Das GANZE Werk - Presseschau

Hamburger Abendblatt, 16. März 2004

Wer will nicht mit Mozart bügeln

NDR Kultur als Begleitmedium am Tag und Einschaltradio am Abend.
Interview mit Wellenchefin Barbara Mirow

Interview: Bettina Brinker

Hamburg - Die Zahlen waren dramatisch. Der Marktanteil der Kulturwelle des NDR war im Sommer 2002 auf 0,5 Prozent abgerutscht. Zu wenig, um ein gebührenfinanziertes Radio gegenüber der Öffentlichkeit legitimieren zu können, befanden die Programm-Macher. Eine Verjüngungskur, eine Umbenennung, eine neue Wellenchefin und neue Moderatoren - unter anderem von Klassik Radio - sollten alles wieder richten. Das Ergebnis: NDR Kultur konnte bei der letzten Media Analyse 1,1  Prozent Marktanteil verzeichnen. Skeptiker bewerten das Ergebnis als Annäherungsversuch an die private Konkurrenz Klassik Radio. Ein Gespräch mit Barbara Mirow.

ABENDBLATT: Besteht für das öffentlich-rechtliche, gebühren-finanzierte Kulturradio überhaupt die Notwendigkeit, nach der Quote zu schielen?

BARBARA MIROW: Wir möchten mehr Hörer und Hörerinnen für unser Programm gewinnen. Das heißt aber nicht, dass wir nach einer Quotenvorgabe arbeiten. Unser Anspruch als gebührenfinanziertes Programm muss es sein, Akzeptanz zu haben. Wir können nicht vor leeren Rängen spielen. NDR Kultur wird immer ein so genanntes Minderheitenprogramm sein. Aber von dieser Minderheit möchten wir möglichst viele Menschen erreichen.

ABENDBLATT: Und wie erreicht man die?

MIROW: Die Hörgewohnheiten und die Erwartungen an ein Radioprogramm haben sich verändert. Auch Kulturinteressierte haben einen Alltag und nutzen - so das Ergebnis unserer Studien - ein Programm wie NDR Kultur am Tag als Begleitmedium.

ABENDBLATT: Hört man bei Ihnen tagsüber also nur noch mozärtliche Bügelmelodien?

MIROW: Nein, unser Repertoire ist sehr umfangreich, auch wenn im Tagesprogramm Schönberg und Nono eher die Ausnahme sind. Im Übrigen kann ich mir Schlimmeres vorstellen, als mit Mozart zu bügeln.

ABENDBLATT: Wie populär darf so ein Klassik-Programm werden?

MIROW (lacht): Ich glaube, der Musikchef hätte bei diesem Gespräch dabei sein sollen. Den Vorwurf zu großer Popularität fürchte ich nicht. Es gibt eher zu wenig Menschen, die sich für klassische Musik interessieren, als zu viele.

ABENDBLATT: Und inwieweit haben Sie den Kulturbegriff popularisiert?

MIROW: Es geht uns nicht darum, den Kulturbegriff zu popularisieren. Wichtig ist uns, das Informationsangebot zu erweitern.

ABENDBLATT: Kritische Stimmen prognostizieren eine allmähliche Annäherung an den privaten Konkurrenzsender „Klassik Radio“. Wie sehen Sie das?

MIROW: Unser Musikangebot unterscheidet sich grundlegend von dem unseres Mitbewerbers: Wir spielen fast ausschließlich klassische Musik. Konzertübertragungen, Hörspiele, Features - die einen wesentlichen Teil unseres Angebots ausmachen - finden Sie bei „Klassik Radio“ nicht.

ABENDBLATT: Langjährige Hörer werfen Ihnen vor, dass Sie sich ausschließlich nach den Wünschen einer Mehrheit richten...

MIROW: Es muss schon die Aufgabe eines jeden Programm-Machers sein, sich mit den Erwartungen und Wünschen seines Publikums auseinander zu setzen. Wir haben ein sehr aufwendig produziertes Abendprogramm, mit Konzerten, literarischen und musikalischen Themenabenden, mit unseren Lesereihen „Am Morgen vorgelesen“ bzw. „Am Abend vorgelesen“. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Einschaltradio am Abend, Begleitradio am Tag: Das ist der Weg.

ABENDBLATT: Im Sommer wird NDR Kultur digitalisiert. Werden Sie wie Klassik Radio dann ebenfalls mit einem Musikcomputer arbeiten, in dem die Klassik-Titel nach bestimmten Regeln eingespeist sind, etwa ob ein Stück sich eher zum Aufwachen oder zum Nachmittagstee eignet?

MIROW: Bei NDR Kultur werden auch in Zukunft Musikredakteure das Musikprogramm zusammenstellen - dass sie dabei vom Computer unterstützt werden, ist sinnvoll und effizient.

ABENDBLATT: Wird es dann tagsüber, wenn der Computer den Redakteuren zur Hand geht, nicht zu einer Einheits-Dudelei kommen, weil man immer wieder dieselben Stücke zur selben Zeit hört?

MIROW: Nein, das Gegenteil ist der Fall. Der Computer sorgt für mehr Vielfalt und dafür, dass Doubletten vermieden werden.

ABENDBLATT: Wie definieren Sie Ihre Funktion innerhalb der Radiolandschaft?

MIROW: Wir sind das Kulturprogramm für Norddeutschland.

dazu: 3 Leserbriefe vom 18. März 2004 („Vergrault“, „Dudelfunk“, „Niveauverlust“)

Lesen Sie zu öffentlichen Erklärungen von Frau Mirow:

Barbara Mirow, Leiterin von NDR Kultur, über ihr Programm
Mit „Wickerts Büchern“ in den Sonntag
Mirow: „Der Vormittag auf NDR Kultur beginnt mit ‚Am Morgen vorgelesen‘ (...). Die Sendereihe hat eine riesige Anhängerschaft. Wir sind selbst überrascht über die Zahlen: Über 100.000 Menschen hören täglich um 8.30 Uhr ‚Am Morgen vorgelesen‘. Auch im übrigen Programm gibt es viele Beiträge, die länger sind.“
Hamburger Abendblatt, 24. März 2007

NDR Kultur hat „Große Stimmen“ abgesetzt
Wellenchefin Barbara Mirow: In 52 mal zwölf Sendungen habe Kesting viele große Stimmen vorgestellt, da gehe jetzt langsam der Stoff aus.
Hamburger Abendblatt, 4. April 2006

Wer will nicht mit Mozart bügeln
NDR Kultur als Begleitmedium am Tag und Einschaltradio am Abend
Interview mit Wellenchefin Barbara Mirow
Hamburger Abendblatt, 16. März 2004

Ankündigung der neuen Programmphilosophie von NDR Kultur:
Auf der Baustelle, Neues aus der Reformwerkstatt
Die ambitionierteste Reform aller ARD Kultur-Programme
Mit tabellarischer Übersicht des GANZEN Werks:
Die Steine der Baustelle - die Steine des Anstoßes
NDR KULTUR | KLASSIKCLUB MAGAZIN 01/2004

Die Frau fürs Kulturelle
Amtsantritt: Barbara Mirow soll „NDR Kultur“ aus dem Quotenloch holen.
Hamburger Abendblatt, 10. September 2003