NDR Kultur: Eine Stunde Dauerwerbesendung
Lassen auch Sie sich von den Tricks von NDR Kultur überraschen
(5. Oktober 2006)
Offenes Themen-Placement für ein Konzert, eine ganze Stunde lang
Eigentlich müsste dieser Sender heißen: „NDR Kultur-Info“ (formale Bezeichnung) oder „NDR Kultur-Werbung“ (ehrliche Bezeichnung)
Von Theodor Clostermann
Artikel und Dokumentation speichern/drucken (Pdf - 129 kb) |
Hier erwarten Sie geballte Information und Hintergrundmaterial zu einem ungewöhnlichen, aber eigentlich typischen Ereignis auf NDR Kultur. Es handelt sich situationsbedingt um ein GANZES Werk mit der Darstellung der aktuellen Lage, dem Bericht über die Radiosendung zwischen 9 und 10 Uhr, Analyse und Kommentar sowie einer umfangreichen Dokumentation (die Radiosendung, drei dazugehörige Zeitungsartikel und ein Kurzbericht einer Hörerin von NDR Kultur).
TEIL 1: DIE AKTUELLE AUSGANGSLAGE
Der Sportkoordinator der ARD stolpert. Die ARD-Intendanten verkünden, er habe gegen die Richtlinien zur Trennung von Werbung und Programm verstoßen, er habe die „notwendige journalistische Professionalität vermissen lassen“. Gleichzeitig verstößt NDR Kultur nicht nur ab und zu und ausnahmsweise, sondern regelmäßig und häufig gegen das Prinzip der Trennung von Werbung und Programm.
Die maßgeblichen Grundsätze für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Im Rundfunkstaatsvertrag ist unter anderem festgelegt:
§ 7 Werbung
(2) Werbung oder Werbetreibende dürfen das übrige Programm inhaltlich und redaktionell nicht beeinflussen. (...)
(3) Werbung und Teleshopping müssen als solche klar erkennbar sein. Sie müssen im Fernsehen durch optische Mittel, im Hörfunk durch akustische Mittel eindeutig von anderen Programmteilen getrennt sein. (...)
(6) Schleichwerbung und entsprechende Praktiken sind unzulässig. (...)
In den ARD-Werberichtlinien heißt es ergänzend in Kennziffer 1.3:
Werbung darf nur ausgestrahlt werden, wenn sie nach Inhalt und Art der Gestaltung nicht mit anderen Programmteilen verwechselt werden kann. Werbung und Werbetreibende dürfen das übrige Programm inhaltlich und redaktionell nicht beeinflussen.
Für das Zeigen und Nennen von Begleitmaterial („Bücher, Schallplatten, CDs, CD-ROMs, Videokassetten und andere Publikationen, die sich unmittelbar von Sendungen, Programmen oder Veranstaltungen der Rundfunkanstalt ableiten“) gibt es dort in Kennziffer 14 noch zusätzliche Regelungen, die wesentlich großzügiger als im Rundfunkstaatsvertrag formuliert sind. Um sie geht es in diesem Beitrag aber nicht, sondern um ein Produkt bzw. eine Dienstleistung: ein Konzert.
Kennen die Programmplaner von NDR Kultur diese Grundsätze nicht?
Wir sind der Meinung, dass die Praxis von NDR Kultur den Grundsatz, die Werbung dürfe das Programm „nicht beeinflussen“, geradezu auf den Kopf stellt: die Werbeimpulse bestimmen den Fortgang des Programms, das Programm ist auf sie zugeschnitten. Die „werblichen Elemente“, so die Sprache von NDR-Intendant Prof. Jobst Plog: (Brief zur Gerd-Show auf NDR 2, am 4. Oktober 2005 an den Verfasser), werden zu einlaufenden Anlässen nach einem intern festgelegten Ablaufplan in das Tagesprogramm platziert. Das geschieht versteckt und verpackt in einer aufgesetzten Moderation, als „Kulturinformation“ bzw. „Kulturbericht“ oder ganz offen als „Kulturtipp“. Wenn Herr Plog in seinem Brief einen CD-Hinweis „einen Service für die NDR 2 Hörer, eine Information, die sie sonst auf anderem Wege beziehen müssten“, nennt und ihn damit rechtfertigt, dann sind der thematischen Werbung keine Grenzen gesetzt, solange keine Einzelfirma genannt wird.
Diese Werbeimpulse brauchen, um ihre Wirkung zu erzielen, ein angenehmes Umfeld: die „Musikfarbe“ Klassik, und dazwischen viele Sprachinseln. Deshalb darf es nach den Programmplanern von NDR Kultur tagsüber keine langen Sendestrecken und damit auch keine GANZEN Werke, erst recht keine Musiksendungen geben. Die Musik ist vollkommen untergeordnet: entweder wird sie Teil der Werbeimpulse (siehe Beethoven-Romanze) oder sie ist beliebig und belanglos als Hintergrundmusik (einschließlich oft nicht kompetenter Moderation), ganz abgesehen davon, dass sie sich bei dem begrenzten Musikpool ständig wiederholt (so auch die gespielte Interpretation der Violin-Romanze von Ludwig van Beethoven).
Weil wir inzwischen die fortgesetzten werblichen Unterbrechungen für das ärgste Hindernis eines vernünftigen Musikprogramms tagsüber halten, haben wir die Sendungen von NDR Kultur in der Zeit vom 18. September bis zum 5. Oktober 2006 zwischen ca. 6.30 und 10.30 Uhr aufgenommen, auf ihre werbenden Informationen hin untersucht und zum Teil schriftlich dokumentiert. Wir berichten in dem Hauptteil zunächst ausführlich von einer Stunde, die uns in Ihrer Werbeintensität besonders aufgefallen ist: Werbung zu einem einzigen Thema, eine ganze Stunde lang, und vergleichen sie dann mit den anderen Sendestunden des Untersuchungszeitraums.
TEIL 2: BERICHT ÜBER DIE RADIOSENDUNG
Mit einem emotionalen Konzertbericht fängt es an...
Scheinheilig wird um 9.11 Uhr in der Vorankündigung zum Konzertbericht aus Braunschweig das Thema „Konzert des London Philharmonic Orchestra unter Kurt Masur“ eingeführt: „Wir wollen gleich noch einmal an die Höhepunkte erinnern.“
Werden dann im Kurzbericht um 9.29 Uhr Höhepunkte beschrieben? Musikalisch gibt es - außer den eingespielten Hinweisen, dass Masur „mit wenigen Ansätzen sein Orchester voll im Griff hatte“ (ein Zuhörer) und dass Masur alles „auswendig dirigiert“ (Festival-Leiter Hans-Christian Wille) - keine konkreten Informationen, der Berichterstatter begnügt sich entweder mit Allgemeinheiten („mit gut aufgebauten Stimmungsbögen“) oder langt gleich zu nicht weiter begründeten Superlativen („Die Dirigenten-Legende Kurt Masur und das London Philharmonic Orchestra in seiner ganzen technischen Brillanz hatten das Publikum von Beginn an elektrisiert.“, „Masur und sein Orchester arbeiteten die gesamte Stimmungsvielfalt der Romantik heraus“) Die konkreten Informationen beschränken sich auf die äußeren Bedingungen: das Konzert war schon „vor Monaten ausverkauft“ und wurde auf dem Braunschweiger Burgplatz „auf einer Großbildleinwand übertragen“.
In geradezu epischer Fülle wird dagegen in den verschiedenen Einspielungen einem Gefühlssuperlativismus gehuldigt:
a. „Phantastisch, einmalig“
b. „... so schön, dass man das nicht anders ausdrücken kann und auch nicht anders ausdrücken möchte“
c. „diese Pianistin ist ein Traum“
d. „phänominal“
e. „einfach großartig“
f. „so'n paar Tränen gedrückt“
g. „einfach phantastisch“
Richtige musikalische Höhepunkte erfahren die Hörer also nur andeutungsweise, kritische Töne fehlen vollständig. Die Stimmung war „einfach“ bombig. Nach dieser gefühlsgeladenen Vorbereitung und dem Stichwort einer Zuhörerin: „So ist es auch ganz nett.“ lüftet NDR Kultur endlich das Geheimnis und teilt die eigentliche Absicht für diesen Bericht mit - seit 6.30 Uhr war davon noch nicht die Rede.
Überraschung Nr. 1
„Und nett wird es auch heute Abend noch einmal in Hamburg, Das London Philharmonic Orchestra unter Kurt Masur und Helen Huang spielen um neunzehn Uhr dreißig in der Hamburger Laeiszhalle...“
Und mit verschämter Zurückhaltung in der Stimme fügt die Moderatorin klarstellend hinzu, dass das Konzert in Hamburg - im Gegensatz zu dem in Braunschweig - überhaupt noch nicht ausverkauft sei:
„... und für dieses Konzert gibt es auch noch ein paar Karten.“
Das ist eindeutige Werbung, auch eine Offenbarung zum bisherigen Kartenverkauf. Es ist ja nicht nötig, dass auch noch der Konzertveranstalter, die Dr. Rudolf Goette Konzertdirektion in Hamburg mit dem Zyklus B der „Pro-Arte-Konzertreihe“, genannt wird, das versteht sich für einen Interessierten fast von selbst. Von jetzt an bis zum Ende der Sendestunde läuft auf NDR Kultur die Werbemaschinerie für dieses Konzert. Das vergangene Konzert in Braunschweig - so „phantastisch“ es mit all seinen „Höhepunkten“ auch war - ist nicht mehr der Rede wert.
Überraschung Nr. 2
In dem Hinweis der Moderatorin um 9.39 Uhr für den Trailer „Kultur im Norden“ um 9.45 Uhr wird das Entscheidende schon mit dem Stichwort „Konzert“ vorangekündigt:
„Heute ist Donnerstag, der fünfte Oktober, und da hat die Kulturwelt hier bei uns im Norden einiges zu bieten: Theater, Konzert, Literatur. Die kulturellen Höhepunkte heute stellen wir Ihnen vor nach Musik von Johann Sebastian Bach.“
Prominent steht das Masur-Konzert in Hamburg dann im Trailer „Kultur im Norden“ um 9.45 Uhr an erster Stelle. Das Thema wird jetzt den Hörern regelrecht eingehämmert. Es entsteht unwillkürlich das Gefühl, als ob der Wohnungsnachbar plötzlich anfängt, mit einer Schlagbohrmaschine eine Steinwand zu bearbeiten. Am liebsten möchte man mit einem lauten „Grrrrhh“ dagegen halten.
Der Konzerttipp gehört hier zu den drei Kulturtipps - besser gesagt Werbetipps - in der ersten Hälfte des Trailers, die auch noch gehaltvoller gestaltet sind als die drei letzten (siehe Dokumentation 1: Radiosendung). Man beachte, und das spielt sich an jedem Werktag so ab: „die Kulturwelt hier bei uns im Norden“ beschränkt sich mitsamt NDR-Veranstaltungen auf nur sechs kulturelle Höhepunkte (am Nachmittag gibt es weitere, teils als Wiederholungen, teils auch schon für den folgenden Tag).
Überraschung Nr. 3
Nach jedem Trailer oder Jingle bringt NDR Kultur grundsätzlich keine Musikansage, Senderhausmusik und Komponistenwerk gehen nahtlos ineinander über, manchmal wird danach die Jinglemusik auch noch variiert. So auch in diesem Moment. Bei der nun folgenden Musik ahnen aufmerksame Hörer von NDR Kultur schon etwas von dem, was sich abspielt. Sie hören die Romanze für Violine und Orchester G-dur, op. 40, von Ludwig van Beethoven. NDR Kultur plant sie gern ein, weil sie populär und als ganzes Werk nur 7 Minuten dauert. Seit August 2004 wird sie im Durchschnitt alle 12 Tage einmal gespielt. Die Interpretation mit dem New York Philharmonic Orchestra, dem Dirigenten Kurt Masur und der Solistin Anne-Sophie Mutter wird mit Abstand am häufigsten gesendet (19 x in 26 Monaten).
Das Gefühl, dass es sich um diese Aufnahme handelt, verstärkt sich beim Hören und entpuppt sich um 9.55 Uhr als des Rätsels Lösung und Fortsetzung der Werbekampagne:
„Ludwig van Beethovens Romanze für Violine und Orchester G-dur, op. 40, das New York Philharmonic Orchestra unter Kurt Masur begleitete Anne-Sophie Mutter...“
Mit einem gezielten Hintergedanken - gewissermaßen als Doppelpass - hat NDR Kultur gerade diese Aufnahme ausgewählt. Mit dem Stück wurde nicht nur das Konzert des Abends wieder in Erinnerung gerufen, sondern zugleich zur nächsten Kampagne geblasen: auch Anne-Sophie Mutter kommt nach Hamburg, zusammen mit Lambert Orkis (Klavier), beim gleichen Konzertveranstalter, acht Tage später, am 13. Oktober 2006. Das wird noch nicht preisgegeben, dafür wird jedoch einmal mehr der Mythos der Großen gepflegt:
„... Anne-Sophie Mutter, die uns hier ein bisschen verschreckt hat mit ihrer Ankündigung, sie wolle demnächst ihre Karriere beenden, und zwar mit fünfundvierzig, das wäre dann in zwei Jahren, wobei es nun schon wieder heißt, sie hört auf, wenn sie sich fühlt wie fünfundvierzig, und da wollen wir mal hoffen, dass das nicht schon übermorgen der Fall ist. Anne-Sophie Mutter, wir wollen sie noch lange geigen hören.“
Also: unbedingt kommen, wenn sie kommt, bevor sie nicht mehr wiederkommt... (usw.)
TEIL 3: ANALYSE UND KOMMENTAR
Von 9 bis 10 Uhr: Dauerwerbesendung und musikalische Dauerbrenner
Hier sehen Sie kurz zusammengestellt die Werbe-Bausteine der Stunde von 9 bis 10 Uhr:
a. 9.11 Uhr - Vorankündigung zum Bericht aus Braunschweig
b. 9.29 Uhr - Anmoderation, Kurzbericht aus Braunschweig und Abmoderation mit dem Hinweis auf das Konzert in Hamburg (bis 9.33 Uhr)
c. 9.39 Uhr - Vorankündigung für den Trailer „Kultur im Norden“
d. 9.45 bis 9.46 Uhr - erster Kulturtipp in diesem Trailer
e. 9.48 bis 9.55 Uhr - die Violin-Romanze in G-dur, op. 40, von Ludwig van Beethoven, dirigiert von Kurt Masur und die Musikabsage.
Und die Musik zu dieser Inszenierung? Immerhin schalten die meisten Hörer vor allem zum Musikhören NDR Kultur ein? Nur musikalische Dauerbrenner. Seit dem 1. Januar 2006 wurden die Stücke oder Sätze nachweislich in folgender Häufigkeit gesendet (die vollständigen Werkangaben stehen in der Musikliste von NDR Kultur):
a. Johann Sebastian Bach, Air - 31x
b. C.H. Graun, Montezuma-Ouvertüre - 21x
c. Schubert, Sinfoniesatz - 21x
d. Beethoven, Violin-Romanze - 20x
e. Händel, Concerto-grosso-Satz - 13x
f. Hofmann, Flötenkonzert-Satz - 11x
g. Sullivan, Sinfoniesatz - 10x
h. Delibes, Ballettsatz aus Coppélia - 6x
Das Häufigkeits-Nesthäkchen „Musique des automates“ von Delibes kommt jedoch in der Gesellschaft weniger anderer Sätzchen aus der Coppélia-Suite groß heraus: 48 x dienten sie als populäre Lückenfüller oder Rausschmeißer („Closer“).
Wegen der ständigen Wiederholungen bereiten diese Sätze keine Freude mehr, im Gegenteil, dem Musikliebhaber wird „das Musikhören aufs niederträchtigste verleidet“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Oktober 2006), er fühlt sich beleidigt.
War diese Stunde eine Ausnahme? Der Vergleich mit den anderen Vormittagsstunden zeigt: es ist meistens ähnlich - Stunde für Stunde
An diesem Donnerstag gab es im Wesentlichen in den vier Stunden zwischen 6.30 und 10.30 Uhr, systematisch gruppiert, folgende werbliche Elemente:
a. Caspar-David-Friedrich-Ausstellung in Hamburg, 4 Anlässe um 6.40, 6.45, 7.56 und 8.04 Uhr (siehe Artikel zu den beiden Manipulationen durch NDR Kultur)
b. Film „Die Schwarze Dahlie“, 2 Anlässe um 7.09 und 7.15 Uhr (siehe Extra-Seite)
c. Filmfest Hamburg um 8.05 Uhr bei „Aktuell“, 1 Anlass um 8.05 Uhr (siehe Extra-Seite)
d. Frankfurter Buchmesse, 3 Anlässe um 8.18, 8.28 und 10.16 Uhr (siehe Extra-Übersicht)
e. Programmtipp unter Verwendung des Gefangenenchors aus Nabucco, 1 Anlass um 8.23 Uhr (siehe Extra-Seite)
f. Masur-Konzerte in Braunschweig und Hamburg, 5 Anlässe um 9.11, 9.29, 9.39, 9.45 und 9.55 Uhr (siehe oben: Teil 2)
g. die fünf anderen Kulturtipps von „Kultur im Norden“, 5 Anlässe um 9.45 Uhr (siehe Dokumentation 1: Radiosendung)
Es waren 21 Werbeanlässe oder im Durchschnitt 5 pro Stunde. Das ist für NDR Kultur Normalzustand. Nach unseren Untersuchungen für die vier Stunden am Morgen wiederholen sich mindestens zwei Themen schwerpunktmäßig zwei Mal. Das ergibt zusammen mit den NDR-Kultur-obligatorischen Vorankündigungen jeweils mindestens vier Werbeanlässe.
In dem Zeitraum vom 18. September bis zum 4. Oktober 2006 waren in den täglichen vier Stunden zum Beispiel Schwerpunktthema:
a. die Günter-Grass-Lesung in Lübeck, 6 Anlässe am 18. September 2006:
- 6.40 Uhr Vorankündigung Nr. 1
- 6.45 Uhr Bericht Nr. 1
- 7.56 Uhr Vorankündigung Nr. 2
- 8.04 Uhr Bericht Nr. 2
- 9.14 Uhr Vorankündigung Nr. 3
- 9.30 Uhr Bericht Nr. 3
b. Frank Peter Zimmermann (Violine) und die NDR Radiophilharmonie Hannover (Konzert am 29. September 2006)
c. das Freiburger Barockorchester
d. Albrecht Mayer (Oboe)
e. Jan Vogler (Violoncello)
f. David Geringas (Violoncello)
g. die Ausstellung MoMa2 in Berlin
Über dem Durchschnitt war an Morgen des 5. Oktober 2006 das intensive Herumreiten auf einem Thema. Es war vergleichbar mit der auf mehrere Stunden verteilten Intensität zur Günter-Grass-Lesung am 18. September 2006, die überhaupt der Anlass für unsere Untersuchung war. Unter dem Durchschnitt war am 5. Oktober 2006, dass es um halb acht an der bisherigen Stelle der Nachrichten nicht wie oft einen Radiotipp-Trailer oder die Werbung für die „NDR Kultur Karte“ der NDR Media GmbH gab, sondern nur den Trailer „NDR Kultur, hören und genießen“, der oben nicht mitgezählt ist. Hier gab es als Zugabe immerhin die nette Geschichte mit dem Sonnenaufgang in nur vier Minuten im ganzen NDR-Sendegebiet. Außerdem fiel die subtile Moderations-Werbung wie bei der Geschichte mit Anne-Sophie Mutter erstaunlich knapp aus. Dazu als Gegenbeispiel: Am 20. September 2006 brachte es der Moderator fertig, in drei aufeinanderfolgende Moderationen zwischen 6.24 und 6.41 Uhr subtil drei Konzerthinweise unterzubringen
- Bayerisches Staatsorchester
- NDR-Radiophilharmonie Hannover und
- Camerata Hamburg.
Das Programmraster ist eine leere Hülle, die NDR Kultur einseitig füllt
NDR Kultur hat nachweislich tagsüber kein Programm, abgesehen von "Am Morgen vorgelesen", "Klassik à la Carte" (dreimal in der Woche mit einem Studiogast) und in diesem Jahr noch die kurzen täglichen Mozartbriefe (siehe Programmschema). Die festen Termine um Viertel nach, halb oder Viertel vor:
a. „Focus Kultur“ (9x)
b. „Blick in die Feuilletons“
c. „Neue Bücher“
d. „Neue CDs/Neue Hörbücher/Neue DVDs“
e. „Heute Abend - Radio/TV Tipp“ sowie
f. die dreiteiligen „Aktuell“-Miniberichte (3x) und
g. die sechsteiligen Miniberichte von „Kultur im Norden“ (2x)
sind nur formale Hüllen für ein Programm. Diese 34 feste Elemente bilden in der Praxis von NDR Kultur den Rahmen, in dem der Kultur-Service gedeiht oder in dem für alles Kulturelle geworben werden darf, weil - so die Worte von NDR-Intendant Plog - die Hörer die Informationen
„sonst auf anderem Wege beziehen müssten“.
Wegen dieser Praxis müsste das Programm eigentlich heißen:
„NDR Kultur-Info“ (formale Bezeichnung) oder „NDR Kultur-Werbung“ (ehrliche Bezeichnung).
NDR Kultur ist ein besonderer Problemfall innerhalb der ARD
NDR Kultur hat zur Trennung von Werbung und Programm viele Rücksichten fallen gelassen. Dauerwerbestunden - siehe die Kurt-Masur-Konzert-Stunde am 5. Oktober 2006 - sind die Spitze, sonst gibt es oft fortgesetzt Werbung, und eine werbefreie Stunde wird man werktags tagsüber in der formatierten Zeit kaum finden.
Das NDR-Eigeninteresse, ständig für seine Sendungen, Konzerte und Veranstaltungen zu werben, und die Bereitstellung seines Apparats zugunsten seiner Medien- und Kulturpartner (zu denen die entsprechende Konzertagentur vermutlich auch gehört) prägen heute maßgebend das Programm, es ist ein System der Selbstbedienung des Senders und der Bedienung seiner Partner. Achten Sie einmal selbst beim Zuhören darauf: ständig wird Ihnen etwas Neues angeboten.
Natürlich gibt es viele Übergangsstufen zwischen einem objektiven, und doch engagierten Kulturbericht und plumper direkter Kulturwerbung, natürlich gibt es auch eine Grauzone, in der es schwer ist zu entscheiden, ob es sich noch um eine berechtigte Information im Sinne der Trennung von Programm und Werbung handelt oder schon um Werbung. Andere Kultursender bringen auch werbeähnliche Kulturinformationen. Nach unseren Beobachtungen geschieht dies aber meistens kurz vor den Nachrichten zur vollen Stunde.
Wenn das Interesse für die von NDR Kultur gelieferten Kulturinformationen angeblich so groß ist, wie der Sender es behauptet, warum richtet er dann nicht eine getrennte, vielleicht auch etwas längere Rubrik ein, in der diese Meldungen aufeinander folgen, statt sie weitgehend beliebig und störend über den ganzen Tag zu verstreuen? Die Hörer könnten diese Übersicht gezielt anwählen, und diejenigen, die eigenständige Musik- und auch Wortsendungen hören wollen, würden damit in Ruhe gelassen werden. Diese Liste müsste selbstverständlich objektiv und allgemeingültig, ungefiltert und ohne Privilegien für die NDR-Kultur-Partner sein, um die Bedingungen der Trennung von Werbung und Programm zu erfüllen.
„Trennung von Werbung und Programm“ heißt für NDR Kultur:
Trennung von Musiksendung und Kulturbericht usw.
Ein Berichterstatter für einen Kultursender darf sich nicht von einer lokalen Euphorie fangen lassen und Jubeljournalismus praktizieren. Der Braunschweiger Kurzbericht ist einseitig und emotional überladen. In seiner mangelnden Objektivität ist er irreführend und als Beitrag für das folgende Konzert in Hamburg manipulativ. Es ist redaktionelle Werbung und somit Teil des Werbesystems von NDR Kultur.
Vergleichen Sie dazu in der umfangreichen Dokumentation den NDR-Kultur-Kurzbericht mit den Artikeln der „Braunschweiger Zeitung“, der „WELT“ und des „Hamburger Abendblatts“ sowie mit den Äußerungen einer NDR-Kultur-Hörerin und Kennerin des Hamburger Konzertlebens.
Wenn uns die Wort- und die Musikbeiträge, so wie NDR Kultur sie uns heute sendet, das Hören verleiden - warum hören wir dann noch NDR Kultur? Erstens machen wir es, weil wir in einem großen norddeutschen Raum keine einzige Alternative haben. Zweitens, um zu dokumentieren, dass NDR Kultur gegen die Vorschriften verstößt und dass das Programm so bald wie möglich in Richtung Erfüllung des Informations-, Bildungs- Kultur- und Unterhaltungsauftrags für die Gebührenzahler geändert werden muss. Wir geben den Kultursender nicht auf.
Wenn die Trennung von Werbung und Programm erreicht ist, dann gibt es auch wieder Platz oder Sendezeit für GANZE Werke und Musiksendungen, übrigens auch für eigenständige Wortsendungen. Wir erwarten mindestens vier Stunden Musiksendungen tagsüber.
Abgeschlossen am 18. Oktober 2006
DOKUMENTATION
Dokumentation 1: Radiosendung am 5. Oktober 2006, 9 bis 10 Uhr
Dokumentation 2: Zeitungsberichte zu beiden Konzerten
a. Artikel der „Braunschweiger Zeitung“ zum Konzert in Braunschweig, 5. Oktober 2006
b. Artikel der „WELT“ zum Konzert in Hamburg, 7. Oktober 2006
c. Artikel des „Hamburger Abendblatts“ zum Konzert in Hamburg, 7. Oktober 2006
Dokumentation 3: Kurzbericht einer Hörerin von NDR Kultur zur Konzertübertragung aus Braunschweig
DOKUMENTATION 1: RADIOSENDUNG AM 5. OKTOBER 2006, 9 - 10 UHR
9.11 Uhr, Moderatorin
[Musikabsage: Carl Heinrich Graun]
Sie hören NDR Kultur, und wenn Sie das auch gestern Abend getan haben, dann waren Sie live dabei in Braunschweig beim Konzert des London Philharmonic Orchestra unter Kurt Masur. Wir haben dieses Konzert im Rahmen des Braunschweig Classix-Festivals live übertragen und wollen gleich noch einmal an die Höhepunkte erinnern. Kurt Masur und die Londoner Philharmoniker, unser Thema gegen halb zehn, hier auf NDR Kultur. Jetzt bei uns: Händel.
[Keine weiteren Informationen zu Werk und Interpreten]
[Musik: Georg Friedrich Händel]
9.29 Uhr, Moderatorin, nach der auf Händel folgenden Musik
[Musikabsage: Leopold Hofmann]
Neun Uhr neunundzwanzig, hier ist NDR Kultur. Das London Philharmonic Orchestra unter Kurt Masur hat seine Europa-Tournee gestartet. Mit romantischen Werken sind sie einen Monat lang unterwegs, unter anderm in Leipzig, wo sie vorgestern die Festwochen anlässlich des Gewandhaus-Jubiläums eröffnet haben. Gestern waren die Londoner Philharmoniker in Braunschweig, im Rahmen des Braunschweiger Classix Festivals haben Sie gemeinsam mit der Pianistin Helen Huang ein vielumjubeltes Konzert gegeben. Uwe Day saß für uns in der Braunschweiger Stadthalle.
Kurzbericht von Uwe Day
[8 Sekunden lang Ausschnitt aus dem Klavierkonzert von Robert Schumann, danach ganz leise bis zum ersten Zuhörer-Originalton] Robert Schumanns Konzert für Klavier und Orchester a-moll opus 54 in der Braunschweiger Stadthalle. Vor Monaten schon war dieses Konzertereignis ausverkauft. Und die Zuhörer wurden nicht enttäuscht. Die Dirigenten-Legende Kurt Masur und das London Philharmonic Orchestra in seiner ganzen technischen Brillanz hatten das Publikum von Beginn an elektrisiert, und gleichermaßen gefangen war es von dem ebenso kraftvollen wie gefühlsbetonten Spiels der Solistin Helen Huang am Klavier.
Erste Zuhörerin im Originalton: „Phantastisch, einmalig, beeindruckend in so jungen Jahren phantstisch zu spielen.“
Zweite Zuhörerin im Originalton: „Es war sehr einfühlsam, also so schön, dass man das nicht anders ausdrücken kann und auch nicht anders ausdrücken möchte.“
Erster Zuhörer im Originalton: „Was mich wundert, ist, dass Kurt Masur in seinem hohen Alter eine solche Leistung bringt, mit wenigen Ansätzen sein Orchester voll im Griff hat, diese Pianistin ist ein Traum.“
Der Konzertabend stand ganz im Zeichen der Romantik. [Ganz leise im Hintergrund bis zum Originalton des Festival-Intendanten: Musik aus der Hybriden-Ouvertüre] Eröffnet wurde er mit den Hybriden von Felix Mendelssohn Bartholdy. Der Komponist hatte mit dieser Konzertouvertüre seine Eindrücke von einer Reise zu den schottischen Fingalshöhen vertont. Masur und sein Orchester verstanden es, die mystische Stimmung dieses Landschaftsgemäldes in gut aufgebauten Stimmungsbögen wiederzugeben. Ein Erlebnis auch für den Intendanten des Classix Festivals, Hans-Christian Wille.
Originalton Hans-Christian Wille: „Man sitzt wirklich auf der Stuhlkante und ist richtig enerviert, und es ist phänominal, wie man sieht, dass ein Dirigent in diesem Alter in dieser Tradition dieses Repertoire nach wie vor auswendig dirigiert. Das ist eigentlich nichts [!] mit irgendeiner anderen Interpretation zu vergleichen. Da kann man nur hoffen, dass einem ein Künstler wie Kurt Masur noch lange erhalten bleibt.“
Mit der zweiten Sinfonie von Brahms in D-dur arbeiteten Masur und sein Orchester die gesamte Stimmungsvielfalt der Romantik heraus. Das Publikum spendete lang anhaltenden Beifall. Applaus gab es auch auf dem Braunschweiger Burgplatz. Dort hatte der Veranstalter das Konzert auf einer Großbildleinwand übertragen. Die Zuschauer saßen auf Klappstühlen und genossen in Decken gehüllt den Höhepunkt des diesjährigen Classix Festivals.
Dritte Zuhörerin im Originalton: „Die Qualität des Konzerts ist einfach großartig. Das Ambiente draußen ist auch sehr schön.“
Vierte Zuhörerin im Originalton: „Ja, ich weiß, dass meine Tochter, die da grad in der Stadthalle sitzt, glaub ich, so'n paar Tränen gedrückt hat, also ich find's einfach phantastisch.“
Fünfte Zuhörerin im Originalton: „Dass man das einfach mal hier draußen erlebt, ist vielleicht auch gar nicht schlecht, obwohl ich lieber in der Stadthalle wäre. Aber, so ist es auch ganz nett.“
[Dauer des Kurzberichts: 2 Minuten und 40 Sekunden, Dauer des eigentlichen Berichts: 1 Minute und 26 Sekunden]
9.32 Uhr, Moderatorin
Und nett wird es auch heute Abend noch einmal in Hamburg, Das London Philharmonic Orchestra unter Kurt Masur und Helen Huang spielen um neunzehn Uhr dreißig in der Hamburger Laeiszhalle, und für dieses Konzert gibt es auch noch ein paar Karten.
[„NDR Kultur“, Jingle, „hören und genießen.“]
[Keine Musikansage, Musik von Arthur Sullivan]
9.39 Uhr, Moderatorin
[Musikabsage: Arthur Sullivan]
Heute ist Donnerstag, der fünfte Oktober, und da hat die Kulturwelt hier bei uns im Norden einiges zu bieten: Theater, Konzert, Literatur. [Die nächsten vier Worte laut] Die kulturellen Höhepunkte heute stellen wir Ihnen vor nach Musik von Johann Sebastian Bach.
[Keine weiteren Informationen zu Werk und Interpreten]
[Johann Sebastian Bach: Musik]
9.45 Uhr, Moderatorin
Das berühmte Air aus Johann Sebastian Bachs Suite für Orchester Nr. 3 D-dur Werke-Verzeichnis tausendachtundsechzig, gespielt vom English Chamber Orchestra unter Raymond Leppard.
[„NDR Kultur“, Jingle, „Kultur im Norden“]
[Sehr kurzer ungestörter Ausschnitt aus Schumanns Klavierkonzert: 3 Sekunden vor dem Originalton von Masur] Kurt Masur: „Das ist mein Lebenselexier, und es gibt für mich, glaube ich, keine andere Möglichkeit, um auch meinen Körper in Ordnung zu halten, nicht unter... [letztes Wort unverständlich]“
Insa Holst, Moderatorin von „Kultur im Norden“: Mit dem Dirigieren aufzuhören, das ist für Kurt Masur auch mit 79 Jahren unvorstellbar. Zur Zeit leitet er das London Philharmonic Orchestra, mit dem er heute in Hamburg gastiert. Als Solistin bei Schumanns Klavierkonzert a-moll spielt Helen Huang. Außerdem auf dem Programm: Werke von Brahms und Mendelssohn-Bartholdy. Um neunzehn Uhr dreißig in der Laeiszhalle.
Die Region Vechta-Osnabrück in den Sechziger Jahren, ein Gewalttäter hält die Region in Atem.
Dieter Wellershoff: „Er übersprang den Straßengraben und verschwand im Wald. Hinter sich glaubt er ein Auto zu hören, das in Richtung Belm fuhr. Einen Weg suchend tappte er im Unterholz herum, dann kam er unerwartet aus dem Wald heraus und änderte die Richtung, lief an einem Weidenzaun entlang, umging ein Gehöft und kam wieder in den Wald hinein, diesmal auf einem schmalen Weg, auf dem er gut laufen konnte.“
„Einladung an Alle“, von Dieter Wellershoff. Heute liest der Schriftsteller daraus in Neuenkirchen-Vörden. Außerdem bringt er die Bestseller „Liebeswunsch“ und „Das normale Leben“ mit. Um 20 Uhr im Kulturbahnhof.
Emotionen im Überfluss, eigenwillige Diven, besessene Dirigenten, detailverliebte Regisseure - Oper ist Ansichtssache und eine permanente „Verständigungsprobe mit Orchester“, so jedenfalls sieht das Jean-François Sivadier in seinem gleichnamigen Bühnenstück. Heute ist die „Verständigungsprobe“ im Theater Lübeck zu erleben. Ab neunzehn Uhr dreißig.
[Nach „und außerdem heute“ folgen drei kurze Tipps:]
[Penetrante Trailermusik, erst laut, dann im Hintergrund bis zu Schluss]
Und außerdem heute.
Rostock: Das Volkstheater erkundet Heinrich Heines Verhältnis zu den Frauen. „Die Liebe suchte ich auf allen Gassen.“ Um 20 Uhr in der Kleinen Komödie.
Hamburg: In der Fabrik beginnen die 3. Hamburger Jazztage. Neben Sonora 51 und und dem Markus Steinhauser Quintett spielt auch die NDR-Bigband. Ab 20 Uhr.
Hannover: Das Schauspielhaus zeigt den alltäglichen Handywahn in Sergi Belbels digitaler Telefonkomödie „Mobil“. Beginn ist um neunzehn Uhr dreißig.
[Jingle]
[Dauer von „Kultur im Norden“: 2 Minuten, 34 Sekunden]
9.48 Uhr, Moderatorin
„Kultur im Norden“, heute zusammengestellt von Insa Holst.
[Keine Musikansage]
Musik
Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Romanze für Violine und Orchester G-dur, op. 40
Anne-Sophie Mutter (Violine)
New York Philharmonic Orchestra
Leitung: Kurt Masur
[Dauer 7 Minuten, 5 Sekunden]
9.55 Uhr, Moderatorin
Ludwig van Beethovens Romanze für Violine und Orchester G-dur, op. 40, das New York Philharmonic Orchestra unter Kurt Masur begleitete Anne-Sophie Mutter, die uns hier ein bisschen verschreckt hat mit ihrer Ankündigung, sie wolle demnächst ihre Karriere beenden, und zwar mit fünfundvierzig, das wäre dann in zwei Jahren, wobei es nun schon wieder heißt, sie hört auf, wenn sie sich fühlt wie fünfundvierzig, und da wollen wir mal hoffen, dass das nicht schon übermorgen der Fall ist. Anne-Sophie Mutter, wir wollen sie noch lange geigen hören. NDR Kultur, bei uns jetzt Musik von Léo Delibes.
Musikprogramm der Sendung Matinee (9.04 bis 13.00 Uhr): www.ndrkultur.de/
Veranstalter des Konzerts im Rahmen der „Pro-Arte-Konzertreihe“, Zyklus B, ist die Dr.Rudolf Goette Konzertdirektion in Hamburg, für deren Konzerte mit weltberühmten Künstlern und Orchestern NDR Kultur regelmäßig wirbt. Die Interpreten, die Sie in den Konzertankündigungen der einzelnen Reihen sehen, sind erfahrungsgemäß allesamt Kandidaten zukünftiger Werbeaktivitäten von NDR Kultur.
DOKUMENTATION 2: ZEITUNGSBERICHTE ZU BEIDEN KONZERTEN
Braunschweiger Zeitung, 5.Oktober 2006
So zärtlich kann der Schumann sein
Kurt Masur, Helen Huang und das London Philharmonic Orchestra brillierten gestern Abend in Braunschweig
Kurt Masur (zweiter von links) vor dem Konzert mit dem britischen Botschafter Sir Peter Torry (links), der Pianistin Helen Huang und dem Intendanten Hans-Christian Wille. Foto: Taylor (Braunschweiger Zeitung)
Von Harald Likus
Schön, wenn zwei so gut zueinander passen. Wie Robert und Clara Schumann? Klar. Aber eben auch wie elegant der transparente Klang des von Kurt Masur geleiteten London Philharmonic Orchestra und das lyrisch erfüllte Klavierspiel Helen Huangs.
Schumanns Klavierkonzert erklang gestern Abend beim Classix-Festival in der seit langem ausverkauften Braunschweiger Stadthalle. Neugierig war man auf das Wiederhören mit Kurt Masur, einem der Größten seiner Zunft. Und er klang dann ja auch wie neu, der erste Satz des Schumann-Konzerts.
Gleich nach dem eruptiven Beginn begann die Klangmalerei. Feiner Pinsel, dezenter Zugriff. Gefühlvolle, kontrollierte Kammermusik brachten das berühmte Orchester, sein erfahrener Leiter und die 22 Jahre junge chinesisch-japanische Amerikanerin zum Vorschein. Und doch fragte man sich schon während Masur den Streichern Dampf machte gegen Ende des Kopfsatzes und erst recht beim edel beherrschten Intermezzo: Würde die Energie der Pianistin ausreichen für einen zwingenden Finalsatz?
Nicht unbedingt. Die strahlende Selbstgewissheit, die einem solchen Satz so gut steht, hatte Helen Huangs Spiel nicht. Auch die zuvor so glückliche Balance zwischen Klavier und Orchester schien mitunter gestört. Trotzdem standen selten elegische Schumann-Freuden zu Buche. Viel Applaus für die junge Frau im leuchtend roten Kleid und eine programmatisch passende Zugabe, „Clair de Lune“ von Debussy.
Doch bevor man von Schumann zu Debussy übergeht, tut man gut daran, noch ein paar andere Tonsetzer aus deutschen Landen zu ehren. Für ein britisches Orchester bietet sich Felix Mendelssohn-Bartholdys Hebriden-Ouvertüre an. Locker, gekonnt, souverän frischte das Londoner Top-Orchester Mendelssohn Schottland-Eindrücke auf.
Und dann ist da natürlich noch Johannes Brahms. Wie immer ist es Geschmackssache: Aber am schönsten war im Ganzen womöglich, wie ruhig und stattlich, ganz ohne Kraftmeierei der Adagio-Satz gelang. Wundervoll ließen die Streicher die Melodien erblühen, ganz beherrscht rundeten die Holzbläser das Klangbild ab. Hellwach, zuweilen sich wiegend, dann sich auf Fingerzeige beschränkend, organisierte Altmeister Masur die allmähliche Steigerung, den versonnenen Ausklang des Satzes, den phantasievoll forcierten Beginn des dritten Satzes wie die klanglich große Geste zum glänzend gelingenden Finale hin.
Natürlich ist die instrumentale Sonderklasse jedes einzelnen Orchestermusikers für solch einen Brahms-Genuss vonnöten. Wie uneitel sich solche Brillanz aber in ein maßvoll energisch verstandenes Konzept fügen kann, das zeigten das London Philharmonic Orchestra und sein Chef auf phantastische Art und Weise. Schön, wenn zwei so gut zueinander passen. Begeisterter Applaus, keine Zugabe.
Der alte Meister malt mit jungen Farben neue Bilder
Wer den 79jährigen Masur am Donnerstag mit seinem London Philharmonic Orchestra in der Laeiszhalle erleben durfte, bekam von seiner Auffassung dieser Worte einen unvergesslichen Eindruck.
„Musik machen ist immer ein Teamwork“, sagte Kurt Masurs berühmter Dirigentenkollege Sir Georg Solti einmal, „und - was noch wichtiger ist - es ist geteilte Freude.“ Wer den 79jährigen Masur am Donnerstag mit seinem London Philharmonic Orchestra in der Laeiszhalle erleben durfte, bekam von seiner Auffassung dieser Worte einen unvergesslichen Eindruck. Masur dirigiert mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit. Ein leichtes Schütteln der linken Hand ganz unmerklich unten an der Hosennaht genügte, um den Klang bei Mendelssohns Hebriden-Ouvertüre nur so strömen und glänzen zu lassen. Hier wie auch später bei Brahms' Zweiter Sinfonie entfaltet jede Artikulation ihre eigene Identität, keine Phrase wiederholt sich, und in jedem Detail spiegelt sich die Dramaturgie des Ganzen. Nach den Schlussakkorden applaudierte der Maestro seinem Ensemble stillvergnügt erst einmal selbst, schenkte ihm ein gewinnendes Lächeln und wandte sich erst dann dem Publikum zu.
Warm, freundlich und anerkennend war auch seine Haltung gegenüber der jungen chinesischen Solistin Helen Huang bei Schumanns Klavierkonzert a-Moll, das wir in Hamburg ja nicht selten zu hören bekommen. Leider konnte das Orchester mit Rücksicht auf die gar zu vorsichtig agierende Pianistin seine dynamischen Möglichkeiten nicht vollends ausschöpfen. Huang verwandelte Schumanns sinfonische Fantasie im Kostüm eines Klavierkonzerts in ein lyrisches Kleinod, durchsichtig und zerbrechlich, so dass die dazwischenfahrenden Orchesterstreiche weniger satt kommen konnten als bei den anderen Werken. Trotzdem wunderbar, wie die Londoner jedes Solo eines Kollegen zart umrahmten und wie unbeschwert das aus auffallend jungen Musikern bestehende Orchester jeden Abschnitt formte und aufblühen ließ. In der Malerei spricht man von Licht, Schatten, Farbgebung und Kontur. Mit tönenden Pinselstrichen übertrug Masur all dies auf die Musik und schuf dabei wahre Kunstwerke. (hpe)
Hamburger Abendblatt, 7. Oktober 2006
Technisch perfekt, aber ohne Ecken und Kanten
Laeiszhalle: Masur mit Helen Huang
Hamburg - Wunderkinderlein kommen, so scheint's, alle Jahre wieder, vor allem aus Fernost. Auch Helen Huang, 1982 als Tochter chinesischer Eltern in Japan geboren, ist so eins. Mit fünf bekam sie Klavierunterricht, mit acht gab sie ihr Debüt mit dem Philadelphia Orchestra. Jetzt, mit ihren 23 Jahren, kann die junge Pianistin (wie es im Programmheft heißt) „auf eine eindrucksvolle Liste von Auftritten mit Ensembles wie Cleveland Orchestra, New York Philharmonic, Philadelphia Orchestra, Gewandhausorchester Leipzig blicken“.
Klingt gut. Und vielversprechender als das, was Helen Huang bei ihrem Pro-Arte-Gastspiel in der Laeiszhalle bot.
Begleitet von ihrem Mentor Kurt Masur und dem London Philharmonic Orchestra legte sie eine viel zu brave und damit zu blasse Interpretation von Schumanns Klavierkonzert a-Moll vor. Technisch perfekt, aber ohne Ecken und Kanten. Und ohne auch nur annähernd in die Tiefenstruktur der Partitur vorzudringen.
Ja, sie ist erst 23 Jahre alt. Aber ihre gleichaltrigen Kollegen Yundi Li und Lang Lang können das besser, nämlich tiefsinniger.
Gepflegt, mit sicherem Gespür für Form und (Klang-)Farbe spielten die Londoner Mendelssohns Hebriden-Ouvertüre und Brahms' 2. Sinfonie. Schön, aber unaufregend. (bbr)
DOKUMENTATION 3: KURZBERICHT EINER HÖRERIN VON NDR KULTUR
Eine Hörerin, die das Konzert aus Braunschweig im Radio gehört hat
Die Hörerin ist Kennerin des Hamburger Konzertlebens. Nach ihrer Darstellung ist der Zyklus B der Konzertagentur „normalerweise gut ausgebucht“.
Sie meint: „Der Bericht von NDR Kultur ist kein objektiver Konzertbericht“. Auch für das auf NDR Kultur aus Braunschweig gesendete Konzert kann sie „dem Bericht des ‚Hamburger Abendblatts‘ voll zustimmen“. Sie fragt sich: „Was veranlasst NDR Kultur zu einem solchen Bericht und zu solchen Superlativen?“
Lesen Sie die Fortsetzung zu dieser Geschichte:
Der „kurze Dienstweg“ des NDR für seine Konzerte („Hamburger Abendblatt“) ist inzwischen ein kurzer Serviceweg für die Kulturpartner von NDR Kultur geworden
Der Beweis: Ein Moderator bestätigt, dass die Konzertagentur der „Pro-Arte-Konzerte“ in Hamburg „Kulturpartner“ von NDR Kultur ist
NDR Kultur - der „Service“-Trommler, „dank Ihrer Gebühren“
NDR Kultur, 2. November 2006, Moderation um 7.46 Uhr
Lesen Sie Artikel zu Ereignissen auf NDR Kultur an diesem Morgen:
Interview (2 Versionen gesendet) zur Caspar-David-Friedrich-Ausstellung in Hamburg
Zwei Manipulationen von NDR Kultur
• Die beiden Teile: „sondern er will zeigen“ und „sondern er hat ja immer was verborgen“
werden zusammengeschnitten zu: „sondern er will immer was verborgen“ und dem Leiter der Hamburger Kunsthalle in den Munde gelegt...
• Die Deutungen des Schaffens von Caspar David Friedrich widersprechen sich...
5. Oktober 2006, 6.40, 6.45, 7.56 und 8.04 Uhr
„Morgenstimmung“ (Dauer: 4 Minuten) aus der Peer-Gynt-Suite Nr. 1 von Edvard Grieg
Über diese Musik ist am Morgenhimmel die Sonne aufgegangen
Der Moderator redet ein Naturwunder für das NDR-Sendegebiet herbei
Donnerstag, 5. Oktober 2006, 7.34 Uhr
Masur-Konzerte in Braunschweig und Hamburg
Offenes Themen-Placement für ein Konzert, eine ganze Stunde lang
Eigentlich müsste dieser Sender heißen: „NDR Kultur-Info“ (formale Bezeichnung) oder „NDR Kultur-Werbung“ (ehrliche Bezeichnung)
5. Oktober 2006, 9.11, 9.29, 9.39, 9.45 und 9.55 Uhr
Lesen Sie anderes zu Ansagen, Berichten und Werbung an diesem Morgen:
Moderation und Minifilmbericht zum Thriller von Brian de Palma
Moderator: „Die Schwarze Dahlie“, wir pflücken sie gleich
5. Oktober 2006, 7.09 und 7.15 Uhr
Minibericht zur Eröffnung des 14. Hamburger Filmfests und Eigenwerbung
Ein Höhepunkt des Festivals ist die Produktion des NDR „Der Untergang der Pamir“
5. Oktober 2006, 8.05 Uhr
Hinweise zur Frankfurter Buchmesse
Ein Trailer (2 x) und eine dazu passende Moderation in zwei Stunden
5. Oktober 2006, 8.18, 8.28 und 10.16 Uhr
Die Musikauswahl dient dem Programmtipp
Gefangenenchor aus Nabucco: Mittel zur NDR-Kultur-Eigenwerbung für das Abendprogramm
5. Oktober 2006, 8.23 Uhr
Fünf weitere Kulturtipps des Trailers „Kultur im Norden“
Dieter Wellershoff in Neuenkirchen-Vörden, „Verständigungsprobe mit Orchester“ in Lübeck, Kultur in Rostock, Hamburg und Hannover
5. Oktober 2006, 9.45 Uhr