Das GANZE Werk - Presseschau
DIE WELT, Feuilleton Hamburg, 25. Juni 2004
Nicht warten, bis der Mond aufgeht
Programmchef Gernot Romann wehrt sich gegen die Kritik an der neuen Konzeption von „NDR-Kultur“
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Der Meinungsbericht „NDR-Kultur: Ein Radioprogramm zum gepflegten Weghören“ in der WELT vom 17. Juni löste bei unseren Lesern und im Funkhaus sehr unterschiedliche Reaktionen aus. Um die Fronten zu klären, empfing Programmchef Gernot Romann unseren Mitarbeiter Lutz Lesle zum Interview.
DIE WELT: Wie würden Sie den Hörertyp
beschreiben, den „NDR-Kultur“ a) tagsüber und b) abends
erreichen möchte?
GERNOT ROMANN: Erreichen möchten wir Hörerinnen
und Hörer, die uns bisher nur ausnahmsweise einschalteten: Leute unter
fünfzig, die berufstätig sind, mobil, kulturinteressiert nicht
im engen Sinn. Angesichts der schwachen Akzeptanz von Radio 3 zumal in Hamburg
mussten wir eine Form finden, die vor allem jüngere Hörer anspricht.
Nach einer Phase der Umgewöhnung gewinnt unser Kulturprogramm auch
bei älteren Stammhörern mehr und mehr Zuspruch. Unsere Philosophie:
Der Tageshörer kann auch ein Abendhörer sein, so er möchte.
Das Abendprogramm erfordert Zeit zum Zuhören. Das können Menschen
tagsüber im Büro und anderswo nur bedingt.
DIE WELT: Warum lassen Sie ehemalige Stammhörer, die entdeckerische Programmangebote, unzerstückelte Musikwerke und
aufschlussreiche Wortbeiträge schätzen, tagsüber im Stich?
ROMANN: Wir lassen niemanden im Stich. Sie
beschreiben ein Programm, das es nicht gibt. Wir haben auch vor der Reform
stets darauf geachtet, dass die Wortbeiträge in Umfang und Inhalt erträglich
blieben. Die Mehrheit der Minderheit, um die es uns geht, kann ein Angebot
nach Ihrem Geschmack einfach nicht konsumieren. Es geht nicht an, dass ein
öffentlich-rechtliches, mit den Gebühren aller finanziertes Radioprogramm
sich in seinem Angebot elitär verhält. Im Übrigen, weil Sie
so verzweifelt nach Qualität suchen: Zeigen Sie mir ein Hörfunkprogramm
innerhalb oder außerhalb der ARD, wo morgens eine halbe Stunde lang
Essais von Montaigne vorgelesen werden!
DIE WELT: Finden Sie es elitär, wenn
sich Rundfunkgebührenzahler nicht damit abfinden, dass ihnen täglich
rund zwölf Stunden lang heitere Werkfragmente entgegenrieseln, selektiert
aus zwei Jahrhunderten einer tausendjährigen Musikgeschichte?
ROMANN: Ihre Programmbeschreibung ist komplett
falsch. Es wäre gut, wenn sich Leute, die sich als Geschmackspolizei
aufspielen, einmal kundig machten. Dann würden sie nämlich feststellen,
dass Komponisten wie Haydn, Mozart oder Beethoven, wenn sie bei Hofe oder
auf bürgerlichen Abendgesellschaften auftraten, auch Teile ihrer Werke
spielten. Die hatten gar kein Problem damit. Wer tagsüber eine ganze
Symphonie oder gar eine komplette Oper hören möchte, hat die Möglichkeit,
eine CD oder eine Schallplatte aufzulegen. Im Übrigen ist bei uns keineswegs
alles heiter. Wir senden auch tagsüber durchaus Stücke der gewöhnungsbedürftigen Art.
DIE WELT: Seit der Rundfunkreform kenne ich - selbst unter meinen Studenten - niemanden, der das Tagesprogramm von „NDR-Kultur“ hörenswert findet. Kann es sein, dass der neue Kulturorientierte, den der NDR umwirbt, noch geboren werden muss?
ROMANN: Alle, die sich ernsthaft mit Medienwissenschaft befassen, wissen, dass es den längst gibt. Er ist weit in der Überzahl. Dass Ihre Studenten diese Sicht der Dinge haben, liegt vielleicht an ihrem Professor. Ich kenne Musikhochschul-Rektoren, die das Programm von „NDR-Kultur“ als außerordentlich attraktiv empfinden.
DIE WELT: Woher nehmen Sie die Gewissheit,
dass die Mehrzahl Ihrer Hörer nach zwei Minuten Kulturbericht erschöpft
ist?
ROMANN: Ihre Frage ist nicht seriös,
denn sie beruht auf Unkenntnis des Programms. In der Schiene „Klassisch unterwegs“ (14-19 Uhr) gibt es beispielsweise drei Sendeblöcke mit jeweils sieben Minuten Focus Kultur. Ebenso hat der „NDR-Kultur“ eine Leiste mit aktuellen Informationen um 12 Uhr.
DIE WELT: Ich sprach nicht von der
Zeitsumme der Kulturberichte, sondern von der Dauer der Einzelbeiträge.
ROMANN: Wenn es Anlass und Machart hergeben,
akzeptiere ich auch einen Vierminutenbericht. Wir haben, beginnend mit dem
Blick in die Feuilletons um 6.15 Uhr, mehr Wort im Programm als je zuvor.
Im Übrigen hat mich kein einziger Hörerbrief erreicht, der die
Abschaffung von „Texte und Zeichen“ beklagt hätte - ein
Vorschlag, der von den Redakteuren kam. Wenn alle anderen Sender früh
berichten, können wir nicht warten, bis der Mond aufgeht.
dazu:
8 Leserbriefe vom 3. Juli 2004 („Laien ersetzen Profis“, „Nur noch Konserven“, „Hoffnung auf mehr Qualität“, „Kein zweites Klassik Radio“, „Überheblichkeit“, „Verletzung des Staatsvertrags“, „Kulturnation sind andere“, „Ein Schlag ins Gesicht“)
3 Leserbriefe vom 21. Juli 2004 („Komponisten-Missbrauch“, „Gebührensenkung wäre angemessen“, „Ein großes Ärgernis“)