Das GANZE Werk - Presseschau

DIE ZEIT, 16. Januar 2006

Echolot

Heil dem Dudelfunk

Zitat einer Hörerzuschrift: „Ziehen Sie den Umkehrschluss aus dem Hörerrückgang: Es gibt sehr viele kultivierte Hörer und Verbündete.“

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Über die arbeitsgerichtlichen Folgen eines Goebbels-Zitates im RBB-Kulturradio berichtet die „FAZ“, während in der „taz“ der Engländer David Sylvian das Internet als erfüllten Wunschtraum aller Musiker preist. - Unsere wöchentliche Musikpresseschau Die deutsche Radiolandschaft ist - von wenigen Ausnahmen abgesehen - eine Wüstenei. Schlagzeilen macht gerade die Entlassung eines Musikredakteurs durch den Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB). Das Arbeitsgericht Berlin hat den Fall in der vergangenen Woche verhandelt. Die FAZ berichtet zweimal ausführlich darüber (hier und hier).

Und dies ist die Geschichte: Seit der Programmreform des RBB-Kulturradios im Jahr 2003 kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen dem Musikchef Christian Detig und seinen Mitarbeitern. Detig will ein Radioprogramm, das schlichtere Gemüter nicht verstört. Längere Beiträge gibt es bald nicht mehr, anspruchsvolle Inhalte geraten in Verruf, so auch die Neue Musik. Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Detig hält es lieber mit Joseph Goebbels. Zur Erläuterung seiner Sender-Philosophie beruft er sich am 30. Mai 2005 in einer Sendung auf den Nazi-Propagandaminister. Die FAZ schreibt:

„In der Ankündigung für die Theaterpremiere ‚Goebbels‘ am Deutschen Theater las Detig (...) aus den Goebbels-Tagebüchern vor.

‚Das Programm des Rundfunks muss so gestaltet werden, dass es den verwöhnten Geschmack noch interessiert und dem anspruchsloseren noch … verständlich erscheint. Dabei soll besonderer Bedacht auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden. (...) Demgegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht‘,

zitierte Detig Hitlers Propagandaminister und fügte hinzu:

‚Und ich behaupte mal, das könnte so ohne Abstriche jeder ARD-Intendant auch unterschreiben, ich übrigens auch, ich lasse es aber lieber, denn dieses Zitat stammt von - bitte anschnallen! - Joseph Goebbels. Der Mann ist immer noch für Überraschungen gut.‘“

Die skandalöse Äußerung blieb folgenlos, bis der RBB-Musikredakteur Martin Demmler in mehreren Briefen an Rundfunkverantwortliche auf sie hinwies. Er äußerte seine Kritik allerdings nicht offen, sondern gab sie unter falschem Namen auf die Post. Als das herauskam, kam es zur Entlassung. Entlassen wurde Demmler, nicht Detig.

Darauf zog der vor das Arbeitsgericht Berlin und bekam jetzt Recht. An der Verflachung der RBB-Kulturwelle wird dies indes nur wenig ändern. Vielleicht sollte der Sender den Rat eines FAZ-Lesers befolgen, der auf den ersten Artikel zum Thema anmerkte:

„Ziehen Sie den Umkehrschluss aus dem Hörerrückgang: Es gibt sehr viele kultivierte Hörer und Verbündete.“

Lesen Sie außerdem zum Arbeitsgerichtsprozess:

Heil dem Dudelfunk
Zitat einer Hörerzuschrift: „Ziehen Sie den Umkehrschluss aus dem Hörerrückgang: Es gibt sehr viele kultivierte Hörer und Verbündete.“
DIE ZEIT, 16. Januar 2006

Kündigung unwirksam
Musik-Redakteur siegt bei Gericht über RBB
Berliner Morgenpost, 13. Januar 2006

Unterhaltung mit Goebbels
RBB-Redakteur klagte erfolgreich gegen seine Kündigung
Auch die Zukunft von Kulturwellen steht auf dem Spiel, deren Weg in die Bedeutungslosigkeit auch durch zunehmende Popularisierung kaum gebremst wird
Berliner Zeitung, 12. Januar 2006

Ohrfeige für den RBB vor dem Arbeitsgericht
Fristlose Entlassung eines Kulturradio-Redakteurs war unverhältnismäßig
Märkische Allgemeine, 12. Januar 2006

Kulturradio RBB
Mobbing mit Goebbels
Wer bei seiner Programmgestaltung die Kultur zurückschraubt, setzt auch auf den Jargon des Kommerzradios
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Januar 2006

RBB und Redakteur vor Arbeitsgericht
Mittlerweile versammeln sich hinter Martin Demmler Lobbyisten und Komponisten zeitgenössischer Musik sowie sämtliche Kritiker an dem Kulturradio
Der Tagesspiegel, 11. Januar 2006

Bitte anschnallen!
Gegen die fristlose Kündigug Demmlers haben sich jetzt mehr als 30 der bedeutendsten deutschen Komponisten in einem offenen Brief gewandt
Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 11. Januar 2006

Das Kulturradio schafft sich selbst ab
Wo aber der Kulturauftrag so konsequent an den Nagel gehängt wird, da manövriert sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk ganz von selbst in die Bedeutungslosigkeit
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Januar 2006

Offener Brief von Professor Aribert Reimann
33 Komponisten erklären: Wir, die unterzeichnenden Komponisten, protestieren gegen diese ungerechtfertigte Entlassung eines hervorragenden Anwalts für die Neue Musik und fordern, Martin Demmler in seine Pflichten beim RBB wieder einzusetzen
GEMA Brief 56, Dezember 2005

Lesen Sie die einzelnen Teile des RBB-Dossiers des GANZEN Werks:

Teil 1: Dokumentation - Moderation und Original-Zitat
Teil 2: Sinkende Hörerzahlen treiben schon seltsame Blüten
Zustimmung, Leichtfertigkeit oder Naivität im Umgang mit einem Zitat von Goebbels?
Ein Zitat, das dem systematischen Ausbau der NS-Herrschaft diente, darf nicht für die Kulturradio-Debatte missbraucht werden!
Teil 3: Musikredakteur Demmler alarmiert drei ARD-Intendanten
Karikatur zu Detigs Einfall - Da sitzen alle ARD-Intendanten an einem großen Konferenztisch, unterschreiben das Goebbels-Zitat...
... und RBB-Musikchef Detig moderiert, für Das Erste.
Teil 4: Zweierlei Maßstab des RBB
Riesenhaft hier
Der kritische Musikredakteur wird als „Straftäter“ und „Denunziant“ entlassen
Zwergenhaft da
Schonend wird die Moderation mit dem Goebbels-Zitat als „nicht glücklich“ kritisiert
Teil 5: Offener Brief zum Goebbels-Zitat
an die Intendantin des RBB und an die Intendanten von NDR und WDR:
„Ich möchte Sie bitten, derartiges in der ARD nicht zuzulassen.“
und die Antwort vom WDR.
Teil 6: Antwort der Intendanz des RBB
„Sie wissen, dass es hausintern eine kritische und konstruktive Debatte
über die Moderation von Christian Detig am 30. Mai 2005 gegeben hat“

Teil 7: Kein leichtfertiger Umgang mit dem Goebbels-Zitat zum Rundfunk!
3 Bilder als Mahnung und 3 Texte zum Nachdenken (Goebbels, Pohle, Detig)

„... Aufgabe, die Hörermasse empfangswillig zu machen für die Stunden, in denen der Staatsbürger angesprochen, informiert, beeinflußt werden sollte.“
Teil 8: Linkliste
a. Das Radio als Propaganda-Instrument in der NS-Zeit (weiterführende Literatur)
b. Zeitungsartikel zur Debatte über RBB-Kulturradio
c. Liste programmatischer Erklärungen zu NDR Kultur

Hier - dokumentiert - das vollständige Zitat der Moderation:

RBB-Kulturradio: 30. Mai 2005. 07.09 Uhr.
Moderator: Dr. Christian Detig, Musikchef und Vizewellenchef Kulturradio

Da schlägt das Trommlerherz natürlich höher, Georg Friedrich Händel, La Réjouissance aus der Feuerwerksmusik, gespielt vom Ensemble [xy], neun Minuten nach sieben, sieben Uhr und neun.
Achtung Zitat: »Das Programm des Rundfunks muss so gestaltet werden, dass es den verwöhnteren Geschmack noch interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint. Dabei soll besonderer Bedacht auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden, weil die weitaus überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer einen Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirklich Entspannung und Unterhaltung zu finden. Dem gegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht.« Zitatende.
Und ich behaupte mal, das könnte so ohne große Abstriche jeder ARD-Intendant auch unterschreiben, ich übrigens auch, ich lasse es aber lieber, denn dieses Zitat stammt von - bitte anschnallen! - Joseph Goebbels.
Der Mann ist immer noch für Überraschungen gut und längst wissen wir noch nicht alles. Das Leben von Joseph Goebbels ist jetzt Theater geworden und zwar im Deutschen Theater. Die Frühkritik um sieben Uhr fünfundvierzig.

Und hier das vollständige Goebbels-Zitat:

»Das Programm des Rundfunks muß so gestaltet werden, daß es den verwöhnten Geschmack noch interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint. Es soll in einer klugen und psychologisch geschickten Mischung Belehrung, Anregung, Entspannung und Unterhaltung bieten. Dabei soll besonderer Bedacht gerade auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden, weil die weitgehend überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer meistens vom Leben sehr hart und unerbittlich angefaßt wird, in einem nerven- und kräfteverzehrenden Tageskampf steht und Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirklich Entspannung und Erholung zu finden. Demgegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht.«

Quelle: Joseph Goebbels, Rede zur Eröffnung der Rundfunkausstellung 1936, Abdruck in „Mitteilungen der RRG“, Nr. 501 vom 28. August 1936, Bl. 4.
Zitiert in: Heinz Pohle, Der Rundfunk als Instrument der Politik - Zur Geschichte des deutschen Rundfunks von 1923/38, Hamburg 1955, S. 281 f.