Das GANZE Werk - Presseschau
„sie können sich nicht vorstellen, wie sie
die sinfonie herunter gehudelt und herunter gekratzet haben“
(Wolfgang Amadeus Mozart)
Hamburger Abendblatt, 30. Januar 2006
Manch einer hat Talent, manch ein Er vergeigt's
Mozart: Sechs Stunden Marathonfeier in der Laeiszhalle
(und auf NDR Kultur)
Von Joachim Mischke
Hamburg - Aus dem Gröbsten, Größten ist er jetzt raus, der unkaputtbare Jubilar. Die ganze Musikwelt exaltierte sich am Freitag in einen kollektiven Mozart-Rausch, und auch der NDR wollte in diesem Riesen-Konzert hörbar sein. Also gleich ein mehr als sechsstündiges Mozart-Marathon zum 250. Geburtstag, also gleich die ganze Laeiszhalle in öffentlich-rechtlichen Beschlag nehmen. Das alles war gut gemeint, aber dann doch nicht immer gut gemacht. Empfänger des aparten Brief-Zitats „sie können sich nicht vorstellen, wie sie die sinfonie herunter gehudelt und herunter gekratzet haben“ hätten zunächst statt „Vatter Leopold“-O-Ton des Münsterschen Gastmoderators Götz Alsmann auch die komplett geistesabwesend klingenden NDR-Sinfoniker sein können: Alejo Perez, Assistent des Chefdirigenten Christoph von Dohnányi, lief mit harmlosen, buchstäblich vergeigten Jugendwerken so brachial auf Grund, daß man fast schon Mitleid bekam.
Im Laufe des langen Abends, der mit dem ersten Satz der ersten Sinfonie begann und mit dem letzten der letzten aufhörte, wurde so mancher Kompromiß praktiziert: Die Gran Partita wurde von einem Bläserensemble aus der Lübecker Musikhochschule zum Pausenklingeln vor jedem Programmblock in Stückchen zerlegt, aus wichtigen Werken kamen - historisch nicht ganz verkehrt, aber gewöhnungsbedürftig - mitunter nur einzelne Sätze zum Einsatz. Doch sobald Dohnányi am Pult stand, wurde das Orchester schlagartig seiner Reputation wieder gerecht. Schon erstaunlich. Der eine oder andere Solisten-Nerv lag in der Sinfonia Concertante KV 364 blank, dafür bekam man zu späterer Stunde Raritäten wie die Chorsätze aus dem Freimaurer-Drama „Thamos, König von Ägypten“ zu hören.
Eigens vom Salzburger Mozart-Gipfel eingeflogen wurde der Pianist Pierre-Laurent Aimard, nicht etwa, um sich auf der Bühne als kompetenter Interpret zu profilieren, sondern lediglich als Radio-Pausenplauderer auf dem Sofa in der Garderobe. Der jungen, immens talentierten Geigerin Baiba Skride ging es nicht besser. Da wäre etwas vorausschauendere Dramaturgie schön gewesen.
Doch für die Ehrenrettung durch Respektlosigkeit sorgte ein lustig frisierter, promovierter Musikwissenschaftler: Götz Alsmann moderierte frisch, fröhlich frei an und weg, was kam, und spielte auch gleich die Hauptrolle in der pfiffig aktualisierten Diven-Klamotte vom „Schauspieldirektor“. Die schönste Pointe gönnte er sich bei seinem Briefvorleseonkel-Auftritt kurz vor Mitternacht: „Noch 'ne halbe Stunde, dann ist hundert Jahre Schostakowitsch.“
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