Materialien für eine Grundsatzdiskussion - Dokumentation
Das GANZE Werk, 10. Februar 2008 (Veröffentlichung)
Die bisherige Programmstrategie für NDR Kultur widerspricht den Erkenntnissen der ARD-Medienforschung und der Enquete-Kommission
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Inhalt:
1.) Die Vorgaben des damaligen NDR Programmdirektors Hörfunk (2002)
2.) Unter Wolfgang Knauer wird NDR Kultur teilweise formatiert (2003)
3.) Unter Barbara Mirow wird NDR Kultur tagsüber systematisch durchformatiert (ab 2004)
4.) Wolfgang Knauer verhilft der Enquete-Kommission zu Erkenntnissen über das Formatradio (2005/07)
1.) Die Vorgaben des damaligen NDR Programmdirektors Hörfunk (2002)
Auf dem Weg zu „NDR Kultur“ (Interview mit Ralph Coleman)
Coleman: Wird sich RADIO 3 dem kommerziellen Konkurrenten angleichen?
Romann: RADIO 3 wird keine Kopie von Klassik Radio. Wir haben einen anderen Auftrag, einen anderen Anspruch, andere Wurzeln! (...) Das bedeutet z. B. für die Musikauswahl bei RADIO 3: Wir brauchen eine nach den Kriterien eines Begleitprogramms ausgerichtete Musikuhr mit einem wiedererkennbaren beliebten Repertoire klassischer und klassikähnlicher Werke. Die eher anspruchsvollen, längeren Stücke werden künftig am Abend zu hören sein. (...)
Coleman: Welche Zielgruppe peilt RADIO 3 in Zukunft an? Soll das Programm jünger werden?
Romann: Erkenntnissen der Hörerforschung zufolge bilden - neben den „klassisch Kulturorientierten“ (Durchschnittsalter: Anfang 60) - die „neuen Kulturorientierten“ (Durchschnittsalter: Anfang 40) ein beachtliches Potenzial. Da selbst die „klassisch Kulturorientierten“ nicht mehr nur auf Hochkultur fixiert sind und sich in ihrem Medienverhalten dem der „neuen Kulturorientierten“ angleichen, bilden beide Gruppen die Zielgruppe, die wir mit unserem neuen Angebot ansprechen wollen.
(„Wir im NDR“, Sommer 2002, Quelle u.a.: http://www.dasganzewerk.de/pdf/20020920-ndr-kultur.pdf)
2.) Unter Wolfgang Knauer wird NDR Kultur teilweise formatiert (2003)
Wolfgang Knauer war zunächst Leiter von Radio 3 und nach der Umbebennung des Senders Leiter von NDR Kultur bis zum 31. Dezember 2003.
Nicht nur der Name ist neu
Auf ein stimmiges „Repertoire für den Tag“, auf die richtige „Dramaturgie für eine Stunde“ komme es an, sagt Knauer, „ein Ligeti-Streichquartett nachmittags um vier, das ist nicht unbedingt der Hit“. Dann doch lieber der „Slawische Tanz“ von Dvorak, der sei näher dran am Hörer, der das Radio als Begleitmedium nutze. Die „Taktzahl“ der Stücke wird erhöht, längere Werke („für konzentriertes Hören“) laufen abends. Auch Filmmusik darfs gerne sein.
(Von dem Autor rot, Hamburger Abendblatt, 18. Dezember 2002, Quelle u.a.: http://www.dasganzewerk.de/presse/20021218-ha.shtml)Hamburger Sender kämpfen um Klassik-Hörer
„Der Kulturauftrag soll gewahrt bleiben, aber die Quote nicht vernachlässigt werden“, erklärt „NDR-Kultur“-Chef Wolfgang Knauer. Die „neuen Kulturorientierten“ wolle man hinzugewinnen: „Jüngere Hörer, die nicht nur klassische Musik mögen und das Radio als Begleitmedium für den ganzen Tag nutzen“.
(Von Cornelis Rattmann, Feuilleton Hamburg der Tageszeitung Die Welt, 10. Februar 2003, Quelle u.a.: http://www.dasganzewerk.de/presse/20030210-welt.shtml)
Mitte August 2003 gab der NDR bekannt, dass „Barbara Mirow Wolfgang Knauer ersetze, der den Sender nach vielen Jahren verlasse.“ (DIE WELT)
3.) Unter Barbara Mirow wird NDR Kultur tagsüber systematisch durchformatiert (ab 2004)
Die Frau fürs Kulturelle
„Auch anspruchsvolle Kulturprogramme werden heute tagsüber zum Nebenbeihören genutzt, und wer sind wir denn, dass wir uns nicht danach richten“, erläutert Mirow im aufmerksamen Beisein von Hörfunk-Programmdirektor Gernot Romann ihre Marschrichtung. - Damit verbunden ist wohl eine noch stärkere Ausrichtung auf den geschmeidigen Mainstream, Wortbeiträge dürften tagsüber in aller Regel nicht länger ausfallen als dreieinhalb Minuten. „Mir will übrigens nicht in den Sinn, warum man eine Kritik, eine Buchbesprechung oder einen CD-Tipp nicht in dieser Zeit machen kann. Wir machen ein Programm basierend auf der Annahme, dass die Hörer tagsüber nicht die Zeit haben, fünf, zehn, 15, 20 Minuten am Stück konzentriert zuzuhören.“ (...)
Mirows Kulturverständnis bietet Platz für vieles: „Kultur ist nicht nur Bayreuth, Salzburg, Klagenfurt, auch große Pop-Konzerte gehören dazu. Alltagskultur ist für mich zum Beispiel auch der neue Golf aus Wolfsburg.“
(Von Joachim Mischke, Hamburger Abendblatt, 10. September 2003, Quelle u.a.: http://www.dasganzewerk.de/presse/20030910-3-ha.shtml)
4.) Wolfgang Knauer verhilft der Enquete-Kommission zu Erkenntnissen über das Formatradio (2005/07)
Im Jahr 2005 wurde Wolfgang Knauer von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ zu einem der sieben Experten für das Thema „Kulturauftrag und kulturelle Tätigkeit des Rundfunks“ benannt. Dort formulierte er eine persönliche Korrektur zu der von ihm offiziell 2002/03 vertretenenn NDR-Position:
Reaktionen aus der Hörerschaft zeigen, dass zumindest die „klassisch Kulturorientierten“ großen Wert auf die kompetente Vermittlung und ausreichende Wiedergabe von Musik auch im Tagesangebot der öffentlich-rechtlichen Kulturprogramme legen und eine Beschränkung auf selektive „Hit-Paraden“ nicht akzeptieren.(...) Ob sich die strenge Formatierung auf die Dauer für Kulturprogramme eignet, muss bezweifelt werden, da sie musikalisch allzu stark einengt, tiefer gehende Darstellungen verhindert. Die Übernahme eines für Popwellen entwickelten dramaturgischen Prinzips fördert den Hang zur Trivialisierung. (aus der Stellungnahme für die Anhörung am 18. April 2005, leicht gekürzt)
Was Sie feststellen, dass solche Sendungen entweder ganz verschwinden oder an den Rand gedrängt werden, ist sicher eine in Teilen richtige Beobachtung. (Anhörung am 18. April 2005, Wortprotokoll) Quelle u.a.: http://www.dasganzewerk.de/presse/20051007-bundestag-kultur-in-deutschland.shtml Diese Position wurde einmütig von der Enquete-Kommission in ihrem Abschlussbericht übernommen: Die Enquete-Kommission (...) nimmt (...) kritische Stimmen ernst, die vor der Gefahr einer zu starken Popularisierung im Sinne einer Verflachung und Trivialisierung warnen. (...)
Reaktionen aus der Hörerschaft (belegen), dass das Interesse an der Kultur auch bei der jüngeren Generation weit über das ausschließlich Populäre hinausgeht. Die sich ausbreitende ‚Formatierung' von Sendungen, das heißt das Setzen strengerer Zeitlimits und Vorgaben für die Kombination von Wort- und Musikbeiträgen, ist tendenziell eine Gefahr für Themen und Kulturtraditionen, die in erheblichem Maße auf Geist, Komplexität und Substanz setzen und daher medial nicht so leicht zugänglich gemacht werden können. (...)
Die Enquete-Kommission empfiehlt den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Beiträgen zur Kultur in den Hauptprogrammen breiteren Raum einzuräumen, sie stärker in die Hauptsendezeit zu rücken und mehr Möglichkeiten bereitzuhalten, musikalische Werke zusammenhängend darzubieten.
Quelle: http://www.bundestag.de/parlament/gremien/kommissionen/enqkultur/Schlussbericht/Schlussbericht/Schlussbericht.pdf, S. 149 - 157
Das GANZE Werk (Nord), Sprecherrat, 5. November 2007 und 24. Februar 2008 (Aktualisierung)
Lesen Sie zum Schlussbericht der Enquete-Kommission auch:
• Leitartikel (Bericht, Dokumentation und Einschätzung)
Ein Meilenstein zu mehr Qualität im Rundfunk
Eine Empfehlung lautet: Mehr zusammenhängende musikalische Werke in der Hauptsendezeit
Von Theodor Clostermann
• Neun Handlungsempfehlungen zum Kulturauftrag des Rundfunks
Zusammengestellt von der Enquete-Kommission
• Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ - Schlussbericht - Zitate
Gehen Sie zur Übersichtsseite:
• Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“
Lesen Sie außerdem aus der Materialsammlung „Der Kulturauftrag im Hörfunk“,
herausgegeben vom Sprecherrat der Bürgerinitiative Das GANZE Werk (Nord),
24. Februar 2008:
„Der Kulturauftrag im Hörfunk“ (die ganze Broschüre, 16 Seiten)
Titelseite (mit Kulturniveau-Grafik)
Detailliertes Inhaltsverzeichnis, Hinweis und Herausgeber
A. Das Zuhören fördern
B. Staatliche Festlegungen zum Kulturauftrag: Staatsverträge, Bundesverfassungsgericht
C. Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ - Schlussbericht - Zitate
D. Kultursender und -sendungen für „Einschalthörer“
E. Neue Erkenntnisse der ARD-Medienforschung zu Kulturinteressierten
F. Die bisherige Programmstrategie für NDR Kultur