Das GANZE Werk - Dokumentation
11. MainzerMedienDisput 2006
Alle Dokumente dieses Panels
Überblick: Gesamt-Programm (S. 2) und Impressionen (Bilder/S. 3) von Forum III, Panel 2 (Pdf-Datei)
Teil 1: Einführung in das Thema, Seite 26 bis 27
Teil 2: 9 Leitfragen an die Referenten, Seite 28
Teil 3: Berichterstattung für das Plenum, Miriam Schröder, Seite 29 bis 31
Teil 4: Referent Gerhart Rudolf Baum, Seite 32 bis 33
Teil 5: Referent Philip Banse, Seite 34
Teil 6: Referent Theodor Clostermann, Seite 35 bis 37
11. MainzerMedienDisput 2006, 8. und 9. November 2006
Forum III, Panel 2: Wellenbrecher und Querfunker /
Gebührenzahler gegen den Mainstream
Teil 3: Miriam Schröder, Berichterstatterin für das Plenum,
Seite 29 bis 31
Wie ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk nun zu retten? „Investiert in den Nachwuchs und in den Qualitätsjournalismus“, so kann die Antwort nach dieser Diskussion nur lauten.
Teil 3 aus der Pdf-Dokumentation (3 Seiten) |
Von links nach rechts: Gerhart Rudolf Baum (Bundesminister a.D.), Philip Banse (freier Journalist),
Heike Raab (MdL Medienpolitischer Ausschuss der SPD, Mitglied Rundfunkrat SWR), Diemut Roether
(Moderation), Armin Thurnher (Chefredakteur „Falter“), Theodor Clostermann (Sprecher Initiative
„Das GANZE Werk“), Hans Joachim Suchan (Verwaltungsdirektor ZDF)
Quelle: Tagungsimpressionen (siehe Überblick)
„Nichts geringeres als die Rettung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ wollte die Moderatorin Diemut Roether diskutieren. Teilnehmer waren der Journalist Philip Banse, Ex-Innenminister Gerhart Baum, der Lehrer und Musikliebhaber Theodor Clostermann, die SWR-Rundfunkrätin Heike Raab, der Österreichische Herausgeber und Publizist Armin Turnher und ZDF-Verwaltungsdirektor Hans-Joachim Suchan. Bei so unterschiedlichen Hintergründen erstaunt es wenig, dass die Diskutanten ihre Zeit brauchten um zu klären, wovor sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk retten müssen.
Da ging es zum Einen um die Frage: Wieviel Einfluss darf die Politik auf einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk nehmen? Da ging es zweitens um die Frage: Wie anspruchsvoll muss das Programm des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks sein, damit die Finanzierung durch Gebühren gerechtfertigt ist? Drittens ging es auch in dieser Diskussion um die „digitale Revolution“, um die Frage, was die Entwicklung von neuen, innovativen Formaten im Internet für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedeutet. Bedrohung oder Chance?
Politiker, die Einfluss nehmen auf das, was im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gesagt und gezeigt wird - für Armin Turnher, Herausgeber der Wiener Stadtzeitung „Falter“ nicht nur drohende Gefahr, sondern traurige Realität seit Bestehen des ORF. Früher hätten die Parteien den Sender dominiert. Der ehemalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel versprach eine konsequente „Entparteipolitisierung“ des ORF - und machte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum Sprachrohr seiner Regierung aus ÖVP und Haiders FPÖ. Die Regierung bestimmte darüber, wer das Sagen hatte beim ORF und auch darüber, wer in welcher Talkshows saß, wer interviewt wurde und wer interviewen durfte.
Der österreichischen Presse, die von „hoher Konzentration“ geprägt sei, wirft Turnher vor, nicht ausreichend über die Verknüpfung von politischer Macht und Medienmacht berichtet zu haben. Erst eine Bürgerinitiative „SOS ORF“, vorwiegend über das Internet organisiert, schaffte das Unglaubliche: Die Wahl des neuen ORFGeneraldirektors fiel nicht, wie erwartet, auf die Kandidatin der Regierung, sondern auf einen unabhängigen Kandidaten. Auch Gerhart Baum betonte die Bedeutung einer freien und pluralistischen Medienlandschaft. „Das Einzige, was gegen Einflussnahme hilft, ist Öffentlichkeit.“
Der freie Journalist Philip Banse berichtete, Beispiele politischer Beeinflussung von Journalisten gebe es auch in Deutschland immer wieder. Er nannte es die „Schere im Kopf“, die Beiträge passend schnibbelt - passend zur politischen Linie des Arbeitgebers.
Hans Joachim Suchan, Verwaltungsdirektor und SPD-Politiker, sieht den strukturellen Einfluss der Politik auf den Rundfunk begrenzt: Mit dem ZDF habe Adenauer 1960 zwar versucht, ein Staatsfernsehen zu gründen. Die föderale Ordnung der Bundesrepublik aber habe diese Macht dauerhaft gebrochen. Suchan gestand dennoch ein, dass publizistische Unabhängigkeit ein „dauerhafter Kampf“ sei, denn der Versuch, Einfluss zu nehmen, sei immer wieder da und „die Journalisten müssen robust genüg sein, diesem Druck widerstehen“. „Das Verfassungsgericht gibt uns Schutz, aber die handelnden Personen müssen ihn auch nutzen.“
Die SPD-Landtagsabgeordnete und SWR-Rundfunkrätin wehrte sich entschieden gegen den Vorwurf, im Rundfunk werde politisch entschieden. Die Zeit, als man Rundfunkanstalten wegen ihrer SPD-Nähe noch „Rotfunk“ nannte, sei doch endgültig vorbei. Raab plädierte dafür, die Gremien als „Spiegelbild der Gesellschaft“ zu begreifen: „Parteien gehören zu unserer Demokratie, darum gehören Parteien auch in die Rundfunkräte“. Auch Armin Turnher sagte mit Blick auf den öffentlichrechtlichen Rundfunk in Deutschland: „Die Parteien sind nicht das Problem.“ Denn bei Parteien sei Transparenz leichter einzufordern als bei privaten Investoren.
Auch die zweite große Frage dieser Diskussion ging um Einflussnahme auf das öffentlich-rechtliche Programm. Wie unabhängig ist der Rundfunk von Kommerz und Quotendruck?
„Der Kulturauftrag wird der Quote geopfert“ sagt Ex-Innenminister Gerhart Baum. Baum ist Mitglied der Hörer-Initiative „Das Ganze Werk“. Deren Sprecher, der Lehrer Theodor Clostermann beklagt den Wandel der öffentlich-rechtlichen Kultursender: Es würden kaum noch ganze Sinfonien oder Konzerte gespielt, sondern nur noch einzelne Sätze. „Meistens Vivaldi“! wirft Baum ein, neuere E-Musik bekäme nur sehr selten eine Chance. Kein Beitrag dauere länger als fünf Minuten, es gebe kaum noch geschlossene Sendungen, zitiert Clostermann aus einer Studie, die Mitglieder seiner Initiative am Radio durchgeführt haben. Musiksendungen würden andauernd durch Wortbeiträge „zerschreddert“, die dann auch noch permanent Werbung machten für Veranstaltungen des Senders.
Baum erklärte, das Verfassungsgericht habe dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk einen klaren Auftrag zugeschrieben: „Der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk findet seine Rechtfertigung nicht darin, dass ihn möglichst viele Menschen einschalten, sondern erst dann, wenn er neben massenattraktiven Sendungen auch anspruchsvolle Sendungen, mit hohem Kostenaufwand im Programm hat, die nur für eine geringe Teilnehmerzahl interessant sind.“ An der Frage, ob dieser Auftrag wahrgenommen wird entscheide sich auch die Grundsatzfrage der EU-Kommission: „Werden die Gebühren zu Recht eingenommen?“
Eine Frage, die sich nicht nur an die Kultursender im Rundfunk richtet, sondern auch an das Unterhaltungsprogramm im Fernsehen. Moderatorin Roether konfrontierte ZDF-Mann Suchan mit der Frage, warum das ZDF mit Telenovelas am Nachmittag und Tierarztidylle am Abend den Massengeschmack bediene, anstatt mehr anspruchsvolle Unterhaltungs- oder Informations-Formate zu produzieren.
Für Suchan gehören Formate wie „Julia“ oder „Eine Liebe Gardasee“ durchaus zum öffentlich-rechtlichen Auftrag: „Ein Massenmedium muss Masseninhalte transportieren“. Diese These begründete er mit dem Schlagwort „Audience Flow“, das so viel bedeutet wie: Die Telenovela jubelt dem Zuschauer anschließend auch noch die Nachmittagsnachrichten unter. „Fernsehen ist Verführung“, sagte Suchan. Die Verführungskunst bestehe darin, die Zeit zwischen den Nachrichten so überbrücken, dass der Zuschauer sie im ZDF gucke und nicht bei den Privaten. „Was wir betreiben ist Erziehung zum Vernünftigen - das ist der Auftrag“.
Unterstützung fand Suchan in Rundfunkrätin Raab: „Wir können nicht nur Programm für eine Bildungselite machen“, sagte die SPD-Politikerin, „wir haben auch ganz normale Menschen in Deutschland“. Bei jeder Gebührenerhöhung müsse sie sich anhören: „Das guckt ja sowieso keiner, was Ihr da macht.“ Raab gestand jedoch ein, dass es viel Altbackenes im Fernsehen gebe, zu viele Telenovelas. „Wir müssen schauen, dass wir nicht verwechselbar werden mit anderen Programmen“, warnte sie. „Wir müssen aufpassen“, sagte Raab. Wenn man ein neues Publikum gewinnen wolle, „die Mitte“, „die Familien“, „die Jüngeren“, wenn man die überzeugen wolle, „den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Wert zu akzeptieren“, dann müsse man neu Angebote schaffen: „Neue innovative Produkte, die Kultur vermitteln, aber eine junge, witzige Kultur, die vielleicht weniger Einschaltquoten hat, aber die Entwicklungen zulassen.“
Motor der Innovation könnte die rasante Entwicklung von Medienangeboten im Internet sein. ZDF-Mann Suchan pries das Internet als ideale Möglichkeit, mehr Programm anzubieten, auf Abruf. Gerhart Baum warnte davor, das Medium zu überschätzen. Formate wie das Internet-Magazin Ehrensenf seien ja „ganz amüsant“. Politische Information aber komme nur von den Öffentlich-Rechtlichen. Dem widersprach auch Philip Banse nicht, der neben seiner freien Tätigkeit für Rundfunk und Print den Internetformat „Küchenradio“ betreibt. „Wir sind kein Gegenentwurf zum Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen“, sagte Banse. „Wir sind experimenteller, dadurch entsteht viel Mist, aber auch Dinge, die man nie im Öffentlich-Rechtlichen sehen würde.“ Mithilfe von Video- und Postcast könnten im Internet neue Formate schnell umgesetzt werden. Qualitätsjournalismus aber sei das nicht. Denn Qualitätsjournalismus koste Geld. „Wie sollen wir das leisten? Wir müssen ja tagsüber arbeiten“, so Banse.
Wie ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk nun zu retten? „Investiert in den Nachwuchs und in den Qualitätsjournalismus“, so kann die Antwort nach dieser Diskussion nur lauten. Qualitätsjournalismus online oder offline, egal ob Hochkultur, Sport, Politik oder gute Unterhaltung.
9. November 2006, 14.00 bis 15.30 Uhr
Seite 28 aus: Dokumentation zum MainzerMedienDisput 2006 in Mainz
Medienkonzern Europa - Verkümmerte Öffentlichkeit • Steigende Kurse • Blühende Bürokratie
Redaktion: Dr. Thomas Leif (verantw.), 5. November 2007, 216 Seiten, 1,47 MB
bzw. Forum III, Panel 2: Wellenbrecher und Querfunker / Gebührenzahler gegen den Mainstream, 12 Seiten (26 bis 37)
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Überblick: Gesamt-Programm (S. 2) und Impressionen (Bilder/S. 3) von Forum III, Panel 2 (Pdf-Datei)
Teil 1: Einführung in das Thema, Seite 26 bis 27
Teil 2: 9 Leitfragen an die Referenten, Seite 28
Teil 3: Berichterstattung für das Plenum, Miriam Schröder, Seite 29 bis 31
Teil 4: Referent Gerhart Rudolf Baum, Seite 32 bis 33
Teil 5: Referent Philip Banse, Seite 34
Teil 6: Referent Theodor Clostermann, Seite 35 bis 37