Das GANZE Werk - „Bayern 4 Klassik“ und „Junge Welle“
SZ-Interview und Abschlusskommentar der Redaktion Das GANZE Werk:
Ein wirkungsvoller Hörer-Akt
35.813 Unterschriften und ein beachtenswerter Prominentenaufruf
Süddeutsche Zeitung, 1. Dezember 2006 (Ausschnitt)
Interview mit BR-Intendant Prof. Thomas Gruber, veröffentlicht nach der Sitzung des Hörfunkausschusses am 30. November 2006
„Am Puls der Zeit“: „Wir machen jetzt auf digitalem Weg
jungen Menschen ein ... multimediales Angebot“
„Die Junge Welle wird auch Platz im Fernsehen nutzen“
SZ: Junge Leute nutzen die ARD kaum, surfen aber gerne im Internet. Kann der Bayerische Rundfunk, der den Aufbau eines eigenen Jugendradios auf UKW verpasst hat, online und digital mit einer neuen jungen Welle aufholen?
Gruber: Wir haben vor 15 Jahren eben mit B5 aktuell ein innovatives, erfolgreiches Wortprogramm gemacht. Weitere UKW-Frequenzen stehen nicht mehr zur Verfügung.
„Ein ARD-Vorsitzender darf – Geduld üben“
SZ: Ihre Hörer sind alarmiert: Erst gab es Unterschriften gegen eine Verschiebung von Bayern 4 Klassik ins Digitalradio – nun gibt es eine Aktion, die für den BR die Junge Welle auf UKW fordert.
Gruber: Das bringt nichts. Was zählt, sind Argumente, und nicht die Zahl von Unterschriften. Wir müssen selbst entscheiden und können eine solche wichtige Sache nicht zum Gegenstand eines plebiszitären Akts machen. Nein, wir machen jetzt auf digitalem Weg jungen Menschen ein neues Angebot. So sind wir besser am Puls der Zeit. Das ist nicht nur eine „junge Welle“ – sondern ein multimediales Angebot, das auch Sendeplätze im Fernsehen nutzen wird. Online bieten wir zum Beispiel bei Konzerten Live-Bilder von der Backstage an.
SZ: Also ein bisschen digitale Euphorie in der guten alten Rundfunkanstalt.
Gruber: Alles wird digital. Ich selbst höre nun über DAB im Auto Bayern 4 Klassik und denke jedes Mal, ich säße im Konzertsaal. Viele Phänomene sind neu. Vor zwei Jahren noch kannte ich das Wort „Forecast“, nicht aber „Podcast“. So schnell geht es.
(...)
Interview: Hans-Jürgen Jakobs, Claudia Tieschky
Abschlusskommentar der Redaktion Das GANZE Werk
Ein wirkungsvoller Hörer-Akt
35.813 Unterschriften und ein beachtenswerter Prominentenaufruf
„Intendant Thomas Gruber hatte schon vorab erklärt, Jugendangebot und Bayern 4 Klassik nicht zum ‚Gegenstand eines plebiszitären Akts‘ zu machen.“ (Süddeutsche Zeitung, 9. Dezember 2006)
Herr Gruber hatte aber selbst den Plan einer Jugendwelle auf UKW auf Kosten von Bayern 4 Klassik ins Spiel gebracht, und zwar am 26. Januar 2006 im Rheinischen Merkur:
Es ist aber vorstellbar, dass wir Bayern 4 Klassik eines Tages nicht mehr über UKW verbreiten, sondern digital und flächendeckend in viel besserer Klangqualität als heute üblich. Ich finde es nicht verwerflich, sich vorzustellen, einem attraktiven, jungen Programm die UKW-Frequenz zu geben und ein sehr viel kleineres, anspruchsvolles Klassik-Publikum, das jetzt schon in erheblicher Zahl auf das Kabel zurückgreift, auf digitalem Weg zu bedienen.
Der Bayerische Musikrat war also sehr gut beraten, nach der alarmierenden Rundfunkratssitzung im Oktober die großangelegte Unterschriftensammlung durchzuführen, denn der Original-Gruber-Plan hielt sich im Bayerischen Rundfunk bis zuletzt:
Die Entwickler um Rainer Tief, den Wellenchef von BR 3, und Ulrike Ebenbeck, die Zündfunk-Chefin, hatten offenbar zum Digitalradio stets die parallele UKW-Verbreitung als Planungsgrundlage.
Jetzt muss also tatsächlich neu bzw. anders geplant werden, ohne UKW:
Demnach soll im Herbst 2007 ein multimediales BR-Jugendangebot starten. (siehe oben)
Den Aufruf des Bayerischen Musikrats haben 35.813 Hörer unterschrieben, ein großer Erfolg. Ein Votum vieler Hörer hat den tief-gehenden Plan abgewehrt, der noch nicht einmal mit dem Kulturauftrag abgestimmt war. Und: trotz des Vorbehalts von Intendant Gruber gegenüber einem „plebiszitären Akt“ - das Votum der Hörer war ausschlaggebend: je erfolgreicher die Unterschriftenaktion und die Prominentenunterstützung verliefen, desto verbindlicher wurden die Zusicherungen für den Erhalt von Bayern 4 Klassik auf UKW:
1.: Wenn der Rundfunkrat eine Mehrheits-Empfehlung für (eine Junge Welle auf) UKW gibt, bin ich mir sicher, dass wir es machen.
(BR-Hörfunkdirektor Johannes Grotzky am 23. Oktober 2006)
2.: Von Seiten der Geschäftsführung des Bayerischen Rundfunks steht die Ausstrahlung von Bayern 4 Klassik auf UKW nicht zur Disposition.
(BR-Hörfunkdirektor Johannes Grotzky am 16. November 2006)
3.: Am Ende gab es ein alternativloses Konzept (für ein Jugendradio) von Hörfunkchef Johannes Grotzky – und einen Finanzposten von vier Millionen Euro dazu allein im Hörfunketat (am 7. Dezember 2006, siehe Süddeutsche Zeitung, 9. Dezember 2006).
Eine wichtige Lektion der Auseinandersetzung: Die Hörer sind nicht nur als Nutzer und als Gebührenzahler wichtig, sondern gewinnen auch dadurch an Einfluss, dass sie sich gemeinsam für ein schützenswertes Kulturgut stark machen.
Nachdem Das GANZE Werk dringend um Unterstützung gebeten worden ist, haben wir es im Rahmen unserer Möglichkeiten publizistisch getan, hätte uns doch - in unserer Kampagne zur Wiederherstellung der Radiokultur auf NDR Kultur - ein Ende von Bayern 4 Klassik auf UKW sehr geschadet, während uns jetzt der Erfolg zur Rettung von Bayern 4 Klassik auf UKW sehr nützt.
Vor einigen Tagen schrieb uns der Präsident des Bayerischen Musikrats, Wilfried Hiller:
Vielen Dank für Ihre Mühe um die deutsche Kultur.
Verfasst am 10. Dezember 2006
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