Das GANZE Werk - Presseschau
Tagesspiegel, 29. September 2005
Schminktipps
Beispiel „Marienhof“:
Wie die ARD Programm und Werbung zusammenführt
Dietmar Pretzsch, die rechte Hand von ARD-Programmdirektor Günter Struve, war Referent an einen internen Workshop des Westdeutschen Werbefernsehens Ende November 2003 in Köln zum Thema zukünftige engere Partnerschaften zwischen Sender, Unternehmen und Vermarktern
Von Bernd Gäbler
Schleichwerbung und ARD – das war gestern. Neue Gremien wurden geschaffen, Redakteure ermahnt, und die Verträge werden künftig so ausgestaltet sein, dass im Zweifelsfall alle Schuld bei den Auftragsproduzenten liegt. Die ARD gibt sich als brutalstmöglicher Aufklärer, vorausgesetzt, sie bleibt in der Rolle des Opfers.
Weitgehend auf der Strecke geblieben ist bei dieser Operation der normale Menschenverstand. Der würde zum Beispiel. eine Sendung namens „Wernesgrüner Musikantenschenke“ („Willkommen in der Heimat der Pilslegende“) verdächtig finden und Verträge und Geldströme zwischen Brauerei und Sender unter die Lupe nehmen. Der MDR forciert stattdessen die Cross Promotion und lässt den Moderator zusätzlich noch bei Florian Silbereisen auflaufen. Auch das quotenstarke Magazin „Super-Illu TV“ könnte daraufhin befragt werden, wie genuin öffentlich-rechtlich es ist und ob da nicht schwer geschlichen wird. Stattdessen aber bekommt der Burda-Verlag auch noch seine „Goldene Henne“ genannte Ost-Gala üppig in Szene gesetzt.
Auftragsproduzenten, Werbetreibende und Agenturen gewinnen den Eindruck, bei ihnen allein solle der Schwarze Peter nun fest zu Hause sein. Da regt sich Unmut. Sie sehen es nicht ein, als Unholde dazustehen, die über eine willenlose und unschuldige ARD hergefallen seien. Hier und da wird Material gesammelt für etwaige Prozesse, andere wollen zwar noch nicht mit Name und Zitat für eventuelle Gerichtsverwertung geradestehen, aber die Selbstinszenierung der ARD empfinden sie doch als Zumutung.
So erinnern sich zum Beispiel Teilnehmer an einen internen Workshop des Westdeutschen Werbefernsehens WWF (heute WDR Mediagroup), zu dem Annette Coumont Ende November 2003 nach Köln geladen hatte. Knapp 50 Akteure erörterten zukünftige engere Partnerschaften zwischen Sender, Unternehmen und Vermarktern. Isabell Kristes-Zimmermann stellte das Regenwald-Projekte der Brauerei Krombacher vor, ein Agenturvertreter die EON-Kampagne „Sind Sie on?“; aus unternehmerischer Sicht lobte Silke Gehrike die wunderbare Kooperation der Fluggesellschaft Germanwings mit dem WDR-Hörfunksender Eins Live anlässlich der Aktion: „Eins Live hebt ab“ – als Höhepunkt der Tagung aber wurde allgemein das Referat von Dietmar Pretzsch empfunden.
Denn dieser Referent kam direkt aus der ARD-Programmdirektion. Dietmar Pretzsch ist nicht irgendwer. In Doppelfunktion ist er Leiter Marketing in der ARD-Programmdirektion und Direktor Programm-Marketing „Das Erste am Vorabend“. Als zentraler Vermarkter ist er die rechte Hand von ARD-Programmdirektor Günter Struve. Auch bei der Bavaria war er in entscheidenden Momenten als dessen Emissär vorstellig geworden.
Teilnehmer – es gibt Mitschriften und Notizen – erinnern sich an folgenden Aufbau seines Vortrags: ineffektive Vermarktung gestern wurde der zeitgemäßen „integrierten Kommunikation“ von heute gegenübergestellt. Früher sei es so gewesen: Eine fertige Sendung wurde ins Programm gestellt und dann hätten die Vermarkter sich kümmern müssen. Integrierte Kommunikation aber bedeute, „auch das Programmumfeld selbst“ müsse in Szene gesetzt werden. Wie dies vorbildlich geschehe, verdeutlichte er am Beispiel der Vorabendserie „Marienhof“. Man habe zum öffentlichen Casting für eine bestimmte Rolle aufgerufen und dabei zum Nutzen aller mit der Mädchenzeitschrift „Sugar“ und dem Kosmetikkonzern „L'Oreal Paris“ zusammengearbeitet. Wenn es zum Beispiel um Schminktipps gehe, sei wichtig, dass Serienfigur und Werbebotschaft stets zusammenpassen. Mit Mitteln der empirischen Sozialforschung werde dies regelmäßig und systematisch erfasst und könne von den Autorenteams auch bei den Drehbüchern berücksichtigt werden.
Diese Ausführungen haben damalige Teilnehmer als ausdrückliche Einladung seitens der ARD-Oberen verstanden, auch in Drehbücher etwas einarbeiten zu lassen. Von der Gefahr der Schleichwerbung oder einem Abstandsgebot zwischen redaktionellem und werblichem Inhalt war nicht die Rede.
Die exakte Rekonstruktion wird schwierig bleiben, die spätere einseitige Schuldzuweisung aber mögen manche Zuhörer von damals nicht gelten lassen. Vermutlich verfügt der Referent ja noch über den Wortlaut und kann ihn jetzt der eingerichteten ARD-„Clearing-Stelle“, die illegales Product Placement künftig verhindern soll, zur Verfügung stellen.
Lesen Sie mehr zu der damals diskutierten Werbestrategie am Ende unseres Artikels:
Produkt: „Sucht mein Angesicht“ von John Updike (Hörbuch)
Kooperation: NDR und Hoffmann & Campe