Das GANZE Werk - Presseschau

Akademie der Künste Berlin, 19. Februar 2007

9. Akademie-Gespräch: Das Radio und die Kultur

Der Weblog der Akademie der Künste

Von: Den Kulturauftrag ernst nehmen
Bis: K.O.-Schlag für deutsche Kultur in der dritten Runde?

Von Günter Bartsch und Jörn Borch

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Pressestelle der Akademie der Künste Berlin

Inhalt (hier in chronologischer Reihenfolge)
Veranstaltunggsankündigung
Die Teilnehmer des Podiums
Eröffnungsrede von Klaus Staeck
Wendt (Referat): Den Kulturauftrag ernst nehmen
Gerhart-R. Baum: Ein Statement für den öffentlichen Rundfunk
Hagen: So viele Hörer
Lindenmeyer: Keine nostalgische Diskussion führen
Das Abendland wird nicht untergehen
Eine Holschuld des Publikums?
Fehden auf dem Podium
Internet: Radio der Zukunft?
K.O.-Schlag für deutsche Kultur in der dritten Runde?

Die Diskussion bei „Radio Adk“ zum Nachhören: mp3-Datei (Umfang: 58 MB)

9. Akademie-Gespräch am 19. Februar 2007: Das Radio und die Kultur

14. Februar 2007, 2.14 Uhr, von Live-Blogger

Uwe Kammann im Gespräch mit Gerhart-Rudolf Baum, Wolfgang Hagen, Christoph Lindenmeyer und Johannes Wendt, Einführung Klaus Staeck

Montag, 19. Februar 2007, 19 Uhr
Akademie der Künste, Pariser Platz 4, 10117 Berlin-Mitte, Plenarsaal
Eintritt € 6,- / € 4,- / bis 18 Jahre frei

Das Radio wird sich in kürzester Zeit neu erfinden und zugleich wird es bewahren müssen, was hörenswert ist. Die Digitalisierung erlaubt künftig die Nutzung von wesentlich mehr Frequenzen als bisher über analogen UKW-Funk verfügbar waren. Doch wird sie der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch für die nicht sehr große, angeblich nicht sehr junge, aber höchst anspruchsvolle Klientel der Hörer von Kultursendern nutzen? Oder wird das Prinzip „Durchhörbarkeit“ in einem „Tagesbegleitprogramm“ (Vokabeln aus den Strategiepapieren von Programmreformern) auch für Kulturwellen zum Leitbegriff? Dann könnte Rundfunk als Kulturmedium, als Vermittler von gehaltvollem Wort und von Musik jenseits der Geräuschberieselung und der Klassikhäppchen bald nur noch eine sentimentale Erinnerung sein. Öffentlich-rechtliches Kulturradio verdient unsere Unterstützung. Vor dem Start in die digitale Zukunft dazu ein Plädoyer der Akademie der Künste.

Gerhart-Rudolf Baum Bundesinnenminister a. D., Vorsitzender des NRW-Kulturrats, Wolfgang Hagen Leiter der Abteilung Kultur und Musik, Deutschlandradio Kultur, Uwe Kammann Direktor des Adolf-Grimme-Instituts, Christoph Lindenmeyer Koordinator für kulturelle Beziehungen und Projekte, Hörfunk-direktion Bayerischer Rundfunk, Klaus Staeck Präsident der Akademie der Künste, Johannes Wendt Kulturjournalist

Live-Blog zur Veranstaltung am 19. Februar 2007 unter http://blog.adk.de

Kulturradio = Radiokultur?

19. Februar 2007, 19.17 Uhr, von Günter Bartsch

Öffentlich-rechtliches Kulturradio – ein Dinosaurier in Zeiten des Dudelfunks auf den meisten Frequenzen?

Darüber diskutieren:

Eröffnungsrede von Klaus Staeck

19. Februar 2007, 19.50 Uhr, von Jörn Borch

Klaus Staeck erwähnt das Thema des Jahres in der AdK: Der öffentliche Raum. Und da gehört sehr wohl der Öffentliche Rundfunk dazu, wobei die Betonung auf Rundfunk liegt.
„Wir unterschätzen in unserer Telekultur wie sehr wir von dem Mündlichen abhängig sind.”
Ein Rückblick in die Geschichte folgt: Die Instrumentalisierung des Radios als Propaganda in der Nazizeit.

Das Radio soll Geschichten erzählen, folgt aber auch den Gesetzten des Marktes. Das Medium Radio ist ein Mittel der politischen Einmischung. Im Rundfunksstaatsvertrag ist die Aufgabe des Rundfunks in einem weiten Rahmen definiert. Zur öffentlichen Bildung beitragen, aber internationale Themen berücksichtigen. Vor allem soll das Radio über Kultur berichten. Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk muss Kultur als Querschnittsaufgabe wahrnehemen. Aber es gibt viele Veränderungen in der Medienkultur. Vor alle, bei der Nutzung derselben in puncto neuer Telekommunikationsmedien.
Auch stellt sich die Frage der Abkehr von der bisher linear angelgten Programme. Ist das Radio der natürliche Verlierer in einer ausdifferenzierten und technisch fortschreitenden Kulturlandschaft?
Herr Steak stellt auch die Frage, ob der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk seinem öffentlichen Auftrag nachkommt, oder ob eine Anpassung an den Markt statt gefunden hat, auch aufgrund der zu erreichenden Quoten. Letzlich geht es um die Frage, auch unter Berücksichtigung der zu entreichtenden Gebühren, ob die öffentlichen Medien ihrer Aufgaben und den Bildungsauftrag nachkommen.
Jeder hat seine persönlichen Erfahrungen gemacht, es gibt aber auch allgemeine Entwicklungen. Bei den nationalen Programmen ist deutlich zu erkennen, dass die Verfallsthese nicht zutreffend ist.

Auch geht es um Entwicklungen im Medienbereich, wie etwa Podcasts, Blogs oder ähnliches.

Eröffnungsrede von Klaus Staeck im Original

Wendt (Referat): Den Kulturauftrag ernst nehmen

19. Februar 2007, 20.14 Uhr, von Günter Bartsch

Der Kulturjournalist Johannes Wendt plädiert in seinem Statement für eine Rückbesinnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf den gesetzlichen Kultur- und Bildungsauftrag als Voraussetzung für die Zukunft des Radios in der digitalen Ära. Die Öffentlich-Rechtlichen sollten „Programmkonzepte entwickeln, die auch der digitalen Zukunft standhalten“, so Wendt. Dies müsse schnell gelingen, fordere etwa die EU-Kommission eine komplette Radio-Digitalisierung bis 2012.

Wendt berichtet von einer völligen Übereinstimmung mit jemanden, von dem er es nicht erwartet hatte – mit Edmund Stoiber, der den Rundfunk in seiner letzten Berliner Medienrede als Kulturgut gefeiert habe, „das in einer globalisierten Welt nicht genug zu schätzen sei“.

Wendt nennt einige Stichworte, wie die Rückbesinnung auf den Kulturauftrag in der Praxis gelingen könne, so z.B. durch den Erhalt und Ausbau von: Investigativem Journalismus, Sachverstand, Fachredaktionen, Magazinen (auch zu kulturpolitischen Themen – und: tagsüber, zu guten Sendezeiten) – „Warum nicht auch Frühgymnastik? Warum nicht Sprach- und Sprechunterrricht?“ – Sozialreportagen, Medienkritik, Lesungen, Lyrik, Hörspielen und Features.

Wendt weiter:

„In der digitalen Flut, so viel ist sicher, können sich die öffentlich-rechtlichen Sender nur halten und ihre Legitimation nur erhalten, wenn sie sich wieder als die demokratischen Bildunginstitute begreifen, als die sie im Nachkriegsdeutschland (…) konstituiert wurden.“

„Ein erster Schritt in diese Richtung wäre der Abschied von einer zur Programmphilosophie hochstilisierten Verhaltensweise, die – verräterisch genug – ‘Durchhörbarkeit’ als Ziel ausgibt. Die sogenannten Tagesbegleitprogramme fließen in das eine Ohr hinein und aus dem anderen hinaus. Wahllos und beliebig werden mit Computers Hilfe aus dem reichen CD-Schatz der Klassik und Pseudoklassik Klanghäppchen zusammengesucht und mit (…) ‚Wortinjektionen‘ versehen, die kurz und billig und wenig verbindlich sind. (…) Wort und Musik legen sich gegenseitig lahm. Böse Zungen sprechen schon von Geräuschen mit und ohne Noten.“

„Der hoffentlich nicht beabsichtigte Effekt dieser Methode, die das Radio zur Geräuschkulisse erniedrigt, ist eine durchgehende Entpolitisierung.“

„Mir schwebt ein Radioprogramm vor, das den gesetzlich geforderten und keineswegs überholten Bildungsauftrag wieder ernst nimmt.“

Hauptreferat von Johannes Wendt im Original

Gerhart-R. Baum: Ein Statement für den öffentlichen Rundfunk

19. Februar 2007, 20.17 Uhr, von Jörn Borch

Uwe Kammann fragt Herrn Baum, Vorsitzender des NRW-Kulturrats, wie er Radio als Kultur erlebt.

Herr Baum: Es geht nicht nur um das Programm, sondern auch um die Förderung desselben. Dies führt über den Kulturstaatsvertrag hinaus. Jene Programmteile, die unter kommerziellen Gesichtspunkten unberücksichtigt bleiben würden, müssen von den öffentlichen Medien geliefert werden.

Dabei geht es nicht um den Sieg der Hochkultur über die Unterhaltungskultur, sondern um die Sicherung einer qualitativen Vielfalt. Auch wenn die Produktionen der anspruchsvolleren Formate nicht so viele Rezipienten finden. Das betrifft im besonderen Maße die Musik. Es gab in den letzten Jahren unter anderen eine Diskussion im Bundestag über den Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Medien. Dabei wurde konsterniert, dass dieser Auftrag nicht zu Genüge ausgefüllt wird. Dabei ist eine Gefährdung der öffentlichen Medien die finanzielle Ausstattung, das Einsparen öffentlicher Gelder eben.

Wichtig ist die Tatsache, dass „wir ein Pfund haben mit unseren öffentlichen Medien”. Diese sind auch ein Exportschlager. Ferner ist die Gebühr für diese Medien eine Versicherungsgebühr für qualitative Unterhaltung.

Auch geht es um die Vermittlung des Angebotes. Dabei „brauchen wir eine offensive Strategie”. Dies ist bisher noch nicht von allen Beteiligten verstanden worden.

Hagen: So viele Hörer

19. Februar 2007, 20.30 Uhr, von Jörn Borch

Wolfgang Hagen plädiert für die Förderung der Kreativität in den Häusern. Auch ist entscheidend was die Digitalisierung der Medien bringt. Rechtlich haben die Rundfunkanstalten nicht die Erlaubnis Features und Hörspiele online zu stellen, Da die Rechteinahber die Verlage sind, die natürlich ökonomisch ausgerichtet sind. Die Fronten im Bereich der Medien sind also vielfältig.

20 Millionen Bundesbürger hören alle zwei Wochen ein Kulturprogramm, fünf Millionen täglich. Ferner: 80% der Bundesbürger sind Radiohörer. Es geht darum, dass Deutschland eine weltweit einzigartige Medienlandschaft gibt. Die Radioausgaben in Deutschland (öffentlich) sind ungefähr mit dem identisch, was die USA gernerell als Public Service in den Kulturbereich investieren.

Daher muss in Deutschland die Mehrheit für die Öffentlichen Medien erhalten bleiben.

Lindenmeyer: Keine nostalgische Diskussion führen

19. Februar 2007, 20.36 Uhr, von Günter Bartsch  

Christoph Lindenmeyer (BR-Hörfunkdirektion) appelliert dafür, das Publikum nicht zu igonorieren und keine „nostalgische Diskussion“ zu führen. Bestimmte Programme der Vergangenheit – darunter auch solche, wie sie Wendt beschrieben hat – seien bei den Hörern nicht mehr angekommen. Es sei in dieser Situation Aufgabe der Sender, die Programme zu reformieren.
Allerdings zeige der Boom an Hörbuchverlagen (die viele Produktionen der Rundfunkanstalten nutzen): „Die Kultur des Hörens ist überhaupt nicht überholt.“

Lindenmeyer hält fest, dass die Tagesbegleitprogramme – manchen davon stehe auch er skeptisch gegenüber –  sehr erfolgreich sind. Er erinnert an die „radikalen Sparzwänge“ der Rundfunkanstalten in den vergangenen Jahren. „Aber das Kernproblem war doch (…), dass wir festgestellt hatten, dass die hehren Ziele beim Publikum nicht mehr angekommen sind.“ Das Publikum entsprechender Wellen sei in den vergangenen zehn Jahren „kontinuierlich abgeschmolzen und zugleich älter geworden“. Wenn so etwas passiere, könne man sich nicht zurücklehnen, sondern müsse das Programm reformieren.
Für Lindenmeyer sind dies die zentralen Fragen für die Zukunft:

  1. Wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den nächsten zehn Jahren nur noch Kulturvermittler sein (…) oder bleibt er einer der wichtigsten Kulturpartner in der Bundesrepublik, was er mit seinen Klangkörpern, in der Literatur, im Feature, im Hörspiel (…) immer war?
  2. Werden unsere Programme in Zukunft immer stärker an der Mediaanalyse ausgelegt werden (…) oder schaffen sie es, das Radio über die Marktbedienung hinaus (…) die Möglichkeit einer Existenz zu geben, ein Medium der Entdeckung zu sein?
  3. Wie soll das alles bezahlt werden?
  4. Wenn diese digitalen Programme kommen – im Internet oder auch daneben – wird sich der Rundfunk um ein Alleinstellungsmerkmal zu bemühen haben. Er ist nicht Fernsehen mit Ton, wird aber dennoch auf das Visuelle nicht ganz verzichten können.

Das Abendland wird nicht untergehen

19. Februar 2007, 20.43 Uhr, von Jörn Borch  

Herr Hagen hebt hervor, dass unser Mediensytem gut und schlecht zugleich ist. Föderalismus ist eher der schlechten Seite zuzurechnen. Es wäre einfacher einen zentralen Koordinator zu haben.

Herr Baum darauf: Wenn man die Quote zum Maßstab macht, ist das Ende des Kultur- und Bildungsauftrages erreicht. Es gibt die Notwendigkeit nach der Frage der Konsumenten. Er behauptet, dass das Publikum mit Qualität zu erreichen und zu gewinnen ist. Bestimmte Dinge sind nur mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu erreichen. Der Kulturauftrag muss sichtbar bleiben. “Das hat nicht so viel mit Marketing zu tun”.

Herr Lindenmeyer wirft ein, dass ohne Marketing kein Haus überleben würde. Es gilt die Vertriebswege der Zukunft zu finden. Dazu ist die Reduzierung der Inhalte kein probates Mittel.

Heute kann man nicht mehr auf Radiostrukturen aus den füfnziger Jahren aufbauen. Medien verändern sich eben, wie die Südeeutsche Zeitung, zumindest beim Layout. Marketing und Events sind notwendig, um ein jüngeres Klientel an öffentliche Medien zu binden.

Innovatives und avangardistisches Radio hat es immer schwer. Wie viel Geld dafür bereit gestellt werden muss, wird von außen an die Rundfunkanstalten heran getragen. „Man sollte nicht so tun, als ob das Abendprogramm untergeht, wenn einige Sender sich darum bemühen, innovatives Radio zu machen”. (Erregung im Publikum!)

Eine Holschuld des Publikums?

19. Februar 2007, 20.48 Uhr, von Günter Bartsch  

Uwe Kammann nennt arte als Beispiel für einen (TV-)Sender, bei dem die oft schmerzlich vermissten Sendungen auf Knopfdruck erhältlich wären, die Zuschauer aber nicht einschalten. Gibt es eine Holschuld des Publikums?

Christoph Lindenmeyer: „Sie können auf Dauer nicht am Publikum vorbeisenden (…). Nein, wenn das Publikum eines Tages Kulturprogramme nicht mehr hört, (…) dann sind sie nicht mehr vital - und das kann nicht sein.

Wolfgang Hagen sieht hier die Bedeutung der Vermittlung von Medienkompetenz: Es gebe heute viel mehr Sender als noch vor einigen Jahrzehnten. Hier eine Auswahl zu treffen – „das muss man lernen“. Er kritisiert in diesem Zusammenhang auch die deutsche Frequenzpolitik. Sein Sender erreiche bundesweit nicht mehr als 40 Prozent – Grund: „Die Länder kommen ihren staatsvertraglichen Verpflichtungen einfach nicht nach.“

Fehden auf dem Podium

19. Februar 2007, 21.03 Uhr, von Jörn Borch  

Herr Lindenmeyers Statement zu Tagesbegleitprogrammen: Diese sind notwendig, da das Publikum diese will. Man kann nicht auf Dauer ein Programm gegen seine Hörer machen.

Herr Baum wirft ein, dass dadurch das anspruchsvolle Programm verdrängt wird, und somit keine Hörer mehr für anspruchsvolle Formate gewonnen werden.

Herr Staeck hebt hervor, dass es auch eine Bringschuld der der Hörer gibt. In Schulen melden sich auf die Frage wer alles Zeitung liest, gerade einmal fünf von achtzig. Beim Hörfunk sind es etwas mehr. Also geht es um die Schärfung des Gefahrensbewußtseins.
Schließlich stellt sich die Frage, wie man Qualität erhält und trotzdem das neue jüngere Publikum für sich erschließt. „Daher bedarf es einer Front, um dieses Kuturgut mit allen Möglichkeiten zu verteidigen”.

Internet: Radio der Zukunft?

19. Februar 2007, 21.10 Uhr, von Günter Bartsch  

Uwe Kammann spricht die Chancen an, die eine Verbreitung von Sendungen über das Internet mit sich bringen könnte - zu jeder Zeit könne der Hörer dann die Sendungen abrufen und hören - individuell ausgewählt, an nahezu jedem Ort. Verliert der Rundfunk damit andererseits seine Integrationsfähigkeit?

Klaus Staeck sieht darin eine Gefahr: „Das wäre ein Verlust an gemeinsamen Versuchen des Nachdenkens.“ Die Gemeinschaft individualisiere sich ohnehin auf eine negative Art und Weise. Derzeit böten oft die falschen Gruppen Gemeinschaft an.

Wolfgang Hagen stellt fest, dass die Diversifizierung der Programme durch die Übertragungswege nicht aufzuhalten ist. Er glaubt allerdings nicht, dass damit eine klare Tendenz zur schlechten Individualisierung verbunden ist. Es gebe vielmehr einen neuen Gemeinschaftsbildungsprozess. An kleine Medien, etwa Fernsehserien, binden sich laut Hagen enge Gruppen. Auch Kulturprogramme könnten solche Prozesse für sich nutzbar machen.

Christoph Lindenmeyer sieht in der Abkehr vom komponierten Programm und dem individuellen Abruf von Programmen („Das wird kommen, ob wir wollen oder nicht.“) auch die Chance einer neuen Interaktionsfähigkeit.

K.O.-Schlag für deutsche Kultur in der dritten Runde?

19. Februar 2007, 21.34 Uhr, von Jörn Borch  

Christoph Lindenmeyer zur Abkehr der Linearität beim Rundfunk: Es ist schwierig zu prognostizieren, wie schnell der technische Fortschritt in die deutschen Haushalte dringt. Langfristig muss die Leistung der Rundfunkanstalten bei den Hörern mehr gewürdigt werden.

Einige Beiträge aus dem Publikum

Helmut Leuter, ehem. Kommunalpolitiker (Neukölln) bestreitet, dass „Radio Multikulti“ in Berlin der Gesellschaft einen Vorteil gebracht hat. Der Sender sei schädlich für jene, die Sprachen lernen wollten, während sie ihre eigene nicht richtig sprechen könnten. „Multikulti hat dazu beigetragen, das Niveau in Berlin zu senken.“

Klaus-Henning Bachmann, ehemaliger Rundfunkmacher: „Es gibt auch eine Qualität des Publikums, eine Qualität des Zuhörens und des Zuhörenlernens.” Es gelte außerdem, das Widerstandspotential von Kultur und Ästhetik, das in vielen Sendungen liege,hochzuhalten und zu fördern, „wenn wir an den Rundfunk, an das Wort und die Musik, weiter glauben wollen“.

Hans-Helmut Prinzler (Foto links), von der AdK entsandtes Mitglied im RBB-Rundfunkrat, zur Einschaltquote: Diese sei eine interessante Information, aber keine Richtschnur für eine Kritik am Kulturradio. Die Zahlen seien indes ermutigend: Sie seien in den letzten zwei Untersuchungen nicht zurückgegangen. Der rbb werde zwar nicht zur Radiokultur des SFB zurückkehren. Es gebe aber große Anstrengungen in diesem Sender, ein Programm in guter Qualität zu machen. Angesichts der knappen finanziellen Ausstattung sei dies jedoch eine Gratwanderung.

Theodor Clostermann, Initiative Das GANZE Werk, kritisiert die „Tagesbegleitprogramme“ der Sender, aber auch die Kulturwellen von Sendern wie dem NDR. Nach Untersuchungen der Initiative gibt es ein bundesweites Gefälle in der Qualität der Programme. Clostermann schlägt vor, mindestens vier Stunden am Stück entweder Musik- oder Wortsendungen zu bringen – statt eines „ständigen Hin und Hers“.

Helmut Hartung sorgt sich weniger um die Kulturwellen als um das Gesamtprogramm der Öffentlich-Rechtlichen: Kultur im Radio müsse sich auch in den vielgehörten Programmen wiederspiegeln. Dafür gebe es durchaus positive Ansätze wie etwa Radio Eins vom rbb. Dies sei ein anspruchsvolles Programm mit 60 Prozent Wortanteil – „und der Absicht, jungen Menschen Kultur näher zu bringen“. Hartung verweist auch auf die neuen digitalen Techniken, mit der einer Hörerschaft mit besonderem Interesse an Kultur begegnet werden könne: Schon jetzt sei es möglich, große Teile des Programms im Internet herunterzuladen.

Hildegard Bussmann (Foto), ehem. Programmchefin von SWR2: Die Hörer von Kulturprogrammen würden häufig älter dargestellt, als sie eigentlich seien: Das Durchschnittsalter schwanke zwischen 56 und 62 und entwickele sich nicht nach oben - dies zeige, dass Nachwuchshörer zu den Kulturradios finden. In einer älter werden Gesellschaft ergebe sich daraus eine große Gruppe, die Kultuprogramme jetzt und zukünftig hören werde.

Lesen Sie außerden:

Dreizehn Thesen zur Renaissance der politischen Kultur
„Aus Weghörern müssen wieder Zuhörer werden. Nur so kann sich ein Kulturradio auch als Fels in der Brandung neuer digitaler Massenangebote behaupten“
Von Johannes Wendt, Berlin, 19. Februar 2007

Ausführliche Darstellung des Tagungsverlaufs
9. Akademie-Gespräch: Das Radio und die Kultur
Der Weblog der Akademie der Künste, beim GANZEN Werk chronologisch dokumentiert

Von: Den Kulturauftrag ernst nehmen
Bis: K.O.-Schlag für deutsche Kultur in der dritten Runde?
Akademie der Künste Berlin, 19. Februar 2007

Das Radio und die Kultur - Wider die audio-finger-food
Hauptreferat zum 9. Akademie-Gespräch
Von Johannes Wendt, Berlin, 19. Februar 2007

Klaus Staeck: Einführende Worte zum 9. Akademiegespräch
„Öffentlich-rechtlicher Rundfunk hat Kultur als Querschnittsaufgabe wahrzunehmen. Das gesamte Medium muss als Kulturinstrument verstanden werden.“
Akademie der Künste Berlin, Pressemitteilung, 28. Februar 2007

Suche im Dschungel
Das Radio und die Kultur - eine Berliner Akademietagung
Frankfurter Rundschau, 21. Februar 2007

Kultur, gut
Puristen vs Podcaster: Deutschlands anspruchsvolle Radio-Macher
streiten über die mediale Zukunft, Der Tagesspiegel, 21. Februar 2007

Veranstaltungsankündigung
9. Akademie-Gespräch: Das Radio und die Kultur
Akademie der Künste Berlin, 14. Februar 2007