Praxis von NDR Kultur - Medienpartnerschaften

NDR Kultur, 4. November 2005, 16.30 Uhr
Veranstaltungshinweis: „Oktogonale 2005“ im Bucerius Kunst Forum
 
Erlebnis eines Autofahrers, der zuhört, der auf dem Parkplatz noch eine Minute länger im Auto sitzen bleibt, um wichtige zu erwartende Kulturinformationen zu erfahren, und enttäuscht wird

mit 2 Nachträgen

Veranstaltungstipp mit Lücke - Zensur durch NDR Kultur?

Keine Medienpartnerschaft: kein Kulturbericht

NDR Kultur informiert ausführlich über die „Oktogonale 2005“, verschweigt aber den „Höhepunkt“, Händels Oper „Almira“

Artikel speichern/drucken (Pdf - 0,42 MB)

Am Freitag, 4. November 2005, kommt der Beweis: NDR Kultur informiert gezielt einseitig für die eigenen Veranstaltungen und für die seines Medienpartners.

Makulatur: die Behauptung von Hörfunkdirektor Gernot Romann im KlassikClub Magazin 09/2004:

Verlässlich und kompetent informiert das Kulturprogramm des NDR wie eh und je über alle kulturell bedeutsamen Ereignisse.

Das schrieb er ausgerechnet in dem Artikel, in dem er seine Kritiker zum ersten Mal als „Kultur-Ayatollahs“ beleidigte.

Vom 4. bis zum 13. November 2005 führt das Bucerius Kunst Forum, eine Einrichtung der ZEIT-Stiftung, sein Mini-Festival „Oktogonale 2005“ mit dem Schwerpunkt „Spanien in Hamburg“ durch. Die Reihe besteht aus 9 verschiedenen Veranstaltungen.

Viel und dicht gedrängte Kulturinformation in kurzer Zeit

Zwischen 16.30 und 16.34 Uhr sendet NDR Kultur im Rahmen der sogenannten aktuellen Kulturberichterstattung einen bemerkenswerten Bericht zum ganzen Festival, eine Moderatorin besorgt die Worte drumherum. Die Autorin des Berichts behandelt eine ganze Reihe von Veranstaltungen, im Rahmen der 3-Minuten-Zeitbegrenzung mehr oder weniger ausführlich:
• das Konzert „Spanische Musik zur Zeit von Don Quijote“ mit dem Ensemble Hesperion XXI unter der Leitung von Jordi Savall, das Konzert „La Lira d'Hespèria“ mit Jordi Savall als Gambisten und das Konzert mit dem Ensemble Kapsberger - diese drei Konzerte finden „in Koproduktion mit NDR DAS ALTE WERK“ statt
• das Konzert „Hommage à Pablo Casals“ mit Claudio Bohórquez (Violoncello) und Markus Groh (Klavier) - „in Koproduktion mit NDR das neue werk
• die szenische Lesung „Don Quijote“ von Hanjo Kesting, die 2x stattfindet, - Hanjo Kesting ist Leiter des Bereichs „Kulturelles Wort“ mit Sitz im NDR Funkhaus Hannover
• Die literarische Matinee „Die Kinder von Guernica“, deutsche Schriftsteller im Spanischen Bürgerkrieg, vorgestellt von Christine Neuhaus, die in der ZEIT-Stiftung für Literatur zuständig ist - Medienpartner von NDR Kultur.

Die Autorin führt uns Musikbeispiele vor, ferner O-Töne mit dem Leiter der „Oktogonale 2005“, Dr. Philipp Adlung, mit Jordi Savall, Hanjo Kesting und Christine Neuhaus. Insgesamt: Viel und dicht gedrängte Kulturinformation in kurzer Zeit. In der Machart unmöglich: der Radiohörer kann sich kaum alles merken, er wird regelrecht mit ständig neuen Details überfahren.

Und doch fehlt der „Höhepunkt“

Die konzertante Aufführung der Oper „Almira, Königin von Kastilien“ von Georg Friedrich Händel, die sogar wie die Lesung von Hanjo Kesting 2x stattfindet, behandelt die Autorin nicht. Ausgeblendet. Zensiert? Sie wird nur bei den wichtigen Veranstaltungen genannt, die Dr. Philipp Adlung aufzählt, was den zuhörenden Autofahrer neugierig macht. Eine Panne der abnehmenden Redakteure von NDR Kultur.

Auf der Homepage, die extra für die „Oktogonale 2005“ eingerichtet wurde, heißt es zu der Aufführung:

Georg Friedrich Händel komponierte seine erste Oper Almira während eines Aufenthaltes in Hamburg (1703-1706). Nahezu exakt 300 Jahre nach der Uraufführung 1705 erklingt das Werk nun im Bucerius Kunst Forum. Händel feierte mit diesem Stück im bürgerlichen Opernhaus am Gänsemarkt seinen ersten Bühnenerfolg. Er schätzte seinen Opernerstling auch später noch, was zahlreiche Entlehnungen in andere Werke beweisen. Mit diesem Werk holte Händel thematisch ein Stück Spanien bzw. Kastilien nach Hamburg. Insofern bilden die (konzertanten) Aufführungen den Abschluss und zugleich Höhepunkt der in diesem Jahr unter dem Motto „Spanien in Hamburg“ stehenden Oktogonale.

In einem gesonderten Artikel zu dieser Aufführung schreibt das „Hamburger Abendblatt“ am 28. Oktober 2005 unter anderem:

Einziges erhaltenes Werk Händels aus jenen Hamburger Jahren ist die Oper „Almira, Königin von Kastilien“, die vor 300 Jahren, im Januar 1705, am Gänsemarkt uraufgeführt wurde und die es auf mindestens 20 Wiederholungen brachte. Wer noch die Aufführungen von Reinhard Keisers „Prinz Jodelet“ kürzlich an der Staatsoper im Ohr hat, für den wird die „Almira“ jetzt im Rahmen der Oktogonale ein reizvoller Vergleich: Keiser war seinerzeit Händels Chef am Gänsemarkt. Rudolf Kelber leitet die Kantorei St. Johannis.

Zweifellos ein „kulturell bedeutsames Ereignis“. „Das Kulturprogramm des NDR“ „informiert“ uns darüber nur zufällig, nebenbei und minimal, jedenfalls nicht „verlässlich und kompetent“.

„NDR Kultur - Medienpartner (außer ‚Almira‘)“

Auf der Übersichtsseite der Veranstaltungen der „Oktogonale 2005“ sind die unterschiedlichen Kooperationsformen mit „NDR DAS ALTE WERK“ und „NDR das neue werk“ dokumentiert, die oben zitiert sind. Am Ende der Seite steht die übergeordnete Partnerschaft zwischen NDR Kultur und Bucerius Kunst Forum: „NDR Kultur - Medienpartner (außer ‚Almira‘)“.

„Keine Medienpartnerschaft: kein Kulturbericht“ - auf diese kurze Formel lässt sich nach unseren bisherigen Beobachtungen die aktuelle Kulturberichterstattung von NDR Kultur für das NDR-Sendegebiet bringen. Bis zum Jahr 2003 gab es auf N3, Radio 3 und auch noch zu Beginn von NDR Kultur sehr viele, prinzipiell nicht zensierte Veranstaltungsinformationen, aus denen der Hörer das ihn Interessierende entnehmen konnte. Heute gibt es nur noch
• den Werbe-Trailer „Kultur im Norden“ mit 6 ausgesuchten Tipps für NDR-eigene Veranstaltungen und für die seiner Medienpartner, der täglich 2x gesendet und vielleicht am Nachmittag neu aufgefüllt wird (siehe zum Beispiel unsere Dokumentation zum 17. Juni 2005, 9.45 Uhr auf Seite 3 unten),
• Kartenverlosungen kombiniert mit einem Veranstaltungshinweis und
• schwerpunktmäßige Veranstaltungstipps in den 3-Minuten-Berichten wie am 4. November 2005 zu der „Oktogonale 2005“.

Das aktuelle Beispiel beweist nun, dass das Prinzip „Keine Medienpartnerschaft: kein Kulturbericht“ tatsächlich redaktionell verfolgt wird. NDR Kultur verlangt von einer Autorin - das legt das Ergebnis nahe -, diejenigen Einzelereignisse von einem Gesamtereignis zu verschweigen, die medienpartnerschaftlich ausgeklammert sind. Zu dumm,
• dass es nicht hundertprozentig geschieht, es also die Panne gibt, wodurch die Manipulation ans Licht kommt,
• dass die Situation des Getäuschtwerdens wirklich eintritt und
• dass die unterschiedlichen Partnerschaften bekannt sind.

Damit zeigt sich, dass Hörfunkdirektor Gernot Romann nicht nur das Konzept mit dem Musikstücke-und-Wort-Mix zwischen 6 und 19 Uhr stur, kompromisslos durchzieht (Ausnahmen: „Am Morgen vorgelesen“ und teilweise „Klassik à la Carte“), sondern in der aktuellen Kulturberichterstattung von NDR Kultur auch einseitig, kompromisslos verfahren lässt.

Berichterstattung für einseitig ausgesuchte Veranstalter
ist Werbung

Jede Berichterstattung für einseitig ausgesuchte Medienpartner ist zugleich Werbung (wir haben an anderer Stelle ausgeführt, dass wir es in diesem Zusammenhang nicht akzeptieren, dass die ARD für sich beschlossen hat, werbliche Elemente - Eigenwerbung und einseitige programmbegleitende Informationen - nicht als „Werbung“ einzustufen).

Warum darf ein Hörer auf NDR Kultur, Herr Romann, nicht „kompetent“ über die Aufführung „Almira, Königin von Kastilien“ informiert werden? Sichern Sie so gemäß den ARD-Werberichtlinien „die Einhaltung der Neutralität gegenüber dem Wettbewerb im freien Markt“ (Präambel)?

Das Warten des Autofahrers auf die vollständige Information über die „Oktogonale 2005“ zeigt, dass er „kompetent“, „inhaltlich und redaktionell“ informiert werden will und keiner Werbung lauschen will. Denn der Hörer erwartet die Einhaltung des Grundsatzes (Ziffer 1.3.):

Werbung darf nur ausgestrahlt werden, wenn sie nach Inhalt und Art der Gestaltung nicht mit anderen Programmteilen verwechselt werden kann. Werbung und Werbetreibende dürfen das übrige Programm inhaltlich und redaktionell nicht beeinflussen.

Das System der NDR-Kultur-Medienpartnerschaften

Schon in unserer ersten Presseerklärung, die der Initiative die Unterstützung durch die „neue musikzeitung“ und diese Homepage brachte, haben wir auf die besondere Macht des NDR speziell durch seine Medienpartnerschaften hingewiesen:

NDR Kultur hat reichlich Medienpartner. Diese haben Vorteile und erhalten auf Umwegen Gelder aus dem Gebührenaufkommen. Neben den Verflechtungen zwischen NDR und Schleswig-Holstein Musik Festival, die Joachim Mischke am 19. Juli 2004 im „Hamburger Abendblatt“ dokumentiert hat, erlangt NDR Kultur damit in einem großen Sendegebiet einen Einfluss, den man in der freien Wirtschaft als marktbeherrschend charakterisieren würde.

Ein Veranstalter, der Nutzen vom Medium NDR Kultur haben will,
• muss Medienpartner werden
• muss sich die verschiedensten Fesseln auferlegen lassen (Urheberrecht usw.)
• darf nicht opponieren oder das GANZE Werk unterstützen (dann ist alles aus) und
• kann gnädig auf eine Übertragung warten, die nicht unbedingt sicher ist - Veranstalter in Niedersachsen haben uns davon berichtet.

Sind nur diejenigen Ereignisse „kulturell bedeutsam“, an denen
der NDR beteiligt ist?

Herr Romann, wenn Sie schreiben, dass „das Kulturprogramm des NDR wie eh und je über alle kulturell bedeutsamen Ereignisse“ „verlässlich und kompetent informiert“,...

... dann bedeutet das umgekehrt, dass Ereignisse, über die „das Kulturprogramm des NDR nicht verlässlich und kompetent informiert“, keine „kulturell bedeutsamen Ereignisse“ sind.

Da Sie normalerweise Ereignisse von Veranstaltern verschweigen, die keine Medienpartner von NDR Kultur sind, heißt dies: Nur diejenigen Ereignisse, an denen das Kulturprogramm des NDR beteiligt ist, sind „kulturell bedeutsame Ereignisse“.

Mit diesen Partnern kann sich der NDR am besten als die Kulturinstanz des Nordens zur Schau stellen und am besten Geschäfte machen. Doch es bildet sich dann ein kulturelles Defizit auf NDR Kultur heraus.

Quo vadis, NDR Kultur? Der NDR Kultur Club geht schon baden. Wie geht es weiter?

NDR Kultur und die Oktogonale des Bucerius Kunst Forums
7. November 2005: Nachträge

Nach unserer Meldung der einseitigen Berichterstattung von NDR Kultur über die „Oktogonale 2005“, die viele sehr erschüttert hat, ist folgendes nachzutragen:
• Auf der Homepage von NDR Kultur gibt es eine Sonderseite zur „Oktogonale 2005“, die am Samstag, 5. November 2005, um 12.17 Uhr vor unserer Veröffentlichung redaktionell fertiggestellt war und die am Montag, 7. November, ins Netz gestellt wurde. Diese Seite entspricht vollkommen unserer Kritik: Die Aufführung der Oper „Almira“ von Händel mit Rudolf Kelber und seinem Ensemble (= Höhepunkt der „Oktogonale 2005“) gibt es da nicht.
• Nach einer Reportage über das Konzert mit Concerto Köln erwähnte der Moderator, dass noch weitere Veranstaltungen folgen, unter anderem als „Höhepunkt“ die Aufführung der Oper „Almira“ von Händel. Die Aufführenden, Herrn Kelber, das Cythara-Ensemble und Solisten, hat der Moderator verschwiegen.

Lesen Sie auch:
SPOTTGESÄNGE
Rudi Mozarts kleine Festplattenmusik

Kirchenmusiker Rudolf Kelber kritisiert NDR Kultur
mit einer parodistischen CD
...auch "ein liebes Computerlein" kann sich mit einem Virus anstecken
Hamburger Abendblatt, 8. Januar 2005
• 79. Bachfest in Hamburg
Musikalischer Spaß in St. Jacobi
Bissig-aktuelle Pointe Kelbers mit dem NDR-Kultur-Jingle
Hamburger Abendblatt, 3. November 2004

CD: Neues aus der Norddeutschen Tiefstebene
Die ultimative CD für Programmmacher, Redakteure und Hörer, die wirklich wissen wollen, was gespielt wird hinter den Kulissen der öffentlich-rechtlichen Kultursender.
Doch sein Sender klingt nach Klassik Radio
- Doch sein Sender ist nicht Klassik Radio
Wunderliche Welle, die so penetriert,
Bist Du gar am End' gebührenfinanziert?

Felix Speer, Nach: Der Leiermann, Aus: Die Winterreise, Musik: Franz Schubert