Das GANZE Werk - Presseschau
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Juni 2005
Ein stiller Skandal beim Rundfunk Berlin-Brandenburg:
Die Berliner Funkkonzerte „Musik der Gegenwart“ wurden abgeschafft
Jetzt wird es leiser
Es wird allmählich totenstill werden im Kulturprogramm des RBB. Bald ist nur noch das locker-flockige Lispeln der chronisch nichtinformierten Tagesbegleitmoderatoren zu hören.
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Von Eleonore Büning
Man beißt nicht in die Hand, die einen füttert. Offene Worte zum Niedergang der dritten Rundfunkprogramme kommen deshalb im Rundfunk selbst selten vor - nicht zuletzt dank der bekannten, an DDR-Gepflogenheiten gemahnenden Maulkorb-Anweisungen, die es Mitarbeitern der öffentlich-rechtlichen Anstalten schwermachen, sich (selbst-)kritisch zum eigenen Medium zu verhalten. Und doch geschah es, daß am Sonntag abend gegen einundzwanzig Uhr im Pausengespräch des 197. Konzertes der Reihe „Musik der Gegenwart" der Dirigent des Abends, Peter Rundel, erklärte, er persönlich höre kein Radio mehr - vor allem nicht die „Kultur"-Welle des RBB (Rundfunks Berlin-Brandenburg), auf der er soeben selbst zu hören war.
Inhaltsloses Geplapper, dargereicht zu häppchenweise heiterer Barockmusik, so etwas ertrage er nicht länger, sagte Rundel. Und sprach damit vielen Hörern, die sich nach der jüngsten Programmreform des RBB unter Protest abgemeldet hatten, aus dem Herzen. Rundel,der das live übertragene Funkkonzert zwar im Auftrag des RBB dirigierte und gemeinsam mit Musikredakteur Martin Demmler programmiert hatte, geht mit seiner Kritik kein berufliches Risiko ein. Nicht mehr. Das Konzert war sowieso das letzte dieser Art: „Musik der Gegenwart“ ist abgeschafft worden. Kurzerhand, auf Anweisung von oben, ohne Presseerklärung und ohne viel Aufhebens. Kläglich, fast möchte man sagen: heimlich. Man wartete nicht die runde Zweihundert ab. Es kam nicht mal zu einer ordentlichen Abschiedsfeier, geschweige denn gab es eine Begründung zu hören, eine Art Rückschau auf fünfzig Jahre Musikgeschichte der Moderne, die der Sender mit dieser Konzertreihe geschrieben hatte, oder sonstwie ein als „kulturbewußt“ zu bezeichnendes Verhalten der Verantwortlichen. Musikchef Christian Detig, der den Beschluß befürwortet, Wellenchef Wilhelm Mateijka, der ihn herbeigeführt hatte, saßen zwar im Publikum. Sagten aber kein Wort. Oder vielmehr doch immerhin halböffentlich, nach der Pause, im Vorbeistreifen an der Sitzreihe der Musikkritiker, meinte letzterer: „Jetzt wird es leiser werden.“ Das sollte sich zwar wohl nur auf die Tutti-Gewalt der Cluster-Stürme beziehen in dem vor der Pause dargebotenen Cellokonzert von Georg Friedrich Haas - einer Aufführung, in der das Deutsche Symphonie-Orchester (DSO) wieder einmal seine exzellente Schulung auch in ausgefallenen Spieltechniken erwies und der Solo-Cellist Jens Peter Maintz hinreißende Kantilenen ausbreitete in einer langen Kadenz. In dem Kontext indes, in dem das Wort gesprochen wurde, bekam es einen zynischen Klang: Ja, es wird leiser werden. Es wird allmählich totenstill werden im Kulturprogramm des RBB. Bald ist nur noch das locker-flockige Lispeln der chronisch nichtinformierten Tagesbegleitmoderatoren zu hören.
Zur Erinnerung: „Musik der Gegenwart“ wurde vor fast fünfzig Jahren am 27. Oktober 1955 begründet. Die Reihe umfaßte anfangs fünf, später vier Konzerte übers Jahr verteilt - in der Regel große Orchesterkonzerte mit dem RSO Berlin (das heute DSO heißt), aber auch Kammerkonzerte im Großen oder Kleinen Sendesaal, mit Live-Übertragung. Dank reger Auftragstätigkeit in den sechziger und siebziger Jahren förderte „Musik der Gegenwart“ eine Fülle bedeutender Orchesterwerke ans Licht: vom Cellokonzert György Ligetis bis zum „Sternenklang“ Karlheinz Stockhausens, vom Bratschenkonzert Wolfgang Rihms bis zu „Inane“ von Aribert Reimann. Dann wurden sukzessive Etats gestrichen, die Neue Musik geriet auch im Programm stärker an den Rand, die Werbung wurde fast ganz eingestellt, die Konzertreihe nebst Publikum der Auszehrung anheimgegeben. Die letzte Uraufführung in „Musik der Gegenwart“ - ein Klavierkonzert von Hans-Peter Kyburz - fand vor fünf Jahren statt (F.A.Z. vom 2. Februar 2000). „Man hat diese Konzertreihe einfach verludern lassen“, erinnert sich Reimann, deshalb sei es jetzt, da selbst das interessierte Publikum nicht mehr den Weg in den Sendesaal findet, ein leichtes, die Sache zu kippen. „Ein Skandal“, meint Rundel. Zum Skandal wird etwas aber erst, wenn die Öffentlichkeit es bemerkt.
Tatsache ist, daß die Reihe „Musik der Gegenwart“ im Lauf der Zeit ihr Publikum verloren hat. Nicht aufgrund ihres Laborcharakters oder etwa, weil die Programme nichts taugten. Vieles blieb bis zum bitteren Schluß, wie das letzte Konzert mit Werken von Manuel Hidalgo, Ludwig van Beethoven und Georg Friedrich Haas, von erlesener musikalischer Qualität. Auch hat sich das Neue-Musik-Publikum keineswegs in Luft aufgelöst - es hat sich naturgemäß verjüngt und verändert, umstrukturiert und seinen Horizont eher erweitert. Diesen Strukturwandel, der allenthalben im Musikbetrieb zu spüren ist, hätte auch die „Musik der Gegenwart“ mitvollziehen müssen. Wie gut besucht und im besten Sinne populär „Neue-Musik“-Konzerte heutzutage sein können, vorausgesetzt, sie werden gepflegt, zeigt die anhaltende Blüte der „Musica Viva“-Reihe beim BR oder die „Musik der Zeit“ beim WDR. Und wie geht es in Berlin weiter? Statt bislang eines will der RBB in Zukunft zwei Orchesterkonzerte im Rahmen des Januarfestivals „Ultraschall“ mittragen. Der Rest des ohnehin winzigen Etats, der mit der Beerdigung von „Musik der Gegenwart“ frei wird, soll moderierten Kinderkonzerten zugute kommen.
Lesen Sie dazu zwei Leserbriefe vom 11. Juni 2005:
• Neue Musik als Schwerpunkt
Der RBB widmet der Neuen Musik nahezu ein Drittel seines Etats für Produktion und Mitschnitte (Leserbrief des RBB)
• Neue Musik als Grundlagenforschung
Einzelsätze aus Werken herauszureißen heißt einem Kunstwerk Gewalt anzutun, es seines Spannungsgefüges zu berauben