Beschlüsse des DGW-Sprecherrates (Nord)
Einstimmig beschlossene Stellungnahme des Sprecherrates am 15. Dezember 2009 in Seevetal zur Antwort des NDR-Rundfunkrates auf die Eingabe von 2.445 Unterzeichnern
Der NDR verweigert jeden kritischen Dialog:
Trotz lebhafter Proteste ist keine qualitative Änderung im Tagesprogramm von NDR Kultur in Sicht
Stellungnahme des DGW-Sprecherrates speichern/drucken (Pdf) |
Übersicht:
• Unser Versuch, durch eine große gemeinsame Protestaktion gegen die zum 1. Januar 2004 eingeführte „Reform von NDR Kultur“ eine Korrektur zu bewirken, ist gescheitert.
• Was bleibt den Radioliebhabern in Norddeutschland zu tun?
• Was bleibt der Bürgerinitiative „Das Ganze Werk“ zu tun?
• Die Bürgerinitiative lässt ihre Arbeit bis auf Weiteres ruhen.
Den Mitgliedern der Bürgerinitiative „Das ganze Werk (Nord)“, den 2445 Unterzeichnern der Eingabe für qualitative Änderungen im Tagesprogramm von NDR Kultur und allen Liebhabern eines guten Radio-Tagesprogramms im norddeutschen Raum müssen wir folgende Mitteilung machen:
• Unser Versuch, durch eine große gemeinsame Protestaktion gegen die zum 1. Januar 2004 eingeführte „Reform von NDR Kultur“ eine Korrektur zu bewirken, ist gescheitert.
(1) Die Unterschriften von 2.445 Mitunterzeichnern der Eingabe und 138 Kommentare wurden dem Programmausschuss und dem Rundfunkrat des NDR, also den gesellschaftlichen Kontrollorganen des Senders, termingerecht und formaljuristisch korrekt übergeben. (Seit langem wird eine persönliche Diskussion mit Mitgliedern der Bürgerinitiative „Das Ganze Werk“ ausdrücklich abgelehnt.)
(2) Unsere Aktion wurde am 14. Oktober 2009 durch den Vorsitzenden des Rundfunkrates, Dr. Karl-Heinz Kutz, an den 1. Sprecher der Bürgerinitiative, Theodor Clostermann, folgendermaßen beantwortet:
„Der Rundfunkrat stellte nach umfassender Beratung Ihrer Schreiben folgendes fest: Eine Staatsvertragsverletzung liegt nicht vor. Das Gremium hält an seinem im Dezember 2004 gefassten Beschluss zur Reform von NDR Kultur fest. Es begrüßt und unterstützt die Weiterentwicklung von NDR Kultur nach der Reform von 2004 und stellt eine zunehmende Akzeptanz mit steigender Hörerzahl und eine weitere qualitative Steigerung von NDR Kultur fest. Im Ergebnis weist der NDR Rundfunkrat die Eingaben (...) als unbegründet zurück.“
Anschließend werden die Kritikpunkte aus unserer Eingabe und einer Beschwerde zu werblichen Aktivitäten auf NDR Kultur einer nach dem anderen lapidar zurückgewiesen:
- Unsere Vermutung, die NDR Media nähme Einfluss auf die Programmgestaltung des NDR-Tagesprogramms: „nicht zutreffend“.
- Der NDR-Kultur-Adventskalender 2008: „keinerlei kommerzielle Hintergründe“, „keinerlei vertragliche Verpflichtungen gegenüber Kulturpartnern“.
- Unser Vorwurf, die Sendezeit sei vertraglich über die NDR Media vergeben: „trifft absolut nicht zu“.
- Unsere Beobachtung von stark werbelastiger Auswahl von CD-Buch- und Filmrezensionen: „unhaltbar“, entsprechende Begriffe „auf NDR Kultur nicht anwendbar“.
- Hörbuch-Lizenzprodukte: „keinerlei Bewerbung im Programm von NDR Kultur“, Erlöse werden „nicht unmittelbar zur Finanzierung des Programms verwendet“.
(Der gesamte Text des gut zwei Seiten umfassenden Briefes ist nachzulesen auf unserer Homepage: Antwort des NDR-Rundfunkrates.)
(3) An diesem Schreiben fällt auf, dass Dr. Kutz sich ausschließlich auf rundfunkrechtliche, also juristisch relevante Aspekte konzentriert und diese pauschal zurückweist.
(4) Dr. Kutz erwähnt mit keinem Wort das tatsächliche Anliegen der norddeutschen Rundfunkliebhaber, nämlich die Abkehr vom Musikmix im Stil von Klassik Radio und die Hinwendung zu einem Kulturprogramm, das diesen Namen verdient und das den Vergleich mit den Kultursendern BR Klassik, hr2-kultur, SWR 2 und WDR 3 nicht zu scheuen braucht. Hier genügen ihm die Schlagworte von „zunehmender Akzeptanz“ und „weiterer qualitativer Steigerung“, für die es nicht den geringsten Beweis gibt.
Weshalb der Rundfunkrat auf die Anregungen der Bürgerinitiative nicht eingeht und der NDR sich gegen alle Kritik von Hörern abschottet - hierzu fehlt jede Stellungnahme. Qualitätsfragen und die Bindung an den Bildungsauftrag öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten werden auf „geschmackliche“ Kriterien reduziert.
(5) Wenn wir gegen Ende des Schreibens von Herrn Dr. Kutz lesen:
„Der Dialog mit aktiven Hörerinnen und Hörern hält ein Programm lebendig ... Soweit es vertretbar ist, nehmen die Programmmacherinnen und Programmmacher das NDR Anregungen ihrer Hörerschaft auf“,
so müssen sich alle Hörerinnen und Hörer verhöhnt fühlen, die sich in den vergangenen sechs Jahren in Briefen, E-Mails, Anrufen und nicht zuletzt durch ihre Mitgliedschaft in der Bürgerinitiative für ein besseres Tagesprogramm von NDR Kultur engagiert haben. Das war immer vergeblich, vom Sonntagskonzert abgesehen (und selbst diese Anregung einer Hörerin wurde zunächst abgelehnt mit der Begründung, die Hörer seien angewiesen auf die 12-Uhr-Nachrichten).
Schließlich: Der Bürgerinitiative wird von Dr. Kutz ein Maulkorb verpasst. Sie wird aufgefordert,
„von weiteren in der Sache und Zielrichtung vergleichbaren Eingaben (...) abzusehen“.
Die Fronten stehen damit starrer denn je.
• Was bleibt den Radioliebhabern in Norddeutschland zu tun?
- Sie müssen sich damit abfinden, dass ihr Kultursender sachlich völlig unbegründet das Tages- und Abendprogramm voneinander trennt und dass in der Zeit von 6 bis 19 Uhr eigentlich nur „Am Morgen vorgelesen“ hörenswert ist.
- Sie können auf die anderen Kulturprogramme ausweichen (ggf. mit einer Satellitenempfangsanlage). Der Vorteil: wiedergewonnene Freude am Radiohören. Der Nachteil: zusätzliche Kosten, keinerlei Bezug auf das kulturelle Leben unserer Region.
- Sie können ohne Radio-Kulturprogramm leben und stattdessen CD- bzw. MP3-Player usw. benutzen. Vorteil: Ganze Werke. Nachteile: Verzicht auf eine Gegenleistung für die Gebühren, zusätzliche finanzielle Belastung, keine musikjournalistische Vermittlung, Verlust von neuen Hörerfahrungen und kultureller Bildung usw. usf. Vermutlich ist das der Trend, auf den NDR Kultur setzt.
Viele Radioliebhaber in Norddeutschland haben bereits einen dieser Wege beschritten, weil sie das Tagesprogramm von NDR Kultur als Zumutung empfinden.
• Was bleibt der Bürgerinitiative „Das Ganze Werk“ zu tun?
Wir haben in systematischer Arbeit alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einer Bürgerinitiative ausgeschöpft:
- zahlreiche Briefe an NDR Kultur und an die Intendanz des NDR,
- Organisation der Postkartenaktion „Kritik an NDR Kultur“ (1879 Unterschriften, Oktober 2004 bis Juni 2005),
- eine öffentliche Podiumsdiskussion in Hamburg am 8. Juni 2006, bei der beide Plätze des NDR leer blieben,
- eine fundiert begründete Eingabe mit einem Programmvorschlag sowie eine Beschwerde zu drei krassen Fällen werblicher Aktivitäten beim NDR-Rundfunkrat (2008/09),
- Organisation einer Unterschriftensammlung, an der sich etwa ein Prozent der Hörerschaft von NDR Kultur beteiligt hat.
Der NDR hat sich auf keine Korrektur seines seit dem 1. Januar 2004 deformierten Kulturprogramms eingelassen und wird es wohl auch in absehbarer Zukunft nicht mehr tun können. Möglicherweise hat er sich selbst in eine Handlungsunfähigkeit hineinmanövriert - das scheint uns die unveränderte Neuauflage des Adventskalenders vom vorigen Jahr zu beweisen.
Wieder gibt es (von allen stilistischen Mängeln abgesehen) nur werktags von 7 bis 17 Uhr eine Gewinnchance - so, als gingen die Lichter im Funkhaus für das Wochenende am Freitag um 17 Uhr aus. Unser Eindruck: Dieser Kalender wird fremdproduziert.
NDR Kultur im Internet am 15. Dezember 2009
Wir haben uns bei der für den NDR zuständigen Rechtsaufsicht nach rechtlichen Möglichkeiten erkundigt. Die Antwort lautete: In Programmangelegenheiten sei der Rundfunkrat die höchste Entscheidungsinstanz. Die Rechtsaufsicht könne nur bei offensichtlichen Rechtsverstößen gegen den NDR-Staatsvertrag einschreiten.
Außerdem, so erfuhren wir, halten die bestehenden Gesetze für Ausnahmesituationen wie das Tagesprogramm von NDR Kultur sehr weit auslegbare Formulierungen bereit, die das Prinzip der strikten Trennung von inhaltlichem Programm und werblichen Aktivitäten aushöhlen.
• Deshalb lässt die Bürgerinitiative ihre Arbeit bis auf Weiteres ruhen.
Seit der Gründung am 15. Juni 2004 haben wir dem Sender NDR Kultur mit unserer Homepage einen Spiegel vorgehalten und vielleicht hier und da Schlimmeres verhindert.
Es ist uns nicht gelungen, den Sender NDR Kultur wieder zu einem Partner seiner interessierten Hörer zu machen.
Wir schämen uns für dieses Tagesprogramm.
Wir danken den knapp 1.900 Mitgliedern für die Unterstützung und Solidarität in den vergangenen fünfeinhalb Jahren.
Lesen Sie auch:
• „Der Kulturauftrag im Hörfunk“ (Die Broschüre zur Eingabe - Grundsatzdiskussion)
• Eingabe zu NDR Kultur beim Rundfunkrat (20. März 2008 und 2. Februar 2009
• Kommentare an den Rundfunkrat (von Teilnehmern der Unterschriftenaktion)
• Das Tagesprogramm von NDR Kultur ist fremdbestimmt (Inhalt des behandelten Briefes des Sprechers der Initiative an den NDR-Rundfunkratsvorsitzenden/Artikel-Fassung)
• Übergabe der 2.445 Unterschriften (18. September 2009)
• Antwort des NDR-Rundfunkrates (14. Oktober 2009)