NDR - Korrespondenz

25. Mai 2004: Der Intendant hat abgesgt, drei anmaßende Behauptungen aufgestellt und eine Diskussionsrunde angekündigt

Antwort der Hamburger Telemann-Gesellschaft
an den Intendanten des NDR, Prof. Jobst Plog

Hamburger
Telemann-Gesellschaft

Gesellschaft für Kulturgeschichte Hamburgs im 18. Jahrhundert

Reinbek, 30. Mai 2004

Sehr geehrter Herr Professor Plog,

vielen Dank für Ihren Brief vom 25. Mai 2004. Ich nehme die Absage des NDR zu unserer Veranstaltung am 15. Juni 2004 zur Kenntnis. Wir sind gern bereit, an einer von Frau Mirow geplanten Diskussion „mit Befürwortern und Gegnern der Reform“ teilzunehmen.

Die verschiedenen Behauptungen, die Sie in Ihrem Brief aufstellen, kann ich allerdings nicht unwidersprochen stehen lassen. Aus meiner Sicht handelt Ihr Brief von wundersamen Wandlungen von Weiß zu Schwarz. Tatsachen können die Rätsel lösen, lassen sich aber nicht auf wenige Sätze reduzieren.

1. Sie sollten den Inhalt unserer Kritik an NDR Kultur nicht einfach durch solche polemische Andeutungen beiseite schieben wie:

„Vertreten sollte die Telemann-Gesellschaft allerdings eine Persönlichkeit, die das kritisierte Programm auch hört. Dies ist offenbar nicht bei allen Vereinsmitgliedern der Fall, wie die Äußerungen in Ihrem Brief vermuten lassen. Denn die Formulierung, dass ‚alte und klassische Musik anscheinend einem auf Show ausgerichteten Kulturbetrieb untergeordnet wird', kann nur in grober Unkenntnis der tatsächlichen Programmbestandteile von NDR Kultur getroffen werden.“

Sie haben einen Passus aus meinem Brief zitiert, der sich eindeutig auf unsere Resolution vom 25. April 2004 bezog, die ich Ihnen als Anlage mitschickte. Insofern ist Ihre Kritik auch eine Kritik an all denjenigen, die sich mit der Resolution solidarisiert haben. Ich habe den Eindruck, dass Sie diese Resolution, die sich mit dem Programm von NDR Kultur zwischen 6 und 19 Uhr befasst, nicht richtig gelesen haben. Dort geht der Satz übrigens mit dem Zusatz zu Ende:

„..., indem die Musik so verständnislos weitergegeben wird.“

Mit der Erklärung, dass wir mit einem solchen Kulturbetrieb nicht einverstanden sind, fassen wir in der Resolution die Einzelpunkte unserer Kritik zusammen. Diese beruhen auf ganz konkreten Hörerlebnissen: Wenn der unablässige nervende Jingle oder wenn das permanente Ankündigen des Namens der Moderatorin/des Moderators nach den Nachrichten oder wenn die Eigenwerbung für eine nach der Musik folgende Kultur-Reportage jeweils die Ansagen für die Musik ersetzen, dann wird die Musik verständnislos weitergegeben, dann hat die Show Vorrang vor der Musik. Wenn ganz oft nur noch Einzelsätze von Kompositionen, bevorzugt „Hits“ (ClassikClub Magazin 01/2004) mit immer wieder den gleichen Interpreten, gesendet werden, wenn die Musik oft zu jeder Viertelstunde durch eine Kultur-Reportage unterbrochen wird und diese Reportage häufig auf das Boulevard-Prominenten-Niveau abrutscht, dann wird die Musik verständnislos weitergegeben, dann verkommt die Musik immer mehr zu einem Mittel für eine Show.

Unsere kritische Zusammenfassung beruht auf ständigen Erfahrungen, die für einen Musikliebhaber bitter und schmerzhaft sind. Als Stammhörer zahlt er weiterhin Gebühren, gleichzeitig wird ihm ein fester Bestandteil Lebensqualität entzogen. Wenn dieser Musikliebhaber dann auch noch hört, dass er das, was er hört, „nur in grober Unkenntnis der tatsächlichen Programmbestandteile“ kritisiert, kann er dieses nur als Hohn und Spott empfinden.

Warum schreiben Sie nicht, dass Sie unsere Kritik für falsch halten, und begründen es sachlich? Warum gehen Sie nicht inhaltlich auf die Resolution und ihre Kritik ein? Warum arbeiten Sie stattdessen mit einer Unterstellung?

Unsere Resolution macht einen Vorschlag für einen Kompromiss: täglich zwischen 6 und 19 Uhr mindestens 4 Stunden lang Musiksendungen mit ganzen Kompositionen, mit An- und Absagen und ohne störende Show-Elemente zu senden. Warum könnten Sie nicht auf diese vernünftige Kompromiss-Linie - Bewährtes hier, Experimente da - eingehen?

2. Sie sollten nicht behaupten, die Hamburger-Telemann-Gesellschaft wolle keine sachliche Diskussion und handle aus sachfremden Gründen:

„die bisherigen Aktivitäten der Telemann-Gesellschaft ließen nicht darauf schließen, dass ihr an einer sachlichen Diskussion über NDR Kultur gelegen ist“, die Telemann-Gesellschaft sei „derjenige, der aus sachfremden Gründen“ handle

Um was soll es der Hamburger Telemann-Gesellschaft denn sonst gehen? Doch nur um eine sachliche und wenn möglich auch sachlich fundierte Diskussion, allerdings nicht als Selbstzweck, sondern mit dem Ziel, tagsüber 4 Stunden lang bewährte Musiksendungen zu erreichen. Wir haben Einzelkritiken abgeschickt, eine Podiumsdiskussion angeregt (dazu mehr unter 3), wir haben den NDR um Informationsmaterial gebeten. Was soll daran sachfremd sein?

Hat der NDR bisher eine sachliche Diskussion geführt. Ja, ja, in einer internen Podiumsdiskussion der Redakteursversammlung am 22. Januar 2004 (s. Heft Februar 2004 des NDR-Redakteursausschusses). Und öffentlich? Vielleicht das Interview der Wellenchefin, Frau Mirow, mit dem „Hamburger Abendblatt“ (16. März 2004), Ihr „EDITORIAL“ oder der Artikel „Auf der Baustelle - Neues aus der Reformwerkstatt“ im KlassikClub Magazin 01/2004 oder gar das Antwortschreiben der NDR MEDIA GMBH auf die vielen Kündigungen beim KlassikClub? Andere Veröffentlichungen sind mir außer der Homepage ndr-kultur.de nicht bekannt, und diese sind so unverbindlich und verschwommen, dass ein Optimist sich noch den Erhalt von passablen Musiksendungen erhoffen kann, während der Pessimist einen heftigen Abbau befürchten muss.

Nach dem Artikel im „Hamburger Abendblatt“ (28. April 2004) mit der Veröffentlichung einer längeren Passage aus unserer Resolution haben bisher ca. 80 Hörer die Resolution bei der Hamburger Telemann-Gesellschaft angefordert. Das sind weitgehend aktive Kontakte und zum Teil Multiplikatoren. In keiner Zuschrift wurde unsere Resolution kritisiert, stattdessen aber der NDR ganz heftig: viele Briefe - etliche wurden uns zugeschickt - seien gar nicht oder nur unzureichend beantwortet worden, man sei auf später vertröstet worden usw.

Diese Tatsachen zeigen, wie berechtigt es war, dass ich zunächst vom Musikchef, Herrn Schreiber, und dann von der Wellenchefin, Frau Mirow, erbeten hatte

„wenn möglich
a. Informationsmaterial über demoskopische Umfragen zum Hörverhalten und Hörerwünsche zu NDR 3 bzw. NDR Kultur sowie
b.inhaltliche Begründungen für das neu praktizierte Konzept zu schicken“

(hier: Brief an Frau Mirow, 16. April 2004).

Keine Stelle von NDR Kultur hat der Hamburger Telemann-Gesellschaft bis heute solches Material geschickt. Da fragt man sich, wer hier bisher keine sachliche Diskussion führen wollte: die Hamburger Telemann-Gesellschaft oder NDR Kultur?

3. Sie sollten den Gang der Ereignisse nicht auf den Kopf stellen, sondern sich an den Tatsachen des Ablaufs orientieren:

„die von Ihnen vertretene Gruppe (hat) vor allem die Öffentlichkeit gesucht und nicht das Gespräch mit den Verantwortlichen“, die Telemann-Gesellschaft habe „aus sachfremden Gründen eine Diskussion in der Sache zunächst (gemieden)“

Ich habe den Eindruck, dass Sie nicht umfassend über den Vorgang der kritischen Auseinandersetzung zunächst von mir und schließlich von der Hamburger Telemann-Gesellschaft mit NDR Kultur seit dem 15. Januar 2003 informiert sind. Ich fasse die vielen Schritte so knapp wie möglich zusammen:

- 3 E-Mails an NDR Kultur (15.1.2003, 2.2.2003 und 2.2.2003) und 2 gleich lautende Antworten von ndrkultur@ndr.de und club3@ndr.de mit der „Gesammelten Antwort“ von Herrn Knauer

- 4 E-Mails an NDR Kultur mit dem ironischen Titel „Mein schönstes Hörerlebnis...“ (26.1.2004, 10.2.2004, 15.2.2004 und 16.2.2004). Wegen der negativen Erfahrungen im Vorjahr fügte ich gleich folgende Erklärung hinzu:

„Ich schreibe hier nur meine eigene Meinung auf Grund eigener Erfahrungen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass ich Vorsitzender der Hamburger-Telemann-Gesellschaft bin und überlege, ob wir nicht vielleicht öffentlichkeitswirksam gegen den kulturellen Verfall im Hörfunk vorgehen sollten. Von so vielen Musikliebhabern höre ich, dass sie bitter enttäuscht sind.“

- Beschwerde wegen Nichtbeantwortung am 10.2.2004 beim Büro von Herrn Schreiber, dieser schrieb mir dann am 26.2.2004 einen Brief, mit dem man sich wenigstens auseinandersetzen kann:

„Das Hörverhalten hat sich insgesamt verändert. Dem müssen wir Rechnung tragen, ansonsten spielen wir bald vor einem leeren Saal!“

- nach vielen Verzögerungen Telefonat mit Herrn Schreiber im März: mein Vorschlag einer Podiumsdiskussion und meine Bitte um Material (wie oben im Brief an Frau Mirow) auch wegen seiner Argumentation, mein Hinweis auf unsere Mitgliedersammlung am 25.4.2004, seine Ablehnung einer Podiumsdiskussion wegen schlechter Erfahrungen in Berlin und sein Verweis auf die Zuständigkeit von Frau Mirow für das gewünschte Material

- Brief an Frau Mirow (16. April 2004): Bitte um das Material (Zitat: siehe oben Punkt 2) für die inhaltliche Vorbereitung unserer Mitgliederversammlung am 25.4.2004 (im Detail angegeben)

- Telefonanruf von Frau Mirow am 22.4.2004 (Donnerstag): ihre Weigerung, Material herauszugeben, ihr Vorschlag für ein Gespräch zwischen mir und ihr, ihre Bitte, unseren Beschluss zu NDR Kultur erst nach diesem Gespräch in Erwägung zu ziehen, mein Einverständnis zu einem solchen Gespräch, mein Hinweis darauf, dass es für die Bitte zu spät sei und dass der Tagesordnungspunkt - wie in den internen Unterlagen verschickt - aufgerufen werde

- 25.4.2004: einstimmiger Beschluss der Resolution auf der Mitgliederversammlung, 28.4.2004: Veröffentlichung des „Hamburger Abendblatts“, eine Woche später Absage von Frau Mirow zu dem vereinbarten Gespräch („Zur Zeit kein Bedarf“).

Die Hamburger Telemann-Gesellschaft hätte „vor allem die Öffentlichkeit gesucht und nicht das Gespräch mit den Verantwortlichen“, sie hätte „eine Diskussion in der Sache zunächst (gemieden)“? - Der NDR ist doch „hierarchisch organisiert“ und es gibt „eine klare Anweisung von oben“, wie mir Herr Schreiber und Frau Mirow (und später andere) unisono versicherten. Sie hätten also informiert sein sollen oder sich wenigstens informieren können.

Nein, nicht die Hamburger Telemann-Gesellschaft hat je eine Diskussion gemieden, es war NDR Kultur, der erst die Diskussion und dann die Öffentlichkeit meiden wollte!

4. Sie sollten Informationen zu folgenden Themen veröffentlichen:

- eine verbindliche programmatische Erklärung für das neue Konzept von NDR Kultur

- Hörerzahlen, die mehr beinhalten als die Gesamtzahl von NDR Kultur im Sendegebiet (Verteilung der Hörer nach Alter, Tageszeit und Regionen) sowie allgemeine Ergebnisse der Eckhardt-Studie.

Bisher waren es die Verantwortlichen von NDR Kultur, die sich wegen der „Anweisungen von oben“ weigerten, diese herauszugeben. Und sie waren es auch, die mit dem Verweis auf das „Geschäftsgeheimnis des NDR“ keine Hörerzahlen vorlegten, aber beliebig mit Einzelzahlen oder Trends daraus argumentieren, vgl. Brief von Herrn Schreiber oder das Argument von Frau Mirow auf der Redakteursversammlung am 22. Januar 2004:

ohne die Reform habe man „nur die Wahl gehabt, entweder gemeinsam mit den Hörern wegzusterben oder den rundfunkpolitischen Tod zu sterben“.

Wir kennen diese Anweisung natürlich nicht. Sie sind aber derjenige, der den Konflikt um die Informationen, die faktische Informationssperre von NDR Kultur, lösen kann. Ich bin sogar der Meinung, dass der NDR als öffentlich-rechtliche Anstalt die Pflicht hat, solche Zahlen für den NDR Kultur zu veröffentlichen, für einen Sender, der nichts mit dem Geschäft der werbetreibenden Wirtschaft zu tun hat.

5. Ich fände es angemessen, wenn Sie ein Wort des Bedauerns schrieben. Ich würde gleiches von mir erwarten, sollte mir entgegen meiner Absicht eine falsche Behauptung passiert sein.

Parallel zu dieser Antwort schicken wir Ihnen einen Offenen Brief mit 7 Fragen an den Intendanten des NDR, der von jetzt an wesentlicher Teil unserer Einladung zu der öffentlichen Veranstaltung am 15. Juni 2004 ist.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Theodor Clostermann, Vorsitzender

... auch noch so kleine Zwerge können sehr wirkungsvoll sein:

Georg Philipp Telemann, Lilliputsche Chaconne aus der Gulliver-Suite
Der getreue Music=Meister, „Intrada, nebst burlesquer Suite“ in D-Dur für 2 Violinen ohne Basso contnuo, Satz 2, TWV 40, 108, Hamburg 1728