Kulturwellenvergleich Nr. 2
Das GANZE Werk, 3. Oktober 2007
Montag, 18. Juni 2007, zwischen 7 und 8 Uhr
Morgenstund' hat Gold im Mund, ...
... doch es ist nicht alles Gold, was glänzt
Neun Kulturwellen im Vergleich
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Nachdem eine Gruppe kritischer Hörer am Donnerstag, 8. August 2006, fünf Kulturwellen zwischen 15 und 17 Uhr beobachtet und untersucht hatte, wurde am 18. Juni 2007 ein weiterer Kulturwellenvergleich in zwei Richtungen geplant und ausgeführt. Dank der inzwischen gegründeten Initiative „Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg)“ wurde die personelle Basis verbreitert, so dass nun statt der bisher beobachteten fünf insgesamt neun Kulturwellen untersucht werden konnten. Die Kulturwellen gehören mit acht Programmen
• Bayerischer Rundfunk - Bayern 4 Klassik (abgekürzt BR),
• Hessischer Rundfunk - hr 2 kultur (HR),
• Mitteldeutscher Rundfunk - MDR Figaro (MDR),
• Norddeutscher Rundfunk - NDR Kultur (NDR),
• Radio Berlin-Brandenburg - kulturradio vom rbb (RBB),
• Saarländischer Rundfunk - SR 2 KulturRadio (SR),
• Südwestrundfunk - SWR 2 (SWR) und
• Westdeutscher Rundfunk - WDR 3 (WDR)
zum Pool der einem Bundesland oder mehreren Ländern zuzuordnenden ARD-Sender, während
• DeutschlandRadio Kultur (DLR)
ein Programm des bundesweit ausgestrahlten nationalen Deutschlandradios ist. Die zweite Änderung betraf das beobachtete Zeitfenster. Wieder war wegen der ausschließlich ehrenamtlichen Tätigkeit in den DGW-Initiativen Nord und Berlin-Brandenburg keine ganztägige Beobachtung der Kulturwellen über einen längeren Zeitraum möglich. Es wurde daher exemplarisch die werktägliche Morgenstrecke von 7 bis 8 Uhr während der sogenannten Prime-Time des Hörfunks gewählt. Das ist keine Zeit für ausgedehnte Exkurse und Muße, sondern zwischen dem Aufstehen und dem Arbeitsbeginn für Berufstätige und für Familien mit schulpflichtigen Kindern ein durch Mobilität gezeichneter, auch durch Hektik und Stress geprägter Zeitraum. Ein Kulturprogramm muss das berücksichtigen und sich auf eine Mischung von Aufmunterung und Service einlassen. Ohne Ausnahme setzen die Sender dazu das Formatradio ein. Zu untersuchen war also, wie zwischen Bett und Büro oder Hausarbeit die divergierenden Programmansprüche erfüllt werden. Gehört wurden Nachrichten, Reportagen und politische Kommentare, Wetterberichte und Verkehrsmeldungen, Programmansagen und Hinweise auf andere Sendungen, schließlich - wie sollte es in einem Kulturprogramm anders sein - Kulturberichte, Rezensionen, „CD-Tipps“ sowie die unterschiedlich angesagten und stilistisch verschiedenartigsten Musikbeispiele.
Programmansagen als Visitenkarten
Als akustische Visitenkarten sind vielfach die Kombinationen von Jingle und Ansage der Welle bzw. des Programmblocks Sendepraxis geworden. SR, SWR und WDR verzichten auf einen Jingle. SWR und WDR streuen den Wellennamen vier- bzw. fünfmal ein, während SR ohne Jingle achtmal mit dem Namen aufwartet. Dem durchaus griffigen und sechsmal genannten Sendetitel „MorgenMusik“ wird dabei so wenig kennzeichnende Kraft zugebilligt, dass er stets mit dem Zusatz „bei (auf) SR 2 KulturRadio“ versehen wird. Dem sparsamen Einsatz von Jingle und Programmansage auf den Wellen BR, HR, MDR und DLR steht der geradezu verschwenderische Umgang mit diesen Kennungen bei RBB (fünf Jingles und acht Wellenansagen) und NDR (drei Jingles) gegenüber. Im Hamburger Programm streut man in die Sendestunde sogar 16 Wellenansagen ein. Ein Beispiel in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen, direkt nach dem Musiksatz:
Das NDR Sinfonieorchester, heute Abend mal nicht unter Christoph von Dohnanyi wie hier, sondern unter Emmanuel Krivine live ab 20 Uhr hier auf NDR Kultur. Hier spielte es den 1. Satz aus der Sinfonie Nr. 35 in D-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart hier auf NDR Kultur um 7 Uhr 38 jetzt.
Politik und Service
Nachrichten gibt es in jedem Programm, doch unterscheiden sich diese nicht nur hinsichtlich Anzahl und Ausführlichkeit. Mit Ausnahme von SWR schlagen die Landeskulturprogramme den Bogen von internationalen zu regionalen Meldungen. Selbst in Kulturprogrammen aber scheinen Sportmeldungen wichtiger als Kulturnachrichten zu sein. Während vom Sport auf DLR, HR, MDR und SR berichtet wird, senden nur BR, RBB und SWR am Ende der Frühnachrichten eine oder mehrere Kulturmeldungen. Dass RBB dabei die dritte Kulturmeldung, das Waldbühnenkonzert der Berliner Philharmoniker, mit der Vorschau auf einen später folgenden ausführlichen Bericht verknüpft, zeugt von einigem Geschick im Umgang mit der gedrängten Sendezeit.
Nur DLR, MDR und WDR räumen Sendezeit für ausführlichere Korrespondentenberichte und ein politisches Feuilleton ein. SWR sendet bereits kurz nach den 7-Uhr-Nachrichten politische Pressestimmen und reserviert unmittelbar nach den Kurznachrichten um 7.30 Uhr Zeit für ein politisches Tagesgespräch. Der Wetterbericht ist überall dabei, doch passiert es, dass dieser auf DLR bis zur geringsten Aussagekraft komprimiert wird:
Heute früh und am Vormittag von Südwest nach Nordost Durchzug eines Regengebiets, sonst heiter bis wolkig. Höchsttemperaturen zwischen 18 und 28 Grad.
Hörfunk als Dienst am Hörer könnte umfassender vorgestellt werden - und einmal beim Service angekommen, fallen zwei Dinge auf. Nur BR und RBB weisen mit Gongschlag oder Zeitzeichen auf die präzise Zeit hin, und nur BR, MDR und SR bringen Verkehrshinweise.
Kulturberichte und Tipps
Aktuelle Berichte über Kulturereignisse sind die Domäne der Kulturwellen - gerade zwischen 7 und 8 Uhr. Einzig SWR bot am 18. Juni keinen Kulturbericht in der Frühstrecke. Bei Auswahl und Informationsdichte aber werden Abstufungen signifikant.
BR steht hinsichtlich der Qualität seiner Kulturberichterstattung an erster Stelle. Das Frühprogramm konzentriert diese auf zwei Ereignisse: die in knapp zwei Minuten gewürdigten Gastspiele des anstaltseigenen Symphonieorchesters in Luxemburg und Paris und die Traviata-Premiere in Paris. Letztere wird in einem Gespräch umfassend vorgestellt. Auf die Anmoderation mit kurzem Inhaltshinweis folgen systematische Bemerkungen zu Inszenierung (Christoph Marthaler), Bühnenbild (Anna Viebrock), musikalischer Leitung (Sylvain Cambreling) mit Würdigung des Orchesters und der Solisten José van Dam, Jonas Kaufmann und - in der Titelrolle - Christine Schäfer. Der Bericht erschöpft sich weder in bloßen Momentaufnahmen noch in rein positiven Färbungen, sondern weitet das Panorama durch vergleichende Betrachtungen aus. Marthalers und Viebrocks Bühnengewohnheiten werden herangezogen, Christine Schäfer wird mit Anna Netrebko verglichen, und es wird nicht verschwiegen, dass kein Originalton aus der Pariser Oper zu bekommen war. Der aus der Not gefundene Weg, Christine Schäfer klingend als Cherubino aus Mozarts Figaro vorzustellen, wird in der Absage mit Hinweisen auf weitere Pariser Traviata-Termine und die folgende Mozartmusik verbunden.
Der anspruchsvolle Traviata-Bericht des BR ist bemerkenswert - er steht für redaktionelle Sorgfalt und besticht durch seine prägnante Gliederung. Die fünfminütige Sendezeit erfordert Konzentration und offeriert eine in keinem anderen Programm zu findende Informationsdichte. Dass BR sich in der Frühstrecke außerdem noch Zeit für einen nicht anstaltsgebundenen Programmhinweis - auf zwei Konzerte des Tages bei der Schubertiade in Schwarzenberg - nimmt, sei ebenso angemerkt wie der Verzicht auf einen „CD-Tipp“.
Die beim BR beobachtete Gesprächsform des Kulturberichts dominiert auch bei anderen Kulturwellen, ohne indes das Münchener Niveau zu erreichen. HR etwa berichtet in knapp sieben Minuten durchaus kritisch über ein Open-air-Gastspiel des Chinesen Lang Lang in Hanau. Der Hörer jedoch kann neben Prokofjew die Komponisten Beethoven und Tschaikowsky nur erraten, wenn
eine ausgewachsene Sinfonie und dann zwei ausgewachsene und große Klavierkonzerte
aufgezählt werden, aber nur die „Symphonie classique“ genannt wird.
Fast sieben Minuten bilanziert MDR im Gespräch das Leipziger Bachfest - mit kritischen Anmerkungen zur abschließenden h-Moll-Messe und positiveren Rückblicken auf Monteverdi-, Praetorius- und Buxtehude-Aufführungen und mit einem Hinweis auf die im Leipziger Bach-Archiv gefundene Telemann-Oper „Germanicus“. Diesen inhaltlichen Akzenten steht eine recht saloppe Sprache mit dem umgangssprachlichen „nix“ und meistens nichtssagendenden Modewörtern wie „wirklich“ (16 Mal) und „also“ (22 Mal) gegenüber.
MDR befindet sich sprachlich in Gesellschaft mit RBB, der sein knapp vierminütiges Gespräch über das Waldbühnenkonzert der Berliner Philharmoniker ebenfalls mit „wirklich“ (8 Mal) und „also“ (7 Mal) garniert.
DLR und NDR beschränken ihre kulturelle Berichterstattung auf Beiträge zu Paul McCartneys 65. Geburtstag.
Der Kulturbegriff wird von den Kulturwellen unterschiedlich verstanden. Während SR sowohl den Camembert-Streit in Frankreich als auch das 80-jährige Bestehen des Nürburgringes würdigt, konzentriert sich WDR auf einen ausführlichen Report mit Veranstaltungshinweis zu Jungstudenten an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf. SR beleuchtet kurz Karlheinz Stockhausens in Braunschweig wiederaufgeführtes Helikopter-Quartett, doch wird dieser Hinweis Aufhänger für ein Abendkonzert der Musikfestspiele Saar, ohne allerdings Termin und Komponisten der Biker's Sinfonie für 50 Motorräder zu nennen.
DLR, MDR und HR platzieren schon zwischen 7 und 8 Uhr regelmäßig Hinweise auf neue Compact Discs. Diese werden als „CD der Woche“ annonciert und täglich in kurzen Ausschnitten vorgestellt.
Musik in der Frühe
Aufwecken, munter machen, anregen, illustrieren, informieren oder nur als Klangtapete wirken - das sind die Funktionen der zumeist kurzen Musikstücke der Frühsendungen zwischen den Wortbeiträgen.
Die Anzahl der gesendeten Werke differiert stärker als die einstündige Beobachtungszeit vermuten lässt. Sie pendelt zwischen 12 (SR), 11 (MDR), 10 (HR und NDR), 8 (BR), 7 (DLR und WDR) und 6 (RBB und SWR) Beispielen. Stilistisch werden unterschiedliche Akzente gesetzt. Während DLR ausschließlich nichtklassische Musik sendet, dominiert die klassische Musik auf BR, RBB, SWR, WDR. Beim NDR ist die nichtklassische Musikeinblendung dem 65. Geburtstag von Paul McCartney geschuldet. HR, MDR und SR mischen E- und U-Musik, sie wechseln gern zwischen den Stilen. Das kann unterhaltsam sein, verliert jedoch an Pfiff, wenn die Musik nicht identifiziert wird. MDR verzichtet siebenmal auf An- und Absage der Musik. BR informiert über jedes Musikbeispiel: Fünf Beispiele werden sowohl an- als auch abgesagt, und drei Musikstücke werden in der Absage genannt.
Mit Musik wird mal verantwortlich, mal lax umgegangen, wobei letzteres besonders dann unangenehm auffällt, wenn Musikstücke jedweder Couleur ohne verbale Hinweise aneinander gefügt werden. Der Hörer darf dann rätseln, dass SR vor dem vierten Satz einer Clementi-Sinfonie einen Satz einer Veracini-Ouvertüre gesendet hat. Er kann auf DLR seine Kenntnis der nichtklassischen Musik überprüfen oder auf MDR testen, ob er einen Schostakowitsch-Galopp und einen Dvorák-Walzer identifizieren kann. Der Verzicht auf An- bzw. Absagen erspart dem Hörer Fehlinformationen, die sonst durch nachlässigen Umgang mit den Musikbeispielen entstehen würden. Dann hätte NDR nicht
mit einer der schönsten Choralmelodien von Johann Sebastian Bach in den Montag Morgen (begleitet)
- gesendet wurde die Bearbeitung der nicht von Bach stammenden Choralmelodie „Jesus bleibet meine Freude“. Auch hätte SR dann nicht das Vivaldi-Konzert für Viola d'amore, Laute, Streicher und Basso continuo zu einem Konzert für Viola d'amore und Basso continuo komprimiert, wobei selbst die statt der Laute gespielte Gitarre ungenannt blieb.
Positiv geht BR mit den Musikbeispielen um - nicht nur mit lückenlosen Informationen über die gesendete Musik. Nur dieser Sender erfüllt werktäglich zwischen 7 und 8 Uhr einen Kinderwunsch: Er engagiert sich für Vermittlung, sendet die „Strimpellata“ aus Wolf-Ferraris Fagott-Concertino, und erfüllt damit den Wunsch eines Siebenjährigen. Als einziger Sender nahm er sich auch Zeit für zwei vollständige Werke: das viersätzige Violakonzert in G-Dur von Georg Philipp Telemann (TWV 51:G9, Dauer: 13:09 Minuten) und Mozarts dreiteilige Ouvertüre zur Oper „Lucio Silla“ (7:53 Minuten).
Telemann als Stichprobe
Um die in der Frühe gesendete Musik zu veranschaulichen, wurde unter den in den Sendungen häufiger auftauchenden Komponisten nach dem Zufallsprinzip ein Name ausgesucht: Georg Philipp Telemann. Musik dieses Komponisten wurde am 18. Juni 2007 in vier Morgenmagazinen präsentiert - freilich in sehr unterschiedlicher Weise.
Während BR sich viel Zeit für das ganze Violakonzert nahm (siehe oben) und dieses mit vollständiger An- und Absage umrahmte, begnügten sich HR und RBB nur mit einem jeweils unvollständig an- bzw. abgesagten Satz. So kündigt RBB den vierten Satz (Allegro) des A-Dur Konzertes für Flöte, Violine, Violoncello, Streicher und Basso continuo (TWV 53:A2 aus der Tafelmusik 1) mit Emmanuel Pahud (Flöte), Rainer Kussmaul (Violine), Georg Faust (Violoncello) und den Berliner Barock-Solisten (Leitung: Rainer Kussmaul) nur mit den Worten an:
Kurz vor acht im kulturradio von rbb gibt es Musik von Georg Philipp Telemann. Aus dem ersten Teil der Tafelmusik hören wir den Schlusssatz, und zwar mit den Berliner Barock-Solisten.
- obwohl auf das Konzert noch drei Werke folgen: ein Trio, ein Solo und eine Conclusion. Bei der vom MDR gesendeten Harléquinade „Der scherzende Tritonus“ (6. Satz aus der Ouvertüre C-Dur, TWV 55:C3) mit dem New London Consort bleiben die Hörer auf Vermutungen angewiesen, das knapp anderthalbminütige Musikbeispiel wird weder an- noch abgesagt. Es sei allerdings daran erinnert, dass MDR in seinem Gespräch über das Leipziger Bach-Fest auf die dort aufgeführte Telemann-Oper „Germanicus“ hingewiesen hat.
Persönliche Einschätzungen
Jedes Mitglied des Vergleichsteams wurde gebeten, eine Kulturwelle kurz zu charakterisieren. Das Spannungsfeld zwischen Programm und Hörer erzeugte dabei sehr persönliche Reaktionen mit individueller Wortwahl.
Bayern 4 Klassik: Allegro
Kein Musikprogramm, sondern ein Kulturprogramm mit vollständig an- oder abgesagten, auch kompletten Werken, deren Auswahl stilistisch relativ vielfältig ist. Interessante, sachkundige Wortbeiträge zu kulturellen Ereignissen (regional wie überregional), Musikbeispiele stehen in inhaltlichem Zusammenhang. Leider gibt es auch einige Unarten: konstruierte Bezüge zwischen Beitragsthema und vermeintlicher Aktualität (La Traviata - Julia Roberts in Pretty Woman), unnötiges, zum Teil irreführendes Moderatorengeplauder (Vergleich Violetta Valéry - Cherubino). Trotzdem insgesamt ein hörenswertes Programm.
DeutschlandRadio Kultur: Ortszeit
Es handelt sich um ein wortorientiertes Programm, bei dem die Musik weitgehend keine Rolle spielt. Innerhalb von 60 Minuten gibt es zweimal Nachrichten sowie fünf Themenbeiträge mit teilweise deutlich mehr als fünf Minuten Dauer. Sie beziehen sich aber fast ausschließlich auf Politik, als kulturelles Thema kann lediglich der 65. Geburtstag von Paul McCartney angesehen werden. Leider werden die meisten Berichte aus den Hauptnachrichten in den Wortbeiträgen der folgenden Stunde erneut behandelt.
Die Musik wird vernachlässigt: Text und Musik werden per Überblendung verbunden; teilweise wird schon während der gesamten vorherigen Moderation im Hintergrund die folgende Musik gespielt. Sie gehört weitestgehend in die Kategorie „Popmusik“ und bekommt weder An- noch Absagen.
HR 2 Kultur: Mikado
Ein Kultur-, Nachrichten- und Musikprogramm. Politische Berichte außerhalb der Nachrichten, Nichtklassisches und Klassisches (nicht immer genau angesagt), Kulturtipps in eigener Sache, Veranstaltungstipps, ein fesselnder Kultur-Kommentar zur „documenta 12“ in Kassel, eine „CD der Woche“ mit Musikbeispiel. Eine Frühkritik im Gespräch (Lang Lang - Open Air in Hanau): Über der ausführlichen Erörterung dessen, was alles den Genuss der Veranstaltung eingeschränkt hat, vergisst man, den Hörer zu informieren, um welche beiden Klavierkonzerte „im Gepäck“ von Lang Lang es sich überhaupt handelte. Alles in allem eine ansprechende, abwechslungsreiche und informative Morgenunterhaltung mit viel verschiedenartiger Musik abseits des Altbekannten.
MDR Figaro: Figaro am Morgen
Die Stunde war kein guter Tagesbeginn. Auf Musikschnipsel wurde nicht eingegangen, Erläuterungen fehlten - ein Beleg dafür, dass der Musik wenig Wert beigemessen wird. Es gab keinen Sinnzusammenhang mit den Textbeiträgen. Vieles war zufällig, eher störend. Leipzig und die Musikwelt hatten ein Ereignis - das jährliche Bachfest. Dafür wurden immerhin sieben Minuten abgezweigt, anschließend sogar mit Musik von Bach. Ein Kritiker urteilte über musikalische Leistungen pauschal bis kenntnislos in Allgemeinplätzen, ohne die deutsche Sprache korrekt zu beherrschen - locker und flockig vom Hocker, es wird schon keiner merken.
Später wurde die Werbung für das vom MDR in Magdeburg aufgeführte Verdi-Requiem mit Prokofjews „Symphonie classique“ eingerahmt. Was das hier zu suchen hatte, wird wohl nur der zuständige Redakteur wissen.
NDR Kultur: Klassisch in den Tag
Ein Mix aus 3 ½ Minuten Nachrichten (aus aller Welt / umfassend) und präzisem Wetterbericht, übertrieben hochgejubelten Hinweisen auf den 65. Geburtstag von Paul McCartney mit sehr kurzen O-Ton-Ausschnitten (jeweils vier Interview- und Musik-Beispiele in einem 2 ½ Minuten dauernden Kulturbericht), 2 bis maximal 6 ½ Minuten dauernden Einzelsätzen aus Orchesterwerken des 18. und 19. Jahrhunderts mit stets erst anschließenden Werkansagen, einer in lexikalischer und grammatischer Hinsicht nachlässigen Moderation, die Fachkenntnisse vermissen lässt und sich an Plattitüden erfreut, unzähligen Hinweisen auf den eingestellten Sender sowie einer auf 2 ¼ Minuten reduzierten Morgenandacht.
kulturradio vom rbb: Kulturradio am Morgen
Die alte Weisheit, dass man nicht mehr geben kann, als man hat, ist auch am heutigen Tag gültig. Was man nicht kann, ist: komplette Ansagen des folgenden Musikstücks mit Titel und Interpreten. Dass die tägliche Veranstaltungsbesprechung häufiger nicht von Fachkritikern, sondern von Nörglern besorgt wird, ist schwer erträglich. Beim Waldbühnenkonzert der Berliner Philharmoniker soll sich Simon Rattle in der Programmauswahl (Rhapsodien) vergriffen haben. Jovial werden immerhin Vorschläge gemacht, was man hätte spielen sollen:
zu wenig wirklich Populäres (...), warum nicht die 2. Ungarische Rhapsodie von Liszt?
Bei der Moderatorinnenfrage nach dem Solisten Stephen Hough:
Wie hat er sich denn so gegeben?
weiß man definitiv: Man hat das Kulturradio, den Partner für Kultur, auch mit dem Wunsch nach Sprachkultur eingeschaltet, und dies war eine morgendliche Fehlentscheidung.
Im Übrigen gehört der Kommentar zum polnischen EU-Quadraturvorschlag ins Info-Radio.
SR 2 KulturRadio: MorgenMusik
Klassisches und Nichtklassisches, internationale und lokale Nachrichten, ein informativer Wetterbericht und Verkehrshinweise, schließlich Berichte, die gern ins benachbarte Frankreich schauen, machen die MorgenMusik zu einem schillernden Magazin. Wenn SR 2 allerdings ein Vivaldi-Konzert für Viola d'amore und Basso continuo ansagt und dabei Laute und Streicher weglässt, werden die Hörer desinformiert.
SWR 2: SWR 2 am MorgenMischung aus zweimal Nachrichten, politischen Pressestimmen, einem Interview, einem unverständlichen Flickwerk von Pressezitaten als Feuilleton-Umschau und sechsmal klassischer Musik (zwei Bearbeitungen). Flaches Geschwätz der Moderatoren und zum Teil anbiedernder Umgang mit dem Hörer:
allen Adams und Evas einen fröhlichen Montag.
Die An- oder nur Absagen der Musikstückchen sind ungenau, zum Teil sprachlich mangelhaft, in flapsigem Jargon. Besonders bei den beiden Interviewpartnern bemühtes „Gestammel“: diese bequatschen - so muss man es nennen! - die geplante fünfteilige „Musikstunde“ der Woche unter dem Titel „Essen fassen“ mit krampfhaft hergeholten Assoziationen zwischen Musik und Küchenrezepten. Geringer Informationswert, an diesem Tag eine Sendung zum Abschalten.
WDR 3: Mosaik - Themen des Tages
Der Sender mit dem an Werktagen umfassendsten Musikprogramm - vier Sendungen mit zusammen über neun Stunden vollständiger Musik - bringt in seiner Morgensendung Mosaik viel Politik als Presseschau, eine Reportage von der Arbeit junger Musikstudenten in der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf und eine Morgenandacht. Das Ganze umrahmt von kurzen, z.T. weniger bekannten Musikstücken mit An- und Absagen. Ansprechende Information am frühen Morgen.
Fazit
In den von 7 bis 8 Uhr beobachteten Sendungen mit ihrer Mischung von Information, Kultur und Musik fielen uns - allerdings mit deutlicher Abstufung - am positivsten der Bayerische Rundfunk, der Westdeutsche Rundfunk und der Hessische Rundfunk auf. Die Bilanz knüpft an zwei Sprichworte an.
Morgenstund' hat Gold im Mund, doch ist nicht alles Gold, was glänzt.
Auf Kulturwellen übertragen, wandelt sich das zweite Sprichwort in:
Es ist nicht alles Kultur, was sich mit dem Begriff Kultur schmückt.
Im Umgang mit der Kultur, besonders mit Musik, aber auch bezüglich informatorischer Treffsicherheit oder des Services für kulturbewusste bzw. -interessierte Hörer gibt es bei den untersuchten Kulturwellen markante Unterschiede. Diese lassen sich nicht allein durch die morgendliche Hektik erklären, sondern weisen wohl eher auf einen zu lockeren Umgang mit der Materie und der Sprache hin. Diese Lockerheit amüsiert nicht jeden Hörer, sondern wird vielfach als Anbiederung abgelehnt.
2006/2007 widmete der Hessische Rundfunk „Das Neue Funkkolleg“ dem Thema „Erlebnis Zuhören“. In den gehörten Morgenmagazinen jedoch ist es kaum passiert, dass sich das Zuhören in ein Erlebnis gewandelt hat und dass dabei eine Schlüsselkompetenz vermittelt worden ist.
Erhöhte Sorgfalt ist geboten, um den Kultur- und Bildungsauftrag zu erfüllen.
Den Kulturwellenvergleich speichern/drucken (Pdf/0,2 MB) Vorgesehene Druckgrößen: 2 Seiten in Din A 4 quer oder Broschüre in Din A 5 Das GANZE Werk (Nord): Mitteilung zum Kulturwellenvergleich Nr. 2 |
An dem Kulturwellenvergleich haben mitgewirkt:
Ludolf Baucke, Theodor Clostermann, Hansjoachim Hölzel, Dagmar von Kries, Christiane Mantel, Klaus Reichenbach, Margrit Siebert, Rolf-Dieter Steinmann und Jürgen Thomas
Material: Alle besprochenen Sendungen wurden vollständig aufgenommen und transskribiert. Die Skripte können im Einzelfall, zum Beispiel für weiterführende Auswertungen, zur Verfügung gestellt werden.
Herausgeber:
Initiative „Das GANZE Werk (Nord)“ unter Mitarbeit der Initiative „Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg)“
Druck: Kopier-Service Reinbek GmbH, 21465 Reinbek
Erscheinungsdatum: 3. Oktober 2007
Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Theodor Clostermann
• Das GANZE Werk (Nord), E-Mail: dgw-nord@t-online.de und
• Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg)
Bestellung von gedruckten Exemplaren
Zur Kostendeckung bitten wir um Briefmarken (0,40 Euro pro Exemplar, zusätzlich Porto) oder um die Überweisung einer Spende.
Im Internet: www.dasganzewerk.de
Lesen Sie außerdem:
• Das Tal der niederen Radiokultur in den nord- und mitteldeutschen Sendegebieten
Mitteilung zum Kulturwellenvergleich Nr. 2
Das GANZE Werk (Nord), 8. Oktober 2007
Lesen Sie dazu aus den Veröffentlichungen der Initiative Das GANZE Werk (Nord):
• Radiokultur in Deutschland zweigeteilt?
Kulturwellen im Nord-Süd-Profil
Kurzfassung und Broschüre des Kulturwellenvergleichs Nr. 1 (8. August 2006, 15 bis 17 Uhr)
• Programmvorschläge der Initiative Das GANZE Werk (Nord)
Beschluss vom 9. April 2006 für die Podiumsdiskussion am 8. Juni 2006 in Hamburg