Das GANZE Werk - Presseschau
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Januar 2006
Kulturradio RBB
Mobbing mit Goebbels
Das Arbeitsgericht Berlin hat der Klage Demmlers jetzt stattgegeben
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Von Karen Krüger
Martin Demmler, Musikredakteur beim RBB, hatte eine Moderation seines Chefs mit ausgiebigen Goebbels-Zitaten kritisiert und wurde fristlos entlassen. Das Arbeitsgericht Berlin hat seiner Klage dagegen jetzt stattgegeben.
Fristlose Kündigungen gehören zu den Ausnahmen der Arbeitswelt. Bestand haben sie nur, wenn der Arbeitgeber besondere Gründe beanspruchen kann. Proppenvoll war der Sitzungssaal 241 im Berliner Arbeitsgericht, als der Journalist Martin Demmler, gerahmt von zwei Anwälten, gestern seine Klage gegen die fristlose Entlassung als Musikredakteur beim Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) vertrat (siehe auch: Das Kulturradio schafft sich selbst ab).
Freunde und Kollegen aus der Redaktion verfolgten den Prozeß und klopften Demmler vor der Verhandlung auf die Schulter. Vierundfünfzig RBB-Mitarbeiter haben vor Prozeßbeginn einen Brief an die Geschäftsleitung mit der Bitte unterschrieben, die Zusammenarbeit mit Demmler wiederaufzunehmen. Nicht das Vertrauensverhältnis zu ihm sei gestört, sondern das zur Geschäftsführung.„Dies ist kein Fall, an den man formal herangehen kann“, sagte die Richterin eingangs. „Wir müssen versuchen, das Ganze zu erfassen.“
„Immer noch für Überraschungen gut“
Die Entlassung des Musikredakteurs im vergangenen Sommer war der traurige Höhepunkt eines Konflikts, der in der Musikredaktion des Senders mit der Programmreform des Kulturradios im Jahr 2003 zu schwelen begann und mit Demmlers Reaktion auf die gedankenlosen Worte des Musikchefs des RBB-Kulturradios, Christian Detig, eskalierte. In der Ankündigung der „Frühkritik“ für die Theaterpremiere „Goebbels“ am Deutschen Theater las Detig am 30. Mai aus den Goebbels-Tagebüchern vor.
„Das Programm des Rundfunks muß so gestaltet werden, daß es den verwöhnten Geschmack noch interessiert und dem anspruchslosen noch ... verständlich erscheint. Dabei soll besonderer Bedacht auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden ... Demgegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht“, zitierte Detig Hitlers Propagandaminister und fügte hinzu: „Und ich behaupte mal, das könnte so ohne große Abstriche jeder ARD-Intendant auch unterschreiben, ich übrigens auch, ich lasse es aber lieber, denn dieses Zitat stammt von - bitte anschnallen! - Joseph Goebbels. Der Mann ist immer noch für Überraschungen gut.“
Ein falscher Name und seine Folgen
Wenige Tage zuvor hatte Demmler von seinem Vorgesetzten Detig eine Mahnung erhalten, weil er die Einstellung der Konzertreihe „Musik der Gegenwart“ öffentlich bedauert hatte. „Herr Detig sagte mir, ich solle mir schon einmal überlegen, was ich machen könnte, falls es die Neue Musik eines Tages nicht mehr gibt. Als ich dann das Goebbels-Zitat hörte, haben bei mir alle Alarmglocken geschrillt“, sagt Demmler. Aufrecht sitzt er auf seinem Stuhl, in Fischgrätjackett, blauen Jeans und blitzenden Schuhen. Wenn er die Fragen der Richterin beantwortet, zittert seine Stimme bei den ersten Silben stets ein wenig.
Demmler ist kein Mensch, der sich gerne in den Vordergrund drängt. Er ist ein Rundfunkmoderator der alten Schule, einer, der nicht einzig dem Hörerwillen zu dienen versucht, sondern auch dem Bildungsauftrag des Radios. In einem Brief, den Demmler unter falschem Namen an die Intendanten des RBB, des WDR und des NDR verschickte, kritisierte er die Moderation Detigs als „schwere Entgleisung“ und „Ausdruck von Ungeist“. Der Trick mit dem Brief aber flog auf, und Demmler verlor seinen Arbeitsplatz. Seiner Klage hat das Gericht nun stattgegeben. Demmlers Kritik an der Moderation rechtfertige keine fristlose Kündigung. Auch den Vorwurf, es handele sich um eine Urkundenfälschung, wies das Gericht zurück.
Auch auf den Kommerzjargon gesetzt
Demmlers Handeln ist symptomatisch für die Verfassung der Redaktion. Seit der letzten Programmreform des Kulturradios im Sommer 2005 ist nicht nur die Quote gesunken, sondern auch die Stimmung. Die Marginalisierung der Neuen Musik, die Verbannung längerer Dokumentationen, Features und Gespräche in die Abendstunden wurde über die Köpfe der Mitarbeitern hinweg entschieden. Nur wenige identifizieren sich noch mit dem verflachten Sendekonzept. Doch statt Kritik zu üben, schwiegen die Redakteure.
„Daß Demmler hier auf dem Stuhl sitzt, ist unser aller Schuld. Aus Angst hat keiner aus der Redaktion auf das Goebbels-Zitat reagiert“, heißt es unter den Zuschauern im Gerichtssaal. Namentlich genannt werden aber will niemand. Dabei habe die Musikredaktion gekocht, als Detigs Äußerung bekannt wurde. Der Leiter des Kulturradios jedoch habe die Anmoderation als „steiles Teasing“ gelobt. Wer bei seiner Programmgestaltung die Kultur zurückschraubt, setzt eben auch auf den Jargon des Kommerzradios.
Lesen Sie außerdem zum Arbeitsgerichtsprozess:
Heil dem Dudelfunk
Zitat einer Hörerzuschrift: „Ziehen Sie den Umkehrschluss aus dem Hörerrückgang: Es gibt sehr viele kultivierte Hörer und Verbündete.“
DIE ZEIT, 16. Januar 2006
Kündigung unwirksam
Musik-Redakteur siegt bei Gericht über RBB
Berliner Morgenpost, 13. Januar 2006
Unterhaltung mit Goebbels
RBB-Redakteur klagte erfolgreich gegen seine Kündigung
Auch die Zukunft von Kulturwellen steht auf dem Spiel, deren Weg in die Bedeutungslosigkeit auch durch zunehmende Popularisierung kaum gebremst wird
Berliner Zeitung, 12. Januar 2006
Ohrfeige für den RBB vor dem Arbeitsgericht
Fristlose Entlassung eines Kulturradio-Redakteurs war unverhältnismäßig
Märkische Allgemeine, 12. Januar 2006
Kulturradio RBB: Mobbing mit Goebbels
Wer bei seiner Programmgestaltung die Kultur zurückschraubt, setzt auch auf den Jargon des Kommerzradios
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Januar 2006
RBB und Redakteur vor Arbeitsgericht
Mittlerweile versammeln sich hinter Martin Demmler Lobbyisten und Komponisten zeitgenössischer Musik sowie sämtliche Kritiker an dem Kulturradio
Der Tagesspiegel, 11. Januar 2006
Bitte anschnallen!
Gegen die fristlose Kündigug Demmlers haben sich jetzt mehr als 30 der bedeutendsten deutschen Komponisten in einem offenen Brief gewandt
Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ), 11. Januar 2006
Das Kulturradio schafft sich selbst ab
Wo aber der Kulturauftrag so konsequent an den Nagel gehängt wird, da manövriert sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk ganz von selbst in die Bedeutungslosigkeit
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Januar 2006
Offener Brief von Professor Aribert Reimann
33 Komponisten erklären: Wir, die unterzeichnenden Komponisten, protestieren gegen diese ungerechtfertigte Entlassung eines hervorragenden Anwalts für die Neue Musik und fordern, Martin Demmler in seine Pflichten beim RBB wieder einzusetzen
GEMA Brief 56, Dezember 2005
Lesen Sie die einzelnen Teile des RBB-Dossiers des GANZEN Werks:
• Teil 1: Dokumentation - Moderation und Original-Zitat
• Teil 2: Sinkende Hörerzahlen treiben schon seltsame Blüten
Zustimmung, Leichtfertigkeit oder Naivität im Umgang mit einem Zitat von Goebbels?
Ein Zitat, das dem systematischen Ausbau der NS-Herrschaft diente, darf nicht für die Kulturradio-Debatte missbraucht werden!
• Teil 3: Musikredakteur Demmler alarmiert drei ARD-Intendanten
Karikatur zu Detigs Einfall - Da sitzen alle ARD-Intendanten an einem großen Konferenztisch, unterschreiben das Goebbels-Zitat...
... und RBB-Musikchef Detig moderiert, für Das Erste.
• Teil 4: Zweierlei Maßstab des RBB
Riesenhaft hier
Der kritische Musikredakteur wird als „Straftäter“ und „Denunziant“ entlassen
Zwergenhaft da
Schonend wird die Moderation mit dem Goebbels-Zitat als „nicht glücklich“ kritisiert
• Teil 5: Offener Brief zum Goebbels-Zitat
an die Intendantin des RBB und an die Intendanten von NDR und WDR:
„Ich möchte Sie bitten, derartiges in der ARD nicht zuzulassen.“
und die Antwort vom WDR.
• Teil 6: Antwort der Intendanz des RBB
„Sie wissen, dass es hausintern eine kritische und konstruktive Debatte
über die Moderation von Christian Detig am 30. Mai 2005 gegeben hat“
• Teil 7: Kein leichtfertiger Umgang mit dem Goebbels-Zitat zum Rundfunk!
3 Bilder als Mahnung und 3 Texte zum Nachdenken (Goebbels, Pohle, Detig)
„... Aufgabe, die Hörermasse empfangswillig zu machen für die Stunden, in denen der Staatsbürger angesprochen, informiert, beeinflußt werden sollte.“
• Teil 8: Linkliste
a. Das Radio als Propaganda-Instrument in der NS-Zeit (weiterführende Literatur)
b. Zeitungsartikel zur Debatte über RBB-Kulturradio
c. Liste programmatischer Erklärungen zu NDR Kultur
Hier - dokumentiert - das vollständige Zitat der Moderation:
RBB-Kulturradio: 30. Mai 2005. 07.09 Uhr.
Moderator: Dr. Christian Detig, Musikchef und Vizewellenchef Kulturradio
Da schlägt das Trommlerherz natürlich höher, Georg Friedrich Händel, La Réjouissance aus der Feuerwerksmusik, gespielt vom Ensemble [xy], neun Minuten nach sieben, sieben Uhr und neun.
Achtung Zitat: »Das Programm des Rundfunks muss so gestaltet werden, dass es den verwöhnteren Geschmack noch interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint. Dabei soll besonderer Bedacht auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden, weil die weitaus überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer einen Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirklich Entspannung und Unterhaltung zu finden. Dem gegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht.« Zitatende.
Und ich behaupte mal, das könnte so ohne große Abstriche jeder ARD-Intendant auch unterschreiben, ich übrigens auch, ich lasse es aber lieber, denn dieses Zitat stammt von - bitte anschnallen! - Joseph Goebbels.
Der Mann ist immer noch für Überraschungen gut und längst wissen wir noch nicht alles. Das Leben von Joseph Goebbels ist jetzt Theater geworden und zwar im Deutschen Theater. Die Frühkritik um sieben Uhr fünfundvierzig.
Und hier das vollständige Goebbels-Zitat:
»Das Programm des Rundfunks muß so gestaltet werden, daß es den verwöhnten Geschmack noch interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint. Es soll in einer klugen und psychologisch geschickten Mischung Belehrung, Anregung, Entspannung und Unterhaltung bieten. Dabei soll besonderer Bedacht gerade auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden, weil die weitgehend überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer meistens vom Leben sehr hart und unerbittlich angefaßt wird, in einem nerven- und kräfteverzehrenden Tageskampf steht und Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirklich Entspannung und Erholung zu finden. Demgegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht.«
Quelle: Joseph Goebbels, Rede zur Eröffnung der Rundfunkausstellung 1936, Abdruck in „Mitteilungen der RRG“, Nr. 501 vom 28. August 1936, Bl. 4.
Zitiert in: Heinz Pohle, Der Rundfunk als Instrument der Politik - Zur Geschichte des deutschen Rundfunks von 1923/38, Hamburg 1955, S. 281 f.