Praxis von NDR Kultur - Matinee
NDR Kultur, 6. Juli 2005, Matinee, 10 bis 11 Uhr
Missbrauch der „Kulturinformationen“ in vier Fällen
Versuch einer rechtlichen Bewertung
Vorbemerkung:
Der Versuch, die vier besonderen Fälle der gesendeten Stunde nach den Regeln des Rundfunkstaatsvertrages zu analysieren und zu bewerten, soll eine Diskussion über die Zulässigkeit der Sendeform von NDR Kultur - ständige Mischung von Musik und „Kulturinformationen“ - in Gang setzen. Die Überprüfung erfolgt so, wie ich immanent den Sinn der Regeln des Rundfunkstaatsvertrages verstehe, nach bestem Wissen und Gewissen. Sicher gibt es länder- und sendermäßig noch genug Ausführungs- und Ausnahmebestimmungen, gibt es bestimmt auch genügend Winkeladvokaten, für die alles mit großzügiger Interpretation richtig ist. Das sollte aber nicht der Maßstab der Gremien sein, die der Allgemeinheit der an Musik und Kultur interessierten Radiohörer verpflichtet sind und die den Sender kontrollieren sollen. Für gute Ratschläge zur Beseitigung von Irrtümern bin ich selbstverständlich dankbar.
Theodor Clostermann, 9. Juli 2005
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1. Kartenverlosung und faktischer Konzerttipp
Ein Konzertveranstalter spendiert Eintrittskarten mit einem bestimmten Wert. NDR Kultur ermittelt die Gewinner. Gleichzeitig wird wiederholt der Anlass genannt - nicht in die TV-Kamera gezeigt, aber in das Mikrofon gesprochen. Ziel ist es, für den Besuch des Konzerts zu werben, konkret für den NDR selbst (der NDR-Chor tritt auf) und für die örtlichen Konzertveranstalter. Vertragsbasis ist wahrscheinlich die Medienpartnerschaft zwischen NDR und den „Festspielen Mecklenburg-Vorpommern“, die namentlich nicht erwähnt werden, vielleicht auch noch eine Medienpartnerschaft zwischen NDR Kultur und dem örtlichen Konzertveranstalter in Stralsund. Vielleicht auch „Kulturpartner“, weil der Titel modernisiert wurde. Es ist keine Sendung mit verschiedenen Veranstaltungstipps, stattdessen ist die Verlosung Teil einer Magazinsendung. Dort ist sie aber etwas Störendes in dem redaktionellen Umfeld, es sei denn, man kehrt alles unter den großen Teppich der Kultur, unter dem alles für die Kultur erlaubt wäre.
Für den NDR ist das wahrscheinlich schlicht und einfach ein „Gewinnspiel“ aus der Rubrik Marketing - Kooperationen, für das der NDR intern sicherlich eigene Regeln hat.
Meines Erachtens handelt es sich im wesentlichen um Werbung mit eventueller Schleichwerbung nach § 2 Absatz 2 Sätze 5 und 6, die in unzulässiger Form gesendet wird.
§ 2 (2) 5. Werbung jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs, die im Rundfunk von einem öffentlich-rechtlichen oder privaten Veranstalter entweder gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung gesendet wird mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, gegen Entgelt zu fördern. |
Werbung (Satz 5): Der Beitrag zum Konzert wird ausgestrahlt von NDR Kultur zugunsten „Festspiele Mecklenburg-Vorpommern“,
örtlichem Veranstalter in Stralsund und NDR. Für alle Beteiligten gelten wahrscheinlich Leistungen nach den Festlegungen der Medienpartnerschaft (die nicht bekannt sind), für den NDR ist es zuätztlich Eigenwerbung. Ziel ist es - das ist eine wesentliche Voraussetzung für den Tatbestand der Werbung - „die Erbringung von Dienstleistungen“ (= Konzert) „gegen Entgelt“ (= Eintrittsgeld) „zu fördern“.
Schleichwerbung (Satz 6): Der Hörer wird darüber „irregeführt“, dass die Aktion zu Werbezwecken erfolgt, auch darüber, wer alles Organisator, Verkäufer ist (einschließlich Medienpartner „Festspiele Mecklenburg-Vorpommern“). Man kann zwar dagegen einwenden, dass der Zusammenhang zwischen Kartenverlosung und Werbung eine Selbstverständlichkeit geworden ist und sich deswegen keiner mehr getäuscht sehen kann. Allerdings wird die Definition der Schleichwerbung durch den Hinweis auf „entsprechende Praktiken“ (§ 7, Absatz 6) absichtlich nicht eng gefasst. Es muss auch nicht unbedingt Geld gezahlt oder eine sonstige Gegenleistung erbracht werden („insbesondere dann...“ - beide Gesetzestxte: Kästen im Kapitel zu „Riding Giants“, weiter unten).
§ 2 (2) 7. Sponsoring jeder Beitrag einer natürlichen oder juristischen Person oder einer Personenvereinigung, die an Rundfunktätigkeiten oder an der Produktion audiovisueller Werke nicht beteiligt ist, zur direkten oder indirekten Finanzierung einer Sendung,... |
Sponsoring (Satz 7): Sponsoring liegt nicht vor, da die Partner des NDR selbst „an der Produktion audiovisueller Werke“ beteiligt sind. Auch erfolgt dadurch keine „Finanzierung einer Sendung“.
Abschließende Bewertung:
§ 7 (3) Werbung und Teleshopping müssen als solche klar erkennbar sein. Sie müssen (...) im Hörfunk durch akustische Mittel eindeutig von anderen Programmteilen getrennt sein. |
Wenn die Werbung überhaupt zulässig ist, hätte die Verlosung als Werbeaktion „durch akustische Mittel eindeutig“ vom Programm getrennt sein müssen. Der Hörer wird von ihr überrumpelt, er kann sich ihr auch nicht entziehen.
2. Störung des redaktionellen Ablaufs
Weil es keine eindeutige akustische Trennung gibt, beeinträchtigt die Verlosung „das übrige Programm inhaltlich und redaktionell“. Selbst wenn man im Rahmen von Kultur viele Werbeinhalte als interessante Hinweise und als alltäglich tolerieren würde,
§ 7 (2) Werbung oder Werbetreibende dürfen das übrige Programm inhaltlich und redaktionell nicht beeinflussen. |
gab es weder musikalisch
- Konzert: Charles V. Stanford, Ralph V. Williams, Erik Satie und Darius Milhaud
- Sendung: Weber, C. Stamitz und Rameau
noch thematisch einen Bezug.
3. Schleichwerbung nicht zulässig
Sollte es sich wegen der Irreführung der Hörer um Schleichwerbung oder um „entsprechende Praktiken“ handeln, so war sie sowieso nach Absatz 6 „unzulässig“.
2. Filmvorstellung „Riding Giants“
Werbung (Satz 5): Es wird zwar in einem eigenen Beitrag von NDR Kultur der Name des Films genannt und 2x berichtet, dass er am folgenden Tag „in die Kinos kommt“. Es wird jedoch kein Kino oder keine Kino-Kette genannt, im Gegenteil, die Hörer haben den Eindruck, der Film liefe in vielen Kinos. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, „dass die Erbringung von Dienstleistungen (...) gegen Entgelt“ unmittelbar gefördert werden soll. Es ist somit keine Werbung nach § 2 (2) 5.
§ 2 (2) 6. Schleichwerbung die Erwähnung oder Darstellung von Waren, Dienstleistungen, Namen, Marken oder Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder eines Erbringers von Dienstleistungen in Programmen, wenn sie vom Veranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen ist und die Allgemeinheit hinsichtlich des eigentlichen Zwecks dieser Erwähnung oder Darstellung irreführen kann. Eine Erwähnung oder Darstellung gilt insbesondere dann als zu Werbezwecken beabsichtigt, wenn sie gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erfolgt, |
Schleichwerbung (Satz 6): Diese scheint mir eindeutig vorzuliegen, in der für NDR Kultur typischen, scheinheiligen Praxis eines „Kultur“-Berichts. Vom „Veranstalter“ NDR Kultur wird die Dienstleistung „Riding Giants“ erwähnt. Geschieht diese Erwähnung „vom Veranstalter absichtlich zu Werbezwecken“? Ja. „Morgen kommt er in die Kinos.“ NDR Kultur will die Hörer anregen, sich den Film im Kino anzusehen. Worin liegt der „eigentliche Zweck dieser Erwähnung“? In einem „kulturellen“ Impuls? Nein, die „Kultur“ wird wirklich nur schöngeredet, ist im Grunde die „eigentliche“ Tarnung. Der „eigentliche Zweck“ liegt in der wirtschaftlichen Förderung eines Kooperationspartners, in diesem Fall vorrangig der CinemaxX AG. Andere Kinos und andere Kinoketten wie Cinestar (mit UFA) und UCI Kinowelt sind von dieser Förderung ausgeschlossen. Das erschließt sich der „Allgemeinheit“ nicht: Im Schafspelz eines redaktionellen Beitrags und einer „Kultur“-Reportage werden die Hörer gedanklich unmerklich in das kommerzielle Reich des NDR-Partners CinemaxX entführt. O-Ton Moderatorin: „... am Pult stand Claudio Abbado. Surfen ist ein Sport, Surfen ist ein Lebensgfühl. Verrückt zu sein nach den Wellen, süchtig nach dem Wind. (...) In ‚Riding Giants‘, der morgen in die Kinos kommt, entwirft Regisseur Stacy Peralta eine kleine Kulturgeschichte des Wellenreitens.“
Abschließende Bewertung: 1. Mehrfache Täuschung der Hörer
Das Programm wechselt plötzlich zu Werbung. Den Hörern wird in einem Eigenbeitrag von NDR Kultur ein Produkt vorgestellt,
• das ein allgemein wichtiges kulturelles Gut zu sein scheint,
• das aber thematisch weder zur Sendung noch zum Sender passt und
• dessen „Erbringer“ verborgen bleibt. Dieser wird durch die Aktion auch noch wirtschaftlich bevorzugt.
§ 7 (6) Schleichwerbung und entsprechende Praktiken sind unzulässig. |
Es ist unerheblich, ob die CinemaxX AG dafür bezahlt, auch, wer diese Aktion initiiert. Es mag vielleicht auch eine vorauseilende Geste des NDR sein...
2. Mein Urteil: Unnötig und Schleichwerbung
Für NDR Kultur stilistisch fragwürdig („Die Welle ist für den Surfer wie eine Frau...“), inhaltlich unnötig und rechtlich als Schleichwerbung unzulässig - eine großartige Bilanz, die ich ziehe. Doch wie heißt es so schön bei der NDR Media GmbH unter Marketing - Kooperationen?
„Eine Zusammenarbeit mit dem NDR kennt keine kreativen Grenzen. Die Kooperationen mit unseren Partnern gehen immer individuelle und oft ausgefallene Wege. (...) Wir zeigen Ihnen, wie Ihre Marketingziele optimal kommuniziert werden können; das fängt mit der Auswahl der passenden Programmumfelder an und hört nicht mit Vorschlägen für gemeinsame Aktionen auf.“
3. Mehr Touristik als Musikkultur: Troldhaugen
Die indirekte Aufforderung, in das Museum zu Ehren des berühmten Komponisten Edvard Grieg zu gehen, ist im Rahmen einer Musiksendung als Anregung sinnvoll. Ärgerlich ist nur, dass sie hier auf Kosten von Informationen über das kompositorische Schaffen Griegs, über die 10 Sammlungen der Lyrischen Stücke (na ja, wenn NDR Kultur nur ein einziges Stück von sehr vielen sendet...) und über das Verhältnis von Klavier- zu Orchesterfassungen gehen und deshalb nicht in den Zusammenhang passen.
4. NDR-Kultur-Eigenwerbung für eine nachfolgende Sendung: Helen Donath
Das war wohl, liebe Programmmacher von NDR Kultur, ein echter Flop. Zwei Minuten Gerede, das nach 2 ½ Stunden sowieso wiederholt wird. Dazu die teils schrille Musik... Aber im Ernst: Sie haben bewiesen, dass Ihnen NDR-Kultur-Eigenwerbung für eine andere Sendung wichtiger ist als das gerade erst im Internet veröffentlichte Programm. Sie haben damit auch unter Beweis gestellt, wie unwichtig, wie beliebig Ihnen das Musikprogramm ist.
Werbung? Es gibt zur Zeit keinen Hinweis darauf, dass die Sendung „Klassik à la Carte“ in Verbindung mit einem Konzert von Helen Donath und dem NDR steht.
§ 45 (3) (3) Hinweise des Rundfunkveranstalters auf eigene Programme und auf Begleitmaterialien, die direkt von diesen Programmen abgeleitet sind (...), gelten nicht als Werbung im Sinne der Absätze 1 und 2. (d.h. als Werbung mit einer Zeitbegrenzung) |
Ein ärgerlicher Eingriff. Aber: Formal ist diese NDR-Kultur-Eigenwerbung nicht zu beanstanden. Trotzdem sollten die Kontrolleure von Programmausschuss und Rundfunkrat die Möglichkeit nutzen, eine solche Unterbrechung des inhaltlichen Programmablaufs zurückzuweisen, zu verhindern.
5. Zusammenfassung
Ich bin der Meinung,
• dass die Kartenverlosung mit Werbung für ein Konzert im 1. Fall mindestens gegen die Regeln der Gestaltung von Radiosendungen verstößt (Trennung von redaktionellem Teil und Werbung)
• dass die Filmvorstellung im 2. Fall Schleichwerbung und damit unzulässig ist und
• dass die Programmunterbrechungen im 3. Fall (Anregung zu Museumsbesuch) und im 4. Fall (NDR-Kultur-Eigenwerbung für eine spätere Sendung) zulässig, gleichwohl aber auch ärgerliche Unterbrechungen des Programms sind.
Insgesamt gesehen ist es nicht zu fassen,
• dass die Programmmacher von NDR Kultur so viel Energie entwickeln, um so viel Abwegiges - als „Kulturinformationen“ getarnt - in einem Kulturprogramm unterzubringen und
• dass sie mit so wenig Gestaltungswillen und mit so wenig Geschmack eine Musiksendung auf den Weg bringen - es scheint wirklich nur noch der Computer zu sein, der die Musik nach wenigen (tages-)aktuellen Eingaben und mit vielen schematischen Auswahlprinzipien festlegt.
Genug Arbeit für den Programmausschuss und die „reguläre Programmbeobachtung“, von der die Rundfunkratsvorsitzende in Ihrem Brief zum Beschluss des Programmausschusses über NDR Kultur schrieb. Hat der Programmausschuss damit schon begonnen?
Dürfte es nun auf NDR Kultur keine Vorstellungen von Kinofilmen mehr geben? Keine werbenden Ankündigungen für Veranstaltungen usw.? Das ist nicht die entscheidende Frage, die Praxis muss sich ändern.
• Es sollte mit offenen Karten gespielt werden: Die Absicht sollte erklärt und die „Kultur“-Tarnung aufgegeben werden.
• Die aktuelle Praxis, ständig das Musikprogramm für kulturelle Informationen zu unterbrechen und diese parallel dazu auch noch vorher anzukündigen, verführt sysematisch zu einer Praxis der Schleichwerbung. Also sollten ähnliche Beiträge, die werbenden Charakter haben, in einem Sendeblock zusammengefasst werden. Dann könnte NDR Kultur auch wieder ganze Werke spielen, unabhängig vom Viertel- und Achtel-Stundentakt.
• Die kulturellen Informationen müssen wirklich allgemeingültig sein. Momentan scheint zum Beispiel jeder kulturelle Bericht aus dem NDR-Sendegebiet im Zusammenhang mit einem Produkt oder einer Veranstaltung zu stehen, die vom NDR oder einem Kultur-, Medien- oder Kooperationspartner angeboten werden. Das ist NDR-gefilterte Kultur, das ist einseitig, in der Bewertung befangen. In diesem Zustand ist es auch ein mögliches Einfallstor für unlautere Praktiken.
P.S.:
Nach einer solchen Untersuchung bekommt der Jingle - nicht immer, aber oft - eine neue Bedeutung. Er ist nach § 7 (2) Rundfunkstaatsvertrag zu folgendem Zweck vorgeschrieben:
„Werbung (muss) klar erkennbar sein. Sie (muss) im Hörfunk durch akustische Mittel eindeutig von anderen Programmteilen getrennt sein.“
Tatsächlich gibt es oft den - nervigen - Jingle an den Nahtstellen zwischen Musik und programmfremden Wortbeiträgen. Wird mit diesem akustischen Zeichen von NDR Kultur indirekt eingestanden, dass viele Beiträge der „Kulturinformationen“ Werbung sind?
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