Das GANZE Werk - Presseschau
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. September 2003
Zum neuen RBB-Kulturradio und zu Programmänderungen bei SWR 2
Klassik, nichts als Klassik!
Kulturradio als „Begleitprogramm“ oder „Einschaltradio“?
Bericht von einer Podiumsdiskussion, vor der Entscheidung des RBB-Programmausschusses
Von Frank Kaspar
Das zum 1. Dezember geplante neue Kulturradio des Rundfunks Berlin Brandenburg sendet tagsüber zwischen 6 und 18 Uhr ausschließlich klassische Musik. Dieses Konzept stieß intern auf harsche Kritik.
Wer sagt eigentlich, daß Radiohörer, die sich für Kultur interessieren, unbedingt klassische Musik hören möchten? Das ungeschriebene Gesetz scheint unverrückbar, denn auch für das zum 1. Dezember geplante neue Kulturradio des Rundfunks Berlin Brandenburg, dessen Konzept intern auf heftige Kritik stieß und heute im Programmausschuß des Rundfunkrats diskutiert wird, steht eines fest: Tagsüber zwischen sechs und 18 Uhr wird ausschließlich klassische Musik zu hören sein. Auf einem Markt von dreißig terrestrisch zu empfangenden Radioprogrammen müsse die neue Welle auf Anhieb eindeutig identifizierbar sein, sagt die Hörfunkdirektorin des RBB, Hannelore Steer. „Wenn der Hörer Klassik hört, eine Viertelstunde lang zuhört, und er hört immer noch reine Klassik, dann soll er wissen: Das ist das RBB-Kulturradio.“
Musikfarbe als Alleinstellungsmerkmal. Man kann es auch anders ausdrücken. Als der Medienjournalist Lutz Meier auf einer Podiumsdiskussion über die RBB-Pläne am letzten Donnerstag Zweifel am Sinn der „Zwangsgemeinschaft“ von Kulturradiohörern und Klassikliebhabern anmeldete - zumal man sich jüngere Hörer wünsche -, gab der (einundvierzigjährige) Musikchef von Radio Kultur, Christian Detig, zurück: Er gehöre zwar selbst einer Generation an, die mit mehr als klassischer Musik sozialisiert worden sei, aber seine Generation habe auch etwas anderes gelernt: „Wo Nutella draufsteht, muß auch Nutella drin sein.“
Entscheidend ist die MarkeEntscheidend ist, daß man sich unterscheidet. Auf anderen Wellen in Berlin und Brandenburg kommt schließlich auch Kultur vor. Und einerseits möchte man die Klassik-Hörer der alten RBB-Programme Radio Kultur und Radio 3 nicht verlieren, zugleich werden andere Unterscheidungsmerkmale als die Musik künftig nicht mehr so deutlich ausfallen wie bisher. Denn das Konzept für das neue Kulturradio sieht vor, daß der Tag von vier je dreistündigen Magazinflächen geprägt wird, in denen Live-Charakter und kurze, aktuelle Information im Vordergrund stehen. Wortbeiträge sollen zehn Minuten Länge nicht überschreiten, für am Vormittag neu eingeführte Kurzfeatures und -hörspiele gilt ein „Richtwert“ (Steer) von fünf Minuten. Damit wendet das Programm sich an Nebenbeihörer und nähert sich strukturell anderen RBB-Wellen wie dem Inforadio, dem Stadtradio 88acht oder dem kulturorientierten Radio Eins an, das mit dem Wahlspruch „Nur für Erwachsene“ um Angehörige der Nutella-Generation wirbt, und das, laut Media-Analyse (MA), mit Erfolg: Der durchschnittliche Radio-Eins-Hörer ist 34,7 Jahre alt. Der Altersschnitt der Hörer von Radio Kultur ist seit 1998 von 45 auf 63 Jahre gestiegen. Für Radio 3 liegt er bei 61 Jahren.
Wie immer man zur Strategie des RBB steht, die in ähnlicher Form bei vielen anderen ARD-Kulturradios zum Tragen kommt, eines macht der Nutella-Satz deutlich: Der Jargon, in dem über die Zukunft des Kulturradios gesprochen wird, hat sich grundsätzlich verändert. Was immer man tut oder läßt, es muß mit Markenbewußtsein geschehen. Selbst diejenigen, die sich dem Trend zum „Tagesbegleitprogramm“ widersetzen, sehen sich gezwungen, ihr Terrain mit dem Vokabular des Marketing zu verteidigen. „Der Deutschlandfunk ist eine Marke“, sagt der Programmdirektor des Senders, Günter Müchler. Nachdem der DLF, wie Müchler betont, seit Anfang der neunziger Jahre alle Moden gemieden habe, nach denen sich die ARD-Kulturwellen in Reformen und Reförmchen verrenkten - von zunehmender Formatierung bis zur Aufgabe klassischer Nachrichten zugunsten von News-Shows mit Originaltönen -, segelt er heute unter der Flagge eines „Programmklassikers“. Ein Label, wie es auch Mineralwässer und Zahncremes tragen, um geltend zu machen, daß sie sich seit Jahrzehnten nicht verändert haben.
SWR 2 will neue ZielgruppenSWR 2 will sich mit einer „Programmoptimierung“ von Oktober an „neuen Zielgruppen öffnen“ und diese durch einen „Radio Club“ an sich binden, der - nach dem Vorbild des österreichischen Kulturradios Ö1 - von Rabatten auf Theater- und Konzertbesuche, Musik-CDs oder Hörbücher bis zu eigenen Veranstaltungen manches bietet. Und der für Bayern 2 Radio verantwortliche Hauptabteilungsleiter Kultur des Bayerischen Rundfunks, Christoph Lindenmeyer, wie die SWR-2-Wellenchefin Hildegard Bußmann entschiedener Verfechter anspruchsvoller Sendungen für Zuhörer auch am Tage, führt das „Image des Vertrauens“ und die „Medien- und Kulturkompetenz“ ins Feld, die dem öffentlich-rechtlichen Kulturradio im dualen Rundfunk einen „Wettbewerbsvorteil“ verschafften. Lindenmeyer denkt laut über „zukunftsfähige Beispiele einer intelligenten Kooperation mit externen Kulturpartnern“ nach, wie sie WDR 3 mit etlichen NRW-Kultureinrichtungen praktiziert.
Daß Kategorien des Marktes die Diskussion über das Kulturradio beherrschen, sagt allerdings nichts über richtige oder falsche Lösungen. Der Leiter der SWR-Medienforschung, Walter Klingler, hat in einer Studie die Fernseh- und Hörfunknutzung von Kulturinteressierten untersucht. Seiner Ansicht nach findet ein Programm die Akzeptanz der Hörer, wenn es gelingt, eine „positive Erwartungshaltung“ aufzubauen. Diese sei „zunächst formatneutral“. Entscheidend sei nicht die grundsätzliche Alternative „Begleitprogramm“ oder „Einschaltradio“, sondern die Frage, ob die Hörer die Programmstruktur durchschauen und gewünschte Inhalte zuverlässig finden.
Ausgeprägte Special Interests der HörerGünter Müchler sieht den Erfolg des DLF gerade im Prinzip der Themensendungen zu festen Einschaltzeiten begründet: „Wir glauben, daß unsere Hörer ein begrenztes Zeitbudget und ausgeprägte Special Interests haben und das, was sie interessiert, nicht eher zufällig in einem Musikteppich finden möchten. Angesichts des ausufernden Informationsangebots wächst heute das Bedürfnis nach gezielten Zugriffen.“ In den letzten Jahren konnte der Deutschlandfunk seine Reichweite kontinuierlich steigern, auch dort, wo regionale Nachrichtenradios wie NDR 4 oder MDR Info ihm Konkurrenz machen. Das Altersmittel seiner Hörer liegt bei 57 Jahren, die Gruppe der Zwanzig- bis Neunundzwanzigjährigen wächst. Das Einschaltprogramm, sagt Müchler, sei kein Auslaufmodell. Daß die „Zeit des alten Redakteursradios, in der der Redakteur und nicht das Publikum das Maß des Angebots war“, vorüber sei, wie die Medienforschung des RBB Redakteuren beschied, die den Programmentwurf kritisierten, hält er für „eine waghalsige Gegenüberstellung“. Selbstverständlich müsse ein Programm sich bewähren, aber das heiße nicht, „um jeden Preis die Quote hochzutreiben. Wir müssen das hervorheben, was unsere Stärken sind: Gründlichkeit, Kompetenz, Schnelligkeit, Originalität.“
Auch Hildegard Bußmann, deren Welle bei der jüngsten MA auf 2,1 Prozent kam, macht geltend, „daß die Rezeption von Kulturprogrammen mit hohem Wortanteil und klassischer Musik wie bei SWR 2 anders zu bewerten ist als die eines formatierten Programms, das auf die Nebenbeinutzung hin konzipiert ist“. Wieviel Relevanz darf man der Quote überhaupt beimessen, wenn es um ein öffentlich-rechtliches Minderheitenprogramm geht und man weiß, daß die Fehlermarge der Media-Analyse bei zwei Prozent liegt? „Es gibt eine Quote nach unten“, meint der Programmchef von BR 2, Klaus Kastan, „unser Programm kostet soviel wie die anderen vier Wellen des BR zusammen. Wenn wir weniger als 1,5 oder wenigstens ein Prozent Marktanteil erreichen, ist das nicht mehr zu rechtfertigen.“ Mit 2,9 Prozent nach der jüngsten Media-Analyse steht BR 2 derzeit gut da, innerhalb der letzten zehn Jahre hat die Welle aber dreißig Prozent ihrer Hörer verloren. Der Altersschnitt steigt und liegt bei rund 59 Jahren.
Was einmal zerstört ist
Christoph Lindenmeyer betont dennoch, daß die Akzeptanz einer Kulturwelle nicht allein an der Quote zu messen sei: „Zu berücksichtigen sind auch Imagewerte von Programmen, etwa das Ansehen von Kulturleistungen des Hörfunks im aktuellen kulturellen Diskurs.“ Er ist „mehr denn je davon überzeugt, daß innerhalb der jeweiligen Programmfamilien von Massen- und zielgruppenorientierten Programmen die Chance zukunftsfähig ist, ein ‚anderes Radio‘ anzubieten: ein Medium für Entdeckungen, für Originalproduktionen, nicht nur ein Medium für Sekundärberichterstattung und die Befriedigung breit ermittelter Bedürfnisse.“ In diesem Sinne hat die Berliner Akademie der Künste einen Appell an die Geschäftsleitung des RBB gerichtet. „Gewachsene Programmstrukturen, die zugunsten eines ‚Formatradios‘ einmal zerstört“ würden, seien nicht mehr aufzubauen, so die Akademie, die den „Anspruch jener Hörer, die das Radioprogramm als Kulturfaktor und kulturelles Angebot ansehen, gegenüber der zweifellos größeren Gruppe der ‚Nebenbeihörer‘“ einklagt. Eine der eingestellten Sendungen, die „Galerie des Theaters“, habe zuletzt freilich nicht mehr als zweitausend Hörer gehabt, gibt die Hörfunkdirektorin Steer zu bedenken.
Die Verhältnisse hätten sich auf merkwürdige Weise verkehrt, meint Christoph Lindenmeyer. Einst innovative Radiomacher sähen sich in die Rolle von Wertkonservativen gedrängt, „weil sie über den Tag und die Etats hinaus denken“. Beim RBB hat sich die Diskussion an der herbeigeredeten Frontlinie „Modernisierer“ versus „Traditionalisten“ verkeilt. Der Programmchef einer aktuell orientierten RBB-Welle stellte hämisch den „Aufbruch aus der selbstverschuldeten Unerhörtheit der alten Kulturprogramme“ in Aussicht. Doch die eigentlichen Fragen werden jenseits solcher Kampflinien liegen: Was traut man seinen Hörern zu? Womit will man sie überraschen? Wie kann Kulturradio selbst Themen und Akzente setzen und nicht nur auf angenommene Hörgewohnheiten reagieren, sondern neue prägen? Im Programmausschuß des Rundfunkrats wird darüber heute das letzte Wort gesprochen. Dann ist es an den Mitarbeitern und Leitern der neuen Welle, im neuen Format auch Experimenten Raum zu geben.
Der erste Widerstand gegen das geplante Kulturprogramm des RBB:
• Verachten Sie den Hörer? - Der RBB baut sich ein neues Kulturradio
Prominente sagen dem Sender, was das Programm leisten muss
Der Tagesspiegel, 29. August 2003
• Was zerstört ist, bleibt zerstört - Kritik am geplanten Kulturradio des RBB
Pressemitteilung vor einer Podiumsdiskussion in der folgenden Woche
Akademie der Künste Berlin, 17. September 2003
• Klassik, nichts als Klassik!
Zum neuen Kulturradio des RBB und zu Programmänderungen bei SWR 2 - Kulturradio als „Begleitprogramm“ oder „Einschaltradio“? - Bericht von einer Podiumsdiskussion vor der Entscheidung des RBB-Programmausschusses
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. September 2003
• Der stille Begleiter - Die Kulturwellen im Radio wollen von der Buchmesse profitieren. Den meisten steht ein Umbau bevor - Geplantes Kulturradio des RBB: Eine Initiative freier Mitarbeiter fürchtet „Boulevardisierung“ und einige feste Redakteure melden Bedenken an - Berliner Zeitung, 7. Oktober 2003