Das GANZE Werk - Presseschau

de.indymedia.org, unabhängiges medienzentrum, 14. August 2004

DeutschlandRadios kultureller Abgesang

Von Sofia Behnke (für Indymedia)

Unter seinem neuen Chef wird das nationale Hörfunkprogramm DEUTSCHLANDRADIO BERLIN ab 2005 zu einem Info-Kultur-Format umgebaut. Hochkultur-Häppchen beherrschen das neue Programm, Kultur für unter 60 jährige wird wohl auf der Strecke bleiben.

Kaum sind die Lobreden und Gratulationen zum 10-jährigen Bestehen des nationalen Hörfunks verhallt, da leitet Intendant Ernst Elitz die Demontage der Kulturwelle seines Hauses ein. Elitz (63) ist seit Gründung des nationales Hörfunks im Jahr 1994 Herr über zwei bundesweit ausgestrahlte Programme: dem seit 42 Jahren aus Köln sendenden Deutschlandfunk, einem Wortprogramm mit Schwerpunkt Politik und Hintergrund, und dem seit 10 Jahren im ehemaligen RIAS Funkhaus ansässigen Kulturprogramm "DeutschlandRadio Berlin". Nun ist davon auszugehen, dass es ab April 2005 das "DeutschlandRadio Berlin" in der bekannten Form nicht mehr geben wird. Die je nach Sichtweise angenehm altmodische oder leicht betuliche Kulturwelle soll unter neuem Sendernamen "DeutschlandRadio Kultur" als Häppchen-Kultur-Radio neu gestartet werden. Dem Vernehmen nach soll das neue Kultur-Programm im Vergleich zu heute in seiner Struktur dem Deutschlandfunk ähneln. Der Wortanteil soll auf 80% drastisch gesteigert werden. Verlierer dieser Programmreform scheint die Musik zu sein. Wiederholungen, Übernahmen aus anderen Programmen und kurze Info-Einheiten sollen niedrigere Produktionskosten gewährleisten.

Offenbar ist Intendant Elitz nach 10 Jahren der Geduldsfaden gerissen: Die Einschaltquote seiner Kulturwelle lag beständig unter dem intern konkurrierenden "Schwesterprogramm" aus Köln. Gut 2,3 Millionen regelmäßige Hörer hat die Berliner Kulturwelle. Das Kölner Polit-Programm liegt bei der 3 bis 4-fachen Hörerzahl. Zu wenig, findet Elitz und wohl auch einige Mitglieder der "kef", der für die Finanzausstattung des werbefreien und gebührenfinanzierten Deutschlandradio zuständigen Kommission. Seit dem Frühjahr ging es im ehemaligen RIAS-Funkhaus am Schöneberger Volkspark dann auch Schlag auf Schlag: im April schasste Intendant Elitz die Berliner Chefin Gerda Hollunder (63) gegen ihren Willen in den Ruhestand und machte - ausgerechnet - den Kölner Programmchef Günter Müchler (59) für zunächst 3 Jahre zum neuen Boss in Berlin. Eine von Müchlers ersten Amtshandlungen bestand in der Einstellung von etablierten Programmreihen wie dem Geschichtsrückblick "Kalenderblatt". Begründung: "Das können wir in Köln billiger machen und dann in Berlin wiederholen". Dass aus dem Spruch ein Motto werden könnte, dämmerte der Belegschaft kürzlich, als Macher Müchler die etwa 330 Festen und gut 400 Freien Mitarbeiter in Berlin mit einem Entschluss überraschte: Das in den letzten 10 Jahren entwickelte Kulturprogramm werde schrittweise und zügig entsorgt. Dem aufkeimenden Widerspruch der vor vollendete Tatsachen gestellten Mitarbeiter hielt der neue Programmchef schlicht entgegen, "versagt" zu haben, berichten Sitzungsteilnehmer. Mitarbeiter erklärten auch, von der plötzlichen Radikalkur überrascht zu sein, weil bisher vorgebrachte Vorschläge zur Programmverbesserung seit Jahren von den Verantwortlichen blockiert worden seien.

Einem aus dem Hut gezauberten neuen Kultur-Programm, wie es dem Elitz-Gesandten Günter Müchler vorschwebt, geben Insider kaum Überlebenschancen. Das neue Info-Kultur-Format müsste unter neuem Namen in 2 bis 3 Jahren bessere Hörerzahlen aufweisen, als sich das "DeutschlandRadio Berlin" in 10 Jahren erarbeiten konnte. Ist auch diese "letzte Chance" vertan, droht dem in wirtschaftlichen Krisenzeiten ohnehin unter Beschuss stehenden Kulturprogramm die Abschaltung. Einige Indizien sprechen dafür, dass die Verantwortlichen ein Scheitern durchaus in Kauf nehmen: Obwohl die niedrige Einschaltquote als Hauptmotiv für die kommende Totalsanierung angeführt wird, soll die morgendliche Prime-Time von 5 bis 9 Uhr mit ihrem konservativen Politik-Magazin "Ortszeit" vorerst nicht angerührt werden. Offenbar eine Konzession an den Berliner Chefredakteur Dieter Jepsen-Föge - auch wenn bei Radiomachern die Grundregel gilt, dass Hörer, die man am Morgen nicht gewinnt, über den Tag nicht wett zu machen sind. Ebenfalls konnte der "Sanierer" Müchler bisher kaum Ideen für Programmangebote vorweisen, die die Hoffnung auf neue Hörergruppen zuließen. Heimlicher Gewinner wäre am Ende der Deutschlandfunk, denn die Kölner würden zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Das ungeliebte und kostenträchtige Schwesterprogramm wäre zu Grabe getragen und die Forderung nach einem Umzug des wichtigsten politischen Radiosenders in die Hauptstadt würde ebenso verstummen wie das einzige bundesweite Kulturradio in Deutschland.

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