Das GANZE Werk - Presseschau
Berliner Zeitung, 7. Oktober 2003
Die Kulturwellen im Radio wollen von der Buchmesse profitieren
Den meisten steht ein Umbau bevor
Der stille Begleiter
Geplantes Kulturradio des RBB: Eine Initiative freier Mitarbeiter fürchtet „Boulevardisierung“ und einige feste Redakteure melden Bedenken an
Weitere Beispiele: HR 2, SWR 2 und WDR 3
Von Marcus Bäcker
Christa Wolf ist dabei und der Bestsellerautor Frederick Forsyth. Der immer wieder als nächster Nobelpreisträger gehandelte António Lobo Antunes ebenso wie Uwe Timm, der seinen Roman „Am Beispiel meines Bruders“ vorstellen wird. Während anderswo Staukilometer gezählt werden und Boygroups plärren, wird am kommenden Freitag auf HR 2 und den meisten anderen Kulturwellen der ARD gelesen und über Literatur gesprochen. Satte vier Stunden dauert die „Radionacht der Bücher“ - ein spektakuläres Beispiel dafür, wie intensiv die öffentlich-rechtlichen Kultursender über die Frankfurter Buchmesse berichten. Die Frage ist nur, ob die Zielgruppe davon Notiz nimmt: Dass Kulturliebhaber auch Kulturradio hören, ist längst keine Selbstverständlichkeit mehr.
Seit über zehn Jahren geht die Zahl der Menschen, die im Wirrwarr der Frequenzen gezielt Radio 3, WDR 3, HR 2, SWR 2 oder einen anderen Kultursender suchen, kontinuierlich zurück. Und die Hörer, die bei der Stange bleiben, sind in der Mehrzahl weit über 50 Jahre alt. Man muss nicht Anhänger des grassierenden Jugendwahns sein, um das Problem zu erkennen: Stoppen die Kulturradios nicht den verhängnisvollen Trend und gewinnen sie keine neuen, jüngeren Zuhörer, senden sie eines Tages unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Fließende Übergänge
„Wenn es uns nicht gelingt, neue Formen der Kultur abzubilden, geht der Nachwuchs andere Wege“, warnt WDR 3-Programmchef Karl Karst. Nötig sei eine „Neuausrichtung der anspruchsvollen Kulturprogramme“. Wie die aussehen soll, daran scheiden sich allerdings die Geister. Heftigen Widerspruch ernten beispielsweise die Pläne des RBB, der seine Wellen Radio 3 und Radio Kultur zusammenlegen und generalüberholen will. Schon fürchtet eine Initiative freier Mitarbeiter die „Boulevardisierung“ des Programms, und auch einige feste Redakteure melden Bedenken an.
Was sie empört, wird „Tagesbegleitprogramm“ genannt: Anstelle vieler unterschiedlicher Sendungen sollen ab dem 1. Dezember vier dreistündige Magazine tagsüber das Kulturbedürfnis der Hörer befriedigen. Die Vorlage für dieses Konzept lieferte die Medienforschung, die herausgefunden hat, dass die Zuhörer mit einem kleinteiligen Programm nicht dauerhaft an den Sender gebunden werden. „Einschaltpunkte sind auch Ausschaltpunkte“, konstatiert WDR-Mann Karst. „Wechseln die Schwerpunkte und die Art der Präsentation zu stark, verabschiedet sich automatisch ein Teil der Hörerschaft.“
Bei WDR 3 sollen die Übergänge deshalb ab dem 1. Januar 2004 fließender gestaltet werden. Das Konzept, das in den kommenden Wochen vom Rundfunkrat verabschiedet werden muss, sieht zwei „integrierte Programmstrecken“ in der Zeit von 6 bis 9 Uhr und von 17 bis 20 Uhr vor. Die inhaltliche Vielfalt bleibe bestehen, so Karst. Für Identität und Wiedererkennbarkeit sollen einige wenige Moderatoren sorgen, die durch je drei Stunden Programm führen. Für sie wird derzeit ein Casting durchgeführt.
Bei HR 2 hat eine vergleichbare Programmreform bereits stattgefunden: Von 6 bis 10 Uhr und von 17 bis 19 Uhr läuft an Wochentagen das Magazin „Mikado“, mit Beiträgen über Kultur, Politik und Gesellschaft. „Zu bestimmten Tageszeiten können und wollen sich viele Hörer nicht ausschließlich auf das Radio konzentrieren“, erklärt Wellenchefin Angelika Bierbaum. „Trotzdem möchten sie sich von einer Kulturwelle begleiten lassen, und darauf wollen wir uns mit neuen Sendeformen einstellen.“
Als „Begleitradio“ möchte Angelika Bierbaum HR 2 nicht verstanden wissen: Es gibt weiterhin feste Einschaltpunkte, Lesungen etwa, und jenseits der Programmstrecken blieben auch tagsüber Sendungen mit speziellen Schwerpunkten und eigener Klangfarbe erhalten - ein Konzept, fast identisch mit dem von WDR 3.
Beim RBB gibt man sich mit seinen vier Dreistündern radikaler. „Tagsüber Begleitprogramm, abends Einschaltradio“, heißt es auf Anfrage. Und noch etwas stößt bei internen und externen Kritikern auf Unmut: die Festlegung des Musikprogramms auf Klassik, die bei anderen Kulturwellen längst aufgegeben wurde. In „Mikado“ bei HR 2 etwa folgt auf Kammermusik schon mal ein Stück von Leonard Cohen, das Piccola Orchestra Avion Travel trifft auf Suzan Vega. Was hartnäckigen Puristen beliebig vorkommen mag, entspricht tatsächlich dem Geschmack vieler Musikliebhaber, die Kultur nicht automatisch mit Klassik gleichsetzen und die in der Mehrzahl zwischen 30 und 60 Jahre alt sind. Und auf genau diese Altersgruppe haben es die Kulturwellen schließlich abgesehen.
Also wird allerorts reformiert und umstrukturiert, bei den einen mehr, bei den anderen weniger. SWR 2 etwa hat zwar sonntags eine dreistündige Matinee eingeführt, bleibt ansonsten aber bei der Abfolge vieler unterschiedlicher, unterscheidbarer Sendungen. „Ein Programm für ZuHörer“, betont Wellenchefin Hildegard Bußmann - Wasser auf die Mühlen der Kritiker, die mit einem Schaudern auf die Vorgänge beim RBB blicken.
Welches Konzept sich durchsetzen wird? Die nächsten Jahre werden es zeigen. Noch sind die Reformbemühungen viel zu frisch, in den meisten Fällen noch nicht mal abgeschlossen. Und jetzt steht erst einmal die Frankfurter Buchmesse an. Ein dankbares Thema für die Kulturwellen. Mal schauen, wie dankbar die Radiohörer sind.
Bücher zu später Stunde // Einige Kulturwellen der ARD-Hörfunksender strahlen am Freitag eine „Radionacht der Bücher“ aus. Vier Stunden lang werden Schriftsteller aus ihren Werken lesen und darüber diskutieren. Die RBB-Welle RadioKultur überträgt von 20.05 Uhr bis 0.00 Uhr.
Der erste Widerstand gegen das geplante Kulturprogramm des RBB:
• Verachten Sie den Hörer? - Der RBB baut sich ein neues Kulturradio
Prominente sagen dem Sender, was das Programm leisten muss
Der Tagesspiegel, 29. August 2003
• Was zerstört ist, bleibt zerstört - Kritik am geplanten Kulturradio des RBB
Pressemitteilung vor einer Podiumsdiskussion in der folgenden Woche
Akademie der Künste Berlin, 17. September 2003
• Klassik, nichts als Klassik!
Zum neuen Kulturradio des RBB und zu Programmänderungen bei SWR 2 - Kulturradio als „Begleitprogramm“ oder „Einschaltradio“? - Bericht von einer Podiumsdiskussion vor der Entscheidung des RBB-Programmausschusses
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. September 2003
• Der stille Begleiter - Die Kulturwellen im Radio wollen von der Buchmesse profitieren. Den meisten steht ein Umbau bevor - Geplantes Kulturradio des RBB: Eine Initiative freier Mitarbeiter fürchtet „Boulevardisierung“ und einige feste Redakteure melden Bedenken an - Berliner Zeitung, 7. Oktober 2003