ARD-Werberichtlinien - Zur Diskussion gestellt

Die ARD-Werberichtlinien hebeln den Rundfunkstaatsvertrag aus

Die unzulässige Praxis der ARD mit den
„Hinweisen auf eigene Programme und auf Begleitmaterialien“

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Rundfunkstaatsvertrag
 
 ARD-Werberichtlinien
  I. Abschnitt
  Allgemeine Vorschriften
   1. Kennzeichnung der Werbung
  und Trennung vom Programm
    § 2 Begriffsbestimmungen     Absatz 1 Werbung
      Absatz (2)       Satz 1 (Begriffsbestimmung)
        5. Werbung         „Werbung ist jede Äußerung
        (...), die im Rundfunk entweder
        gegen Entgelt oder eine ähnliche
        Gegenleistung oder als Eigen-
        werbung gesendet wird mit dem
        Ziel, den Absatz von Waren oder
        die Erbringung von Dienst-
        leistungen (...) gegen Entgelt
        zu fördern.“

 
 
 
          (ist) „jede Äußerung (...),
          die im Rundfunk von einem
          öffentlich-rechtlichen oder
          privaten Veranstalter entweder
          gegen Entgelt oder eine ähnliche
          Gegenleistung oder als Eigen-
          werbung gesendet wird mit dem
          Ziel, den Absatz von Waren oder
          die Erbringung von Dienst-
          leistungen (...) gegen Entgelt
          zu fördern.“
 
        6. Schleichwerbung
        7. Sponsoring
       Satz 2
      (Grundsätzliche Ausnahme)
 
 
 
 
 
 
         „Hinweise der Rundfunkanstalten
        auf eigene Programme und auf
        Begleitmaterialien, die direkt von
        diesen Programmen abgeleitet
        sind, (...) gelten nicht als Werbung
        im Sinne von Satz 1.“
 
  II. Abschnitt
  Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
 
    § 11 Auftrag 
      Absatz (1) 
        Programmbegleitend Druck-
        werke und Mediendienste mit
        programmbezogenem Inhalt
    §15 Einfügung der Werbung  14. Hinweise auf Begleitmaterial/
  Merchandising
    §16 Dauer der Werbung    „Redaktionelle Hinweise auf Begleit-
    material sind zulässig, (das) sich
    unmittelbar von Sendungen, Pro-
    grammen oder Veranstaltungen
    der Rundfunkanstalt (ableitet).“
      Absätze (1), (2) und (3)
        Dauer im Fernsehen:
        max. 20 Min. werktäglich bis
        20 Uhr im Ersten und im ZDF
        und max. 12. pro Stunde
      Absatz (4)
      (Ausnahme für die Dauer der
      Werbung beim Fernsehen)
  
        „Hinweise der Rundfunkanstalten
        auf eigene Programme und auf
        Begleitmaterialien, die direkt von
        diesen Programmen abgeleitet
        sind, (...) gelten nicht als Werbung
        im Sinne der Absätze 1 bis 3.“
  
    §16a Richtlinien  
      (Pflicht für ARD und ZDF)  
 
  III. Abschnitt
  Privater Rundfunk
  
    (Entsprechendes)  
 

Hinweise im Programm auf NDR Kultur oder seine Partner

Die Beispiele stammen aus unserer Dokumentation vom 17. Juni 2005.

Viele Moderations- und Reportagetexte auf NDR Kultur enthalten kommerziell gemeinte Nettigkeiten für Dritte. Es sind entweder Dritte, mit denen der NDR direkt zu tun hat (siehe „Medienpartnerschaft“ beim „Musiksommer Herrenhausen“), oder Dritte bei anderen ARD-Sendern. Die ARD-Sender geben standardisierte Berichte in einen ARD-Pool, aus dem NDR Kultur sie für seine Sendungen zieht (siehe SWR-2 >> Radio Club beim „Festival Theater der Welt“ in Stuttgart).

Meistens geht es um Veranstaltungstipps: Konzert, Oper, Theater, Lesung, Kino, eine TV-Sendung bei ARD oder ZDF usw. Es geht aber auch um handfeste Produkte wie Bücher, Hörbücher, CDs. Alles erhältlich beim NDR, beim „NDR SHOP der NDR MEDIA GmbH“ oder den Partnern. Die Partner heißen „Medienpartner“, „Kulturpartner“ oder „Kooperationspartner“. Selbst für Reiseziele ist gesorgt: sonntags um 15.30 Uhr bei „Kultour - Reiseziele und Tipps für Genießer“. Glücklicherweise gibt es auf NDR Kultur wenigstens keine Rubrik „Geschmackssache“ mit Restaurant-, Hotel- usw.-Tipps „für lukullische Köstlichkeiten, für Sport oder andere Leidenschaften ‚after work‘“ bis hin zu Wellness wie beim RBB.

Akzeptabel wären - deutlich abgetrennt von der Musik - Hinweise, die von allgemeiner Gültigkeit sind, keine Firma bevorzugen, „zur Darstellung der realen Umwelt“ dienen. Ein „Wechsel der Produkte“ ist geboten. Hinweise „haben sich unter Vermeidung werblicher Effekte auf die sachliche Information zu beschränken. Soweit Bezugsquellen genannt werden, ist jede Hervorhebung oder Bevorzugung unzulässig.“ (siehe 8.3 und 14.2 der ARD-Werberichtlinien)

Nach unserer Beobachtung beziehen sich die Hinweise im Programm von NDR Kultur seit dem 1. Januar 2004 aber nicht auf die Fülle aller Veranstalter und Anbieter im NDR-Sendegebiet, sondern beschränken sich auf die oben genannten Partner. Die Hinweise auf NDR Kultur sind also ausgewählt, einseitig. Die Moderatoren sind in dieser Sache befangen, weil sie nicht frei berichten können. Kann man da noch von einer „Unabhängigkeit der Programmgestaltung und (...) Einhaltung der Neutralität gegenüber dem Wettbewerb im freien Markt“ sprechen (aus der Präambel der ARD-Werberichtlinien)?

Erstaunlicherweise rechtfertigen die ARD-Sender die redaktionell ausgesprochene Werbung für ihre Partner damit, dass es sich aus dem Programm heraus ergibt: „Hinweise auf eigene Programme und auf Begleitmaterialien“ seien erlaubt. Ob man ein Programmheft zu Händels Oper „Amadigi di Gaula“ oder „Einige Karten...“ auch noch zu „Begleitmaterial“ definiert, das macht doch nun auch keinen Unterschied mehr, oder? Im folgenden wird sich zeigen, dass der Trick mit den „Begleitmaterialien“ zugunsten Dritter überhaupt nicht zulässig sein dürfte.

Die ARD erklärt eine Sonderklausel zum allgemeinen Freibrief

Die ARD bezieht sich auf den Grundsatz 1.1., Satz 2 der ARD-Werberichtlinien. Dort steht, gleich nach der Präambel und nachdem in Satz 1 Werbung allgemein definiert wird:

Hinweise der Rundfunkanstalten auf eigene Programme und auf Begleitmaterialien, die direkt von diesen Programmen abgeleitet sind (...) gelten nicht als Werbung im Sinne von Satz 1. (d.h. der Definition von Werbung)

Die ARD musste die ARD-Werberichtlinien nach § 16a des Rundfunkstaatsvertrages beschließen:

§ 16a Richtlinien
Die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten und das ZDF erlassen Richtlinien zur Durchführung der §§ 7, 8, 15 und 16.
(betrifft: Inhalt von Werbung, Sponsoring, Einfügung von Werbung und Dauer der Werbung)

Dabei hat die ARD folgenden Trick angewandt, folgende Manipulation gegenüber dem Rundfunkstaatsvertrag vorgenommen:

Auch der Rundfunkstaatsvertrag, der übergeordnetes Recht darstellt, enthält Definitionen zu Werbung, Schleichwerbung usw., und zwar zu Beginn im I. Abschnitt „Allgemeine Vorschriften“ in § 2 „Begriffsbestimmungen“, Absatz 2, Punkte 5, 6 und 7. Das sind die allgemein zitierten und von der ARD wiederholten Formulierungen.

Im II. Abschnitt „Vorschriften über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ gibt es den oben schon angedeuteten § 16 „Dauer der Werbung“. Dort steht in Absatz 4 ausdrücklich, dass ausschließlich für die Berechnung der zulässigen Dauer der Werbung - nach den Absätzen 1 bis 3 auch nur im Fernsehen - Eigenwerbung und Hinweise auf Begleitmaterialien nicht mitgezählt werden:

(4) Hinweise der Rundfunkanstalten auf eigene Programme und auf Begleitmaterialien, die direkt von diesen Programmen abgeleitet sind (...) gelten nicht als Werbung im Sinne der Abs. 1 bis 3. (d.h. der Zeitbegrenzungen)

Dieser Satz für eine untergeordnete Ausnahmesituation - dass zum Beispiel die dreiteiligen Vorschau-Trailer im Ersten nicht als Werbezeit zählen - wird von der ARD in den ARD-Werberichtlinien wortgleich übernommen, aber in die generelle Definition von Werbung gehoben. Die Generalabsolution der ARD, die zu diesem Punkt den Rundfunkstaatsvertrag außer Kraft setzt. Ist das juristisch schon einmal überprüft worden?

Der Staatsvertrag des RBB, der erst im Jahr 2002 geschlossen wurde, übernimmt sogar in § 7 „Werbung und Sponsoring“ die ARD-Version. Der alte und auch der neue, seit dem 1. August gültige NDR-Staatsvertrag enthält dazu glücklicherweise keine Festlegung (vgl. § 36 „Werbung“).

Nach dem Rundfunkstaatsvertrag - § 11 „Auftrag“ zu Beginn des II. Abschnitts - darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur folgendes bei Materialien tun:

Er kann programmbegleitend Druckwerke und Mediendienste mit programmbezogenem Inhalt anbieten. (für den NDR gleich: § 10, Absatz 3 des NDR-Staatsvertrages)

Das ist viel weniger als nach der Generalabsolution der ARD-Werberichtlinien. Dazu würde beispielsweise die mit „geplanten Hörfreuden“ angepriesene Broschüre zum „Festspielsommer“ auf NDR Kultur gehören (um 7.25 Uhr).

Eine wichtige Auswirkung des Schleichwerbe-Skandals:
Die „Kooperation mit Dritten“ steht auf dem Prüfstand

Ob nun als Werbung nach dem Rundfunkstaatsvertrag oder als Schleichwerbung unzulässig, die „Kooperation mit Dritten“ zur Verkaufsförderung hat sich als die große fragwürdige Grauzone herausgestellt. Sie ist auch besonders gefährlich, weil sie auf die Inhalte des Programms abzielt, zum Beispiel auf die auszuwählenden Musikstücke im Umfeld oder die zu sendenden Kulturberichte.

Dazu einige Zitate:

Wir haben das weder Schleichwerbung noch Product Placement genannt, sondern „Kooperation mit Dritten“, denen wir als Tarnung die „nichtkommerziellen Rechte“ an den Filmen verkauften (Ex-Fernsehfilmchef des Saarländischen Rundfunks).

Die von Hoffmann und Campe vertriebenen Hörbücher zu John Updikes „Sucht mein Angesicht“ tragen die Logos des NDR und von NDR Audio. Nach unseren Artikeln zu dieser Hörbuch-Produktion und -Vermarktung hat die NDR Media GmbH den Text der Internet-Seite „Marketing/Lizenzprodukte“ vereinfacht, entschäft:

(...) Die Produkte haben immer einen direkten Bezug zu den einzelnen Programmen und ihren Formaten. Beachtliche Erfolge erzielen wir, wenn Verlage schon in der Entwicklung von Büchern, CDs, CD-ROMs und Hörbüchern zu NDR-Produktionen (...) als Lizenznehmer einbezogen werden. Wir entwerfen mit unseren Kooperationspartnern Mediakonzepte für die Produkte, die im Handel erhältlich sind. (...) Nicht zuletzt die Möglichkeit der On-Air-Promotion im NDR/ARD-Programm bietet den Kooperationspartnern interessante Plattformen für die zielgruppenorientierte Vermarktung des jeweiligen Produktes (...).

Nach unserem fiktiven Streitgespräch mit Hörfunkdirektor Romann über seine neuen NDR-Kultur-Thesen hat die NDR Media GmbH jetzt im Sommer die Seite „Marketing/Kooperationen“ komplett gelöscht. Dort stand:

Eine Zusammenarbeit mit dem NDR kennt keine kreativen Grenzen. Die Kooperationen mit unseren Partnern gehen immer individuelle und oft ausgefallene Wege. Marketingziele und Visionen von Agenturen, Dienstleistern und Produktanbietern sind die Basis für unsere Ideen. Wir zeigen Ihnen, wie Ihre Marketingziele optimal kommuniziert werden können; das fängt mit der Auswahl der passenden Programmumfelder an und hört nicht mit Vorschlägen für gemeinsame Aktionen auf.

Das folgende Zitat verdeutlicht die gleiche Praxis, die wir auch schon bei dem Schleichwerbe-Verdacht zugunsten CinemaxX im Artikel zur Filmbesprechung von „Riding Giants“ formuliert haben:

Uns liegen Sponsoring-Offerten Ihrer Werbefunk Saar für die Jugendwelle Unser Ding vor. Darin werden Sponsoren für „Kino-Promotion“ gesucht - und die „2-minütige Kurzberichterstattung zu neuen Kinofilmen“ wird auch schon angekündigt - alles redaktionell ganz unabhängig, versteht sich. (Interview-Frage von epd-medien an den Intendanten des Saarländischen Rundfunks Fritz Raff, epd-medien, 3. August 2005)

In einer Vorschau der „Saarbrücker Zeitung“ auf die Sitzung der ARD-Intendanten am 12. und 13. September 2005 in Stuttgart schreibt Carsten Rave von der dpa am 9. September 2005 unter anderem:

Der Maßnahmenkatalog könnte aber auch noch weitergehen, denn auch andere Geschäftspraktiken der ARD, die bislang weniger im Fokus der Öffentlichkeit standen, stehen ebenfalls auf dem Prüfstand. Was zum Beispiel ist mit der Kooperation mit so genannten „Dritten“, fragen Insider. (Es folgen mehrere Beispiele.)

Ein erster Beschluss der ARD in die richtige Richtung

Am 13. September 2005 haben die ARD-Intendanten zum Thema „Kooperationen mit Dritten“ beschlossen:

Weitere Maßnahmen zur Trennung von Werbung und Programm:
Die Regeln für die Inanspruchnahme von Produktionshilfen werden konkretisiert und verschärft. Auf Geldleistungen als Produktionskostenzuschüsse wird künftig generell verzichtet. Die verbilligte oder unentgeltliche Entgegennahme von Produktionsmitteln ist bei Wahrung der journalistischen Unabhängigkeit auch weiterhin statthaft. Auf kommerzielle Verwertung bei der Integration von Musik in szenische Produktionen wird verzichtet.

Das ist erst ein kleiner Anfang in dieser Grauzone. Und der Hörfunk ist damit noch lange nicht erreicht. Wir müssen wohl bei diesem Thema am Ball bleiben, damit „aktuelle Kulturberichterstattung“ von NDR Kultur nicht mehr zur Werbung missbraucht und die Komposititionen nicht länger durch die gleichmäßig verteilten Wortbeiträge zerstört werden.

Der Sprecherrat der Initiative Das GANZE Werk
Letzte redaktionelle Änderung: 18. September 2005