Das GANZE Werk - Presseschau
DIE WELT, Feuilleton Hamburg, 3. Juli 2004
Stammhörer versus Kulturradio-Youngster
Wie sich von Freiburg bis Kiel die Kulturprogramme unterscheiden
Von Lutz Lesle
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Unser Meinungsbericht „NDR-Kultur - Ein Radioprogramm zum gepflegten Weghören" vom 17. Juni und das anschließend mit Programmdirektor Gernot Romann geführte Interview vom 25. Juni fanden ein ungewöhnlich heftiges Leser-Echo. Das strittige Thema bietet Anlass, einmal die Kulturprogramme des ARD-Hörfunks vergleichend unter die Lupe zu nehmen.
Dabei fällt auf, dass NDR-Kultur, Nordwestradio, RBB sowie MDR Figaro darauf verzichten, die Musiktitel ihrer tagesbegleitenden Sendeblöcke im Vorwege bekannt zu geben. WDR 3, HR 2, SWR 2 und Bayern 4 hingegen kommen dem Wunsch vieler „selektiver" Radiohörer nach, die sich eine Programmzeitschrift halten oder die Tageszeitung studieren, um sich die Sendungen anzukreuzen, die ihre Neugier wecken. Offensichtlich fühlt sich die west- und süddeutsche Senderkette noch dem „Kulturinteressierten" alten Schlags verpflichtet, während die im Norden und Osten ansässigen ARD-Anstalten den medienwissenschaftlich erhobenen „neuen Kulturorientierten" für sich entdeckt haben - ein Einschaltquotenbringer, der gemäß Definition des NDR-Programmdirektors in einem Büro arbeitet, wo der Chef das Nebenbeihören duldet.
Was ihre täglichen Klassik-Schienen betrifft, so lassen die west- und süddeutschen Kulturwellen erkennen, dass nicht die Zentrifuge, sondern eine thematische Idee - mag sie auch wolkig betitelt sein - die Musikauswahl bestimmt. Beispiele: Musikpassagen auf WDR 3 („Unendliche Weiten", „Something wild in New York", „Die Eitelkeit der Schwäne") oder Pour le Piano - Tastenspiele (Pianisten-Porträts) nachmittags auf Bayern 4. Die Musik von Leos Janácek zieht sich anlässlich seines 150. Geburtstags vom 3. bis 9. Juli durch verschiedenste Sendespalten von WDR 3, HR 2, SWR 2 und Bayern 4, während NDR-Kultur seine Janácek-Hommage anscheinend auf das informationsdichte „Prisma Musik" am heutigen Sonnabend konzentriert. In seiner Samstag-Sendung „Vesper" bringt WDR 3 heute ein Radiokonzert mit Komponisten, die in Hamburg wirkten: von Stadtkantor Thomas Seile und Kapellmeister Johann Theile (mit dessen Singspiel „Der geschaffene, gefallene und aufgerichtete Mensch" die Gänsemarktoper 1678 eröffnete) über Brahms bis zu Philipp Jarnach, Alfred Schnittke und Peter Ruzicka. Eine Programmidee wie geschaffen für NDR-Kultur.
Dessen beliebte Vorlesestunden befinden sich übrigens in guter ARD-Gesellschaft. Während Hannelore Elsner hier ab Dienstag den erotischen Roman „Chéri" von Colette liest, können die hessischen Hörer Mörikes wenig bekannten Roman „Maler Nolten" kennen lernen. SWR 2 wagt sich derweil an den neuen Roman „Mara" von Wolf Wondratschek: Ein Stradivari-Cello von 1698, heute im Besitz des Virtuosen Heinrich Schiff, erzählt aus seinem 300-jährigen Leben. Alle Lesungen finden zu verschiedenen Tageszeiten statt, so dass sich per Satellitenschüssel ein ersprießlicher Literatursommer empfangen lässt.
dazu:
Leserbriefe vom 21. Juli 2004 („Komponisten-Missbrauch“, „Gebührensenkung wäre angemessen“, „Ein großes Ärgernis“)