Das GANZE Werk - Presseschau
Radio Berlin-Brandenburg (RBB), 9. Februar 2006
Quelle: rbb-online.de - Unternehmen - 25. RBB-Rundfunkratssitzung in Potsdam
Zitate:
Intendantin Dagmar Reim: ... alle Redakteure haben gesagt: Ja, wir freuen uns darüber, dass das jetzt ein Unternehmensziel ist, wir freuen uns jetzt darüber, dass wir Unterstützung aus allen Bereichen des Hauses bekommen, und keiner hat vorgeschlagen, zurück in die Vergangenheit zu gehen in Philosophiefragen.
Es ist gelungen, ein etwas jüngeres Publikum anzusprechen. Das ist wunderbar. Zweiundfünfzig Komma ist eine deutliche Verjüngung. Aber es ist noch nicht gelungen, mehr Publikum für Kulturradio zu finden.
25. RBB-Rundfunkratssitzung in Potsdam
Die Leitung des Hauses flieht vor einer Diskussion über die „Philosophie des Programms“
Warum auch nicht, wenn Kant und Hegel dort nicht so viel zählen?
Teil 2: Diskussion über den Bericht zu rbb-kulturradio im Programmausschuss
Aufzeichnungstext - Teile 1 und 2 - speichern/drucken (Pdf) |
Dr. Ulrike Liedtke: Nichts weiter zum Programmausschuss, dann können... Doch, ja bitte. Herr van Helt.
Hat die Philosophie dieses Radios zu so massiver Kritik geführt?
Dieter van Helt (Personalrat): Ja, ich möchte noch eine kurze Bemerkung zu dem machen, was Frau Stemmler über das Kulturradio gesagt hat. Es kann ja der Eindruck entstanden sein, hier arbeiten nur Dilettanten vor dem Mikrofon und hinter dem Mikrofon. Der Gegenbeweis ist natürlich auch, dass die guten Sendungen am Wochenende da sind und am Abend. Da ist ja noch die alte Philosophie des Kulturradios. Und da frage ich mich, ist dann auch mal beabsichtigt - jetzt in der Kampagne Unternehmensziel Kulturradio in diesem Jahr - mal wirklich nachzufragen: Ist es nicht vielleicht auch die Philosophie dieses Radios, die dazu geführt hat, dass so massive Kritik da ist? Die Redaktionen sind damals nicht so sehr gefragt worden. Sie ist aufgestülpt worden, diese Tagesbegleitung, etwas lax, oberflächlich, und auch die Reduzierung auf klassische Musik des 18. und 19. Jahrhunderts. Also meine Frage: Ich denke schon, dass da viele gute Leute arbeiten, aber vielleicht nicht so arbeiten können, wie sie vielleicht arbeiten wollen, weil die Philosophie dagegen spricht, die überstülpt worden ist. Daran sollte man auch denken.
Dr. Ulrike Liedtke: Frau Reim, bitte.
Kein einziger hat das so beurteilt, dass es eine Philosophiefrage ist
Dagmar Reim (Intendantin): Herr van Helt, ich war, nachdem wir uns auf das Unternehmensziel Kulturradio verständigt haben, in der Redaktion, wir haben zwei Stunden sehr intensiv und - wie ich finde - sehr konstruktiv über das Kulturradio mit allen kritischen Facetten diskutiert. Kein einziger aus der Redaktion hat das so beurteilt, dass es eine Philosophiefrage ist, sondern alle haben gesagt: Ja, wir freuen uns darüber, dass das jetzt ein Unternehmensziel ist, wir freuen uns jetzt darüber, dass wir Unterstützung aus allen Bereichen des Hauses bekommen, und keiner hat vorgeschlagen, zurück in die Vergangenheit zu gehen in Philosophiefragen, sondern viele Beispiele wurden genannt, was wir wo verbessern können, und das war ja das Gute an der Sitzung des Programmausschusses, dass sie uns ganz viele Vorschläge, was sie sich anders, besser, noch besser wünschen, mit auf den Weg gegeben haben. Und ich habe unsere Debatte im Programmausschuss nicht so in Erinnerung, dass festgehalten worden wäre, abends alles toll und tagsüber alles schlecht. So habe ich es nicht in Erinnerung. Und das kam auch nicht aus der Redaktion.
Dr. Ulrike Liedtke: Nochmal Herr van Helt, bitte.
Dieter van Helt: Ich wäre missverstanden worden, wenn ich jetzt gesagt hätte, nur das, was am Wochenende und abends passiert, ist gut, das andere ist nicht gut. Ich habe nur (gesagt), dass man sich auch mit dieser Philosophiefrage - was ist das Kulturradio, was ist die Tagesbegleitung? - befassen soll. Man kann ja zu anderen Schlüssen kommen, aber ich denke, das einfach so beiseite zu schieben und zu sagen, da sind die und die Fehler... Man muss auch nach dem Grund suchen. Natürlich ist es wunderbar, dass wir das Unternehmensziel Kulturradio haben. Weil (...) da offensichtlich etwas im Argen liegt, muss man auch erforschen: Woran kann es liegen, wie können wir besser werden? Da habe ich nur darum gebeten, ohne eine Behauptung aufzustellen, sich auch mit der Philosophie zu befassen. Und ich denke, das ist auch im Sinne von Kolleginnen und Kollegen. Um mehr geht es nicht. (Text leicht geglättet)
Dr. Ulrike Liedtke: Herr Steffel, bitte.
Dr. Frank Steffel (Abgeordnetenhaus Berlin, CDU): Mich würde nur eins, Frau Reim, interessieren. Nach der Berichterstattung von Frau Stemmler, die ich inhaltlich gar nicht abschließend bewerten kann, entsteht der Eindruck, dass die Führung des Radios doch offenkundig im Dissens mit dem Programmausschuss und möglicherweise auch mit der Intendanz ist. Ist das denn dann angestrebt, mit den vorhandenen Personen diese Umstrukturierung durchzuführen oder sind da Änderungen zu erwarten?
Das ist wunderbar. Zweiundfünfzig Komma ist eine deutliche Verjüngung.
Dagmar Reim: Es ist wie immer wie bei Bertolt Brecht: Sie müssen sich schon ein anderes Volk suchen, wenn Ihnen das Volk, das Sie haben, nicht gefällt. Mit anderen Worten: Ich glaube, dass die Redaktion des Kulturradios eine außerordentlich kompetente Redaktion ist. Sie hat Schwierigkeiten, die alle Redakteure und Redakteurinnen aller Kulturradios in Deutschland haben. Und diese Schwierigkeiten muss sie lösen. Es ist, und das hat ja Frau Stemmler vermerkt, gelungen, ein etwas jüngeres Publikum anzusprechen. Das ist wunderbar. Zweiundfünfzig Komma ist eine deutliche Verjüngung. Aber es ist noch nicht gelungen, mehr Publikum für Kulturradio zu finden. Und ich sage den Kolleginnen und Kollegen immer, es schickt sie niemand auf den Quotenstrich, aber sie sollen nicht keine Hörerinnen und Hörer haben. Und das ist zwischen uns auch einvernehmlich. Das ist ganz, ganz wichtig, das Radio muss die Reputation des RBB stärken, es muss eine Rolle spielen im kulturellen Diskurs von Berlin und Brandenburg. Und das ist eigentlich völlig einvernehmlich.
Und es kommt noch etwas hinzu, Herr Steffel, man braucht Geduld, wenn man Radio macht. Die Radioleute hängen ja anders als die Quontenjunkies vom Fernsehen nicht an der Nadel. Die Quotenleute vom Fernsehen wissen jeden Morgen, wo sie stehen. Das ist übrigens nicht immer gut. Die Radioleute bekommen zwei Zeugnisse im Jahr, jeweils zum Halbjahr, und die erste valable Zeugnisausgabe für das Kulturradio war vor vier Monaten. Das heißt, Veränderungen in einem Radio brauchen, bis sie durchschlagen, auch in der Akzeptanz und auch in der Mediaanalyse, brauchen die länger. Und deswegen hatten sie jetzt ihr erstes valables Zeugnis. Das war noch nicht so, wie wir es uns alle gewünscht hätten. Aber ich habe großes Vertrauen in diese Redaktion.
Anmerkung DGW: Die letzte MA - MA 2005 II - wurde am 19. Juli 2005 veröffentlicht.
Dr. Ulrike Liedtke: Herr Steffel direkt dazu.
Dr. Frank Steffel: Ich teile das, was Sie gesagt haben, Frau Reim, nur Sie haben meine Frage weitestgehend nicht beantwortet. Ich hab nicht gefragt, ob das Programm gut oder schlecht ist und ob das Durchschnittsalter sich verbessert hat, sondern ich hab gefragt, ob die Reaktion, die Frau Stemmler ja sehr zugespitzt hier formuliert hat, der Führung des Radios Ihnen den Optimismus gibt, dass die Bereitschaft zur Veränderung in dem hier diskutierten Sinne überhaupt vorherrscht. Also ich hab selten in den letzten Jahren einen so pointiert kritischen Bericht auch über Reaktionen von führenden Mitarbeitern des Hauses gehört, wie eben in dem hier unstreitig und nicht abschweifend diskutierten Beitrag von Frau Stemmler. Also wenn dieser Beitrag stimmt, dann hab ich große Sorge, dass das mit den handelnden Personen so gelingt, ohne die Details einschätzen zu können. Das war meine Frage. (Text leicht geglättet)
Man kann sich das nicht so einfach machen mit der Philosophie
Hannelore Steer (Hörfunkdirektorin): Ich war nicht bei der Sitzung des Programmausschusses, ich war leider verhindert. Was die Reaktion der Führung, also jetzt im Sinne von Herrn Dr. Matejka auf der Programmausschusssitzung nach der Kritik anbelangt, kann ich jetzt nicht entnehmen, dass er sich nicht dieser Kritik gestellt hätte. (...) Ich muss auch dazusagen, dass ich in den vergangenen Sitzungen des Programmausschusses schon auch sehr kritisch selbst, wenn die Rede auf Kulturradio kam, gesprochen habe, und gesagt habe, dass wir dort noch nicht das erreicht haben, was wir uns vorgenommen haben, insbesondere was die Qualität des Programms angeht, und das hat jetzt nichts zu tun mit der Philosophie des Programms, es hat auch nichts damit zu tun, dass Herr von Helt einen Unterschied sieht zwischen der Tagesbegleitung... Er hat ja gesagt, die guten Sendungen laufen am Abend und am Wochenende hauptsächlich. Dazu muss ich sagen, auch da kann man diskutieren. Ich möchte das hier nicht vertiefen. Aber wenn man sich die Kulturtermine um 19 Uhr anguckt, die vorrangig von Menschen gemacht werden, die im Tagesprogramm nicht vorkommen, dann sind die auch oft beliebig und sind auch noch nicht so, dass ich da jedes Mal vor Freude auf dem Tisch tanzen möchte. (...) Ich will damit sagen, man kann sich das nicht ganz so einfach machen mit der Philosophie. (..., Auslassungen: 3 Minuten und 50 Sekunden) (Text stark geglättet)
Dr. Ulrike Liedtke: Um nur kurz zu ergänzen, natürlich, Herr van Helt, gab es überhaupt keine Redakteursschelte in dieser Beratung, überhaupt nicht. Ich denke, es war ein sehr differenzierter Umgang mit dem Programm. Ich bekomme ja von anderen Sendern immer die Kulturinformationen zugeschickt. „Fliegt die Alte Musik aus dem WDR-Programm raus?“ heißt zum Beispiel eine Überschrift oder „Bayern 4 hat große Sorge, dass es ab 2007 nur noch digital verbreitet wird“. Es gibt ein großes Problem um die Kulturradios. Es kann dem RBB-Kulturradio nichts Besseres passieren, als zum Unternehmensziel erklärt zu werden. Ich denke, das ist das eigentlich positive Ergebnis dieser sehr harten Sitzung. Dankeschön.
Dauer der dokumentierten Diskussion: 8 Minuten und 55 Sekunden
Kurze kritische Anmerkung vom GANZEN Werk
Bewundernswerte Logik: Die Alten werden ausrangiert!
Wenn Intendantin Dagmar Reim sagt:
Es ist gelungen, ein etwas jüngeres Publikum anzusprechen. Das ist wunderbar. Zweiundfünfzig Komma ist eine deutliche Verjüngung. Aber es ist noch nicht gelungen, mehr Publikum für Kulturradio zu finden.
dann haben neue jüngere Hörer die gleiche Anzahl älterer Stammhörer ersetzt.
Wenn die Berliner Zeitung im Februar 2004 berichtete:
das Durchschnittsalter liegt über 60 Jahre
dann ist eine große Zahl ehemaliger Hörer von ihrem Stammsender vertrieben worden.
„Wunderbar“ menschenverachtend gegenüber den Alten. Genauere Zahlen sind wünschenswert.
Lesen Sie den Teil 1: Bericht im Rundfunkrat vom Programmausschuss
Rundfunkratsvorsitzende: „Es hat ganz arg gerappelt“
„Alles in allem muss man leider feststellen, dass die Welle mit 0,9 Prozent Reichweite immer noch nicht die in sie gesetzten Hoffnungen und Erwartungen erfüllt.“
Lesen Sie außerdem:
Zwischen „Abfragerei und Fahrstuhlmusik“
Vom Sahnestück zum Problemfall: Intendantin Dagmar Reim hat das Kulturradio des RBB zur Baustelle des Senders erklärt
Berliner Morgenpost, 20. Februar 2006