Das GANZE Werk - Alternativen im Ausland
EINSCHALTQUOTEN UNWICHTIG, ZUHÖRERZAHLEN STEIGERN
Im Gespräch mit Roger Wright, Controller von BBC Radio 3
Von Mike Farish
Artikel aus der Zeitschrift
"Das Orchester", Ausgabe 7-8/2004 (S. 14 ff.)
mit freundlicher Genehmigung von Schott Musik International GmbH & Co., 55026 Mainz
Roger Wright, Controller von BBC Radio 3, beschreibt den Auftrag des von ihm geleiteten Senders in knappen Worten: "Wir wollen den Publikumsgeschmack voranbringen." Auch über die Richtung, in die Radio 3 diesen Geschmack lenken soll, bekommt man von ihm eine kurze, aber klare Aussage: "Wir haben eine breit angelegte Programmgestaltung mit der westlichen klassischen Musik als Kern; neue Musik, Jazz und Weltmusik ergänzen." Andere Programmpunkte, in ihrer Gewichtung allerdings untergeordnet, sind Hörspiele, neue Literatur und Wortbeiträge zu Kulturthemen.
Bevor Roger Wright im November 1998 seinen Posten bei BBC Radio 3 antrat, arbeitete er bei der Deutschen Grammophon, eine Zeit lang auch in der künstlerischen Planung des Cleveland Orchestra in den USA und schließlich als verantwortlicher Leiter für klassische Musik im Radio und Fernsehen der BBC. Mehr als die Arbeit dort gibt ihm seine neue Aufgabe eine rößere Freiheit, ein künstlerisches Programm ganz nach eigenen Vorstellungen zu schaffen.
Radio 3 sendet rund um die Uhr und ist vollständig aus öffentlichen Geldern finanziert. Kommerzielle Belange müssen anders als beim privaten Rundfunk nicht berücksichtigt werden; Erfolg wird nicht am finanziellen Ertrag gemessen. Auf die Frage, welche Maßstäbe denn in dieser Hinsicht für ihn wichtig sind, sagt er: "Der Umfang und die Tiefgründigkeit unseres Programmangebots, die Hörerstatistik und die Meinung sowohl der Journalisten als auch der Zuhörerschaft."
Neuerungen und Protest
Selbst wenn Wright immer wieder betont, dass der Programminhalt in keiner Weise von externen Faktoren bestimmt wird - die zitierte Aussage macht klar, dass auch Radio 3 die Hörererwartungen nicht vollständig ignorieren kann und sich mit seiner Programmgestaltung innerhalb eines Spannungsfeldes befindet, das durch Einschaltquote und Bildungsauftrag definiert wird. Deutlich wird der Widerspruch auch, wenn Wright äußert: "Wir werden nicht durch den Wunsch getrieben, neue Hörer zu gewinnen", zugleich aber die Hörerstatistik als einen der Hauptmaßstäbe für den Erfolg des Senders benennt. Während der fünfeinhalb Jahre, die Wright schon im Amt ist, hat es einige Neuerungen gegeben. Dazu zählt zum einen die beschleunigte Fortsetzung der bereits vor ihm begonnenen Ausweitung des Sendeplatzes für nicht-klassische Musik, vor allem für Jazz und die etwas schwerer zu definierende Weltmusik. Dazu zählt beispielsweise aber auch das Engagement neuer Moderatoren, die einen insgesamt lockereren Moderationsstil pflegen, wie z. B. Andy Kershaw, der vorher bei Radio 1 war, dem Pop-Sender der BBC. Die Veränderungen haben nicht nur eine umfangreiche Berichterstattung der Medien über den Sender bewirkt, sondern auch die Gründung einer kritischen Hörergruppe, die Wright eine Verwässerung des Programms und ein mangelndes Engagement für die westliche klassische Musik vorwirft.
Roger Wright zeigt sich hierüber allerdings wenig beunruhigt und ist überzeugt, dass seine Strategie als Reaktion auf veränderte Bedingungen in der Rundfunklandschaft gerechtfertigt und unumgänglich ist, wenn man verhindern möchte, dass die Klassik im Radio auf dem Abstellgleis endet. Dem Verdacht, der Sender bewege sich zu weit von seinem Kerngebiet weg, begegnet er mit dem Hinweis, dass über 50 Prozent der Sendezeit aus Liveübertragungen oder hauseigenen Mitschnitten besteht. Außerdem hilft ihm das Angebot verschiedener Musikrichtungen dabei, neue Zuhörerschaften anzusprechen, was sich letztlich natürlich auch in steigenden Publikumszahlen niederschlägt bzw. niederschlagen soll. Der Plural "Zuhörerschaften" ist wichtig, denn Wright ist überzeugt davon, dass Radio 3 keine homogene Gemeinschaft von Zuhörern hat. Vielmehr besteht diese, wie er sagt, aus einer Reihe ganz unterschiedlicher Gruppen, deren Interessen sich teilweise überlappen, in weiten Bereichen aber auch keine Übereinstimmungen aufweisen. Dass nicht jeder Hörer alle Beiträge von Radio 3 gut findet, stört ihn wenig. Sein Kommentar hierzu ist einer, der aus dem Mund eines Programmchefs eines privaten Senders wohl niemals zu hören wäre: "Man kann jederzeit ausschalten."
Autonomie statt Playlist
Ein Sendeprogramm, das aus solchermaßen unterschiedlichen Elementen besteht, lässt sich kaum mehr von einer zentralen Stelle aus gestalten. Wright weist daraufhin, dass "täglich Hunderte von redaktionellen Entscheidungen zu treffen sind", die unmöglich alle von ihm persönlich autorisiert werden können. Radio 3 ist insofern ein kollektives Produkt, das aus der Summe verschiedener Programmlinien besteht, für die es innerhalb klar definierter Richtlinien einen Gestaltungsspielraum gibt, der von verschiedenen Personen genutzt und verantwortet wird. Mit einem Seitenhieb auf private Klassiksender bringt Wright es auf den Punkt: "Aufnahmeleiter müssen Autonomie haben. Wir haben keine Playlist."
Mit Ziel auf denselben Adressaten kommt er außerdem darauf zu sprechen, dass es bei seinem Sender auch keine mitgestaltenden Hörergruppen gibt, deren Meinung man einholt und die dann auch entsprechend berücksichtigt wird. "Diese Hörergruppen", so Wright, "erzählen ihnen ohnehin nur das, was sie schon wissen." Man kann diese Einstellung für gleichgültig, sogar für arrogant halten. Roger Wright sieht dies anders: "Die Zuhörer stehen im Mittelpunkt unserer Aktivitäten", versichert er. "Dennoch hat keine der vorgenommenen Änderungen es den Hörern leichter gemacht. Wir passen uns ihrem Geschmack nicht automatisch an. Wir müssen sie überraschen und auch ein Stück weit auf unserer Reise mitnehmen."
Eine der auffälligsten Neuerungen im Programm von Radio 3 ist der deutlich gewachsene Anteil von Weltmusik. Während vor zehn Jahren nur einige Stunden dieser Musik und dann auch nur in einem separaten Programm gesendet wurden, steht sie gegenwärtig an mindestens vier Wochentagen auf dem Programm und wird in Sendungen gespielt, die auch ganz andere Musikrichtungen berücksichtigen. Zusätzlich ist ihr ein fester Termin am Samstagnachmittag eingeräumt. Stilistisch ist sie am ehesten als Ethno-Pop zu bezeichnen, als Musik also, die traditionelle Musiken im Volksstil mit westlichen Jazz- oder Pop-Instrumenten verbindet.
Des Protests, den gerade die Verstärkung dieser Musikrichtung hervorgerufen hat, ist sich Roger Wright bewusst. Dennoch gibt er sich diesbezüglich nicht defensiv und rechtfertigend. "Gibt es überhaupt einen Sender, der heute noch klingt wie vor 20 Jahren?", fragt er. Seine Position und die Arbeitsbedingungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben ihm die Freiheit auszuprobieren und Neues zu wagen. Dass Wright sich vor diesen Herausforderungen nicht scheut und seine Freiheiten nutzt, ist ganz offensichtlich.
Übersetzung aus dem Englischen: Lindsay Chalmers-Gerbracht
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