Das GANZE Werk - Presseschau, Nachbetrachtung
Fehlbetrag in Millionenhöhe beim NDR
ZU VIEL WERBUNG FÜR NDR KULTUR?
Werbung, die nicht glaubwürdig ist, ist erst recht Verschwendung
Von Herbert Jühlke und Theodor Clostermann
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Eine Zeitungs- bzw. NDR-Meldung der letzten Tage hat uns sehr nachdenklich gestimmt. In der „Hamburger Morgenpost“ vom 7. Oktober 2005 heißt es in dem Artikel „Neue Klage - ARD will Anpassung an Teuerungsrate“:
Der NDR hatte im 2004 rund 3,7 Millionen Euro weniger Rundfunkgebühren eingenommen als geplant und das Jahr mit 9,8 Millionen Euro Verlust abgeschlossen.
oder kaufmännisch korrekter steht in „NDR Presse aktuell“ am 16. September 2005 in der Meldung „NDR Rundfunkrat genehmigt Jahresabrechnung 2004“:
Bei Gesamterträgen von 984,7 Millionen Euro und Gesamtaufwendungen von 994,5 Millionen Euro erzielte der NDR im letzten Jahr der Gebührenperiode 2001 bis 2004 einen Fehlbetrag von 9,8 Millionen Euro. (...) Dem Sender flossen im Jahr 2004 rund 3,7 Millionen Euro weniger Rundfunkgebühren zu als geplant.
Herr Intendant, was halten Sie von unserem bescheidenen Vorschlag, den „Fehlbetrag“ zu verrringern?
Das Ergebnis können wir natürlich insgesamt nicht bewerten. Wenn wir Ihnen helfen können, sehr geehrter Herr Intendant, die anscheinend ausufernden Kosten Ihrer Rundfunkanstalt besser in den Griff zu bekommen, dann machen wir es ganz bescheiden aus unserem kleinen NDR-Kultur-Erfahrungshorizont.
Es geht also um das Jahr 2004 und einen Vergleich mit 2003. Das ist das erste Jahr mit dem NDR-Kultur-Vollprogramm unter Wellenchefin Barbara Mirow. Systematisch ist die Sendefläche von 6 bis 19 Uhr dem neuen Sendeschema geopfert, unterworfen worden. Inzwischen sattsam bekannt: Kompositions-Zerstückelung mit einem Gerede nach durchschnittlich 5 Minuten, das aus verschiedenen Gründen zumeist nervt.
Trotz der vielen Worte: Bekannte Stimmen von kompetenten Moderatoren hörten wir plötzlich nicht mehr, viel Geld hat der NDR da eingespart. Und doch ein so hoher Fehlbetrag 2004?
Dann gab es da plötzlich so viele Kritiker und sogar noch organisierten Widerstand. Die Initiative Das GANZE Werk war kein Stohfeuer. Zu dumm. NDR Kultur hätte leicht das Programm mit den vorhandenen Ressourcen verbessern können. Das hätte nicht mehr Geld erfordert (höchstens vielleicht die zeitweise Wiederbeschäftigung von eingesparten Moderatoren...).
Der NDR hat lieber Geld verpulvert. Wir vermuten: viel Geld.
Anzeigen und Plakate: „Ich höre NDR Kultur“
Rechtzeitig zu unserer Veranstaltung am 8. September 2004 in Hannover tauchten Anzeigen in niedersächsischen Zeitungen und auf öffentlichen Werbeflächen auf, zuallererst: das Plakat mit dem Bild der Badenden.
Doch damit nicht genug. Zeitversetzt, so wie es auch in diesem Jahr mit der Prominentenkampagne im Frühjahr der Fall war, wurde die Stadt Hamburg damit regelrecht bepflastert, natürlich nur in der Senkrechten. Beim Fahren von U-Bahn-Station zu U-Bahn-Station, von S-Bahnhof zu S-Bahnhof oder von Ampelrot zu Ampelrot begegneten einem unentwegt NDR-Kultur-Plakate. Das Plakatmotiv in der Stadt. Es waren vier Bilder, die Bilder, die seit Beginn des Jahres 2005 in einem Flyer des umbenannten NDR Kultur Clubs abgedruckt sind.
Herr Intendant, das war doch herrlich. Fühlten Sie sich gut, als Sie so viele NDR-Kultur-Plakate um sich herum in Hamburg sahen? In einem solchen Moment vergisst man sicherlich schnell die Kasse.
Werbeinstallation - größer als die Wohnfläche
eines Einfamilienhauses
Lässt sich das noch steigern? Klar, wenn man nicht so genau auf den Groschen achten muss. Am Museum für Kunst und Gewerbe tauchte eine Riesenwerbeinstallation mit dem Bild der Badenden auf.
Wie intelligent, wie überzeugend. Stellen Sie sich vor, lieber Leser, Sie müssten eine solche Aktion als einmaligen Werbegag bezahlen, um mal in die Zeitung zu kommen oder so. Aber der NDR hat's ja. Oder nicht, Herr Intendant, hat der „Fehlbetrag“ damit zu tun?
Als sich das Motiv nun langsam am Hauptbahnhof abnutzte, ließ der NDR es nicht einpacken, nein, er ließ es, so berichteten Hörer, einfach nur zu den Landungsbrücken verlegen.
Anzeigenserie im „Hamburger Abendblatt“
Ein solches Plakat könnte man vielleicht noch als tollkühnen Ausrutscher erklären. Es war aber nicht alles.
Kulturinteressierte Leser des „Hamburger Abendblatts“ wurden - wie von einem „Begleitmedium“ inspiriert - mit regelmäßig erscheinenden Anzeigen zu Sendungen von NDR Kultur versorgt. Wie niedlich. Da erfuhr der „Neue Kulturinteressierte“ beim Lesen der Zeitung in der Früstückspause um 9 oder 10 Uhr zum Beispiel, dass es in der Sendung „Klassisch in den Tag“ irgendwann zwischen 6 und 8.30 Uhr einen 3-Minuten-Bericht zur „Ehrung von Siegfried Lenz“ oder zur „Eröffnung der Mailänder Skala“ gab, den er jetzt leider, leider verpasst hatte.
Jede Anzeige war 5 Zentimeter mal 5 Zentimeter groß. 25 Quadratzentimeter Image-Werbung für NDR Kultur, an 41 Tagen von Mitte September bis Silvester mit einer Unterbrechung von einem Monat zwischendurch.
Haben Sie, lieber Leser, schon einmal eine Zwei-Farben-Anzeige in dieser Größe beim „Hamburger Abendblatt“ aufgegeben? Vielleicht für eine Veranstaltung, vielleicht zu einem Protest? Die Initiative Das GANZE Werk hat so etwas noch nicht gemacht, wir müssten dafür zu einer großen Spendenaktion aufrufen. Aber der NDR bekommt ja Gebührengelder. Und darf sich auch noch einen „Fehlbetrag“ leisten. Haben Sie, Herr Intendant, diese Anzeigenserie gesehen? Das war doch toll, immer wieder im „Hamburger Abendblatt“ dieser besondere NDR-Kultur-rote Farbtupfer in dem Kulturteil. Haben Sie die Serie vielleicht auch genehmigen müssen?
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Soweit die Beispiele, die uns Hörer gemeldet haben, die uns selbst aufgefallen sind - die Dokumentation der 41 Anzeigen legen wir hier heute der Öffentlichkeit zum ersten Mal geschlossen vor. Was war noch? Könnten wir doch nur mal in die Unterlagen des NDR oder des Rechnungshofes hineinblicken. Uns würden die Augen wahrscheinlich weiter aufgehen.
Und was hat das Ganze gebracht?
Gar nichts. Außer den extern vergebenen Aufträgen.
Nehmen wir das Bundesland Freie und Hansestadt Hamburg. Laut MA 2004 II, also vor Beginn der Werbeaktivitäten, wurden 28.000 Hörer gestern (Mo-Fr) mit einem Anteil von 2,2 Prozent gemeldet, nach der aktuellen MA 2005 II - ein Jahr später - sind es 27.000 Hörer gestern (Mo-Fr) mit einem Anteil von 2,1 Prozent. Die HAM, die die Hamburger Zahlen veröffentlicht, schreibt zu der aktuellen MA:
Für die ma 2005/II wurden in Hamburg in zwei Wellen vom 5. September bis zum 19. Dezember 2004 und vom 9. Januar bis zum 24. April 2005 insgesamt 2.115 Personen ab 14 Jahre befragt.
Warum hat der Werberummel nichts gebracht?
Warum wurde das Geld verpulvert? Weil eine Werbung nur nachhaltig erfolgreich ist, wenn sie glaubwürdig ist.
Schauen Sie sich alle Werbeseiten an. Verglichen mit dem umstrittenen Hauptprogramm von 6 bis 19 Uhr werben die 41 Anzeigen entweder
· umfangreich für Ausnahmesendungen am Abend ab 20 Uhr,
· für die Ausnahmesendung „Am Morgen vorgelesen“,
· für die besondere Sendung „Klassik à la Carte“ oder
· für einige 3-Minuten-Kulturinformationsschnipsel bei „Klassisch in den Tag“.
Keine Anzeige handelt von der Musik zwischen 6 und 19 Uhr. Es wird also nur für die Vermittlung von Textinhalten geworben, für Sendungen, bei denen man auch nach dem Konzept von NDR Kultur zuhören soll und muss.
Zuhören ist die Devise der Werbung
Die vier Bilder der Plakataktion bzw. des KulturClub-Flyers werben ebenfalls mit dem Zuhören, außerdem mit dem Hörgenuss.
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Aus dem Werbetext zum Bild der Badenden:
Hören, was gefällt. Klassische Musik in ihrer ganzen Vielfalt - auf NDR Kultur wird sie zum Erlebnis: Die schönste Musik aus Barock, Klassik und Romantik prägt die Sendungen und Magazine des Tages.
Bei dem Bild des Zuhörers auf dem Bett mit dem Frühstückstablett steht an prägnanter Stelle:
Wissen, was läuft. Das kulturelle Leben in all seinen Facetten - NDR Kultur hat die entscheidenden Details.
Und beim Zuhörer am Küchentisch erfahren wir alles über das Abendprogramm, das nur noch eine Minderheit hört:
Muße zum Zuhören. Radiokultur in allen Spielarten - jeden Abend auf NDR Kultur.
Zuhören ist auch die Devise vieler Hörer
Viele Hörer von NDR Kultur wollen tagsüber auch wirklich zuhören können. Sie wollen über einen längeren Zeitraum ganze Kompositionen, dazu vernünftige Erklärungen, außerdem auch längere anregende und nicht kurze und gehetzte Wortbeiträge hören. Das wird ihnen verwehrt, das hat die Sendeleitung verboten.
Nebenbeihören ist aber die Devise von NDR Kultur
Deren Worte stehen im krassen Widerspruch zur Werbung. Eine Meldung zu Wellenchefin Barbara Mirow:
„Auch anspruchsvolle Kulturprogramme werden heute tagsüber zum Nebenbeihören genutzt, und wer sind wir denn, dass wir uns nicht danach richten“, erläutert Mirow im aufmerksamen Beisein von Hörfunk-Programmdirektor Gernot Romann ihre Marschrichtung.
Hamburger Abendblatt vom 10. September 2003: „Die Frau fürs Kulturelle“
Und Hörfunkdirektor Gernot Romann selbst schreibt:
Die veränderten Anforderungen resultieren vor allem aus einer generellen Trendwende in puncto Hörfunknutzung. Das Radio wird - selbst bei der Gruppe der konservativen Hörer - immer stärker vom Einschalt- zum Begleitmedium.
KlassikClub-Magazin 09/2004: „Ein Radioprogramm ist kein Konzertsaal - Generelle Trendwende in der Hörfunknutzung“
„Danke“ sagt sich enttäuscht ein durch aufwändige Werbung neu interessierter Mensch.
Es gibt eben keinen Ersatz für Qualität, Mittelmaß sollte nicht unser täglicher Wegbegleiter sein. Ein schlechter Wein wird zum Beispiel auch durch die massivste Werbung nicht genießbarer.
Fazit
Werbung, die nicht glaubwürdig ist, ist erst recht Verschwendung.
Verfasst am 19. und 20. Oktober 2005
• Der Flyer des NDR Kultur Clubs
mit 4 Werbebildern und den vollständigen Texten
• Die Serie mit den 41 Anzeigen im „Hamburger Abendblatt“
grafisch angeordnet als Text „Zu viel“
14. September bis 31. Dezember 2004
• „Die Badende“ auf ca. 250 m2 - Ist das auch Kultur?
Werbeinstallation am Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, Herbst 2004
• Teure Image-Kampagne: NDR Kultur geht baden...
Die erste uns bekannte Anzeige mit dem Bild der Badenden
„Hannoversche Allgemeine Zeitung“, 9. September 2004
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Das GANZE Werk, 20. Oktober 2005