Das GANZE Werk - Kommentar
Das GANZE Werk, 14. Mai 2006
Durfte Beckmann seine Vertragsverpflichtungen gegenüber dem NDR vergessen, weil er Kommentator des Endspiels der Fußball-WM ist?
Der Fall Beckmann/WWK/NDR ist noch nicht beendet
Der NDR verstrickt sich im Dickicht werbender Botschaften -
Einsichten nach Kenntnis aufschlussreicher Texte
Kommentar von Theodor Clostermann
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Werbebotschaften gestalten Programme, das Beispiel NDR Kultur
Tagsüber hat NDR Kultur kein Programm. Es hat ein Sendegerüst, das in regelmäßigen Abständen aufgestellt wird mit Kulturmeldungen, werbenden Beiträgen für Kulturpartner-Veranstaltungen, Bücher, Hörbücher, CDs und DVDs, mit Eigenwerbung für NDR-Kultur-Sendungen, NDR-Konzerte usw. und schließlich mit Vorankündigungen für all diese Sende-Ereignisse. Das Verbindende ist nur noch der Sender NDR Kultur selbst und die Stimme einer Moderatorin oder eines Moderators. Die freie Zeit zwischen den tragenden Teilen des Gerüsts wird überbrückt mit einzelnen Klassik-Sätzen, die entweder die Sende-Ereignisse musikalisch kollorieren oder in ihrer beliebigen, von der Computer-Musikuhr ausgesuchten Zusammenstellung als bloße Musiktapete dienen.
Das Programm von NDR Kultur bildet sich erst nach und nach mit der Aktualität des Anzupreisenden heraus. Das Motto der Planung und damit auch des Programms: Die Werbung bestimmt den Inhalt. Eine juristische Überprüfung dieser Praxis am Programmauftrag, am Rundfunkstaatsvertrag und an den ARD-Werberichtlinien steht noch aus.
Beckmanns Werbecoup...
Es sieht so aus, als ob Reinhold Beckmann vor dem 1. März 2006 für einen Teil seiner Sendung am 20. März 2006 auch noch kein Programm hatte. Dann bildete es sich schnell heraus: Werbevertrag mit der WWK zu ihrem Produkt „private Altersvorsorge“ am 1. März 2006, Festlegung des Themas „private Altersvorsorge“ für die Sendung drei Wochen später, Einladung des vorherigen WWK-Testimonials Nina Ruge zu einem anderen, gerade aktuellen Thema.
Schlau eingefädelt. Motto der Planung, Motto des Interviews: Die Werbung bestimmt den Inhalt. Beleg: die Reihenfolge der Einladungen - Norbert Blüm wurde erst spät gefragt.
Markus Peichl, Redaktionsleiter von „Beckmann“, versichert, Ruge sei Wochen zuvor zur Sendung eingeladen gewesen. Blüm wiederum sei aus aktuellem Anlass erst kurzfristig angefragt worden. (Der Tagesspiegel, 28. April 2006)
Diese Planung wäre durchgefallen, hätte Beckmann dem NDR seinen neuen WWK-Werbevertrag mitgeteilt. Dazu war er aber verpflichtet:
Reinhold Beckmann (...) hat vertragsweise zugesichert, die ARD über seine Werbeauftritte vorab zu informieren. (Süddeutsche Zeitung, 4. Mai 2006)
Riskant eingefädelt. „Reiner Zufall, aber, ich gestehe: dumm gelaufen“, sagt Beckmann nachträglich (ebenda). Kann man es ihm glauben? „Reiner Zufall“ bei dieser perfekten Planung? „Dumm gelaufen“, dass er nicht informiert hat?
... wurde dank der Aufmerksamkeit von Mitbürgern zum Bumerang
„Dumm gelaufen“ ist doch nur, dass es Menschen gibt, die den verheimlichten WWK-Werbevertrag aufdeckten. Durch Internet-Recherchen hat der Autor Jürgen Amrhein nicht nur einen kritischen Kommentar vom 21. März 2006 aufgespürt (Stichwort: Arroganz), sondern auch die Informationen zum WWK-Werbevertrag Beckmanns herausgefunden und am 11. April 2006 auf den NachDenkSeiten verbreitet:
Was Blüm nicht wusste, was ich nicht wusste, und was vermutlich auch Sie noch nicht wissen - sonst hätten die Nachdenkseiten sicherlich schon berichtet: Reinhold Beckmann wirbt für einen privaten Rentenversicherer, für die WWK Premium FondsRente.
Der NDR hat seinen Bumerang schon in Position gebracht
Auch der NDR wandelt nicht auf korrektem Pfade. Beckmann hat
Reinhold Beckmann kommentiert das Endspiel der Fußball-WM am 9. Juli 2006 |
2. zusätzlich das Gebot der Trennung redaktioneller und werblicher Inhalte verletzt.
Zu 1. Um keinen neuen Wirbel zu produzieren, um der Quote im Kampf Beckmann (ARD) gegen Kerner (ZDF) nicht zu schaden, ja, um den Kommentator des WM-Endspiels am 9. Juli 2006 als Strahlemann zu erhalten, wird die Vergangenheit klammheimlich vergessen. Es war halt ein Kavaliersdelikt eines Freundes, den der Sender noch braucht. Aber in der Zukunft! Da wird alles ganz genau beachtet. Welche Heuchelei.
Zu 2. Auch der Blick des NDR in die Vergangenheit, soweit er sich dazu äußert, ist unglaubwürdig.
Die Sendung war an sich nicht zu beanstanden. Sie ist journalistisch fair und sauber gemacht gewesen. Norbert Blüm konnte seine Position zur gesetzlichen Rentenversicherung ausführlich darlegen.
Das hat uns Volker Herres, NDR Programmdirektor Fernsehen, in der Sendung „Zapp“ des NDR Fernsehens erzählt.
Irreführung des Interviewten, Irreführung der Zuschauer
Will Herres sich mit fremden Federn schmücken? Dass Norbert Blüm sich wacker schlug, obwohl er nichts von Beckmanns WWK-Werbevertrag wusste, ist kein Verdienst für Reinhold Beckmann und kein Beweis für fairen Journalismus, sondern das Ergebnis von Blüms Stärke. Blüm vermutete übrigens als Gegenpart seines Auftritts die Bild-Zeitung und die Allianz-Versicherung: „Allianz ist der Gewinner der Bild-Kampagne.“ Hätte er von den Werbeverträgen Ruges und Beckmanns gewusst, hätte er ganz anders argumentiert.
Die Sendung „Zapp“ brachte schon Beispiele für das parteiliche Auftreten von Ruge und Beckmann, die wir auf einer Extra-Seite zusammengestellt haben.
Inhaltliche Parteilichkeit
Der Vorstandsvorsitzende der WWK, Dr. Reinhard Fuchs, sagte auf der Bilanzpressekonferenz 2006 am 9. März 2006 zu Beckmanns Aufgabe (Seite 12):
Jedes Thema hat eine große Tragweite für das Leben der Menschen, und es ist versicherungsrelevant, indem es eine Entscheidung über die Absicherung einer bestimmten Lebenssituation fordert.
Beckmann hat während des Blüm-Interviews mehrfach so parteilich Stellung genommen, wie es seinem Werbevertrag alle Ehre macht (Zitate nach dem von uns aufbereiteten Transskript):
Beckmann: Und aufgrund der demographischen Entwicklung (...) ist es ja beschrieben, dass die Rente (...) nicht mehr finanzierbar ist, weil durch die Überalterung der Gesellschaft oben ganz, ganz Viele sind und unten ganz, ganz Wenige, die das finanzieren können. Glauben Sie noch weiter, dass das finanzierbar ist? (Z. 117 - 122)
Beckmann: Lohnnebenkosten schießen wieder nach oben, macht die Arbeit in Deutschland unattraktiv wie sonstwas... (Z. 116 - 122)
Das ist nicht sachlich, nicht journalistisch, sondern absolut übertrieben, polemisch.
Parteilichkeit in der Diskussionsführung
Oft genug wurde Blüm von Ruge oder Beckmann bei entscheidenden inhaltlichen Aussagen unterbrochen. So wurde die Diskussion um die Bundeszuschüsse verfälscht und abgewürgt (Z. 129 - 139):
Ruge: Glauben Sie tatsächlich, dass das finanzierbar ist, das System jetzt?
Blüm: Ja. Ja...
Ruge: Wie viel Milliarden hat der Bund jetzt schon letztes Jahr dazu geschossen?
Beckmann: Zugebuttert laufend in den letzten Jahren. Jetzt verhält sich der Beitrag von 19,4 auf 19,9... [= falsche Zahlen an dieser Stelle, es geht nicht um den Beitragssatz der Versicherten, tc]
Blüm: Das will ich auch Ihnen erklären. Dieser Bundeszuschuss ist Abgeltung der versicherungsfremden Leistungen. Die Rentenversicherung zahlt nämlich Leistung, die gar nicht ihr Aufgabengebiet ist. Insofern entgeltet der Bund...
Ruge: [unterbricht] Fein, aber die Milliarde ist gezahlt worden. Und das wird jedes Jahr mehr. [es folgt ein neuer Schwerpunkt]
Parteilichkeit in der Zusammenstellung des Sendebeitrags
Und wie kommt es, dass zu dem so abgewürgten Schwerpunkt Bundeszuschuss eine konkrete und enthüllende Information von Norbert Blüm zum Zusammenspiel der Lebensversicherungen mit Politikern zwar auf der Internetseite veröffentlicht wurde:
Die private Vorsorge wird ja nicht vom lieben Gott bezahlt - das kostet ja beides Geld. Vor ein paar Jahren waren zehn Lebensversicherungen in Gefahr, zahlungsunfähig zu werden. Da ist der Bund mit Steuergeldern eingesprungen. Da redet kein Mensch drüber.
aus der gesendeten Fassung aber herausgeschnitten wurde?
Aber was man dann privat ersatzweise bezahlen soll, wird doch nicht vom lieben Gott bezahlt. Und das ist teurer als die Rentenversicherung. Denn fünfundzwanzig Prozent... (Z. 158 - 160)
Fazit
„Werbung und Teleshopping dürfen nicht irreführen“, „Werbung und Teleshopping müssen als solche klar erkennbar sein“, so steht es in § 7 des Rundfunkstaatsvertrags.
Nein, Herr Herres, das Blüm-Interview von Reinhold Beckmann war nicht „journalistisch fair und sauber gemacht“. Vielleicht will der NDR es nicht zugeben, vielleicht will er gegenüber Reinhold Beckmann gar nicht konsequent vorgehen, weil viele seiner eigenen Sendungen parallel, nach einem ähnlichen Schema der werbenden Botschaften verlaufen.
Auf NDR Kultur reicht es uns schon lange.
abgeschlossen am 14. März 2006