Das GANZE Werk - Hörer-Analyse/Media-Analyse, NDR Kultur
Das GANZE Werk, 20. März 2005
Media-Analyse Hörfunk 2005 I: Schreibers „erneut steigende Hörerzahlen“ auf dem Prüfstand
NDR-Soziologie, so geheimnisvoll wie Nessie,
das Ungeheuer von Loch Ness
Ausführliche Hintergrundinformationen und Kommentar
Post aus Seevetal. Adressat ist diesmal Michael Schreiber, der Musikchef von NDR Kultur.
„Ich habe auf den Konzertveranstaltungen, bei denen ich die Besucher zu ihrer Ansicht über das Tagesprogramm befragt habe, auf ganzer Linie nur Ablehnung der Häppchenmusik und ständigen Eigenreklame gefunden. Nur 0,5 % der Befragten waren mit der neuen Machart des Senders zufrieden. Wie Sie zu den positiven Ergebnissen kommen, ist mir ein Rätsel.“
Soll er antworten, oder nicht, wie es bei NDR Kultur oft genug geschieht? Keine Frage. Es ist ihm natürlich kein Rätsel, es ist ja schließlich sein täglich Brot, sein Spezialgebiet. Oft genug hat er schon geschrieben: „Das Hörverhalten hat sich insgesamt verändert. Dem müssen wir Rechnung tragen, ansonsten spielen wir bald vor einem leeren Saal!“ Aber das mit dem Saal hat Romann ihm verboten, seitdem dieser verkündet hat, dass das Radioprogramm „kein Konzertsaal“ ist. Aber jetzt gibt es dazu etwas Neues zu vermelden, die neue MA, und bei dieser Gelegenheit kann er gleich auf Übertreibung und Klagen - „bald vor einem leeren Saal“ - verzichten.
Über Sieberts Experimente kann er auch nur müde lächeln: zufällige Privat-Soziologie. Das haben ihm schon tausend Leute erzählt, das stimmt einfach nicht. Unter Gleichgesinnten - ohne jeden Wert. Seine Zahlen sind MA-Zahlen: reelle Zahlen. Gebühren finanzierte, als „Geschäftsgeheimnis“ im Safe vor Enthüllungen gesicherte, geheimnisvolle. Nichts für Privat-Menschen!
Soll er so antworten wie sein Chef, Intendant Prof. Plog?, „Das Klassik- und Kulturprogramm des NDR gewinnt nach der Reform weiter.“ Das ist doch, sagen wir es ehrlich, vorschnell und lau formuliert, eine Verlautbarung, dpa-mäßig, aber kein Kultur-Event. Oder soll er Gräfin Kerssenbrock zitieren, die Rundfunkratsvorsitzende mit der verbalen Power, die es mit dürren acht Worten auf den Begriff gebracht hat? „Die vorgenommenen Veränderungen bei NDR Kultur sind richtig.“ Das würde sich schick machen, aber da gab es die neue MA noch nicht. Also kombiniert unser Musikchef beides, nachzulesen in seinem Antwortbrief vom 14. März 2005.
Die jüngste „Media-Analyse“ vom 9. März 2005 hat NDR KULTUR erneut steigende Hörerzahlen attestiert. Damit zeigt sich, dass der von uns eingeschlagene Weg richtig ist!
Er ist Programmmacher, das betont er stolz, wenn er gnädigerweise Briefe beantwortet: „werde ich mich um das Programm zu kümmern haben!“. Und er beherrscht inzwischen Tastatur und Maus seines Musik-Mix-Computers perfekt, das ist seine eigentliche Aufgabe. Aber diese Privat-Soziologie von Frau Siebert war eine echte intellektuelle Herausforderung. Und wie hat er sie gemeistert? Mit der NDR-Soziologie!
Die hat es wirklich in sich. Sie ist so unfassbar, so geheimnisvoll und doch so begeisterungsfähig wie Nessie, das Ungeheuer von Loch Ness. Sie kann die Fantasie so wunderbar beflügeln. „Jeder wollte (es) sehen und auch erste Fotos wurden gemacht. Meist nur undeutliche Schnappschüsse oder Bilder, die sich wenig später als Fälschungen herausstellten.“ Frau Kossebau aus Braunschweig hatte es auch versucht, sie hatte Romann‘sche Zahlen der NDR-Soziologie addiert und subtrahiert. Daraufhin ließ ihr Herr Romann ausrichten: „Die von Ihnen formulierten Reichweitenrechnungen entbehren jeglicher wissenschaftlichen Grundlage“. Eben: Nessie.
Am 9. März haben wir die NDR-Zahlen entzaubert.
Hier ein weiteres Beispiel für die wundersame Wandlungsfähigkeit der Materie. Oder Beliebigkeit. Oder Willkürlichkeit.
Welche Zahlen gibt es offiziell? Vom NDR 2 (in Worten: zwei) Zahlen:
1. Der Höreranteil im NDR-Sendegebiet, er ist von 1,8 % auf 2,0 % gestiegen.
2. Die Hörer bundesweit sind von 242.000 auf 274.000 gestiegen.
(Beides: Hörer gesterm von Montag bis Freitag, nachzulesen in der NDR-Presseerklärung).
Zum Thema MA-Zahlen und Hörer gesterm von Montag bis Freitag schrieb uns der Deutschlandfunk:
„Wir arbeiten ausschließlich mit den Zahlen ‚Hörer gestern - Montag bis Sonntag‘. Die Beschränkung auf die ‚Arbeitstage‘ stammt von den werbefinanzierten Programmen, mit denen wir uns natürlich nicht gemein machen wollen. Außerdem finden Informationen und Kultur bekanntlich auch am Wochenende statt. (...) Das marktschreierische Agitieren mit wachsenden oder fallenden Quoten überlassen wir gerne den kommerziellen Programmen.“
Na dann, Montag bis Sonntag also. Da kapituliert die NDR-Soziologie: nichts in der NDR-Presseerklärung, nichts in der ARD-Tabelle, nichts in den Zahlen der NDR-Intranet-Tabelle. Was bleibt? Mal wieder beim Deutschlandfunk anfragen? Noch nicht. Die gewünschten Zahlen gibt es nur bei der Hamburgischen Anstalt für neue Medien (HAM). Sie veröffentlicht wenigstens Zahlen für Hamburg, aus denen die Presse berichtet (z.B. Hörer gestern). In den drei anderen Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, sucht man solche Zahlen vergeblich.
Also Montag bis Sonntag, allerdings nur für Hamburg. Mehr lässt der NDR nicht zu. Mehr lassen die Landesmedienanstalten nicht zu. Hörer gestern, mindestens 15 Minuten mit NDR Kultur. 47 Hörer sagen am Telefon „Ja“. Hmm, zu wenig? Nein, das wird hochgerechnet: 2.136 Personen wurden befragt, das macht stolze 2,2 %. Wenn wir mit der letzten MA von 2004 vergleichen, kommen wir zu einem erstaunlichen Ergebnis: Tusch!
Nachdem im Jahr 2004 von Montag bis Sonntag in Hamburg schon 2,2 % NDR Kultur hören, erlebt der Sender im Jahr 2005 "erneut steigende Hörerzahlen" (Michael Schreiber) und erreicht einen neuen Höchstwert: 2,2 %. Herzlichen Glückwunsch, Gräfin Kerssenbrock, Herr Professor Plog, Herr Romann, Frau Mirow und Herr Schreiber! |
Vor vier Jahren waren es 3,2 % (siehe dort auf Seite 3 unter NDR/ORB Radio 3). Wellenchefin Mirow wird sich den Textbaustein von Musikchef Schreiber kopieren.
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Antwort von Michael Schreiber
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