Kulturwellen im Nord-Süd-Profil
kulturradiorbb | |||||
Ein Deutsches Requiem op. 45 - Angekündigt: für Donnerstag - Gesendet: wie folgt | |||||
Mo | 5. Mai | --- | |||
Di | 6. Mai | Ein Deutsches Requiem op. 45 | 5. Satz | Ihr habt nun Traurigkeit | 07:38 |
Mi | 7. Mai | Ein Deutsches Requiem op. 45 | 2. Satz | Denn alles Fleisch, es ist wie Gras | 15:04 |
Do | 8. Mai | --- | |||
Fr | 9. Mai | Ein Deutsches Requiem op. 45 | 1. Satz | Selig sind, die da Leid tragen | 10:26 |
Sa | 10. Mai | Ein Deutsches Requiem op. 45 | 6. Satz | Denn wir haben hie keine bleibende Statt | 12:23 |
So | 11. Mai | Ein Deutsches Requiem op. 45 | 3. Satz 4. Satz 7. Satz | Herr, lehre mich doch Wie lieblich sind deine Wohnungen Selig sind die Toten | 24:31 |
kulturradiorbb, 5. bis 11. Mai 2008, Abendprogramm
War es denn nun am Abend eine Brahms-Geburtstags-Sendereihe?
Klassik kaputt, Kultur kaputt: sie lieben Brahms - nicht!
Johannes Brahms zum 175. Geburtstag - Brahms-Woche des kulturradiorbb
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Von Hansjoachim Hölzel
Brahms hätte es nicht für möglich gehalten! Auch der qualitätsentwöhnte rbb-Hörer und Brahmsfreund war freudig überrascht: Sechzehn Stunden Rasterprogramm am Abend (Mo - Fr: 20.04 - 22.00 Uhr, Sa + So: 20.04 - 23.00 Uhr) sollten geopfert werden für eine Musik, von der Musikchef Christian Detig noch am 5. September 2006 behauptete, dass diese „keinen mehr interessiert“ (im damaligen Gespräch mit Vertretern des GANZEN Werks BB). Zwar meinte er mehr die jüngere Hörerschaft, aber ist das nicht die eigentliche Zielgruppe des Senders? Was ging in diesem Hause plötzlich vor? Waren es gar die Uhren?
Nun, nach Abschluss dieser eigenartigen Brahms-Ehrung ist eines klar: Es ging gar nichts vor. Es ist alles nur noch schlimmer geworden. Es ist der neue Beweis erbracht worden, dass man, wie jeden anderen Komponisten auch, Brahms in langen sechzehn Stunden am Abend erfolgreich schreddern kann.
Vielleicht lag ja dem Ganzen sogar eine gute Absicht zugrunde
Andreas Göbel, Selektionsbeauftragter dieser Brahms-Woche, wird - diesen Eindruck vermittelt die Praxis - von seinem Musickchef Detig ein Bündel Auflagen für die Musikauswahl mit auf den Weg bekommen haben.
In der Programmzeitung des Hauses beklagt er (alle Zitate aus der Broschüre „Das Programm 05/08“, Seite 5):
„Nur noch ein geringer Teil seines Gesamtwerks wird regelmäßig aufgeführt. (...) Die Präsenz seiner Lieder, Chöre, Klavier- und Kammermusik (nimmt) immer weiter ab.“
Man merkt, wie er über die Praxis von kulturradiorbb grübelt:
„Seine Musik steht wie die weniger anderer Komponisten für komplexe Strukturen, komplizierte Verarbeitungstechniken oder konstruierte Entwicklungen. (...) Es stimmt: Brahms ist nichts für den schnellen Konsum; nichts, das man einfach nebenbei hören kann. Seine bedeutendsten Werke verlangen ungeteilte Aufmerksamkeit. Insofern scheint Brahms tatsächlich der heutigen Zeit, in der Musik oft nur im Hintergrund läuft, wenig geben zu können.“
Also erst einmal ein Stopp in der Sackgasse: Komplexes sei nichts für Nebenbeihörer, und diese habe der Sender mit seinem „Tagesbegleitprogramm“ in der Hauptsendezeit bis 18 Uhr zu bedienen. So sah ja auch das Brahms-Gedenken am 7. Mai tagsüber aus.
Da öffnet sich der Ausweg: das Abendprogramm!
„Damit macht man es sich jedoch zu einfach. Der 175. Geburtstag am 7. Mai soll Anlass sein, unter die Oberfläche dieser verbreiteten Ansichten und Meinungen zu schauen, das Vielschichtige, das eigenwillig Emotionale aufzufächern und (die) Frage in eine Aufforderung zu verwandeln: Lieben Sie Brahms!“
Nun konnte man wirklich gespannt sein. Wie würde das „Komplexe“, das „Vielschichtige“, das „eigenwillig Emotionale“ am Abend behandelt werden? Mit „Ungeteiltem“ war zu rechnen, und die Ankündigungen in allen Programm-Zeitungen waren vielversprechend:
kulturradiorbb, 5. bis 11. Mai 2008: Brahmswoche, das ausgedruckte Programm | |
Montag, 5. Mai 2008 Ungarische Tänze Akademische Festouvertüre c-Moll, op. 80 Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. 90 Dienstag, 6. Mai 2008 Klaviertrio Nr. 1 H-Dur, op. 8 Streichsextett Nr. 2 G-Dur, op. 36 Rhapsodie für eine Altstimme, Männerchor und Orchester op. 53 Mittwoch, 7. Mai 2008 Klavierquartett Nr. 3 c-Moll, op. 60 Sinfonie Nr. 2 D-Dur, op. 73 Klarinettenquintett h-Moll, op. 115 |
Donnerstag, 8. Mai 2008 Paganini-Studien op. 35 Freitag, 9. Mai 2008 15 Romanzen aus Tiecks Magelone op. 33 Ein deutsches Requiem op. 45 Sonnabend, 10. Mai 2008 Klaviersonate Nr. 1 C-Dur, op. 1 Variationen über ein Thema von Joseph Haydn B-Dur, op. 56 a Sinfonie Nr. 1 c-Moll, op. 68 Sonntag, 11. Mai 2008 Archivaufnahmen zur Brahms-Pflege im Sendegebiet |
Das war übrigens auch der Informationsstand für die 2.000 Hörer, die an dem Jingle-Rätsel teilgenommen hatten: Als Dank für die Teilnahme und zum Trost hatte der Sender ihnen kurz vorher ein Exemplar der Broschüre „Das Programm 05/08“ geschickt.
Geteilte Werke wurden vorsichtshalber nicht angekündigt
Andreas Göbel hat sich Mühe gegeben, zweifellos. Mit dem gleichen Eifer wie die jungen Regie-Matadore der Schauspiel- und Opernbühnen wurde auseinandergenommen, atomisiert, analysiert, analogisiert, wurden Zusammenhänge erklärt und aufgedeckt, wurde gestückelt und verglichen. Nur eins hat er, wie jene, danach meistens nicht gekonnt: er hat die Werke nicht wieder sinnvoll zusammengesetzt, obwohl er doch so oft über die „Komplexität“ der Werke von Johannes Brahms gesprochen hat. Bis auf ganz wenige Ausnahmen hat er mehrsätzige Komposititionen nicht in ihrem „vielschichtigen“ Zusammenhalt gespielt.
Bei den zweistündigen Sendungen von Montag bis Freitag waren es gerade mal die 3. Sinfonie (Montag), die 2. Klarinettensonate (Donnerstag) und die 4 Gesänge für Frauenchor, 2 Hörner und Harfe (Freitag), am Wochenende noch die 2. Violoncellosonate, die 4 Klavierstücke op 119 (Sonntag) und jeweils zu später Stunde um 22.15 bzw. um 22.20 Uhr die 1. und die 4. Sinfonie.
Eine kulturpolitische Katastrophe für eine siebenteilige Gedenkreihe am Abend.
Hier spielte nicht „die Klassik“, nein, hier spielten die Schnipsel
• Vom Doppelkonzert nur der erste Satz,
• vom H-Dur-Trio in der Urfassung nur der erste Satz,
• auch bei der zweiten Fassung nur der erste Satz,
• vom 1. Klavierkonzert nur der erste Satz...
Dienstag, 6. Mai 2008 - Vollständige Musikliste von 20:04 bis 22:00 Uhr | ||
Werk | Satz | Dauer |
Scherzo für Klavier und Violine c-Moll, WoO 2 | --- | 05:29 |
Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll, op. 102 | 1. Satz: Allegro | 17:57 |
Klaviertrio Nr. 1 H-Dur, op. 8 (1854) | 1. Satz: Allegro con moto | 18:22 |
Klaviertrio Nr. 1 H-Dur, op. 8 (1889) | 1. Satz: Allegro con brio | 10:14 |
Streichsextett Nr. 2 G-Dur, op. 36 | 1. Satz: Allegro non troppo | 14:59 |
Ein Deutsches Requiem, op. 45 | 5. Satz: Ihr habt nun Traurigkeit | 07:38 |
Rhapsodie für Alt, Männerchor und Orchester op. 53 | --- | 14:28 |
Sonate für Klavier und Klarinette Nr. 1 f-Moll, op. 120 Nr. 1 | 1. Satz: Allegro appassionato | 07:19 |
Erste Sätze waren auffallend oft vertreten. Das war sehr „eigenwillig“, aber nicht „emotional“ und ohne „Liebe“ zum Werk von Johannes Brahms. Man kann dankbar sein, dass nicht auch noch durchkomponierte Werke wie die Alt-Rhapsodie eine Zerstückelung erleiden mussten. Die Haydn-Variationen kamen am Sonnabend um 22 Uhr noch mit dem Schrecken davon, nicht aber das Deutsche Requiem: es wurde für den Donnerstag angekündigt, aber in beliebiger Reihenfolge über fünf Tage aufgeteilt.
Das andere Extrem: die akribische Werkbesprechung
Nicht nur durch die Schnipsel-Praxis, sondern auch durch die tatsächlich gebotenen Inhalte macht kulturradiorbb - als Kulturradio, das muss man sich so einmal auf der Zunge zergehen lassen - die Hörer zu Nebenbeihören: Die Sendung war - was ja sonst den Kulturverantwortlichen im rbb erklärtermaßen ein veritables Gräuel ist - überfrachtet mit „bildungsbürgerlichem Spezialwissen“ (Musikchef Detig am 5. September 2006). Das war - so hörte ich - bei der Spezialsendung von NDR Kultur zu Brahms am 10. Mai um 20.04 genauso.
Ob der rein musikwissenschaftliche Duktus von Göbels Erläuterungen zwischen den Schnipseln dazu beigetragen hat, Freunde - vor allem jüngere - für Brahms zu gewinnen, scheint mir zweifelhaft.
Das Zuhören fördern
Ist das vom Sender forcierte Nebenbeihören nicht fast so etwas wie Weghören? Liegt dann nicht das Abschalten - der von den Sendern als GAU befürchtete „Ausschaltimpuls“ - gleich auf der Hand? Sollte sich der Sender nicht vielmehr darum kümmern, das Zuhören zu fördern?
Gewinnend in jeder Hinsicht wäre es gewesen, die Werke komplex/komplett zu senden. Dass man ihm zu Ehren eine Sinfonie, eine Sonate, ein Quartett oder das Requiem zerstückelt vorstellt - Brahms hätte es nicht für möglich gehalten!
abgeschlossen am 16. Mai 2008
ergänzende Musikrecherche/Grafiken: Theodor Clostermann
Grafik auf Seite 2 oben: Collage von Ausschnitten aus der Broschüre „Das Programm 05/08“, Seite 19-29
Lesen Sie zu dem Thema auch:
Sternstunden des Hörfunks - „Ein Tag mit Brahms“
Lieben Sie Brahms?
Bayern 4 Klassik zum 175. Geburtstag des Komponisten - Von Ludolf Baucke
Pfingstsonntag, 11. Mai 2008, 8.30 bis 23 Uhr
Geschenk an seine Hörer zum 175. Geburtstag von Johannes Brahms:
Die Haydn-Variationen im Tagesprogrammm von NDR Kultur!
Beobachtungen zur Musikauswahl von NDR Kultur
kulturradiorbb scheut das Un-„komplexe“ und feiert bei Tageslicht nur minimal
NDR Kultur + kulturradiorbb, 7. Mai 2008, Tagesprogramme - Das GANZE Werk, 13. Mai 2008