NDR Kultur: Gaumenfreuden und Kaisertreue mit Brahms
NDR Kultur, 30. März 2006, Moderation nach 8 Uhr
Moderation auf NDR Kultur zu Ungarischem Tanz von Brahms
GULASCHKANONE?
„Alte Donaumonarchie“ und „feuriger Gulasch“ statt nationalem Freiheitskampf und magyarischer Volksmusik
Die Autofahrt zur Arbeit dauert zehn Minuten, das NDR-Kultur-Hörerlebnis auch. Diese zehn Minuten reichen aus, um Zeuge von vier Minuten zu werden, in denen der Moderator - vor und nach einem Ungarischen Tanz von Brahms - zweimal boulevardesk schwelgt und die kulturelle Flachheit des Senders unter Beweis stellt. Im Namen des Kultur- und Bildungsauftrags des Senders raten wir dem NDR-Rundfunkrat und seinem Programmausschuss dringend, die Texte der Moderatoren genau unter die Lupe zu nehmen, so wie es beim RBB-Kulturradio Anfang des Jahres geschehen ist.
Donnerstag, 8.00 Uhr - Nachrichten und Ankündigung von Aprilwetter. Es folgt ein Sätzchen, „Aire. Allegro“, aus der Ouvertüre Nr. 1 B-dur von Francesco Maria Veracini.
8.09 Uhr - Der Moderator erklärt kurz das Gespielte und ergänzt in spekulativer Weise:
Musik aus der Stadt, die sich gerade auf ein Hochwasser vorbereitet, Dresden. Vielleicht hat Veracini zu seiner Zeit auch ein Hochwasser in Dresden erlebt.
Mit System: Erst das Element Wasser, dann das Element Feuer...
Nach dem Hinweis auf zu viel Wasser überrascht der Moderator seine Kulturhörer unvermittelt mit folgendem Angebot:
„Wie wär's jetzt mit einem feurigen ungarischen Gulasch?“
Und ohne weitere Worte wird serviert...
Johannes Brahms, Ungarischer Tanz Nr. 5 g-moll (Allegro) in der Orchesterbearbeitung von Martin Schmeling, gespielt von der Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Claudio Abbado
Das Stichwort „Ungarn“ verband man im 19. Jahrhundert automatisch mit nationalem Freiheitskampf
Fünf Tage vorher, am 25. März 2006, wurden bei dem Eröffnungskonzert des Internationalen Musikfestivals „Heidelberger Frühling“ mit Thomas Hampson und den Wiener Virtuosen unter anderem Beethovens „Fidelio“-Ouvertüre und Ungarische Tänze von Brahms gespielt. Zu dieser Kombination schreibt die Festivalleitung:
„Die Gedanken sind frei“ – das war und ist ein Satz mit Sprengkraft. Einsperren lassen sich Menschen, ihre Überzeugungen aber nicht. Diese Idee prägt nicht nur Beethovens „Fidelio“-Ouvertüre, das Vorspiel zur berühmtesten Befreiungsoper der Musikgeschichte, sondern auch Brahms' „Ungarische Tänze“. Denn das Stichwort „Ungarn“ verband man im 19. Jahrhundert automatisch mit nationalem Freiheitskampf und Unterdrückung, und die magyarische Volksmusik, aus der Brahms schöpfte, erinnert an diese Leidenszeit.
Der Moderator, kaiserlich aus Überzeugung oder aus Leichtfertigkeit?
Auf der entgegengesetzten Spur - der Gulasch ist inzwischen ganz vergessen - bewegt sich der Moderator:
Ja, da wird sie wieder lebendig bei uns, die alte Donaumonarchie!
Das war usw. usf.
Dazu nur ein kleiner Hinweis, immerhin hat der Moderator Geschichte studiert: Johannes Brahms komponierte die Ungarischen Tänze 1874 und 1876, 1878 erreichte Österreich auf dem Berliner Kongress die Zustimmung zur Besetzung und Verwaltung der osmanischen Provinz Bosnien und Herzegowina, womit eine für Jahrzehnte verhängnisvolle Geschichte eingeleitet wurde...
Ob aus Überzeugung oder aus Leichtfertigkeit: Ein Moderator ist eine Visitenkarte, ein Aushängeschild des Senders und trägt die Verantwortung oder wenigstens die Mitverantwortung für zentrale Aussagen. Die gehaltvollen Zitate, wie auch die RBB-Moderation von Dr. Christian Detig mit dem Goebbels-Zitat Ende Mai 2005, sind keine spontanen Einfälle, sondern vorbereitete inhaltliche Schwerpunkte. Im Stil erinnert der - vielleicht nur auf einen Show-Effekt abzielende Monarchie-Spruch - an den NDR-Adelsexperten Rolf Seelmann-Eggebert. In der Rezension „Ein Mann sieht bunt“ von Nils Minkmar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu dem Buch „Mattscheibe - das Ende der Fernsehkultur“ von Jürgen Bertram heißt es dementsprechend:
Besonders groß wird das Erstaunen bei zwei Themen, die sich im Programm des NDR so übermäßig wiederfinden, der Volksmusik und den Königshäusern. Ist Monarchie denn noch zeitgemäß?, so müßte, wenn es nach Jürgen Bertram ginge, die Leitfrage bei einer angemessen knappen Übertragung einer königlichen Hochzeit heißen; und warum nicht einen Psychologen mit der Frage nach der Deutung der Massenbegeisterung für Könige beauftragen?
Und für Kaiser...
Der Moderator dieser Sendung, ein Gentleman?
Es gab einmal ein „NDR KULTUR | KLASSIKCLUB MAGAZIN“. Darin hatte der Moderator dieser Sendung die große Ehre, noch als neuer Moderator bei NDR Kultur vorgestellt zu werden. Das geschah bei den nächsten neuen Moderatoren nicht mehr, im Vorgänger-Magazin „Dreiklang“ war es noch eine Selbstverständlichkeit.
Thorsten Weber: Mit dem „Gentleman“ klassisch in den Tag
Spötter meinen gelegentlich, einer der zahllosen Vorzüge des Radios bestehe darin, dass man die Moderatoren nicht auch noch sehen müsse. Im Fall von Thorsten Weber ist diese Bemerkung nun wirklich unangebracht. Seit einigen Monaten begleitet Sie der „Gentleman“ im Team von NDR Kultur „Klassisch in den Tag“ und durch die „Matinee“. Nach dem Studium von Kunstgeschichte, Politik und Jura zog es Thorsten Weber zunächst zum NDR Fernsehen, um sich dann zu unserer großen Freude auf das Radio zu konzentrieren. „Gentleman“ Thorsten gehört zu jenen beneidenswerten Menschen, die ihre persönlichen Interessen zum Beruf machen konnten. So entwirft er auch seit vielen Jahren Konzepte für kulturhistorische Reisen und darf sogar noch als „Vorleser“ dabei sein. Sein Traum vom Glück ist ein kleines Cottage in Südengland, wo er sich bei Musik von Händel entspannen kann.
NDR KULTUR | KLASSIKCLUB MAGAZIN 01/2004, Seite 3, hier: Artikel in der Originalansicht
Musik sprichwörtlich durch den Kakao oder Gulasch zu ziehen, ist sicher nicht eines Gentlemans Art. Ist das Hofieren vor kaiserlichem, vielleicht auch königlichem Adel gentlemanlike?
Ungarischer Gulasch
Wenn Sie den ungarischen Gulasch am 30. März 2006 um 8.09 Uhr verpasst haben sollten, sei hier das Rezept nachgereicht:
500 g gemischter Gulasch
500 g gemischte Paprikaschoten
2 Gemüsezwiebel
200 g frische geschälte Tomaten (oder aus der Dose)
Salz, Peperoni, edelsüß Paprika
1/2 Esslöffel Butter
Fleisch abbrausen, abtupfen, Zwiebel und Paprika würfeln, Tomaten in Stücke schneiden.
Butter erhitzen und das Fleisch mit Peperoni und Parika scharf anbraten, so dass es gut gebräunt ist. Wenn es braun genug ist, die Zwiebel und Paprika hinzufügen und kurz mitbraten. Mit Wasser ablöschen und die Tomaten hinzufügen. Nun salzen und bei geschlossenem Deckel 35 - 40 min. garen (bzw. bis das Fleisch ganz weich ist). Die Soße wenn nötig nachwürzen und ein wenig binden. (Quelle: warden-online.de)
Pfeifen Sie dazu die Melodie des Ungarischen Tanzes Nr. 5 in g-moll, damit die Komposition von Thorsten Weber wenigstens nachträglich stimmt. Sie werden merken, dass Sie Kaiser Franz-Joseph I. gar nicht brauchen...