Felix Mendelssohn Bartholdy zum 200. Geburtstag
kulturradiorbb, 3. Februar 2009, 7.10 Uhr, Kultur aktuell - Kommentar
„Felix - zu erfolgreich, um gut zu sein?“ (Dr. Christian Detig)
Der Musikchef für die altgestrige Mendelssohn-Rezeption des „Schönen“
Kommentar zu einem „Kommentar“ und Dokumentation
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Von Theodor Clostermann, Reinbek
Vorbemerkung: Noch nie habe ich einen so unübersichtlichen und verwirrenden Kommentar gelesen. Eigentlich ist es auch kein Kommentar, sondern das Radio-Editorial des Musikchefs für den Mendelssohn-Thementag. Wegen dieser Bedeutung werde ich das Konzept von Herrn Dr. Detig herausfiltern, analysieren und bewerten. Ich möchte die Fäden des „Kommentars“ entwirren, damit man die Einstellung des Musikchefs besser verstehen kann und nicht bloß am Ende seine Konsequenz erfährt: Heute wird nur „das Angenehme und Gefällige, das Schöne, Behagliche und das Populäre“ von Mendelssohn gesendet. - Es ist dann ein Gebot der Fairness, dass wir anschließend den „Kommentar“ von Herrn Dr. Detig in seiner Gänze dokumentieren.
Wo hat der Musikchef bloß diese Klischees her?
Zunächst fällt auf, dass Herr Dr. Detig verstreut eine Reihe von angeblichen und ungewöhnlichen Thesen für den „derzeitigen Stand der Mendelssohn-Rezeption“ anführt:
• Nur „Beethoven, Schubert oder Brahms“ seien die Großen.
• „Mendelssohn Bartholdy“ sei „gerade einmal ein kompositorisches Mittelgebirge, glatt und gefällig, behaglich, hübsch, talentiert, aber ohne Tiefe, ohne ergreifende Wirkung.“
• Das, „was ein deutscher Komponist zu sein hat: arm und erfolglos, verkannt und am besten auch taub, besser noch: geisteskrank.“
• „Wo der Erfolg ist, kann die Qualität nicht sein (...) - so ist das in der deutschen Kunst.“ und
• „Felix - zu erfolgreich, um gut zu sein?“
Mein erster Eindruck: Wo lebt er denn, dass solche Vorurteile und Klischees sein Maßstab für den Kommentar sind? Nur ein Reporter für Sensationen oder ein Produzent Goldener CDs kann so denken.
Am Ende stimmt der Musikchef der genannten Kritik zu
Was setzt er dagegen? Mehrere Einzelheiten zur Person Mendelssohns: Er war fleißig („ein kompositorischer Arbeiter“), „überaus gebildet“ und in den „obersten gesellschaftlichen Kreisen“ anerkannt. Damit entkräftet er die angeführten Rezeptionsthesen aber keineswegs. Sein größter Fehler dabei: Er lässt die Kritik, Mendelssohns Musik sei „ohne Tiefe, ohne ergreifende Wirkung“, einfach gelten!
Dann bestärkt er geradezu die genannte Kritik, indem er als positive Musikbeispiele nur Mendelssohns „Klassik-Hits“ nennt (die „Italienische Sinfonie“, d a s „Violinkonzert“, den „Sommernachtstraum“ und den „Hochzeitsmarsch“; Anmerkung am Rande: der „Hochzeitsmarsch“ ist ein Satz des „Sommernachtstraums“...), während er ausdrücklich weniger bekannte Werke („die vielen Orgelsonaten und Motetten“) streichen will. Denn:
„Mendelssohn (ist) doch vor allem eines, nämlich schön. Schön, und ja natürlich ist er auch lieblich, süß und manchmal bloß ins-Ohr-gehend.“
Deshalb sei es nicht der Tag, das Gesamtwerk Mendelssohns umfassend zu würdigen und wirklich den aktuellen Rezeptionsstand der Wissenschaft und der praktizierenden Künstler durch das Kulturradio zu vermitteln. „Tiefe“ und „ergreifende Wirkung“ sind nicht erwünscht. Statt dessen soll es bei den Beispielen bleiben, die es „populär“-bruchstückhaft schon ständig seit Jahren gibt. Aber: Das „Schöne“ soll jetzt „ernst“ behandelt werden (durch die Wortbeiträge?). Wie dürftig von Herrn Dr. Detig.
Hat der Musikchef nur ein Scheingefecht mit sich selbst geführt?
Es bleibt noch die Doppelthese: „Felix - zu erfolgreich, um gut zu sein?“ und „Wo der Erfolg ist, kann die Qualität nicht sein.“ Ihr Sinn liegt darin - als Gegensatz zu dem erfolgreichen „Schönen“ und „Populären“ -, dass „Gut“ und „Qualität“ gleichbedeutend mit „Tiefe“ und „ergreifender Wirkung“ sind. Mit seiner Devise ‚Von Felix nur das Schöne und Populäre‘ bestätigt der Musikchef im Ergebnis auch die Aussage der nur scheinbar in Frage gestellten Doppelthese.
Warum ist der „Kommentar“ so verworren? Mein letzter Eindruck: Die Doppelthese stammt von Herrn Dr. Detig selbst, und er führt eigentlich nur ein Rechtfertigungsgespräch mit sich selbst, weil er auf Qualität zugunsten des Populären verzichten will.
Unsere Kritik geht aber noch weiter:
Das „Problem“ ist Er mit seiner altgestrigen Einstellung
Während der weitgehend vorbildlichen vierstündigen und von Daniel Hope und Friederike Westerhaus moderierten Mendelssohn-Geburtstagssendung von NDR Kultur las eine Hörerin am Telefon ein Zitat aus einem Konzertführer vor. Dazu hat Das GANZE Werk (Nord) dokumentiert (Seite 2 unten):
(Die Hörerin) liest aus einem Konzertführer, veröffentlicht 1985 in Locarno, eine Passage zu Felix Mendelssohn-Bartholdy vor. Seine Musik sei „glatt fließend“ und „formvollendet“, wer aber „in der Kunst auch Wahrheit sucht, wird bei Mendelssohn dagegen meist enttäuscht“, seine Musik sei also „zu sehr nach Maß gearbeitet“. Die Hörerin möchte die Meinung von Daniel Hope dazu erfahren. Daniel Hope ist „sprachlos“, gerade wegen der Veröffentlichung im Jahr 1985, er „widerspricht energisch“. Mendelssohns Musik habe „die Tiefe“, „eine Riesenseele“. Für die geistliche Musik (...) stimme die Kritik erst recht nicht. Daniel Hope: „Es ist Zeit für neue Konzertführer.“ - Friederike Westerhaus: „Das war sehr interessant, dass Sie uns die Quelle vorgelesen haben. Ich danke Ihnen für Ihren Anruf.“
In der Sendung von NDR Kultur wurde auch deutlich, dass die aus dem Konzertführer vorgelesene Einstellung zu Mendelssohn, die ganz mit der von Dr. Detig ausgeführten übereinstimmt, seine Wurzeln in der antijüdischen Kritik Richard Wagners an Mendelssohn hat, die später von den Nationalsozialisten übernommen worden ist. Dazu hat Das GANZE Werk (Nord) nach der vorherigen Passage dokumentiert (Seite 3 oben):
Gespräch (zwischen Daniel Hope und Friederike Westerhaus): Ausführlich zu der Frage, warum Felix Mendelssohn Bartholdy so sehr in Vergessenheit geriet. Pamphlet von Richard Wagner „Das Judentum in der Musik“ (Artikel 1850, Broschüre 1869), Hass gegenüber Mendelssohns Musik, Gebrauch dieser Position durch die Nationalsozialisten (...). - Besondere Verdienste Mendelssohns für die deutsche Kultur.
Bei dieser Querverbindung, nur „Das Schöne“ und „Das Populäre“ zu senden und die tiefgreifende Qualität nicht zu beachten, sind wir auch schon gleich wieder bei Dr. Detigs Goebbels-Zitat vom 30. Mai 2005, das so viel Wirbel bewirkt hat und für das er sich bis heute öffentlich nicht entschuldigt hat:
Achtung Zitat: „Das Programm des Rundfunks muss so gestaltet werden, dass es den verwöhnteren Geschmack noch interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint. Dabei soll besonderer Bedacht auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden, weil die weitaus überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer einen Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirklich Entspannung und Unterhaltung zu finden. Dem gegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht.“ Zitatende.
Und ich behaupte mal, das könnte so ohne große Abstriche jeder ARD-Intendant auch unterschreiben, ich übrigens auch, ich lasse es aber lieber, denn dieses Zitat stammt von - bitte anschnallen! - Joseph Goebbels.
Der Mann ist immer noch für Überraschungen gut und längst wissen wir noch nicht alles. Das Leben von Joseph Goebbels ist jetzt Theater geworden und zwar im Deutschen Theater. [Es folgte die Theater-Rezensiom.]
Das Problem, wie er im „Kommentar“ behauptet, sind nicht „wir“ mit „unserer Kunstbrille“. Das Problem ist Er, der Musikchef Dr. Detig, mit seiner altgestrigen Einstellung zu Felix Mendelssohn Bartholdy.
Verfasst am 17. März 2009
Dokumentation: Kommentar zum Mendelssohn-Thementag
Dr. Christian Detig: „Felix - zu erfolgreich, um gut zu sein?
Ein besonders guter Komponist ist er eigentlich nicht gewesen. Beethoven, Schubert oder Brahms - das sind die großen. Mendelssohn Bartholdy gerade einmal ein kompositorisches Mittelgebirge, glatt und gefällig, behaglich, hübsch, talentiert, aber ohne Tiefe, ohne ergreifende Wirkung. Ein paar Hits sind geblieben, das war's. So der derzeitige Stand der Mendelssohn-Rezeption. Ganz so einfach ist es aber wohl nicht. Um es deutlich zu sagen: Mendelssohn Bartholdy war ein ganz ausgezeichneter Komponist, ein kompositorischer Arbeiter geradezu, zweifelnd, suchend und verwerfend, nicht weniger als andere. Wer weiß schon, dass es von der ach so netten ‚Italienischen Sinfonie‘ zwei Fassungen gibt, davon keine ‚letzter Hand‘. Und bitte: kann ein bloß mittelmäßiger Komponist wirklich so ein Violinkonzert schreiben? Irgendetwas stimmt da nicht.
Die Lösung ist einfach, hat aber nichts mit der Musik zu tun. Mendelssohn Bartholdy nämlich war beliebt und erfolgreich. Und mehr als das: Er war reich und privilegiert, überaus gebildet, sympathisch, gutaussehend, und er hatte nicht nur Zutritt zu den obersten gesellschaftlichen Kreisen, er war deren ganz selbstverständliches Mitglied. Kurzum, er entsprach und entspricht in keiner Weise dem, was ein deutscher Komponist zu sein hat: arm und erfolglos, verkannt und am besten auch taub, besser noch: geisteskrank. Zum Glück ist Mendelssohn mit 38 Jahren gestorben, gerade noch rechtzeitig. Dass er aber bis heute mit Werken wie dem Sommernachtstraum oder dem Hochzeitsmarsch die vordersten Plätze der Klassik-Hitparade besetzt, schlimmer hätte es eigentlich nicht kommen können. Wo der Erfolg ist, kann die Qualität nicht sein. Ohne Leiden an der Welt und schlimme Entsagung geht gar nichts - so ist das in der deutschen Kunst.
Dabei ist Mendelssohn doch vor allem eines, nämlich schön. Schön, und ja natürlich ist er auch lieblich, süß und manchmal bloß ins-Ohr-gehend. Aber wofür bitte schön ist das ein Kriterium? Nach Hegel (und den kannte Mendelssohn gut), nach Hegel wäre das Schöne eigentlich das erste, für die deutsche Tiefenseele aber ist es der Verdächtige Nummer Eins. Nietzsche hat es getroffen, für ihn war Mendelssohn ein schöner Zwischenfall. Stimmt beides - schön und leider bloß ein Zwischenfall.
Bis heute ist das alles nicht anders. Jedes Buch, das sich millionenfach verkauft, ist bloß ein Marketing-Trick; und wenn es dann auch noch schön zu lesen ist - aus und vorbei. Nicht Mendelssohn ist das Problem, wir sind es und unsere Kunstbrille, durch die bloße Schönheit und Erfolg immer ein wenig seltsam ausschauen.
Es ist, denke ich, heute nicht der Tag, die vielen Orgelsonaten und Motetten von Mendelssohn dem Vergessen zu entreißen. Ob Beethoven, Brahms oder eben Mendelssohn - sie alle haben nicht in jeder Notenzeile ewige Werte hinterlassen. Aber vielleicht ist dieser Geburtstag dann doch ein Anlass, auch das Angenehme und Gefällige, das Schöne, Behagliche und das Populäre endlich ernst zu nehmen.“
3. Februar 2009, 7.10 Uhr Kultur aktuell
Transskription: Jürgen Thomas, Berlin
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