NDR Kultur - Korrespondenz

zu:
Ein Radioprogramm ist kein Konzertsaal
Generelle Trendwende in der Hörfunknutzung

Von Gernot Romann, NDR Programmdirektor Hörfunk

Es wäre ein positives Zeichen,
wenn Sie sich mit dieser Bewegung in einen
kritisch-konstruktiven Dialog begeben würden

Leserbrief von Tom Pause

An: G.Romann@NDR.de
20.09.04
Kopie: www.dasganzewerk.de
Thema: NDRKultur

Sehr geehrter Herr Romann,

im NDR Kultur/ Klassikclub Magazin 09/2004 nehmen Sie Stellung zu der Kritik "von einigen Dutzend selbsternannten Kultur-Ajatollahs" und beklagen sich, dass Gotthold Ephraim Lessing keine Konjunktur besitzen würde. Zitat: "Der Prophet der Toleranz passt nicht ins Schema einiger Glaubensbekenntnisse..."

Der öffentliche-rechtliche Rundfunk hat einen Bildungsauftrag. Die Programmgestalter, zu denen Sie gehören, werden wesentlich auch durch Rundfunkgebühren, die die Hörer entrichten, dafür bezahlt, diesen Bildungsauftrag ernsthaft wahrzunehmen. Die Art und Weise, wie Sie hier in einem zum Teil sehr polemischen Ton mit Kritikern Ihrer Programmreform umgehen, ist unprofessionell und läßt nur den Schluß zu, dass Sie nicht bereit sind, sich der geübten Kritik zu stellen.

Ihre Stellungnahme richtet sich gegen einen immer größer werdenden Kreis an Personen, der sich unter der Initiative "DasGanzeWerk" zusammengeschlossen hat und für einen seriösen, professionellen und intelligenten Kultursender eintritt. Modernität und Reformen, um neue Hörerschichten zu gewinnen, stehen dabei in keinem Widerspruch zu dieser Initiative. Nehmen Sie sich ein Beispiel an der "Kammermusikoffensive"

Nehmen Sie sich
ein Beispiel an der
"Kammermusikoffensive" der
Hamburger Kulturbehörde
der Hamburger Kulturbehörde, die am 18. September 2004 in der Hamburger Musikhalle stattfand. Dort wurde in einer modernen und zugleich niveauvollen Form das Thema Kammermusik präsentiert. Über 1000 Besucher nahmen an diesem Tag der offenen Tür teil und erlebten diese Musikgattung in vielfältiger Form. So gewinnt man neue Hörerschichten! Die konzeptionslose "Bedudelung" und größtenteils inhaltsleeren Textbeiträge zwischen den gesendeten Musikstücken bei NDRKultur allerdings, die Sie als notwendige Reform verkaufen, um neue Hörerschichten zu gewinnen, folgt nur dem Mainstream in unserer Gesellschaft: Schön, nett, seicht und anspruchslos! Können Sie sich nicht vorstellen, dass sehr viele Menschen diese Niveauverflachung mittlerweile satt haben?

Die Internet-Seite "DasGanzeWerk" gibt Auskunft über die Unterstützer dieser Initiative und deren Forderungen. Sie werden feststellen müssen, dass Sie mit Ihrer Bemerkung über die "Kultur-Ajatollahs" am Ziel vorbeischießen. Sie unterschätzen die bisherige - in Ihren Worten "traditionelle" - Hörerschaft von ehemals NDR3, die keineswegs eine "sich als Elite begreifende Minderheit" darstellt: Diese Hörerschaft ist größer als Sie denken und als Ihre "Musik-Präferenz-Studie" Ihnen glauben machen will. Diese Hörerschaft, obwohl nicht homogen, hat ein gemeinsames Interesse an einem lebendigen und seriösen Kultursender.

Diese Hörerschaft formiert sich mittlerweile als Bürgerbewegung und gewinnt jeden Tag weitere Unterstützer und damit an Kraft und Tragweite. Es wäre ein positives Zeichen, wenn Sie sich, als Vertreter einer

Für Ihren Umgang mit
den Kritikern ist Lessing als
Mahner hinsichtlich Toleranz
bestens geeignet
öffentlich-rechtlichen Institution, mit dieser Bewegung in einen kritisch-konstruktiven Dialog begeben würden. Nehmen Sie die Personen, die aus verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft kommen, ernst, und betiteln Sie diese nicht als "Geschmackspolizisten". Ihr Hinweis auf Lessing ist fehl am Platz, wenn es um die kritischen Stimmen zur Programmreform geht. Für Ihren Umgang mit den Kritikern allerdings ist Lessing als Mahner hinsichtlich Toleranz bestens geeignet.

Mit freundlichen Grüßen

Tom Pause

Weitere Leserbriefe und Kommentare zu dem Artikel:
Beschwerde eines Hörers an den Intendanten des NDR, von P. Schwiesow
Nun entdecken alle Ihre Hörer wieder, was Lessing vom ‚denkenden Zuschauer/Zuhörer' schreibt Kommentar von G. Ossenbrunner, Bremen

Die Waage gleicht der großen Welt:
Das Leichte steigt, das Schwere fällt.

Lessing, zitiert von HWeblog
Es wäre fair, wenn NDR Kultur mit seinen Clubmitgliedern im Magazin in einen Dialog träte, statt es als Propagandablatt zu mißbrauchen., Leserbrief von C. Meffert
Die Aufgeschlossenen, Leserbrief von M. Siebert
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Gibt es pünktlich um 19 Uhr einen wundersamen Geschmackswandel?
Leserbrief des Hörers Schrader aus Burgdorf

Artikel im KlassikClub Magazin 09/2004:
Ein Radioprogramm ist kein Konzertsaal, September 2004
Vorläufer-Artikel im Feuilleton Hamburg der WELT:
Ein Radioprogramm ist kein Konzertsaal, 27. Juli 2004
Hauptartikel vorher im Feuilleton Hamburg der WELT:
Ein Hörfunkprogramm kann Gegensätze gut nutzen
Leserbriefartikel von Theodor Clostermann zum Romann-Interview, 21. Juli 2004
Nicht warten, bis der Mond aufgeht
Interview von Lutz Lesle mit Programmdirektor Romann, 25. Juni 2004
NDR-Kultur: Ein Radioprogramm zum gepflegten Weghören
Bericht von Lutz Lesle über die Gründungsveranstaltung des Initiativkreises Das GANZE Werk, 17. Juni 2004