Das GANZE Werk - Presseschau
Verleihung des Paul-Hindemith-Preises auf Schloss Reinbek am 2.8.2004
"Jörn Arneckes Entscheidung, sich als Komponist zu verstehen, erhebt Einspruch gegen die Durchhörbarkeit."
Der Chefdramaturg der Hamburgischen Staatsoper, Dr. Christoph Becher, sagte in seiner Laudatio unter anderem:
Hätten die Kritiker damals nicht schreiben können, dieser oder jener Komponist habe sein Werk gut "durchgehört"? Dann wäre uns heute vielleicht ein ganz anderes Modewort erspart geblieben, das auf fatale Weise im Rundfunk Karriere gemacht hat. "Durchhörbar" sollen die Kulturprogramme neuerdings sein, ein "Tagesbegleitmedium" wollen sie darstellen, das man durch den Tag hört, morgens ein- und abends erst wieder abschaltet. Dass es dabei den Tag nicht stören darf, liegt auf der Hand. Deshalb verkommt es zwangsläufig zur Klangkulisse, oder, wie es radiointern heißt, zur "Tapete". Ersparen Sie mir jedes weitere Lamento über das Grab, das sich die Kultursender selbst schaufeln. In der Hoffnung, dass die Quote steige, halten die Programmmacher an der Durchhörbarkeit fest, so dass in der Neuen Musikzeitung vor wenigen Wochen Martin Hufner mutmaßte, die Radios wollten nicht mehr den Zuhörer, sondern den Durchhörer. Und dass dieser Durchhörer auf zeitgenössische komponierte Musik verzichten muss, weil sie ihn stören würde, auch dies liegt auf der Hand. Die Durchhörbarkeit verlangt, dass für Neue Musik kein Platz mehr ist.
Jörn Arneckes Entscheidung, sich als Komponist zu verstehen, erhebt Einspruch gegen die Durchhörbarkeit. Der Paul-Hindemith-Preis erhebt dagegen Einspruch, weil er Arnecke und vielen anderen jungen Komponisten eine großzügige Summe zukommen lässt. Ich möchte deshalb meine Laudatio auch auf die Stiftungen ausdehnen, die den Preis bezahlen: die Hindemith-Stiftung, die Rudolf-und-Erika-Koch-Stiftung, die Walther-und Käthe-Busche-Stiftung und die Gerhard-Trede-Stiftung. Ihre Botschaft ist: Die Arbeit der Komposition wird gebraucht. Eine Gesellschaft, die es nicht mehr für nötig hält, dass neue Kunst entsteht, muss verkümmern, wie oft muss das denn noch gesagt werden? Und natürlich kann dabei der Gedanke an die Quote keine Rolle spielen. "Noch nie ist ein neuer Stil vom Willen großer Massen getragen ins Leben gerufen worden." Das hat ein großer hessischer Komponist 1929 gesagt. Und fünf Jahre später, in einem seinerzeit unveröffentlichten Manuskript, formulierte er dann:
"So lange im Rundfunk der musikalisch gänzlich ungebildete Hörer letzte künstlerische Instanz ist, weil er für monatlich zwei Mark mitreden darf, nimmt diese Institution im Musikleben keine höhere Stellung ein als einem jedem Geschmack entgegenkommende Tageszeitung in der Literatur."
zugesandt von Martin Hufner, neue musikzeitung
Siehe auch:
Komponist Jörn Arnecke, Homepage
Festliche Verleihung im Reinbeker Schloss durch Finanzminister Ralf Stegner, Bericht der Glinder Zeitung, 10. August 2004
Hindemith-Preisträger zwang zum Zuhören, Hamburger Abendblatt, Ausgabe Ahrensburg, 4. August 2004
Komponist Jörn Arnecke erhält den Paul Hindemith-Preis, Meldung von NDR / Kultur