NDR Kultur - Werbung: „NDR Kultur - hören und genießen!“
NDR Kultur, 19. - 26. September 2006, Großraum Hamburg
NDR Kultur gönnt seinen Hörern keine Ruhe und keinen Genuss
Nun gibt es auch noch zwei teure und sinnlose Plakate zur provokativen Werbung: „NDR Kultur - hören und genießen!“
Eine mögliche Interpretation: „Stell Dir vor, NDR Kultur läuft und keiner hört zu...“ - Am Ende des Artikels können Sie weitere Deutungen lesen.
Wir bleiben dabei: Werbung, die nicht glaubwürdig ist, ist erst recht Verschwendung.
Die Hörerbearbeitung hat zur Zeit wieder Hochkonjunktur
Zur Zeit geht es um die nächsten Hörerzahlen, die Anfang März 2007 veröffentlicht werden. Der Erhebungszeitraum dieser Media-Analyse hat - geht es nach der bisherigen Praxis - am 3. September begonnen und dauert bis zum 17. Dezember (vgl. entsprechende Zeiten für die Media-Analyse I 2006 im letzten März).
Damit die Menschen sich bei der telefonischen Umfrage auch besser daran erinnern, was sie gehört haben, helfen viele Radiostationen durch teure sichtbare Werbung nach, damit die Menschen schon einmal sehen, was sie gehört haben sollen. Sie werden aber nicht danach gefragt, wessen teure Reklame sie gesehen haben...
So gab es jetzt im Großraum Hamburg eine Woche lang, vom 19. bis zum 26. September 2006, eine neue großangelegte Werbekampagne für NDR Kultur. Nachdem die Programmverantwortlichen sich vor kurzem zu einem neuen Werbespruch für den Sender durchgerungen haben: „NDR Kultur - hören und genießen“ (wir berichteten darüber), wollten sie ihn nun aller Welt vor Augen führen. Dieser „Claim“, der verglichen mit dem hektischen, nervigen und sich wiederholenden Programm tagsüber eine echte Provokation ist, wurde nun ins rechte Bild gesetzt, wir haben zwei neue Plakatbilder gesehen.
Der Maßstab bei der Selbstdarstellung ist nicht: Sparen,
sondern: Gebührenverschwendung
Der NDR-Rundfunkrat hat vor kurzem, zu seiner 349. Sitzung am 10. März 2006, folgende Stellungnahme beschlossen:
Der Rundfunkrat nahm zur Kenntnis, dass es dem NDR gelungen ist, seine finanzielle Situation in der Gebührenperiode 2005 bis 2008 durch eine Vielzahl von Einschnitten im Griff zu behalten. Deutlich wurde, dass trotz erforderlicher Sparmaßnahmen im Programm die Informationskompetenz des Programms gestützt und neue Programmakzente gesetzt werden konnten.
Wir möchten an folgendes erinnern: Beim Tagesprogramm von NDR Kultur wurden die Verträge von vielen Musikwissenschaftlern nicht fortgeführt, weil für sie bei der weniger anspruchsvollen Moderation kein Bedarf mehr besteht. Die bunt über den Tag verstreuten Wortbeiträge, sogar Nachrichten und Morgenandacht, sind auf drei Minuten zusammengeschrumpft - das sind wahre „neue Programmakzente“, allerdings im negativen Sinn.
Laut „Wirtschaftsplan 2006“ des NDR („Erfolgsplan - Personalaufwendungen - Programm Hörfunk“, im „Register C“ auf Seite 17) war der Etat für den Sender NDR Kultur (ohne den Bereich „Kulturelles Wort“) im Jahr 2005 um ca. 0,7 Millionen Euro aufgestockt worden, um für die „Digitalisierung“ und die technische Ausstattung bei der Moderation („Zurückführung von technischer Personalunterstützung“) zu investieren (siehe dort: „Erfolgsplan Personalaufwendungen nach Kostenstellen - Erläuterungen“, Seite 17 E). Der Ansatz für 2006 ist aber wieder fast auf den Stand des Ergebnisses von 2005 gesunken.
Bereich NDR Kultur (ohne „Kulturelles Wort“) | ||
2004 (Ergebnis) | 2005 (Ansatz) | 2006 (Ansatz) |
2,370 Millionen Euro | 3,085 Millionen Euro | 2,503 Millionen Euro |
Die „Digitalisierung“ hat zur Folge, dass das tagsüber verwendete Musikrepertoire jetzt von einer Computer-Festplatte gestartet werden kann und keine CDs mehr im normalen Sendebetrieb gebraucht werden, sie ist die materielle Grundlage für die ständigen Wiederholungen aus dem beschränkten Musikpool. Die „Zurückführung von technischer Personalunterstützung“ bedeutet, dass die Moderatoren die Computer selber schalten, also ihre Sendungen selbst „fahren“, sie ist die materielle Grundlage für noch mehr Arbeitsbelastung der Moderatoren, noch mehr Hektik und etliche Schaltpannen.
Demgegenüber ist der Etat für die „Programmpräsentation“, also Werbung, zugunsten der Hörfunkprogramme (Titel 0012) im Jahr 2005 auf einen neuen Rekordstand gesprungen und auf dieser Höhe fast geblieben. Dieser Bereich ist unabhängig von der „Programmredaktion“ (Titel 0016), den „Programmressourcen“ (Titel 0017), dem „Online Service Center“ (Titel 0014) und dem „Internet“ (Titel 0015), jeweils für die Hörfunkprogramme, aufgeführt. Im Jahr 2006 wird also für die „Programmpräsentation“ zugunsten der Hörfunkprogramme genau die Hälfte von dem ausgegeben, was NDR Kultur (ohne das „Kulturelle Wort“) kostet.
Programmpräsentation Hörfunkprogramme | ||
2004 (Ergebnis) | 2005 (Ansatz) | 2006 (Ansatz) |
0,787 Millionen Euro | 1,264 Millionen Euro | 1,251 Millionen Euro |
Der NDR hat für die Herstellung und Verbreitung der neuen Plakate die Großen der Branchen engagiert
Es entzieht sich noch unserer Kenntnis, ob die neue Werbekampagne aus dem Topf „Programmpräsentation“ finanziert wird oder ob es noch andere Geldquellen für Fremdaufträge gibt.
Für die neue Kampagne hat sich der NDR jedenfalls überhaupt nicht in Bescheidenheit geübt, sondern gleich außerhalb des eigenen Hauses die Großen der Branche bemüht. Dass demgegenüber das inhaltliche Ergebnis - siehe unten - ein riesiger Reinfall, auf Neudeutsch Flop, geworden ist, steht auf einenm anderen Blatt, könnte vielleicht sogar die Folge der Verselbständigung sein.
Die Firma JCDecaux, „die Nummer 1 der Außenwerbung in Europa und im asiatisch-pazifischen Raum sowie die Nummer zwei der Branche weltweit“ (Eigendarstellung) bzw. „der europäische Stadtmöbel-Marktführer“, der seit 20 Jahren mit Hamburg kooperiert (Hamburger Abendblatt), hatte die neuen Plakate im Durchschnitt an jeder dritten Bushaltestelle und bei gleich großen alleinstehenden Werbetafeln aufgehängt, manchmal auch beidseitig. Vielleicht kann uns ein kundiger Leser dieser Seite mitteilen, wie teuer eine solche Aktion ist. Man könnte sicher ein Konzert oder mehrere mit dem Betrag bestreiten.
Auf dem Meerwasser-Plakat ist zu sehen, dass der Fotograf Clamer und die Agentur gettyimages für die Produktion zuständig sind. Der Fotograf Matthias Clamer ist einer der Großen der Branche, mit Büro in New York und anderswo und mit einer Homepage, wie sie bei professionellen Designern als Referenz-Übersicht üblich ist. Die Agentur gettyimages operiert rund um den Globus. „Auftragsfotografie der Spitzenklasse genau nach ihren Vorgaben“ bietet sie ihren Kunden an. Haben sich NDR Kultur und gettyimages zu genauen Vorgaben überhaupt getroffen? Interessant ist, dass Matthias Clamer und gettyimages an der Herstellung einer Broschüre über die Wirkung von Hörfunkkampagnen in Bild und Ton der großen Vermarktungsgesellschaft für den privaten Hörfunk, RMS - Radio Marketing Service GmbH & Co. KG in Hamburg, beteiligt waren.
Als kreative Quelle für das Motiv mit den Notenständern firmiert „mauritius images | age“. Die Agentur stellt sich selbst so vor (Pressemitteilung vom 18.07.2006): „mauritius images, Deutschlands bedeutendste inhabergeführte Bildagentur“.
Zwei seltsame norddeutsche Motive
Optisch-grafisch-technisch sind beide Plakate sicherlich Meisterwerke. Diese spiegelnde Oberfläche im Wasser - genial, jeder 3-D-Designer träumt von einem solchen Auftrag mit Lichtbrechungen, Spiegelungen und Schattierungen. Da kann er alles aus seinen Grafikprogrammen herausholen. Aber der Inhalt der Bilder? Kommerzielle oder künstlerische Größe allein ist keine Garantie für eine inhaltlich treffende Aussage.
Sie werden sich fragen, was die beiden dargestellten Motive:
- drei leere Stühle, die sich zusammen mit lebhaften Wolken und einem blauen Himmer in einem seichten Meereswasser spiegeln, und
- tief in den Sand versunkene Notenpulte aus Holz
mit dem Hören von NDR Kultur zu tun haben.
Vielleicht soll die Botschaft sein: „NDR Kultur lädt Sie zu einem Ort der Ruhe ein, wo Sie genießen können.“ Das wäre sehr primitiv gedacht und kaum vermittelt. Was passiert da, von drei Stühlen aus betrachtet, in der weiten Leere - außer dem Spiel der Natur? Und es wäre unglaubwürdig, weil das Programm das genaue Gegenteil ist: ständig springend, aufdringlich, marktschreierisch.
Unsere Deutungsversuche
Bis zum Beweis des Gegenteils sehen wir das Stühle-Plakat als Zukunftsvision des Grafikers, solange tagsüber das kulturelle Niveau von NDR Kultur sich nicht grundlegend ändert:
„Stell Dir vor, NDR Kultur läuft und keiner hört zu...“
„Am helllichten Tag: das Kulturniveau ist bis zum Meeresspiegel, dem tiefsten Punkt der norddeutschen Ebene, abgesunken.“
„Leere Weite, leere Stühle: tagsüber ist der Kulturauftrag in guten Händen, den besten des Nordens.“
„Intendanz, Hörfunkdirektion und NDR Kultur ohne Regie - sind diese Stühle frei?“
Theodor Clostermann, geschrieben am 26. und 27. September 2006
Fotos: DGW
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Zu Meldungen von „Hamburger Morgenpost“ und „NDR Presse aktuell“ (2005):
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• ZU VIEL WERBUNG FÜR NDR KULTUR?
Werbung, die nicht glaubwürdig ist, ist erst recht Verschwendung
Neue umfangreiche Dokumentation:
• Flyer des NDR Kultur Clubs mit 4 Werbebildern und den vollständigen Werbetexten (Pdf - 0,51 MB)
• Serie mit 41 Anzeigen im „Hamburger Abendblatt“
14. September bis 31. Dezember 2004 (Pdf - 0,98 MB)
Das GANZE Werk, 20. Oktober 2005