erfüllung des Informations- und Kulturauftrags öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten notwendig. Indem das BverfG ausführt, was die privaten Anbieter nicht erfüllen können, formuliert es gleichzeitig Maßstäbe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk:
a) Die Programme privater Anbieter vermögen der Aufgabe umfassender Information nicht in vollem Ausmaß gerecht zu werden.
(...) Zum anderen ist, wie auch die Antragsteller hervorheben, damit zu rechnen, dass die Rundfunkprogramme privater Anbieter Information nicht in der vollen Breite der Meinungen und kulturellen Strömungen vermitteln werden. Im Bereich des Fernsehens liegt das bereits wegen der geringen Zahl von Anbietern nahe. Unabhängig davon kann von privatem Rundfunk kein in seinem Inhalt breit angelegtes Angebot erwartet werden, weil die Anbieter zur Finanzierung ihrer Tätigkeit nahezu ausschließlich auf Einnahmen aus Wirtschaftswerbung angewiesen sind. Diese können nur dann ergiebiger fließen, wenn die privaten Programme hinreichend hohe Einschaltquoten erzielen. Die Anbieter stehen deshalb vor der wirtschaftlichen Notwendigkeit, möglichst massenattraktive, unter dem Gesichtspunkt der Maximierung der Zuschauer- und Hörerzahlen erfolgreiche Programme zu möglichst niedrigen Kosten zu verbreiten. Sendungen, die nur für eine geringere Zahl von Teilnehmern von Interesse sind und die oft - wie namentlich anspruchsvolle kulturelle Sendungen - einen hohen Kostenaufwand erfordern, werden in der Regel zurücktreten, wenn nicht gänzlich fehlen, obwohl erst mit ihnen die ganze Breite umfassender Information zu erreichen ist, ohne die es keine „Meinungsbildung“ im Sinne der Garantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geben kann.
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4.) Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 11. September 2007 („Rundfunkgebührenfestsetzung“, Aktenzeichen: 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06), Ausführungen zum Kulturauftrag und zur publizistischen Vielfalt
Ausschnitt aus den Absätzen 116 und 117
Anlass der gesetzlichen Ausgestaltung der Rundfunkordnung ist die herausgehobene Bedeutung, die dem Rundfunk unter den Medien wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft zukommt. Seine Breitenwirkung zeigt sich in der Reichweite und der Möglichkeit der Beeinflussung großer Bevölkerungsteile. So prägen die audiovisuellen Massenmedien seit langem bei den meisten Bürgern große Zeiteinheiten des Tagesablaufs. (...) Rundfunk kann für die Verfolgung nicht nur publizistischer, sondern auch wirtschaftlicher Ziele eingesetzt werden. Der publizistische und ökonomische Wettbewerb führt jedoch nicht automatisch dazu, dass für die Unternehmen publizistische Ziele im Vordergrund stehen oder dass in den Rundfunkprogrammen die Vielfalt der in einer Gesellschaft verfügbaren Informationen, Erfahrungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster abgebildet wird. (...) Bei einer Steuerung des Verhaltens der Rundfunkveranstalter allein über den Markt (ist) das für die Funktionsweise einer Demokratie besonders wichtige Ziel der inhaltlichen Vielfalt gefährdet. (...)
Ausschnitt aus dem Absatz 119 und Absatz 122
Auch wegen der mit der Konzentration im Rundfunk verbundenen Risiken einer einseitigen Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung hat das Bundesverfassungsgericht Vorkehrungen zum Schutz der publizistischen Vielfalt als geboten angesehen (...). Die gesetzlichen Regelungen sollen es dem öffentlichrechtlichen Rundfunk ermöglichen, seinen klassischen Funktionsauftrag zu erfüllen, der neben seiner Rolle für die Meinungs- und Willensbildung, neben Unterhaltung und Information seine kulturelle Verantwortung umfasst. Nur wenn ihm dies gelingt und er im publizistischen Wettbewerb mit den privaten Veranstaltern bestehen kann, ist das duale System in seiner gegenwärtigen Form, in der die privatwirtschaftlich finanzierten Programme weniger strengen Anforderungen unterliegen als die öffentlichrechtlichen, mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar.
Ausschnitte aus den Absätzen 126 und 127
Der Funktionsfähigkeit öffentlichrechtlichen Rundfunks dient die vorrangige Finanzierung über öffentlichrechtliche Gebühren. (...) Die Finanzierung des öffentlichrechtlichen Rundfunks auf der Grundlage des Gebührenaufkommens soll eine weitgehende Abkoppelung vom ökonomischen Markt bewirken und dadurch sichern, dass sich das Programm an publizistischen Zielen, insbesondere an dem der Vielfalt, orientiert, und zwar unabhängig von Einschaltquoten und Werbeaufträgen. Allerdings sind auch andere Finanzierungsquellen neben der Gebührenfinanzierung von Verfassungs wegen nicht ausgeschlossen. Das gilt grundsätzlich auch für Einnahmen aus Werbung oder Sponsoring. Doch dürfen sie wegen der mit ihnen verbundenen vielfaltverengenden Wirkung die Gebührenfinanzierung nicht in den Hintergrund drängen. (...) Der Gesetzgeber hat Vorsorge dafür zu treffen, dass der öffentlichrechtliche Rundfunk seine Funktion unbeeinflusst von jeglicher Indienstnahme für außerpublizistische Zwecke, seien sie politischer oder ökonomischer Natur, erfüllen kann.
Quelle: http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20070911_1bvr227005.html#abs112
Das GANZE Werk (Nord), Sprecherrat, 5. November 2007
Seite 5 |
Rundfunk-Kapitel (original) | Zitatensammlung | DGW-Textsammlung |
Materialien für eine Grundsatzdiskussion - Dokumentation
C. Kulturauftrag und kulturelle Tätigkeit des Rundfunks
Deutscher Bundestag – Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ – Schlussbericht
11. Dezember 2007 – Drucksache 16/7000 – Kapitel 3.2.2 – Seite 149 bis 157
ZITATENSAMMLUNG (Zusammenstellung: Das GANZE Werk)
Bestandsaufnahme: Rechtliche Grundlagen für den Kultur- und Bildungsauftrag
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes
Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass insbesondere anspruchsvolle kulturelle Sendungen bei den privaten Anbietern aufgrund des hohen Kostenaufwandes in der Regel zurücktreten werden. Dem Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks liege ein erweiterter Kulturbegriff zugrunde, der das Ziel hat, in einem umfassenden Sinne ein Bild vom politischen, sozialen und geistigen Leben in Deutschland in allen seinen Schattierungen zu vermitteln.
Rundfunkstaatsverträge der Länder
Der Rundfunkstaatsvertrag enthält (...) in § 11 Abs. 2 S. 4 eine besondere Verpflichtung gegenüber der Kultur. So soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk „Beiträge insbesondere zur Kultur“ anbieten. Dies ist die deutlichste Regelung des Gesetzgebers zum Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Verpflichtung durch Gebührenfinanzierung; Möglichkeiten des Gesetzgebers
Gerade vor dem Hintergrund des jüngsten Urteils des Bundesverfassungsgerichtes vom 11. September 2007, welches die Rundfunkfreiheit sowie die Staatsferne des Verfahrens zur Festsetzung der Rundfunkgebühren gestärkt hat, ist es geboten, Auftrag und Grenzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gesetzlich zu präzisieren.
Zusammenfassung: Der Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist von wesentlicher Bedeutung für das kulturelle Leben in Deutschland. Um der daraus resultierenden Verantwortung gerecht zu werden, gehört es zu seinen Aufgaben: (...)
- die klassische und die zeitgenössische Kultur gleichermaßen zu fördern,
- kulturelle Sendungen für unterschiedliche Zielgruppen auszustrahlen, (...).
Probleme: Popularisierung des Kulturangebotes
Die Enquete-Kommission (nimmt) auch kritische Stimmen ernst, die vor der Gefahr einer zu starken Popularisierung im Sinne einer Verflachung und Trivialisierung warnen. Das Angenehme, Publikumswirksame droht mitunter das Polarisierende und Irritierende zu verdrängen.
Die sich ausbreitende „Formatierung“ von Sendungen, das heißt das Setzen strengerer Zeitlimits und Vorgaben für die Kombination von Wort- und Musikbeiträgen, ist tendenziell eine Gefahr für Themen und Kulturtraditionen, die in erheblichem Maße auf Geist, Komplexität und Substanz setzen und daher medial nicht so leicht zugänglich gemacht werden können.
1. Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern, den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Rundfunkstaatsverträgen zu präzisieren.
3. Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern, mit der Evaluierung der Erfüllung des Kulturauftrags durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine unabhängige externe Institution zu beauftragen.
5. Die Enquete-Kommission empfiehlt den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Beiträgen zur Kultur in den Hauptprogrammen breiteren Raum einzuräumen, sie stärker in die Hauptsendezeit zu rücken und mehr Möglichkeiten bereitzuhalten, musikalische Werke zusammenhängend darzubieten.
Lesen Sie auch:
• Leitartikel (Bericht, Dokumentation und Einschätzung)
Ein Meilenstein zu mehr Qualität im Rundfunk
Eine Empfehlung lautet: Mehr zusammenhängende musikalische Werke in der Hauptsendezeit
Von Theodor Clostermann
• Neun Handlungsempfehlungen zum Kulturauftrag des Rundfunks
Zusammengestellt von der Enquete-Kommission
Gehen Sie zur Übersichtsseite:
• Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“
Seite 6 |
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Materialien für eine Grundsatzdiskussion - Dokumentation
D. Berichte über Kultursender und -sendungen für „Einschalthörer“
Zitate
WDR 3 Klassik Forum: „Kern des Erfolgs ist die Verbindung von hoher Kompetenz und stimmiger Vermittlung“, erläutert Karl Karst: „Was für uns als öffentlich-rechtliches Kulturradio zählt, ist eine qualitätsvolle Mischung von profundem, aber zugewandt vermitteltem Wort und bester Musik. Eine Kombination, die sich deutlich von einer ‚Klangtapete‘ unterscheidet und die man sich nicht so leicht selber basteln kann.“
Ö1: (Das ist ein) Radio, das sich nicht so einfach nebenbei hören lässt - und deshalb erfolgreich ist. (Ö1-Chef) Alfred Treiber stellt fest: „Die Leute sind zunehmend ganz wild darauf, etwas zu lernen.“
Ö1 sendet aber auch lange Formate. „Die Leute sind nicht so verblödet, dass sie nicht mehr länger als acht Minuten zuhören können“, so Treiber: „Für ein intelligentes Publikum stimmt das so nicht.“
„Wir haben eine ständige Medienforschung. Und alle drei Jahre testen wir im sogenannten Radiotagebuch den Erfolg von Sendungen, auch mit Schulnoten und mit Zuhördauer, über drei Wochen hindurch. Das Publikum wird gefragt: Was haben Sie gehört? Wie haben Sie es gehört? Unter welchen Umständen? Und wie würden Sie es benoten? Das ist für uns als Ergänzung zu den Reichweiten eine sehr gute Sache, nicht nur eine quantitative, sondern eine qualitative Untersuchung.“
1.) Westdeutscher Rundfunk - WDR 3
WDR Radiobroschüre 14/15, April 2007, 20 Jahre WDR 3 Klassik Forum
Jedes Musikwerk in voller Länge: Nur im WDR 3 Klassik Forum
Unter den Klassik-Programmen der ARD ist diese Sendung wohl die konservativste, weil sie die Werke ganz ausspielt - und vielleicht auch die konsequenteste, weil sie dieses Format seit 20 Jahren bewahrt - zur Freude einer riesigen, dankbaren Klassik-Community.
Franz Schubert komponierte die letzte seiner sechs Messen kurz vor seinem Tode im Jahre 1828. Gehört hat er die Es-dur-Messe nie, bei ihrer Uraufführung lebte er bereits nicht mehr. Wer das eindringlich emotionale Werk romantischer Kirchenmusik heute außerhalb von Konzert- oder Gotteshäusern in ganzer Pracht und voller Länge hören will, muss entweder in die eigene CD-Sammlung greifen oder wird bei einer außergewöhnlichen Hörfunksendung fündig, dem Klassik Forum. Mit ihr präsentiert das Kulturradio WDR 3 seinen HörerInnen jeden Tag aufs Neue ein einmaliges Hörerlebnis mit bester klassischer Musik - in voller Länge ausgespielt! Jedes Musikstück wird gezielt ausgewählt und in eine Sendedramaturgie eingepasst. Wiederholungen werden vermieden, eine Reduzierung auf „Ohrwürmer“ findet nicht statt. Nur herausragende Produktionen, vielfach von den Klangkörpern des WDR, kommen zu Gehör.
Zu den Qualitätszeichen der Sendung gehört es, „dass die ausgewählten Stücke vollständig zu hören sind“, erläutert Hans Winking, zusammen mit WDR 3-Musikredakteur Michael Schwalb verantwortlich für die Sendung und gleichzeitig einer ihrer Moderatoren.
Selbst eine mehrsätzige Sinfonie von 30 oder 40 Minuten Dauer kann nach Abstimmung mit der Programmplanung WDR 3 im Klassik Forum gespielt werden, wenn es zur Dramaturgie der Sendung passt.
Knapp drei Stunden lang präsentiert das WDR 3 Klassik Forum den HörerInnen von Montag bis Samstag (09:05 - 11:45 Uhr) das gesamte Spektrum der klassischen Musik. „Wir konzentrieren uns auf das klassische, romantische Repertoire“, sagt Michael Schwalb. Es werden aber auch „gezielte Ausflüge“ unternommen, wie Hans Winking ergänzt: „Mal etwas Avantgardistisches oder etwas Mittelalterliches - oder wir spielen mal eine leichte Jazznummer.“ Zusammengestellt wird die Musik der Sendung von den jeweiligen ModeratorInnen, die zugleich Autoren der Sendung sind. Wichtigstes Auswahlkriterium ist die Frage: Schaffen wir damit ein eindrucksvolles Hörerlebnis? „Mit jedem Stück muss man versuchen, den Hörer im Innersten zu berühren“, meint Michael Schwalb.
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Jede Ausgabe des WDR 3 Klassik Forums ist eine Komposition für sich. Die Musikzusammenstellung ist ausdrücklich persönlich, assoziativ und von Vorlieben und besonderen Kenntnissen der Moderatoren geprägt. Die Qualität der Moderatoren und ihrer Vermittlung hat sie zu einer der erfolgreichsten Klassiksendungen der ARD werden lassen. Das WDR 3 Format war Vorbild für viele vergleichbare Sendungen in der ARD, ist aber bis heute die größte und erfolgreichste Vermittlungssendung für klassische Musik in deutschsprachigen Kulturradios geblieben: „Das WDR 3 Klassik Forum hat sich über die Jahre hinweg mit hohem Publikumszuspruch behauptet“, lobt WDR 3-Programmchef Prof. Karl Karst. Seit 2004 ist das Tagesprogramm von WDR 3 ausschließlich durch große Flächen gestaltet, die von Moderatoren-Persönlichkeiten präsentiert werden: Das Klassik Forum schließt sich an die dreistündige aktuelle Kultursendung Mosaik (06:00 bis 09:00 Uhr) an und bildet den Übergang zur zweistündigen Sendung WDR 3 am Mittag den anschließenden Musikpassagen. „Kern des Erfolgs ist die Verbindung von hoher Kompetenz und stimmiger Vermittlung“, erläutert Karl Karst: „Was für uns als öffentlich-rechtliches Kulturradio zählt, ist eine qualitätsvolle Mischung von profundem, aber zugewandt vermitteltem Wort und bester Musik. Eine Kombination, die sich deutlich von einer ‚Klangtapete‘ unterscheidet und die man sich nicht so leicht selber basteln kann.“
„Kurzweilig und mitunter auch überraschend soll die Auswahl des Klassik Forum sein“, sagt Michael Schwalb. Die Epochen zwischen 1600 und 1950 müssen sich ebenso abwechseln wie die Instrumentierung. Durch die persönliche Sicht auf die Dinge werden auch heterogene Stücke verbunden. „Das macht eine gute und stimmige Sendung aus. Die ModeratorInnen sollen nicht nur eine Höranleitung geben, sondern der Musik einen gewissen Mehrwert verleihen“, sagt der WDR 3-Redakteur. „Durch seine Sicht auf die Dinge vermittelt der Moderator dem Hörer ein besonderes Musikerlebnis, das er so sonst nicht hätte“, ergänzt Hans Winking.
Gesendet wird grundsätzlich live - weil die Anmutung einfach lebendiger ist und auch auf aktuelle Ereignisse in der Musikwelt reagiert werden kann. Zu den festen Einrichtungen des WDR 3 Klassik Forums gehören das Musikrätsel am Freitag gegen 10.00 Uhr und die Historische Aufnahme, bei der es auch einmal knistert und die immer samstags in der letzten Stunde zu hören ist. Besonders beliebt sind die Hörerwünsche an jedem 4. Samstag im Monat.
In der Sendung am 7. April [2007] feiert WDR 3 den Geburtstag des Klassik Forums: Vor 20 Jahren, am 30. März 1987, ging die erste Sendung über den Äther. Wie hat sich die Sendung in den 20 Jahren ihres Bestehens verändert? Die Herangehensweise an Musik sei heute eine andere, stellen Hans Winking und Michael Schwalb fest: Musikalische Aktualität sei gefragt, außerdem habe sich die Moderationshaltung, wie im Gesamtprogramm von WDR 3, spürbar geöffnet: „Früher war das eine Vortragshaltung, heute verlangen wir Jetzt-Bezug und Bodenhaftung, die mit dem Lebensgefühl und der Lebenswirklichkeit unserer Hörer korrespondiert.“
Ungebrochen ist das Vergnügen der Macher: „Es ist ein Privileg“, sagen beide, „jeden Tag mit dem Schönsten umgehen zu können, was unsere abendländische Kultur hervorgebracht hat.“ (Autor: HR)
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2.) Österreichischer Rundfunk - Ö1
a) Frankfurter Rundschau, 4. Oktober 2007
Gutes Programm machen und darüber sprechen
Es klingt ganz einfach, aber es ist eine Rarität: Vor vierzig Jahren ging Ö1 auf Sendung, das erfolgreichste Kulturradio Europas
Von Fritz Wolf
Der Programmchef hieß Übelhör und seine Postadresse lautete Taubstummengasse. Das war Anfang der sechziger Jahre. Solche Scherze erlaubt die Realität sich gern in Österreich. Man könnte auch sagen: Ein solches Radio brauchte nicht nur eine neue Adresse, sondern eine ganze Reform. Ihr ansehnlichstes Kind wurde das Kulturradio Ö1.
Vorausgegangen war das Rundfunkvolksbegehren von 1966, das den ORF aus dem Klammergriff der Parteien befreite. Mit Gerhard Bacher kamen ein konservativer, aber experimentierfreudiger Intendant und junge, ehrgeizige Redakteure ins Funkhaus. Ö1 und das Popradio Ö3 wurden als „Strukturprogramme“ konzipiert, zielgruppenorientiert und im Angebot klar sortiert. Das war damals neu, und der ORF war unter den ersten - mit der BBC - die ihre Programme in diesem Sinn reformierten. Ö1 sollte der Sender der kulturellen Vielfalt werden.
Von wegen kleine Minderheit
Und weil jeder Anfang erstmal schön ist, machten die Autoren und Redakteure Programm zunächst nach eigenen Interessen. Traf es den Geschmack des Publikums, umso besser. Inzwischen gibt die Programmforschung das Maß vor. Vor vierzig Jahren dachte man auch noch, Kulturradio sei nur für eine kleine Minderheit. Heute geht Ö1-Chef Alfred Treiber davon aus, dass 15 Prozent der Bevölkerung potenziell an einem Kulturprogramm interessiert sind. Die peilt er an. Angekommen ist Ö1 im 40. Jahr bei einer Tagesreichweite von 8,8 Prozent: 650.000 Hörer. So viel hat „France Culture“ in ganz Frankreich. Damit ist Ö1 das erfolgreichste Kulturprogramm in Europa.
Hier sollen die Hörer alles finden, was sie brauchen. Am erfolgreichsten sind die Informationsjournale morgens, mittags, abends. Um sie herum gruppiert ist Vielfalt in strengem Schema. Ökologie und Natur am Morgen, Bildung am Vormittag, politisches Feature, Hörspiele am Abend, Literatur gern in Lesungen, eine lange Wissenschaftssendung. Radio, das sich nicht so einfach nebenbei hören lässt - und deshalb erfolgreich ist. Alfred Treiber stellt fest: „Die Leute sind zunehmend ganz wild darauf, etwas zu lernen.“
Kurze Formen sind in Ö1 besonders beliebt. „Betrifft Geschichte“ etwa. Jeden Wochentag fünf Minuten Historie, ein Thema pro Woche. Listig ist das vor dem Abendjournal programmiert, da sind die Hörer aufnahmebereit. Ö1 sendet aber auch lange Formate. „Die Leute sind nicht so verblödet, dass sie nicht mehr länger als acht Minuten zuhören können“, so Treiber: „Für ein intelligentes Publikum stimmt das so nicht.“
Klassische Musik spielt eine zentrale Rolle. Im Sommer wird der Sender einfach zum Festspielsender umdefiniert. Dazu kommen für junge Hörer Weltmusik, Jazz, eigene Veranstaltungen.
Ein Grund für den Erfolg ist freilich prosaisch: Ö1 bemüht sich auch um so etwas Banales wie Kundenbindung. „Das Produkt muss stimmen, das ist die Grundlage, aber es muss auch noch verkauft werden“, sagt Treiber. Die Idee zu einem Radioclub hat er beim Schweizer DRS2 abgekupfert. Heute hat der Ö1-Club 50.000 Mitglieder, die für kleine Beiträge ein sehr informatives Programmheft bekommen und vergünstigte Eintrittspreise für Konzerte. Diese Hörer sind das Rückgrat des Senders. (...)
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b) epd medien Nr. 78, 3. Oktober 2007 (ergänzende Ausschnitte)
„Die Leute sind nicht so verblödet“
Ein epd-Interview mit dem Ö1-Programmchef Alfred Treiber
epd (Fritz Wolf): Vor 40 Jahren startete Ö1. Wenn Sie jetzt eine vorläufige Bilanz ziehen - was sehen Sie als die größte Errungenschaft?
Alfred Treiber: Die größte Errungenschaft war, da bin ich mir ziemlich sicher, wie sich die Einstellung der Mitarbeiter gewandelt hat. (...) Heute, und da kann ich für ziemlich alle Mitarbeiter sprechen, sind wir der Meinung, dass das Publikum das Recht hat, das (...) adäquate und gewünschte Programm zu bekommen. Wir haben uns sehr angestrengt, Medienforschung betrieben, an der Feinjustierung der Schemata gearbeitet, um immer näher an unser doch sehr spezielles Publikum heranzukommen.
Wie untersuchen Sie, was die Zuhörer von den Sendungen von Ö1 halten?
Wir haben eine ständige Medienforschung. Und alle drei Jahre testen wir im sogenannten Radiotagebuch den Erfolg von Sendungen, auch mit Schulnoten und mit Zuhördauer, über drei Wochen hindurch. Das Publikum wird gefragt: Was haben Sie gehört? Wie haben Sie es gehört? Unter welchen Umständen? Und wie würden Sie es benoten? Das ist für uns als Ergänzung zu den Reichweiten eine sehr gute Sache, nicht nur eine quantitative, sondern eine qualitative Untersuchung.
Ihr Publikum teilt sich in drei große Gruppen: Radiohörer, die vor allem Information suchen, dann die Musikhörer und schließlich diejenigen, die sich für das kulturelle Wortprogramm interessieren. Wie balancieren Sie das aus?
(...) Es sind einige wichtige Dinge zu beachten. Der Rhythmus muss stimmen. Ich brauche einen Rhythmus von Wort und Musik, ich brauche einen Rhythmus zwischen Spannung und Entspannung, zwischen anstrengendem und leicht konsumierbarem Programm. Und ich brauche die passende Mischung von Sendungen. (...)
Andere Kultursender bauen ihr Programmschema oft mit großflächigen Programmstrecken. In Ö1 findet man eher kleinteilige Formen. Welche Überlegung steckt dahinter?
Wir haben das für uns auch ausprobiert und sind wieder davon abgekommen. Lange Programmstrecken bieten zu wenig Abwechslung. Unsere Hörer sollen durchhören und dabei möglichst viel Abwechslung haben. Das gilt auch für die Musikfarben. Wir sehen uns eher als Zug mit vielen Waggons, die jeweils eine ganz bestimmte Funktion haben. Die Waggons hängen hintereinander, und man weiß, wo der Postwaggon ist und wo der Speisewagen. Das passt besser zu den Gewohnheiten der Hörer. Unsere Morgenstrecke zum Beispiel: Das ist wie das Amen im Gebet. Das Morgenjournal dauert 22 Minuten, das weiß inzwischen jeder. Dann kommen acht Minuten Kultur. Dann kommt meistens Barockmusik, dann das zweite Morgenjournal. Danach folgt „Pasticcio“ und dann das „Radiokolleg“, der ins Moderne umgewandelte Schulfunk. Auf die Erwachsenenbildung folgt eine lange Musikstrecke und dann das Mittagsjournal. Das ist sehr klar gegliedert. (...)
Die Kulturchefs werden auf der EBU-Tagung über die Frage diskutieren, wie es mit der Konzentration der Hörer steht, welche Sendungslängen angemessen sind. Was ist Ihr Standpunkt? [EBU = Dachverband European Broadcasting Union]
Ich möchte gerne denen Mut machen, die den Kassandratönen nicht nachgeben wollen. Die Leute sind nicht so verblödet, dass sie nicht mehr länger als acht Minuten zuhören können. Für ein intelligentes Publikum stimmt das nicht. Wenn das Produkt stimmt, ist das keine Frage der Länge. Ich kann in acht Minuten entsetzlichen Blödsinn machen und in einer Stunde auch. Aber ich kann in acht Minuten sicher kein Thema umfassend behandeln. Wir werden also Erfahrungen austauschen: Ist dieser Virus schon in Europa allgemein verbreitet? Ich glaube, er ist nicht so weit verbreitet, dass er nicht heilbar wäre. Jedenfalls nicht in den Kulturprogrammen.
Quelle: http://213.144.21.246/medien/medien_index_52171.html (Gesamtumfang: 6 Seiten)
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Materialien für eine Grundsatzdiskussion - Dokumentation
E. Neue Erkenntnisse der ARD-Medienforschung zu Kulturinteressierten
Media-Perspektiven 05/2006 und 05/2007
Vorbemerkung: Je breiter die Befragungsbasis in den Situationen ist, die die Artikel behandeln (nur noch geringes Interesse an klassischer Musik, nur einmal pro Woche Konsum von klassischer Musik über Radio und/oder Tonträger, schwacher Bewertungsmaßstab usw.) und je weiter die Zielgruppe sein soll, desto eher gibt es Anhaltspunkte für eine „begleitende“ Radiopraxis. Im Gegensatz dazu sind im Folgenden Ausführungen nach den ARD-Untersuchungen zum Potential der ernsthaft an klassischer Musik Interessierten zusammengestellt, zu der Gruppe also, die NDR Kultur tagsüber weitgehend vernachlässigt. - Die in der ARD-E-Musikstudie benutzen Begriffe „E-Musikaffine“ und „E-Musikoffene“ werden in den Aufsätzen nicht abgegrenzt und scheinen vergleichbar benutzt zu werden (vgl. z.B. S. 247, Absatz „Musikschule/Musikverein“).
1.) Die ARD-E-Musikstudie (Media-Perspektiven 05/2006)
a.) Wer hört heute klassische Musik? (Zitate)
...(Es gibt) in der Bevölkerung ab 14 Jahre 53 Prozent E-Musikoffene und 47 Prozent Nicht-E-Musikoffene. (Seite 246, siehe auch erste Grafik unten)
Für die E-Musikaffinen bedeutet klassische Musik ein Stück Lebensqualität, etwas, das ihr Leben genussvoller, facettenreicher macht. 70 Prozent der E-Musikaffinen sehen in klassischer Musik eine Bereicherung ihres Lebens. Knapp jeder Zweite empfindet klassische Musik nicht nur als angenehm und bereichernd, sondern für ihn ist diese Musik essenziell, sie ist ein wichtiger Bestandteil seines Lebens. (...) Für mehr als 40 Prozent entspricht klassische Musik dem eigenen Lebensgefühl. (...) Für die Mehrheit der E-Musikoffenen gilt auch, dass ihr Interesse an klassischer Musik in den letzten Jahren eher zugenommen hat. (...) (Das) Bedürfnis nach häufigerem Konsum (klassischer Musik) ist bei allen Klassikaffinen über 30 Jahre besonders ausgeprägt. (S. 250)
In der Tendenz ist erkennbar, dass der Crossover-Bereich von Klassik, Weltmusik und Jazz eher eine Gruppe von Personen mit hoher E-Musikkompetenz anspricht. (S. 252)
b.) Klassische Musik im Radio (Zitate)
Zusammengefasst kommt die E-Musik-Potenzialanalyse für die einzelnen Medien zu folgenden Ergebnissen: Der „Weite Hörerkreis“ von E-Musik im Radio (mindestens einmal pro Woche) umfasst 19 Prozent der Erwachsenen, hinzu kommen 10 Prozent Seltennutzer (Äußerstes Gesamtpotenzial: 29 %). (S. 261)
(Es) lassen sich mit Hilfe multivariater Analysen vier Gruppen von E-Musikaffinen trennscharf voneinander unterscheiden: „Alltagshörer“, „Genießer“, „Stimmungshörer“ und „Zaungäste“. Kennzeichnend für „Alltagshörer“ (11%-Anteil) ist eine hohe Identifikation mit klassischer Musik sowie ein hohes Maß an Integration klassischer Musik in den Alltag. Für „Genießer“ (15 %) wird E-Musik als Bereicherung des eigenen Lebens empfunden. Es besteht der Wunsch nach häufigerem Genuss, der aus Zeitgründen nur eingeschränkt erfüllt werden kann. (S. 262)
„Genießer“ und „Alltagshörer“ bilden in starkem Maße die Gruppe derjenigen, die alle Ressourcen nutzen, um klassische Musik zu genießen, die eigene Platten- und CD-Sammlung, den Konzertsaal und natürlich das Radio. (...) Wer „Alltagshörer“ oder „Genießer“ klassischer Musik ist, nutzt nahezu alle Optionen und braucht gerade das Radio nicht nur als angenehme Begleitung, sondern auch als Quelle von Anregung und Inspiration. (S. 264)
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Immerhin widmet sich gut ein Drittel der Klassikhörer [d.h. E-Musikoffene mit mindestens einmal pro Woche Konsum von klassischer Musik über Radio und/oder Tonträger] schon morgens und mittags (eher) aufmerksam der E-Musik. Auf der anderen Seite wird klassische Musik am Abend von mindestens einem Drittel der Klassikfans durchaus nur mit geteilter Aufmerksamkeit nebenbei gehört. (S. 267 f.)
Eine deutliche Mehrheit der Klassikhörer schätzt den USP [= unique selling proposition, Alleinstellungsmerkmal oder komparativer Konkurrenzvorteil] des Radios: Abwechslung, Überraschung und Neues entdecken sind wichtige Einschaltgründe und stellen die Vorzüge des Radios gegenüber der eigenen CD-Sammlung dar. Ungewöhnliche Einspielungen und Interpretationen kennen lernen, die Heranführung an weniger bekannte Musikstücke sowie Anregungen und Hinweise zur klassischen Musik sind ebenfalls wichtige Nutzungsmotive und besonders für die Kernzielgruppe der Klassiksender, die Neuen- und Klassisch Kulturorientierten, von großer Bedeutung. (S. 268)
„E-Musikoffene mit mindestens zweimal pro Woche Konsum von klassischer Musik über das Radio“ und „Moderationseigenschaften bei der Präsentation von E-Musik im Radio“: Es halten für „sehr wichtig“ oder „wichtig“ (Abb. 12, S. 270)
sehr wichtig | wichtig | ||
kompetent seriös engagiert ausführlich unterhaltsam locker | 46 % 32 % 25 % 19 % 18 % 15 % | 88 % 82 % 77 % 61 % 65 % 60 % |
(Am) Nachmittag und Abend (ist) die Konkurrenz durch die individuelle Auswahlmöglichkeit aus der eigenen Platten- oder CD-Sammlung besonders stark und die Rezeption klassischer Musik im Radio geht deutlich zurück bzw. ist die Angelegenheit von „Spezialisten“ oder „Zufallshörern“. (S. 271)
2.) Die neue „MedienNutzerTypologie“ MNT 2.0 (Media-Perspektiven 05/2007)
a.)Vorstellung der neuen MNT 2.0
Im Jahr 2007 hat die ARD zur Darstellung des Mediennutzungsverhaltens der erwachsenen Bevölkerung in der Bundesrepublik eine neue „MedienNutzerTypologie“, genannt MNT 2.0, herausgebracht, die Erhebungen dazu sind von 2006. Die letzte (und erste) stammte aus dem Jahr 1998 mit Daten von 1997/98. Selbstverständlich sind die Menschen ca. acht Jahre älter geworden, hat das Internet bedeutend an Einfluss gewonnen und sind Jugendliche verstärkt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ferngeblieben. Doch für die an Kultur interessierten Erwachsenen hat sich nach den Ausführungen im Leitartikel von Ekkehardt Oehmichen nicht viel verändert. Erstaunlich ist deshalb, dass gerade für die „kulturnahen“ Menschen die „MedienNutzerTypen“ erheblich verändert, also neu definiert wurden. (Weitere Informationen im ersten Artikel der Reihe zur NMT 2.0: „Die neue MedienNutzerTypologie MNT 2.0“)
Die folgenden Informationen stammen aus dem zweiten Artikel der Reihe: „Zur Weiterentwicklung der MedienNutzerTypologie“ von Peter H. Hartmann und Inga Höhne (Tabelle 3, S. 237, Abb. 1, S. 238, Tab. 5 und Abb. 2, S. 239, und Abb. 3, S. 240).
Neu wurde der Typ der „Familienorientierten“ geschaffen, vorwiegend in der Altersgruppe von 30 bis 59 Jahren. Die eher „kulturfernen“ Gruppen sind begrifflich unverändert geblieben: „Junge Wilde“ (vor allem 14 - 29 Jahre), „Unauffällige“ (v.a. 30 - 49 Jahre), „Häusliche“ (v.a. 40 - 69 Jahre) und „Zurückgezogene“ (v.a. ab 60 Jahre), siehe Grafik unten.
In den strategischen Überlegungen des NDR zu NDR Kultur spielten die „Neuen Kulturorientierten“ die zentrale Rolle. Diese Gruppe gibt es nicht mehr, sie wurde aufgeteilt. Nur 21 % von ihnen kommen in die Nachfolgegruppe der „Modernen Kulturorientierten“ (v.a. 40 - 69 Jahre), 34 % kommen zu den „Zielstrebigen Trendsettern“ (v.a. 14 - 29 Jahre, Nachfolgegruppe der „Erlebnisorientierten“) und weitere 25 % zu den drei anderen Gruppen im mehr oder weniger „kulturnahen“ Teil.
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Die Gruppe, die im Programm von NDR Kultur tagsüber eher ignoriert wurde bzw. die sich anpassen sollte, die „Klassisch Kulturorientierten“, wurde ebenfalls neu aufgeteilt. Nur noch 41 % von ihnen sind bei der neuen Nachfolgegruppe der „Kulturorientierten Traditionellen“ (v.a. ab 60 Jahre), während jetzt 21 % von ihnen in der neuen Gruppe der „Modernen Kulturorientierten“ (siehe oben) und 31 % in der neuen Gruppe der „Vielseitig Interessierten“ (v.a. ab 60 Jahre, Nachfolgegruppe der „Aufgeschlossenen“) sind.
Doch bevor der Eindruck der Beliebigkeit entsteht, sei darauf hingewiesen, dass die Zuordnungen zu den Gruppen nach ARD-Aussagen verbessert bzw. korrigiert wurden. So sind die Musikpräferenzen jetzt als Teil der grundlegenden Lebensstile Basisbestandteil der neuen Typen. Das heißt umgekehrt, dass die alte Typologie nach heutigen Erkenntnissen bedeutsame Fehler enthielt (siehe Zitat zur Musizierpraxis im Abschnitt „Weiterentwicklung der MedienNutzerTypologie“ unten).
Es folgen Ausschnitte aus den drei Artikeln.
b.) „MedienNutzerTypen“/Auswahl (Zitate)
Moderne Kulturorientierte: Im Unterschied zu anderen Nutzertypen ist die Nähe zum „Musischen“ prägnant: „bewusstes Musikhören“ oder „ein Instrument spielen“ sind häufig ausgeübte Tätigkeiten. (...) Der Stellenwert von Kunst, Literatur und Theater ist sehr hoch. (...) Im Musikbereich können sie als Grenzgänger zwischen den Stilen, zwischen Mozart und Jimi Hendrix, zwischen Klassik und Rock und Blues beschrieben werden. (...) In ihrer Programmwahl sind sie prinzipiell sehr öffentlich-rechtlich orientiert und gehören beim Radio zu den stärksten Nutzern von Kultur- und Informationswellen. (...) Die formale Bildung ist hoch: 50 Prozent haben Abitur oder ein Studium abgeschlossen. (S. 231)
Kulturorientierte Traditionelle: In ihrer freien Zeit nehmen sie die klassischen Angebote des kulturellen Lebens aktiv wahr, zum Teil gestalten sie sie auch mit. Dabei orientieren sie sich am Maßstab der traditionellen Hochkultur. Besucher klassischer Konzert- oder Theaterveranstaltungen gehören sehr häufig dem Typus der Kulturorientierten Traditionellen an. (...) Kulturorientierte Traditionelle haben ein stark überdurchschnittliches Interesse an Kunst, Kultur und Politik. (...) Beim Hörfunk werden insbesondere ARD-Kultur- und Informationsprogramme eingeschaltet, daneben auch Melodieformate. Die formale Bildung ist (...) sehr hoch: 23 Prozent verfügen über Abitur oder Hochschulabschluss. Der Anteil Berufstätiger liegt noch bei 25 Prozent. (S. 232)
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c.) Weiterentwicklung der „MedienNutzerTypologie“ (Zitat zu einer wichtigen Änderung)
Schließlich erwiesen sich im Kurzinstrument der MNT 98 die Items zum aktiven Musizieren als zu dominierend bei der Identifikation der Klassisch Kulturorientierten. Aktives Musizieren ist zumindest bei jüngeren Personen nicht mehr als Indikator eines traditionellen Kulturbegriffs geeignet. Zur Achse zwischen Traditionalität und Modernität in der Kulturorientierung liegt das aktive Musizieren quer. (S. 235)
d.) Radionutzung und MNT 2.0 (ein Zitat und zwei Auswahltabellen)
An mehr als sechs Tagen in der Woche schalten im Durchschnitt auch die beiden kulturaffinen Typen der Modernen Kulturorientierten und Kulturorientierten Traditionellen ein. Allerdings ist ihre Zuwendungsdauer im Vergleich leicht unterdurchschnittlich, was auf ein - zumindest tendenziell - selektiveres Nutzungsverhalten hindeutet. (S. 255)
Für die „Modernen Kulturorientierten“ sind als Programmbestandteile „sehr wichtig“ (in %):
Nachrichten politische Berichterstattung Musik Verkehrshinweise regionale Informationen Wissenschaft und Bildung kulturelle Informationen Wirtschaftsinformationen Moderation Service- und Verbrauchertipps Informationen zur Musik Veranstaltungstipps Sportberichte Humor/Comedy Hörspiele bunte, vermischte Meldungen Musikwünsche von Hörern Spiele, Quiz | 77,1 48,3 45,1 41,8 34,8 29,7 28,0 27,7 25,0 17,9 13,5 13,5 12,5 12,5 10,5 9,4 5,1 0,7 |
Für die „Kulturorientierten Traditionellen“ sind als Programmbestandteile „sehr wichtig“ (in %):
Nachrichten Musik Verkehrshinweise politische Berichterstattung regionale Informationen Wissenschaft und Bildung Sportberichte Moderation kulturelle Informationen Service- und Verbrauchertipps bunte, vermischte Meldungen Informationen zur Musik Wirtschaftsinformationen Musikwünsche von Hörern Humor/Comedy Hörspiele Spiele, Quiz Veranstaltungstipps | 68,1 43,1 32,6 29,7 28,0 17,7 13,1 12,7 12,7 12,3 10,9 9,1 9,1 7,6 6,9 5,1 4,3 4,0 |
Anmerkung: Sollten diese beiden „MediaNutzerTypen“ die Zielgruppen von NDR Kultur werden, ist zu erkennen, dass die besonderen und kurz gehaltenen Wortbeiträge mit den Kategorien „Spiele, Quiz“, „bunte, vermischte Meldungen“, „Veranstaltungstipps“ und „Service- und Verbrauchertipps“ im unteren Feld der Wichtigkeitsskala rangieren.
Zitiert aus folgenden Artikeln:
• Wer hört heute klassische Musik?, von Annette Mende und Ulrich Neuwöhner, MP 05/2006, S. 246 bis 258, http://www.media-perspektiven.de/uploads/tx_mppublications/05-2006_Mende.pdf
• Klassische Musik im Radio, von Ekkehardt Oehmichen und Sylvia Feuerstein, MP 05/2006, S. 259 bis 272, http://www.media-perspektiven.de/uploads/tx_mppublications/05-2006_Oehmichen.pdf
• Die neue MedienNutzerTypologie MNT 2.0, von Ekkehardt Oehmichen, MP 05/2007, S. 226 bis 234, http://www.media-perspektiven.de/uploads/tx_mppublications/05-2007_Oehmichen.pdf
• MNT 2.0 - Zur Weiterentwicklung der MedienNutzerTypologie, von Peter H. Hartmann und Inga Höhne, MP 05/2007, S. 235 bis 241, http://www.media-perspektiven.de/uploads/tx_mppublications/05-2007_Hartmann.pdf
• Radionutzung und MNT 2.0, von Andreas Egger und Thomas Windgasse, MP 05/2007, S. 255 bis 263, http://www.media-perspektiven.de/uploads/tx_mppublications/05-2007_Egger.pdf
Zusammenstellung: Das GANZE Werk, 5. November 2007
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Materialien für eine Grundsatzdiskussion - Dokumentation
F. Die bisherige Programmstrategie für NDR Kultur widerspricht den Erkenntnissen der ARD-Medienforschung und der Enquete-Kommission
1.) Die Vorgaben des damaligen NDR Programmdirektors Hörfunk (2002)
Auf dem Weg zu „NDR Kultur“ (Interview mit Ralph Coleman)
Coleman: Wird sich RADIO 3 dem kommerziellen Konkurrenten angleichen?
Romann: RADIO 3 wird keine Kopie von Klassik Radio. Wir haben einen anderen Auftrag, einen anderen Anspruch, andere Wurzeln! (...) Das bedeutet z. B. für die Musikauswahl bei RADIO 3: Wir brauchen eine nach den Kriterien eines Begleitprogramms ausgerichtete Musikuhr mit einem wiedererkennbaren beliebten Repertoire klassischer und klassikähnlicher Werke. Die eher anspruchsvollen, längeren Stücke werden künftig am Abend zu hören sein. (...)
Coleman: Welche Zielgruppe peilt RADIO 3 in Zukunft an? Soll das Programm jünger werden?
Romann: Erkenntnissen der Hörerforschung zufolge bilden - neben den „klassisch Kulturorientierten“ (Durchschnittsalter: Anfang 60) - die „neuen Kulturorientierten“ (Durchschnittsalter: Anfang 40) ein beachtliches Potenzial. Da selbst die „klassisch Kulturorientierten“ nicht mehr nur auf Hochkultur fixiert sind und sich in ihrem Medienverhalten dem der „neuen Kulturorientierten“ angleichen, bilden beide Gruppen die Zielgruppe, die wir mit unserem neuen Angebot ansprechen wollen.
(„Wir im NDR“, Sommer 2002, Quelle u.a.: http://www.dasganzewerk.de/pdf/20020920-ndr-kultur.pdf)
2.) Unter Wolfgang Knauer wird NDR Kultur teilweise formatiert (2003)
Wolfgang Knauer war zunächst Leiter von Radio 3 und nach der Umbebennung des Senders Leiter von NDR Kultur bis zum 31. Dezember 2003.
Nicht nur der Name ist neu
Auf ein stimmiges „Repertoire für den Tag“, auf die richtige „Dramaturgie für eine Stunde“ komme es an, sagt Knauer, „ein Ligeti-Streichquartett nachmittags um vier, das ist nicht unbedingt der Hit“. Dann doch lieber der „Slawische Tanz“ von Dvorak, der sei näher dran am Hörer, der das Radio als Begleitmedium nutze. Die „Taktzahl“ der Stücke wird erhöht, längere Werke („für konzentriertes Hören“) laufen abends. Auch Filmmusik darfs gerne sein.
(Von dem Autor rot, Hamburger Abendblatt, 18. Dezember 2002, Quelle u.a.: http://www.dasganzewerk.de/presse/20021218-ha.shtml)Hamburger Sender kämpfen um Klassik-Hörer
„Der Kulturauftrag soll gewahrt bleiben, aber die Quote nicht vernachlässigt werden“, erklärt „NDR-Kultur“-Chef Wolfgang Knauer. Die „neuen Kulturorientierten“ wolle man hinzugewinnen: „Jüngere Hörer, die nicht nur klassische Musik mögen und das Radio als Begleitmedium für den ganzen Tag nutzen“.
(Von Cornelis Rattmann, Feuilleton Hamburg der Tageszeitung Die Welt, 10. Februar 2003, Quelle u.a.: http://www.dasganzewerk.de/presse/20030210-welt.shtml)
Mitte August 2003 gab der NDR bekannt, dass „Barbara Mirow Wolfgang Knauer ersetze, der den Sender nach vielen Jahren verlasse.“ (DIE WELT)
3.) Unter Barbara Mirow wird NDR Kultur tagsüber systematisch durchformatiert (ab 2004)
Die Frau fürs Kulturelle
„Auch anspruchsvolle Kulturprogramme werden heute tagsüber zum Nebenbeihören genutzt, und wer sind wir denn, dass wir uns nicht danach richten“, erläutert Mirow im aufmerksamen Beisein von Hörfunk-Programmdirektor Gernot Romann ihre Marschrichtung. (...)“
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(Fortsetzung des Zitats) „(...) - Damit verbunden ist wohl eine noch stärkere Ausrichtung auf den geschmeidigen Mainstream, Wortbeiträge dürften tagsüber in aller Regel nicht länger ausfallen als dreieinhalb Minuten. „Mir will übrigens nicht in den Sinn, warum man eine Kritik, eine Buchbesprechung oder einen CD-Tipp nicht in dieser Zeit machen kann. Wir machen ein Programm basierend auf der Annahme, dass die Hörer tagsüber nicht die Zeit haben, fünf, zehn, 15, 20 Minuten am Stück konzentriert zuzuhören.“ (...)
Mirows Kulturverständnis bietet Platz für vieles: „Kultur ist nicht nur Bayreuth, Salzburg, Klagenfurt, auch große Pop-Konzerte gehören dazu. Alltagskultur ist für mich zum Beispiel auch der neue Golf aus Wolfsburg.“
(Von Joachim Mischke, Hamburger Abendblatt, 10. September 2003, Quelle u.a.: http://www.dasganzewerk.de/presse/20030910-3-ha.shtml)
4.) Wolfgang Knauer verhilft der Enquete-Kommission zu Erkenntnissen über das Formatradio (2005/07)
Im Jahr 2005 wurde Wolfgang Knauer von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ zu einem der sieben Experten für das Thema „Kulturauftrag und kulturelle Tätigkeit des Rundfunks“ benannt. Dort formulierte er eine persönliche Korrektur zu der von ihm offiziell 2002/03 vertretenenn NDR-Position:
Reaktionen aus der Hörerschaft zeigen, dass zumindest die „klassisch Kulturorientierten“ großen Wert auf die kompetente Vermittlung und ausreichende Wiedergabe von Musik auch im Tagesangebot der öffentlich-rechtlichen Kulturprogramme legen und eine Beschränkung auf selektive „Hit-Paraden“ nicht akzeptieren.(...) Ob sich die strenge Formatierung auf die Dauer für Kulturprogramme eignet, muss bezweifelt werden, da sie musikalisch allzu stark einengt, tiefer gehende Darstellungen verhindert. Die Übernahme eines für Popwellen entwickelten dramaturgischen Prinzips fördert den Hang zur Trivialisierung. (aus der Stellungnahme für die Anhörung am 18. April 2005, leicht gekürzt)
Was Sie feststellen, dass solche Sendungen entweder ganz verschwinden oder an den Rand gedrängt werden, ist sicher eine in Teilen richtige Beobachtung. (Anhörung am 18. April 2005, Wortprotokoll) Quelle u.a.: http://www.dasganzewerk.de/presse/20051007-bundestag-kultur-in-deutschland.shtml Diese Position wurde einmütig von der Enquete-Kommission in ihrem Abschlussbericht übernommen: Die Enquete-Kommission (...) nimmt (...) kritische Stimmen ernst, die vor der Gefahr einer zu starken Popularisierung im Sinne einer Verflachung und Trivialisierung warnen. (...)
Reaktionen aus der Hörerschaft (belegen), dass das Interesse an der Kultur auch bei der jüngeren Generation weit über das ausschließlich Populäre hinausgeht. Die sich ausbreitende ‚Formatierung' von Sendungen, das heißt das Setzen strengerer Zeitlimits und Vorgaben für die Kombination von Wort- und Musikbeiträgen, ist tendenziell eine Gefahr für Themen und Kulturtraditionen, die in erheblichem Maße auf Geist, Komplexität und Substanz setzen und daher medial nicht so leicht zugänglich gemacht werden können. (...)
Die Enquete-Kommission empfiehlt den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Beiträgen zur Kultur in den Hauptprogrammen breiteren Raum einzuräumen, sie stärker in die Hauptsendezeit zu rücken und mehr Möglichkeiten bereitzuhalten, musikalische Werke zusammenhängend darzubieten.
Quelle: http://www.bundestag.de/parlament/gremien/kommissionen/enqkultur/Schlussbericht/Schlussbericht/Schlussbericht.pdf, S. 149 - 157
Das GANZE Werk (Nord), Sprecherrat, 5. November 2007 und 24. Februar 2008 (Aktualisierung)
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Weiterführender Hinweis
Lesen Sie als weitere Bestandteile der Materialsammlung „Der Kulturauftrag im Hörfunk“ folgende Texte auf der Homepage der Bürgerinitiativen Das GANZE Werk (www.dasganzewerk.de) oder bestellen Sie diese Texte als Pdf-Ausdrucke bei der unten stehenden Adresse:
G. Programmvorschläge der Bürgernitiative Das GANZE Werk (Nord), 9. April 2006
H. Kulturwellenvergleich Nr. 1 zu fünf Sendern, 8. August 2006, 15 bis 17 Uhr
I. Kulturwellenvergleich Nr. 2 zu neun Sendern, 18. Juni 2007, 7 bis 8 Uhr
J. Kulturwellenvergleich „Chormusik und Lied“, 7. bis 12. Januar 2008
Herausgeber
Bürgerinitiative Das GANZE Werk (Nord), Sprecherrat
Kontakt: Theodor Friedrich (ehem. Sprecher)
E-Mail: dgw-nord@t-online.de (dgw-nord@t-online.de)