Das GANZE Werk - „Bayern 4 Klassik“ und „Junge Welle“

SZ-Meldung und Interview mit Martina Kobriger, 1. Präsidentin des Bayerischen Jugendrings:
Wir brauchen einen tragfähigen Kompromiss, der sicherstellt, dass alle Zielgruppen gleichermaßen erreicht werden, Das GANZE Werk (Nord), 27. November 2006

Süddeutsche Zeitung, 22. November 2006

Neue Welle

Kampf um UKW: Nach der Aktion des Bayerischen Musikrats für den Verbleib von Bayern 4 Klassik auf UKW starten nun Freunde der geplanten Jungen Welle im Bayerischen Rundfunk (BR) eine Unterschriftenaktion. Die Petition des Bayerischen Jugendrings und der Initiative Zünfunk retten ist im Internet unter www.jungewelle-auf-ukw.de zu finden. Ziel ist eine Junge Welle rund um die Uhr auf UKW - statt im Digitalradio.

Martina Kobriger, Vertreterin des Jugendrings im BR-Rundfunkrat, fordert zudem mehr Zeit für die Entscheidung über das Jugendprogramm und will Auskunft über technische Reichweiten von Digitalradio, Kabelsendern und Web-Radio, sowie das Hörverhalten der BR-Nutzer. SZ

 

Das GANZE Werk (Nord), 27. November 2006

Bayern 4 Klassik und Junge Welle Bayern - Kann es einen tragfähigen Kompromiss geben?

Das GANZE Werk im Gespräch mit dem Bayerischen Jugendring und dem Bayerischen Musikrat

Die Initiative für Radiokultur Das GANZE Werk (Nord), führte zum aktuellen Thema „Bayern 4 Klassik und Junge Welle Bayern“ Gespräche mit zwei Interviewpartnern, der 1. Präsidentin des Bayerischen Jugendrings, Martina Kobriger, und dem Präsidenten des Bayerischen Musikrats, Wilfried Hiller.

1. Interview mit dem Bayerischen Jugendring (drucken/speichern - Pdf)
2. Interview mit dem Bayerischen Musikrat (drucken/speichern - Pdf)

Interview mit der 1. Präsidentin des Bayerischen Jugendrings, Martina Kobriger:

Wir brauchen einen tragfähigen Kompromiss, der sicherstellt, dass alle Zielgruppen gleichermaßen erreicht werden.

Das GANZE Werk: Frau Kobriger, was bedeutet für Sie persönlich das Radio? Wie benutzen Sie normalerweise täglich das Radio?

Martina Kobriger: Für mich ist Radio in erster Linie ein Informationsmedium. Ich benutze es vor allem im Auto, aber auch, wenn ich ganz schnell eine Information brauche. Dann schalte ich Bayern 5 ein.

Was meinen Sie zu dem Bild der „Reise nach Jerusalem“ in der gegenwärtigen Debatte: für zwei Interessenten gibt es nur einen Stuhl?

Vordergründig sieht es momentan so aus. Aber ich glaube, es gibt mehr Lösungsmöglichkeiten, wenn man sich ernsthaft mit allen alternativen Verbindungswegen auseinandersetzt.

Wer ist Ihrer Meinung nach für das jetzige Desaster zuständig, das sich für Außenstehende so darstellt: beim Bayerischen Rundfunk findet ein Kampf Alt gegen Jung statt oder, wie es die taz schreibt, ein „Kampf der Kulturen“?

Ich bin erst seit fünf Jahren im Rundfunkrat. Ich glaube aber, dass man vor zehn Jahren als es noch keine Beschränkung der Zahl der UKW-Wellen gab, eine Junge Welle leichter hätte implementieren können. Der aktuelle Rundfunkstaatsvertrag lässt leider für den Bayerischen Rundfunk (BR) nur fünf UKW-Stationen zu.

Welche Altersgruppe wird Ihrer Meinung nach zu wenig von den Hörfunkprogrammen des Bayerischen Rundfunks berücksichtigt?

Die Altersgruppe der bis zu 35-jährigen wird aus meiner Sicht stark vernachlässigt. Für diese gibt es neben 17 Stunden „Zündfunk“ auf Bayern 2 nur noch wenige Angebote, die sie sich auf allen Wellen zusammensuchen müssen. Der öffentlich-rechtliche Bildungs- und Informationsauftrag gilt aber für alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen. Auch die unter 35-jährigen zahlen GEZ-Gebühren und haben deshalb Anspruch auf passende Angebote auf UKW. Aus diesem Grund haben wir auch die Unterschriftenaktion auf www.jungewelle-auf-ukw.de/ gestartet.

Wie sollte nach Meinung des Bayerischen Jugendrings eine Junge Welle in den Grundzügen gestaltet sein? Wo können Interessierte es genauer nachlesen?

Eine Junge Welle sollte aus der Sicht des Bayerischen Jugendrings (BJR) Lebensthemen junger Menschen inhaltlich ambitioniert aufgreifen, junge Kultur für junge Menschen interessant vermitteln und Aktivitäten junger Menschen eine Plattform bieten. Nachzulesen ist dies unter anderem in dem Beschluss des BJR Ende März 2006 (www.dasganzewerk.de/presse/20060325-bjr-128-ha-junge-welle.shtml). Es gibt außerdem ein hervorragendes Konzept der BR-Projektgruppe Junge Welle, das bislang leider nur dem Hörfunkausschuss bekannt ist. Dies deckt sich in hohem Maß mit unseren Vorstellungen.

Könnten Sie ein formatiertes Jugendprogramm tagsüber - zeitweilig oder auch durchgehend - akzeptieren?

Wenn dies dazu führt, dass gerade inhaltliche Beiträge staccatohaft entleert werden, ist das nicht die richtige Form einer Jungen Welle, wie sie sich der BJR vorstellt.

Welche Möglichkeiten der digitalen Nutzung einer Jungen Welle können Sie sich vorstellen - außer dem unmittelbaren digitalen Empfang selbst?

Ich kann mir viele zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten vorstellen. Diese sehe ich aber eher als Ergänzung zu einem frei empfangbaren Programm auf UKW. Es ist eine Mär, dass junge Menschen kein Radio mehr hören, allerdings hören sie kaum noch öffentlich-rechtlich. Wenn man zudem bedenkt, dass vor allem junge Menschen von Armut betroffen sind, dann würde ich es für fatal halten, gerade bei dieser Zielgruppe Verbreitungswege zu forcieren, die für die jungen Menschen eine unnötige finanzielle Belastung sind. Informationsbeschaffung darf nicht vom Geldbeutel abhängig sein. Deswegen bestehen wir darauf, dass die Junge Welle auf UKW kommt.

Wie erklären Sie sich die besondere Initiative von Vertretern der Bayerischen Industrie- und Handelskammer und der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft auf der letzten Rundfunkratssitzung für eine Junge Welle, wie es die neue musikzeitung gemeldet hatte?

Für das Engagement sehe ich zwei Gründe: Zum einen die Sorge um die zukünftigen Hörer des BR und zum anderen persönliche Motivation, endlich Angebote für junge Menschen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu schaffen.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der „Münchner Erklärung zur Digitalisierung“ (Mitte Oktober 2006) und der Initiative für eine Junge Welle?

Der BJR setzt sich seit Jahren für eine Junge Welle auf UKW ein, die für alle frei empfangbar ist. Daran ändert auch die „Münchner Erklärung“ nichts. Grundsätzlich ist jedoch zu befürworten, dass die flächendeckende Digitalisierung vorangetrieben wird.

Haben die Industrie- und Handwerkskammer, hat die Automobilindustrie in der Frage der Jungen Welle direkt oder indirekt mit dem Bayerischen Jugendring Kontakt aufgenommen?

Nein.

Wäre Ihrer Meinung nach ein föderal strukturierter ARD-Sender theoretisch, wenn es die Beschränkung der Senderanzahl nicht gäbe, mit den sechs Säulen Junge Welle, „Mittlere Welle“, „Alte Welle“, Info-Welle, Kultur-Welle und Musik-Welle gut „aufgestellt“?

Wenn es sechs Wellen gäbe, hätten wir derzeit diese Diskussion nicht. Weil dies zurzeit aber nicht möglich ist, brauchen wir einen tragfähigen Kompromiss, der sicherstellt, dass alle Zielgruppen gleichermaßen erreicht werden. Dazu müssen aber - unter Berücksichtigung der Hörgewohnheiten aller Zielgruppen - alle Verbreitungswege herangezogen werden.

Kann man sagen, das „das Programm“ Bayern 3 mit seinen Stammhörern einen großen Schritt mitgealtert ist?

Bayern 3 ist es gelungen, seine Hörer über die Jahre kontinuierlich an sich zu binden. Dies bewerte ich positiv. Es ist ein wichtiges Programm für die Zielgruppe 35 bis 55, für die es sonst keine öffentlich-rechtliche Alternative gibt.

Wie weit sehen Sie Überschneidungen zwischen Bayern 1 und Bayern 3?

Ich sehe keinerlei Überschneidungen zwischen Bayern 1 und Bayern 3, weder in den Themen, die aufgegriffen werden, noch in der vorherrschenden Musik. Durch eine Verbindung würden wir auf beiden Seiten viele Hörer verlieren.

Und zwischen Bayern 3 und einer Jungen Welle?

Ich sehe wenig Überschneidungen, da sich bei Bayern 3 Themen und Musik stark an den Interessen der eben genannten Zielgruppen orientieren. Auch hier gilt: Würde man Bayern 3 jünger machen wollen, würden wir viele Stammhörer verlieren, und ich bezweifle, dass wir junge Hörer in großem Maße für das Programm ihrer Eltern gewinnen könnten. Genau das hatte man vor einigen Jahren mit dem Projekt „Super 3“ versucht, das kläglich gescheitert ist.

Halten Sie es für denkbar, dass der Bayerische Rundfunk, statt theoretisch drei Wellen für jung, mittel und alt zu haben, zwei ganz neue, den Altersaufbau berücksichtigende Wellen für jünger und älter betreibt?

Ich halte das nicht für möglich, weil die Spannbreiten in den Lebensthemen und im Musikgeschmack zu groß sind. Schon bei drei altersspezifischen Wellen ist die Anforderung an die Radiomacher sehr hoch, den immer noch sehr heterogenen Interessen der Hörergruppen gerecht zu werden.

Wie weit können Sie sich eine Kooperation zwischen einem anspruchsvollen Kulturprogramm und der Infowelle Bayern 5 vorstellen?

Ich kann mir das nicht gut vorstellen. Die Interessen der jeweiligen Hörergruppen sind gänzlich unterschiedlich. Bei einer Kombination würde man entweder die Aktualität vernachlässigen oder auf längere Features oder Hintergrundinformationen verzichten müssen. Zudem fürchte ich, dass dann kulturelle Beiträge bzw. Bildungsinhalte wie z.B. das derzeitige Radiowissen auf Bayern 2 insgesamt zu kurz kämen.

Und zwischen einem anspruchsvollen Kulturprogramm und Bayern 4 Klassik?

Klassik ist für mich ein wichtiger Teil von Kultur. Die Zielgruppen beider Wellen haben aus meiner Sicht die größten Interessensüberschneidungen.

Wird Ihrer Meinung nach der Kulturauftrag verletzt, wenn Bayern 4 Klassik auf UKW verschwände?

Wenn es nach mir geht, würde Bayern 4 Klassik nicht einfach auf UKW verschwinden. Ich könnte mir durchaus eine Kombination von Bayern 2 und Bayern 4 Klassik auf UKW vorstellen. Grundlage wären für mich konkrete Analysen, wer wann was hört. Beispielsweise die Übertragung von Konzerten oder Opern wäre dann in zeitlich festen Hörfenstern auf UKW zu empfangen. Zusätzlich halte ich es aber für erforderlich, ein Klassik-Programm rund um die Uhr über Kabel und digital anzubieten, so würden ca. 60 % der bisherigen Hörerschaft erreicht werden. Für viele der jetzigen Bayern-4-Klassik-Hörer würde sich also nicht viel ändern, unter Umstände würde sich die Empfangsqualität sogar verbessern.

Sehen Sie dann Konsequenzen für die Orchester und den Chor des Bayerischen Rundfunks?

Da sehe ich keinerlei Konsequenz. Die Orchester und der Chor sind Einrichtungen des gesamten BR und nicht nur von Bayern 4 Klassik. Daher ist ihre Existenz und Notwendigkeit völlig unabhängig von den Verbreitungswegen von Bayern 4 Klassik zu sehen. Zudem passen aus meiner Sicht die Konzertübertragungen auch gut zu Bayern 2 bzw. die speziellen Jugendkonzerte des BR-Rundfunkorchesters zu einer Jungen Welle.

Von Klassik-4-Befürwortern wird dem BJR der Vorwurf gemacht, dass er stillschweigend die Auflösung von Bayern 4 Klassik in Kauf nehmen würde, wenn die Junge Welle kommt. Was meinen Sie dazu?

Ich denke, dass meine bisherigen Ausführungen deutlich gemacht haben, dass es mir in keinster Weise um die Auflösung von Bayern 4 Klassik geht.

Was meinen Sie zu der von NDR-Intendant Professor Jobst Plog am 5. Juli 2006 im „Hamburger Abendblatt“ lancierten Perspektive: „Man könnte nur als eine mögliche Entwicklungsidee gemeinschaftlich ein traditionelles Klassikprogramm machen und die regional ausgeprägten Klassikwellen noch stärker auf jüngere Zuhörer ausrichten“? (www.dasganzewerk.de/presse/20060705-ha-plog.shtml)

Ich kann mir vorstellen, dass bei einem gemeinsamen ARD-Klassikprogramm die regionalen Besonderheiten zu kurz kommen, zumal auch dieses Programm in Bayern eine UKW-Welle beanspruchen würde. Unser aktuelles Problem würde sich damit also nicht lösen lassen.

In welcher Form und in welchem Zeitraum sollte Ihrer Meinung nach die Entscheidungsfindung zu einer Jungen Welle ablaufen?

Ich denke, die Entscheidung sollte so gut vorbereitet wie möglich, aber auch zügig getroffen werden. Die jungen Menschen warten schon viel zu lange auf ihre Junge Welle.

Möchten Sie auf diesem Wege dem Bayerischen Musikrat etwas mitteilen?

Ich würde mir wünschen, dass alle Beteiligten zu einer sachlichen Diskussion zurückfinden. Aussagen, dass Bayern 4 Klassik einer seichten Pop-Dudelwelle weichen soll, wie wohl im Rahmen der Unterschriftenaktion des Bayerischen Musikrats immer wieder argumentiert wurde, halte ich nicht für zweckdienlich. Wenn der BR auf Dauer zukunftsfähig bleiben soll, darf er sich notwendigen Veränderungen nicht verschließen. Nur weil etwas neu ist, muss es nicht schlechter sein.

Frau Kobriger, wir danken Ihnen für das Interview.    

1. Interview mit dem Bayerischen Jugendring (drucken/speichern - Pdf)
2. Interview mit dem Bayerischen Musikrat (drucken/speichern - Pdf)

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Interview mit dem Präsidenten des Bayerischen Musikrats, Wilfried Hiller:
Eine Kombination von Bayern 2 und Bayern 4 Klassik wäre ein literarisch-musikalischer Kahlschlag

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