NDR-Programmausschuss
BESCHWERDE GEGEN DAS MUSIKPROGRAMM VON NDR KULTUR
Beschwerdebrief des Sprechers der Initiative Das GANZE Werk
Reinbek, 9. Januar 2005
Sehr geehrte Gräfin Kerssenbrock,
hiermit reiche ich beim Programmausschuss des NDR eine förmliche Beschwerde der Initiative Das GANZE Werk gegen das Musikprogramm von NDR Kultur in der Zeit von 6 bis 19 Uhr ein.
Vorbemerkung 1: Gegenstand der Beschwerde ist das spätestens seit dem 1. Januar 2004 durchformatierte Musikprogramm. Von dem angegebenen Zeitraum ausgenommen sind also die Sendung "Am Morgen vorgelesen", am Samstag die Zeit ab 18 Uhr und am Sonntag die Sendungen "Kantate" und "Glaubenssachen". Ausgenommen sind auch die Beiträge des "kulturellen Wortes", weil die Initiative Das GANZE Werk sich mit Musik beschäftigt und sich auf anderen Gebieten keine Kompetenz anmaßen möchte.
Vorbemerkung 2: Wir tolerieren es, wenn der NDR für bestimmte Zeiten am Tag Experimente angesichts veränderter Hörgewohnheiten oder zum Erreichen neuer, nach eigenen Aussagen jüngerer Hörer, durchführt. Wir wehren uns aber strikt dagegen, dass dieses kompromisslos während der gesamten Zeit geschieht. Deshalb fordern wir als maßvollen Kompromiss, dass es in der angegebenen Zeit von dreizehn Stunden täglich vier Stunden lang Musiksendungen mit ganzen Werken und ohne störende Elemente gibt.
1. Musikauswahl und Präsentation
Die Kritik an der Musikauswahl und ihrer Präsentation ist grundsätzlich.
a. Kunstwerke werden ohne zwingenden Grund entstellt
Kompositionen, genannt seien hier Concerti, Suiten, Sinfonien, Konzerte und Sonaten, werden weitgehend nur in der Dauer eines Satzes oder eines kurzen Ausschnitts gespielt. Sie haben aber einen mehr oder weniger ausgeprägten inneren Zusammenhang, Spannungsbogen o.ä., werden durch gesendete Einzelsätze also in ihrem Charakter entstellt oder gar zerstört. Selbst durchkomponierte Satzübergänge wie bei Carl Philipp Emanuel Bach, Ludwig van Beethoven oder Hector Berlioz werden abgeschnitten, auch innerhalb einer Kadenz. Dieses Prinzip stammt vom privat betriebenen Rundfunk. Dieser ist damit auf den Markt gegangen, um häufiger Werbung und interaktive Komponenten zwischen Hörer und Sender unterzubringen. Für den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk besteht dafür kein gleichwertiger Anlass.
b. Die Musikauswahl wird erheblich verringert, eingeschränkt
Wir brauchen eine nach den Kriterien eines Begleitprogramms ausgerichtete Musikuhr mit einem wiedererkennbaren beliebten Repertoire klassischer und klassikähnlicher Werke. (...) Wir werden (...) einen Musikpool erstellen. (Hörfunkdirektor Romann, in: Wir im NDR, September 2002, im Folgenden: Romann 1, 2002)
Nach diesem von Anfang an geplanten Prinzip ist der Riesenfundus an Musik von NDR Kultur faktisch radikal zusammengestrichen worden.
Das soll am typischen und überschaubaren Beispiel von Franz Anton Hoffmeister (1754-1812), einem Zeitgenossen von Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart, gezeigt werden. Er hat mindestens 900 Instrumentalwerke komponiert, darunter 66 Sinfonien und mindestens 51 Solokonzerte. Im bedeutsamsten aktuellen Schallplattenkatalog sind von ihm immerhin 22 Einzelwerke verzeichnet, die Zahl der eingespielten Werke ist wesentlich höher. Von Mitte Mai bis Ende Dezember hat NDR Kultur nur sechs verschiedene Einzelsätze (ein Satz davon in zwei Fassungen) gesendet, diese dann aber wiederholt, und zwar:
- Bratschenkonzert D-dur (Fassung für Viola) | 1. Satz   | 4x |
- Bratschenkonzert D-dur (Fassung für Trompete) | 1. Satz | 23x |
- Bratschenkonzert D-dur (Fassung für Viola) | 3. Satz | 4x |
- Klarinettenkonzert B-dur (Nr. 2) | 1. Satz | 12x |
- Klarinettenkonzert B-dur (Nr. 2) | 3. Satz | 10x |
- Klarinettenquartett D-dur | 3. Satz | 3x |
- Trio e-moll, op. 31 Nr. 6 | 3. Satz | 5x |
Die Interpreten sind immer gleich. Ein langsamer Satz ist kein einziges Mal dabei. Von einem Werk wurden zwei verschiedene schnelle Sätze gespielt. Von den anderen drei Werken wurde überhaupt nur jeweils ein Satz gesendet.
Diese Verringerung auf wenige Werke eines Komponisten, auf wenige Einzelsätze und auf normalerweise eine Interpretation ist durchgängig bei allen Komponisten festzustellen. Sie widerspricht massiv dem Gebot der Programm- bzw. Repertoirevielfalt.
Gleichzeitig wird das Repertoire ganz allgemein stark ausgedünnt, weil NDR Kultur Kompositionen nicht als "beliebt" einstuft. Drei Beispiele:
- Das reichhaltige musikalische Schaffen in Europa seit der Herausbildung des Generalbasses (Anfang des 17. Jahrhunderts) bis zur Schaffensperiode von Telemann, Johann Sebastian Bach und Händel ist viel zu wenig vertreten
- Kammermusik wird in viel zu geringem Umfang gesendet
- Zeitgenössische Musik wird fast nur dann gesendet, wenn sie auch Unterhaltungscharakter hat.
c. Bekannte Einzelsätze werden wie Schlager bevorzugt
Die Vielfalt wird zusätzlich noch dadurch eingeschränkt, dass eine recht große Zahl an Stücken nach dem Muster von Schlagern besonders oft gespielt werden. Sie sollen hier nicht groß aufgelistet werden, die Kritiker könnten Sie als Leidtragende minutiös aufzählen. Es sei nur auf das obige Beispiel des Trompetensatzes (23x) und auf das 3. Brandenburgische Konzert verwiesen. Mit dem Concentus Musicus Wien wurden von ihm in dem untersuchten Zeitraum der 1. Satz 35x und der 3. Satz 13x gesendet. Daneben gab es nur zwei Interpretationen, sogar des ganzen Werkes: 7x mit Giardino Armonico Milano und ein einziges Mal mit der musica antiqua Köln. Wer will schon sein Lieblingsstück ganz oben in den NDR Kultur-Charts sehen? Fehlanzeige. Umgekehrt, viele Musikliebhaber sind sauer, wenn sie "immer wieder dasselbe" vorgesetzt bekommen.
d. Die Reihenfolge der Musikstücke ist vollkommen beliebig
Die Stücke werden ohne inneren Zusammenhang in die Musikuhr eingebaut. Einige werden zu Beginn einer Stunde als "Opener" benutzt, wie die Sätze des 3. Brandenburgischen Konzertes, andere als "Closer" oder Satz davor, wie so oft ein Ungarischer oder Slawischer Tanz. Einige werden eingesetzt, weil sie für eine Reportage gebraucht werden, andere dann, weil der Computer sagt, dass sie endlich mit ihren Kriterien und nach ihrer Gewichtung dran sind. Was kann ein Musikliebhaber mit diesem Sammelsurium quer durch die Gattungen und die Epochen schon anfangen? Das ist keine Abwechslung mehr, sondern willkürliche Beliebigkeit.
e. Die Musikstücke werden ständig durch störende Elemente entwertet
Eine Stunde NDR Kultur hat im Schnitt 7 bis 8 Musikstücke. Und sonst?
- Mindestens 1x Nachrichten
- ab und zu "Kultur Aktuell" nach den Nachrichten
- mindestens einen "Focus Kultur" o.ä., eine Trailer "Kultur im Norden" oder eine vorproduzierte NDR-Programmankündigung
- ab und zu Prominenten-Werbung für NDR Kultur
- einen nervigen Jingle vor und einen nach jedem dieser Radioereignisse
- mindestens einen Jingle pur statt einer Ansage
- eine Moderation, die inzwischen vor einem Stück mehr Ansagen als vor einem Jahr beinhaltet, die aber als zu seicht, oberflächlich und ab und zu als nicht kompetent empfunden wird, die am liebsten den Superlativ benutzt, damit es jeder wirklich glaubt..., die vor der Musik vor einem Radioereignis ankündigt, dass dieses "auf NDR Kultur" gleich kommt, und vor allem eins im Munde führt, und sei es bei fast jeder Musikansage und -absage: "...hier auf NDR Kultur!"
Ständige und sich wiederholende NDR-Eigenwerbung, auch oft mit "Focus Kultur", wo viel von Medienpartnern berichtet wird und der NDR in seiner Kulturkritik mit diesen sanft umgeht. Das alles schafft so viele Ausschaltimpulse! Denn der Hörer fühlt sich wie ein Kind behandelt, das nicht hören will, aber "NDR Kultur" hören soll.
2. Es gibt mindestens zwei wichtige Hörergruppen
Die Musik wird durch alle diese Maßnahmen dem Radiokonzept untergeordnet, unterworfen, geopfert, auch zerstört. Es soll aber darum gehen, so die Programmverantwortlichen von NDR Kultur, neue Hörer für klassische Musik und für NDR Kultur zu gewinnen, die die Musik noch nicht so genau kennen, die sich vorrangig mit anderen Dingen als dem Radiohörern beschäftigen und die sich nicht so lange beim Zuhören konzentrieren können. Und das soll obendrein auch noch für die Stammhörer gelten:
Das Radio wird - selbst bei der Gruppe der konservativen Hörer - immer stärker vom Einschalt- zum Begleitmedium. (Hörfunkdirektor Romann, in: KlassikClub Magazin 09/2004, im Folgenden: Romann 2, 2004).
Wenn das wirklich so wäre, dann dürfte es NDR Kultur doch eigentlich gleichgültig sein, ob nur ein Satz oder ein ganzes Werk gesendet wird. Die Sätze schaffen doch Abwechslung genug, der Hörer hört nicht richtig zu und bekommt alles gar nicht so genau mit.
Es geht NDR Kultur vorrangig um etwas anderes, er will sich als Marke positionieren, durch sein Radioprogramm tagsüber und durch das teure kulturelle Abendprogramm im ganzen Land mit seinen vielen Medienpartnern.
"NDR Kultur". Das passt zu unserem Corporate Design. Das ist ein Signal für die Hörer. Besser, finde ich, kann man das zweite Premiumprodukt neben NDR Info nicht beschreiben. (Romann 1, 2002)
Inzwischen hat sich NDR Kultur (...) als unverwechselbar originelles Kultur- und Klassik-Programm mit intelligentem Anspruch positioniert (Romann 2, 2004).
Damit die Schwächung des Konkurrenten Klassik Radio und das Hinführen der Hörer zum Abendprogramm funktioniert, soll das Programm von 6 bis 19 Uhr aus einem Guss sein. Wenn es so sein soll, dann muss die Hörerschaft auch homogen, eine Zielgruppe sein. Das war von Anfang an die Prämisse von Hörfunkdirektor Romann:
Erkenntnissen der Hörerforschung zufolge bilden - neben den "klassisch Kulturorientierten" (Durchschnittsalter: Anfang 60) - die "neuen Kulturorientierten" (Durchschnittsalter: Anfang 40) ein beachtliches Potenzial. Da selbst die "klassisch Kulturorientierten" nicht mehr nur auf Hochkultur fixiert sind und sich in ihrem Medienverhalten dem der "neuen Kulturorientierten" angleichen, bilden beide Gruppen die Zielgruppe, die wir mit unserem neuen Angebot ansprechen wollen. Beabsichtigt ist, Lust auf Klassik zu machen: das Publikum, ältere wie jüngere Menschen, zum Einschalten und zum Verweilen zu animieren. Ohne Zuhörzwang.
Und er behauptet, dass die Hörgewohnheiten sich auch so entwickelt haben:
Trotz einiger grundsätzlicher Unterschiede in Bezug auf die Wahrnehmung des tagtäglich genutzten Radioprogramms bewerten beide Hörergruppen (die sogenannten "traditionellen" und die "aufgeschlossenen" Radiohörer) das aktuelle Programm von NDR Kultur überwiegend positiv.
Ein Berliner Medienwissenschaftler, Wolfgang Hagen, verfolgt ein ähnliches Konzept wie Herr Romann. Er stellte es am 18. Juni 2004 in Berlin in einem ausführlichen Vortrag "Auf der Suche nach dem verlorenen und dem neuen KulturRadioHörer" vor. Bei seinem Thema mit der "Präferenz dafür, im Radio gesprochenes Wort zu hören" schlägt er zu vier ihn interessierenden Hörergruppen vor, trotz eines widersprüchlichen "Interessenspektrums (...) von traditionell bis hochmodern" die Gruppen dadurch zu einer "Hörerschaft zusammenzuführen", dass das Kulturprogramm selbst "ein Kulturfaktor wird". Am Ende seines Planspiels fasst er zusammen:
Nur wenn ein Kultur-Radioprogramm nicht distanziert "über" Kultur berichtet, sondern selbst Teil der Kultur wird, über die es berichtet, kann es neue Hörer gewinnen. Das Potenzial ist gegeben.
Das Wort "nur" ist verräterisch: Es offenbart die gewollte Manipulation mit einem Hörer-Mix. Was Wolfgang Hagen in Berlin will, das praktiziert NDR Kultur schon heute.
Man versteht also, warum NDR Kultur sich immer wieder selbst anpreist. Man weiß gleichzeitig, warum das alles so künstlich, unecht, aufgesetzt, oberflächlich ist. Ein Irrweg, weil es nicht real ist.
Die soliden Untersuchungen der ARD zeigen Veränderungen im Hörverhalten auf, weisen aber ausdrücklich darauf hin, dass die sogenannten "Klassisch Kulturorientierten" mit ihrem kulturellen Interesse geachtet und respektiert werden müssen:
Klassisch Kulturorientierte: Kennzeichnend ist die eher selektive und gezielte Nutzung des Radios. Alltagsbegleitung im Sinn musikalischer Unterhaltung, Kurzinformationen und vordergründige Stimmungsmache wird eher abgelehnt. Die traditionellen ARD-Kulturprogramme und Informationswellen finden hier ihr Kernpublikum. (J. Eckardt, Klassische Musik und das Kulturradio Stand der Forschung, Köln 2003, S. 5. Siehe auch: W. Klingler, Kultur in Fernsehen und Hörfunk und E. Oehmichen, Aufmerksamkeit und Zuwendung beim Radio hören, Ergebnisse einer Repräsentativbefragung in Hessen)
Auch die Praxis mit NDR Kultur beweist dieses. Wie ist sonst der so massive Protest gegen das gegenwärtige Konzept von NDR Kultur und die große Unterstützung für die Initiative Das GANZE Werk zu erklären?
Die Initiative hat momentan mehr als 1.380 Mitglieder. Sie haben sich nur mit dem Ziel zusammengeschlossen, bei NDR Kultur 4 Stunden lang interessante Musikprogramme zu bekommen. Viele Hörer sind noch gar nicht erreicht worden. Überall dort, wo wir mit weiteren Hörergruppen in Kontakt kommen, ist die Zustimmung groß.
Wir haben augenblicklich eine Situation, die in der heutigen Medienlandschaft des Kampfes um Zuschauer, Zuhörer und Quoten einmalig ist: Da gibt es eine große Hörergruppe von Musikliebhabern, die NDR Kultur nicht bedienen will und die auch sonst kein regionaler Sender bedient. Wo gibt es so etwas?
Es ist hoffentlich nur von kurzer Dauer! Es soll ja ein Programm geben, das "niemanden ausgrenzt":
Wir wollen und müssen ein Programm machen, das den Bürgern gefällt, niemanden ausgrenzt und attraktiv ist. Kultur ist ein Begriff, den man sehr eng und sehr weit fassen kann. Kultur ist mehr als Musik. Aber ich schätze es sehr, wenn Hörer sich mit Herzblut am Programm des NDR beteiligen." Daher werde sich der Programmausschuß auf seiner nächsten Sitzung im kommenden Januar auch "mit der Entwicklung bei 'NDR Kultur' erneut beschäftigen. Wir sind bedacht, auf Qualität zu kucken. (Dr. Kutz, in: "M" MENSCHEN - MACHEN - MEDIEN 11/2004).
3. Verletzung des Kulturauftrags
Die Erfüllung des Kulturauftrages ist keine Frage der Quote, keine Frage der Zahl der Hörer eines Senders überhaupt. Insofern geht Hörfunkdirektor Romann von falschen Voraussetzungen aus:
Der im Rundfunkstaatsvertrag festgelegte Auftrag für das Spartenprogramm NDR Kultur, eine möglichst große Anzahl der Klassik- und Kulturinteressierten anzusprechen und zu bedienen...
Der Hörfunk hat jahrzehntelang die Rolle eines Kulturträgers für das Kulturgut Musik wahrgenommern. Für viele Menschen war und ist das Radio noch immer und im Alter erst recht ein zentrales Medium für musikalische Bildung und Kultur, vom Kennenlernen von Musikwerken und von ihren historischen, soziologischen und kompositorischen Zusammenhängen bis hin zum Wiedererkennen, reinen Wiederhören und Genießen der Musik. Es war jahrzehntelange Praxis, Musikwerke wenn möglich in ihrem ganzen Zusammenhang und damit authentisch im Sinne der Komponisten und Interpreten zu senden. Die Darstellungsform ist dabei zweitrangig und von Modeströmungen abhängig, kann sich zum Beispiel auf die bloße Wiedergabe von Werken beschränken oder komplexere Präsentationsformen einbeziehen. Die Darstellungsform darf jedoch nicht dazu führen, dass die authentische Wiedergabe nicht mehr geschieht oder in zeitliche Randbereiche wie abends oder nachts abgedrängt wird, wenn der Großteil der Hörfunknutzer das Radio nicht nutzt. Klassische Kultur zu schützen, zu pflegen und weiterzugeben bedeutet auch, die Kulturwerke als ganzes zu schützen, zu achten und dem Publikum zugänglich zu machen. Die Beschränkung auf Einzelteile eines Kulturwerkes, bei einem Werk der Literatur, der Bildenden Kunst oder der Musik, entstellt oder zerstört die Kulturwerke selbst und verletzt den Kulturauftrag.
Der generelle Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird (...) nicht auf die so genannte Hochkultur beschränkt. Vielmehr versteht man den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weit, so dass der Sport ebenso seinen Platz darin hat wie Unterhaltungsprogramme. (...) Der Begriff der Kultur im weiten Sinn läuft allerdings stets Gefahr, seine Konturen zu verlieren; wenn alles unter den Begriff der Kultur subsumiert wird, ist gleichzeitig auch nichts mehr spezifisch Kultur. (Professor Dr. Dieter Dörr, Die zukünftige Finanzierung der deutschen Universitäten, Rechtsgutachten, o.O. 2004, S. 44)
Und man kann sinngemäß ergänzen, dass die Kultur im weiten Sinn ihren Halt verliert, wenn die "Kontur", der Kern der Kultur zerfällt.
Positiv formuliert bedeutet dies, dass der Kulturauftrag eines öffentlich-rechtlichen Senders die Pflicht beinhaltet, die "Kontur", den Kern der Kultur zu wahren und zu pflegen und einem größeren an Kultur interessierten und Gebühren zahlenden Publikum zugänglich zu machen. Das ist ein entscheidender Beitrag zum Erhalt der Kultur und gegen den Verfall von Kultur, der in dem Bildungs- und Kulturauftrag enthalten ist. Wenn mit der Begründung, dass ein Teil der Hörer mit seiner Aufnahmebereitschaft überfordert sei ("Nebenbeihörer", "Begleitradio"), oder mit dem Bestreben, Kultur mit Ereignissen zu kombinieren ("Events" oder auch häufigen Wortunterbrechungen), oder mit der Absicht, vor allem beliebte Einzelsätze zu senden ("Highlights" schlagermäßig), die Darbietung von Teil-Kunstwerken systematisch betrieben und zum Prinzip erhoben wird, dann liegt ein Fall der Zerstückelung von Kulturwerken, eine Praxis der Verletzung des Kulturauftrages vor.
4. Fazit
Ich setze darauf, dass es im Programmausschuss eine Einsicht dafür gibt, die 100-prozentige, kompromisslose Formatierung der Musiksendungen von 6 bis 19 Uhr aufzuheben und die Wiedereinführung von Musiksendungen tagsüber in einer Dauer der Sendungen Matine und Serenade im Jahr 2003 (= vier Stunden) zu beschließen.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Theodor Clostermann
Sprecher der Initiative Das GANZE Werk
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Wissenswertes zur Umstellung von Radio 3 auf NDR Kultur