Das GANZE Werk - Presseschau

Zitate (Dagmar Reim an Gerhart Baum):
Der Inhalt Ihres Schreibens beweist leider, dass weitere Argumentationen in der Sache sinnlos sind, weil Sie Vorurteile an die Stelle von Urteilen setzen und Ihre Meinung nicht von Fakten stören lassen.
Es gibt keine besonderen finanziellen Einschnitte bei kulturradio, unserem teuersten Programm. Wir behalten uns vor, gegen derlei falsche Behauptungen wie von Ihnen erhoben vorzugehen.

Dokumentation: Drei Teile nebeneinander, danach der Kommentar

Der Offene Brief von Gerhart Baum, die Antwort von RBB-Intendantin Dagmar Reim, die Überprüfung ihrer vier „Fakten“ und ein Kommentar

Originalansicht der Antwort von Intendantin Reim (Pdf)
Druckversion der vollständigen Gegenüberstellung (Pdf)
Druckversion zur Überprüfung der vier „Fakten“ (Pdf)
Druckversion des Kommentars: „Rosinenpickerei...“ (Pdf)

 
Brief von Gerhart Baum Brief von Dagmar Reim Überprüfung in der Praxis
     
Gerhart R. Baum, Rechtsanwalt, Bundesminister a.D. RUNDFUNK BERLIN-BRANDENBURG RBB, INTENDANTIN  
     
An die Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) Frau Dagmar Reim Herrn Gerhart R. Baum  
     
Aufruf zur Stärkung des Kulturauftrags des öffentlich-rechtlichen Hörfunks - Karlsruhe und Brüssel müssen eingeschaltet werden   
     
Köln, den 28.3.06 12. April 2006  
     
Sehr geehrte Frau Reim, Sehr geehrter Herr Baum,  
  Ihr Schreiben vom 28. März, mit dem Sie nach zwei Monaten auf den Brief unserer Hörfunkdirektorin antworten, ist hier eingegangen.  
der Brief Ihrer Hörfunkdirektorin vom 24.01.2006 überzeugt mich nicht. Ich bleibe bei der Kritik in meiner Presseerklärung vom 10.01.2006 und werde darin durch lebhafte Zustimmung aus der kulturinteressierten Öffentlichkeit bestärkt. Sein Inhalt beweist leider, dass weitere Argumentationen in der Sache sinnlos sind, weil Sie Vorurteile an die Stelle von Urteilen setzen und Ihre Meinung nicht von Fakten stören lassen. [siehe den Kommentar „Rosinenpickerei und Eigenlob - aber keine grundsätzlichen ‚Fakten‘“ nach dieser Gegenüberstellung]
  Deswegen greife ich lediglich vier Punkte auf, die Ihr Nicht-wissen-wollen besonders eklatant dokumentieren:
[in der folgenden Gegenüberstellung erscheint Punkt 1 später, Punkt 2 und Punkt 3 doppelt und Punkt 4 aufgeteilt, um den inhaltlichen Bezug zum Brief von Gerhart Baum zu verdeutlichen]
 [siehe den Kommentar nach dieser Gegenüberstellung]
     
Das Programm der Kulturwelle des RBB und die kulturellen Förderungsaktivitäten des RBB haben im Laufe der letzten Jahre einen erheblichen Substanzverlust erlitten. Dies gilt insbesondere auch in den Bereichen Alte und Neue Musik.
 2. Sie behaupten erneut, der rbb vernachlässige Alte Musik. Wer sich in Berlin und Brandenburg für Alte Musik interessiert, landet früher oder später bei Dr. Bernhard Morbach, einem unserer Redakteure. Seine jeweils einstündige Sendung „Morbach live“ erfreut dreimal pro Woche unsere Hörerinnen und Hörer.

3. Der rbb veranstaltet eines der renommiertesten Festivals für zeitgenössische Musik. Ultraschall ist, da sind wir uns mit unserem Partner Deutschlandradio einig, die erste Adresse für Musik der Gegenwart in Berlin und Brandenburg.
 2. Hintergrundinformationen zur Alten Musik - „Morbach live“
a. Sendezeiten:
• 5 Sendestunden, genauer 5 x 55 min., d.h. mo - fr je eine Sendung, in der Zeit der Kooperation mit dem NDR (Radio 3, bis Ende 2000)
• 6 Sendestunden, genauer 3 x 115 min., d.h. 3 Sendungen zu 1 Stunde und 55 Minuten (mo + mi + fr, 15.05 - 17 Uhr), in der Zeit von Radio Kultur (nach der Trennung vom NDR, vgl. taz vom 6. Januar 2001 und Berliner Zeitung vom 9. Dezember 2003)
• nur noch 3 Sendestunden seit „kulturradio vom rbb“, genauer 2 x 55 min (mo + mi, 18.05 - 19.00 Uhr) + 1 x 45 min (fr, 18.05 - 18.45 Uhr) + 1 x 15 min (CD-Kritik, do 13.30 - 13.45 Uhr)
   
 
 
 
b. Ausstattung:
bis zum 1. Dezember 2003 gab es zur Sendung Live-Konzerte (vgl. Titel der Sendung), hier ein Beispiel vom 15. Juni 2001, außerdem hatte Dr. Bernhard Morbach Gäste im Studio, hier als Beispiel die Cembalistin Rebecca Maurer im Jahr 2003. Live-Konzerte und Studiogäste gibt es heute nicht mehr (kein Geld?). Als Hörer hat man den Eindruck, dass Dr. Bernhard Morbach selbst einen BVG-Fahrschein auslegen müsste, wollte er einen Gast im Studio haben, von einem Honorar ganz zu schweigen.
    
3. Hintergrundinformationen zur Neuen Musik
a. Sendezeiten:
• Verkürzung der Sendung „Musik der Gegenwart“ von 5 Sendestunden (vor dem 1. Dezember 2003) auf jetzt 2 Sendestunden („Montag und Mittwoch, 21:04 bis 22:00 Uhr“, kulturradio vom rbb, Online)
    
b. Ausstattung:
• Die Konzertreihe „Musik der Gegenwart“ begann am 27. Oktober 1955. „Die Reihe ‚Musik der Gegenwart‘ jedoch mit bislang vier Orchesterkonzerten pro Jahr wird vom RBB in dieser Form nicht fortgesetzt.“ (Moderation von Martin Demmler beim 197. Konzert der Reihe „Musik der Gegenwart“, „kulturradio vom rbb“ am 5. Juni 2005). Während diese Konzertreihe vom RBB ganz eingestellt wurde, fördert er verstärkt das Festival „UltraSchall“:
„Statt bislang eines will der RBB in Zukunft zwei Orchesterkonzerte im Rahmen des Januarfestivals ‚Ultraschall‘ mittragen.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Juni 2005)
     
Es gab überproportionale Etatkürzungen, Reduzierung der Sendezeiten sowie Rückzug aus wichtigen Konzertreihen. [= Zusammenfassung insbesondere zur Alten und Neuen Musik] 4. (...) Es gibt keine besonderen finanziellen Einschnitte bei kulturradio, unserem teuersten Programm. Wir behalten uns vor, gegen derlei falsche Behauptungen wie von Ihnen erhoben vorzugehen. (...) Kommentar:
Eine Androhung?
Wofür?
Der Gesamtetat von „kulturradio vom rbb“ mag gleich geblieben sein, das hat Gerhart Baum auch gar nicht angezweifelt.
Die „finanziellen Einschnitte“ zur Alten und Neuen Musik sind oben dokumentiert. Zur Förderung von Kompositionsaufträgen liegen keine Informationen vor.
    
So stellt sich folgende neue Frage?
Wohin ist dann das Geld umgeschichtet worden?
In die massive Werbung?
Oder als Erhöhung einer außertariflichen Zulage bei der Kulturwelle?
Oder in die „Coacher“, die den Moderatoren die geklonte Freundlichkeit eintrainieren - vor und nach den Sendungen?
     
Insgesamt orientiert sich der Sender immer weniger an Qualitätsmaßstäben. Das Quotendenken, das vom Musikchef des Senders öffentlich zum Thema gemacht wurde, bestimmt immer stärker die Entscheidungen. [vgl. Punkt 4, siehe oben und unten] [siehe den Kommentar nach dieser Gegenüberstellung]
Das Arbeitsgericht Berlin hat in einem - allerdings noch nicht rechtskräftigen - Verfahren ausgeführt: Der Kläger (gemeint ist der Redakteur Martin Demmler) „musste in der Vergangenheit erfahren, dass beim Kulturradio (gemeint ist der RBB) anspruchsvolle Programme immer mehr zurückgedrängt ... werden“. [vgl. Punkt 4, siehe oben und unten] [siehe den Kommentar nach dieser Gegenüberstellung]
Die Situation muss auch unter juristischen Gesichtspunkten behandelt werden. Die Kritik bezieht sich nicht allein auf den RBB, sondern auch auf andere so genannte Kulturwellen. [keine Entsprechung] ---
1. Die Klage von ARD und ZDF in Karlsruhe gibt Anlass dafür, dem Gericht die Prüfung nahe zu legen, ob die von ihm selbst aufgestellten Maßstäbe für den Kultur- und Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingehalten werden. [keine Entsprechung] ---
2. Das Prüfverfahren, das die Europäische Kommission in Richtung auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eingeleitet hat und das keineswegs erledigt ist - wie der soeben übermittelte umfangreiche Fragenkatalog zeigt - muss dieses Thema einbeziehen. Es geht um die Fragen: wie rechtfertigt Deutschland einen gebührenfinanzierten Rundfunk? Findet die Befriedigung der „kulturellen Bedürfnisse“, die Deutschland der Kommission zugesichert hat, wirklich statt? [keine Entsprechung] ---
Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Ich bin ein Befürworter des öffentlich rechtlichen Systems, weil es allein geeignet ist, unter anderem zur kulturellen Entwicklung des Landes beizutragen.    
Dieses System ist heute zum Beispiel durch die zunehmende Digitalisierung ernsthaft bedroht. Die Bedrohung sollte nicht dadurch verstärkt werden, dass sich die Sender in ihrem Kernauftrag selbst demontieren. Wenn sie auf Rechten bestehen - und ich kann durchaus nachvollziehen, dass sie sich an Karlsruhe wenden - müssen sie auch ihre Pflichten erfüllen. [keine Entsprechung] ---
Meine Schlussfolgerungen im Hinblick auf den RBB sind:    
1. Mit kosmetischen Änderungen ist nichts getan. Das Grundkonzept der Kulturwelle stimmt nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass es Aufgabe des Rundfunks ist, anspruchsvolle Sendungen mit hohem Kostenaufwand zu produzieren, auch wenn diese nur für eine geringe Zahl von Teilnehmern von Interesse sein sollten. „Wir zahlen nicht Gebühren für unsere Unterforderung“ (Wolfgang Rihm). [vgl. Punkt 4, siehe oben und unten] [siehe den Kommentar nach dieser Gegenüberstellung]
     
2. Gefordert ist nicht die nostalgische Rückkehr zu früheren Formen der Programmgestaltung. Durch beharrliches Bemühen sollten nachhaltig neue Hörergruppen gewonnen werden, und das nicht durch Qualitätsminderung, sondern auf einem Wege, wie es Initiativen zahlreicher Orchester, Konzerthäuser und andere Sendeanstalten beispielhaft tun - ich denke z.B. an Simon Rattle's Projekt „Rhythm is it!“ in Berlin, an die „Response“-Projekte in Köln oder das bundesweite Projekt „Kinder zum Olymp“. Diese Initiativen setzen auf Qualität und nicht auf Anpassung auf niederem Niveau. Die Fixierung auf kurzfristige Quotenschwankungen kann nicht Maßstab langfristiger Überlegungen sein. 1. Sie empfehlen als vorbildlich das Projekt „Rhythm is it“ der Berliner Philharmoniker mit Sir Simon Rattle. Diese Arbeit hat der rbb nicht nur begleitet, sondern wir haben durch hohes finanzielles Engagement den Film mitproduziert, der zahllose Preise gewinnt. Hinweis:
Gerhart Baum kritisiert aus musikalischer Sicht die „Qualitätsminderung“ der „Programmgestaltung“ und fordert mehr Qualität für das Programm.
Die Beteiligung des RBB am Film „Rhythm is it“, selbst die „zahllosen Preise“, haben keine Auswirkung auf die musikalische Qualität des Tagesprogramms.
     
3. Es geht nicht nur um die Programmgestaltung, sondern auch um die Fortentwicklung der Musik gerade in der deutschen Hauptstadt. Fortentwicklung bedeutet ausdrücklich auch: Kompositionsaufträge, Produktionen jenseits des gängigen Repertoires unter fachkundiger Betreuung, Teilnahme an Festivals und deren Verbreitung sowie rundfunkgemäße Aufbereitung - insbesondere auch in den anspruchsvollen „Randbereichen“ der Alten und Neuen Musik. Die Berliner Musikszene erwartet eine aktive Förderung durch den RBB, wie das bei anderen regionalen Sendern selbstverständlich ist. 2. Sie behaupten erneut, der rbb vernachlässige Alte Musik. Wer sich in Berlin und Brandenburg für Alte Musik interessiert, landet früher oder später bei Dr. Bernhard Morbach, einem unserer Redakteure. Seine jeweils einstündige Sendung „Morbach live“ erfreut dreimal pro Woche unsere Hörerinnen und Hörer.

3. Der rbb veranstaltet eines der renommiertesten Festivals für zeitgenössische Musik. Ultraschall ist, da sind wir uns mit unserem Partner Deutschlandradio einig, die erste Adresse für Musik der Gegenwart in Berlin und Brandenburg.
 [Siehe „Hintergrundinformationen“ zu den Punkten 2. und 3. oben]
4. Der Fachverstand und die Erfahrung derjenigen Personen im Sender, die ein anspruchsvolles Programm gestalten können, sollten genutzt werden. [vgl. Punkt 2] ---
5. Die Öffentlichkeit und die Gremien des Senders haben Anspruch darauf, voll darüber informiert zu werden, welche Veränderungen bei der Kulturwelle z.B. im Haushalt stattgefunden haben. Die Gremien sollten noch entschiedener als bisher auf den Gang der Dinge Einfluss nehmen. 4. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg hat nach seiner Fusion mit vielen Finanzproblemen zu kämpfen. Stolz sind meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darauf, dass es uns gemeinsam gelungen ist, die Substanz unserer Radioprogramme zu erhalten. (...) Unsere Gremien sind nicht nur detailliert über alle Etatentwicklungen informiert, sie tragen sie einmütig mit. [siehe den Kommentar nach dieser Gegenüberstellung]
6. Die kulturellen Potentiale Berlins sind über die Musik hinaus in besonderer Weise geeignet, dem Sender ein Hauptstadtprofil zu geben, das heute allerdings eher DeutschlandRadio Kultur hat. [keine Entsprechung] ---
     
Mit freundlichen Grüßen Freundlichen Grüße  
gez. Gerhart R. Baum gez. Dagmar Reim  

Rosinenpickerei und Eigenlob - aber keine grundsätzlichen „Fakten“

Kommentar von Theodor Clostermann in der Form eines Zwiegesprächs

Sehr geehrte Intendantin, sehr geehrte Frau Reim,

wenn ich mir Ihre drei kulturellen Punkte noch einmal durchlese, wird mir endlich klar, worin Ihr Konzept besteht, das uns mit der Antwort hat zögern lassen, und spüre ich einen Irrtum, dem Sie unterliegen: Gerhart Baum ist kein Anfänger der Kritik des Kulturverfalls und steht auch nicht alleine da.

Punkt 1:

„Rhythm is it“ - wir haben durch hohes finanzielles Engagement den Film mitproduziert, der zahllose Preise gewinnt.

Ist dadurch - werktags zwischen 6 und 18 Uhr - das Niveau beim „kulturradio vom rbb“, mit seiner „Tagesbegleitung“ und den zerstückelten Kompositionen, einen Millimeter angehoben worden? Fehlanzeige.

Punkt 2:

Wer sich in Berlin und Brandenburg für Alte Musik interessiert, landet früher oder später bei Dr. Bernhard Morbach. Seine jeweils einstündige Sendung „Morbach live“ erfreut dreimal pro Woche unsere Hörerinnen und Hörer.

Wer nicht erst jetzt bei ihm landet (Gerhart Baum vielleicht als vermeintlicher Anfänger?), sondern aus Erfahrung über Dr. Bernhard Morbach berichtet:

Er freut sich über neue Entdeckungen und er freut sich, uns, seinen Hörern, davon zu erzählen.“ (Berliner Zeitung, 27. September 2000)

der kann nur noch darüber staunen, wie selbstgefällig Sie gleichzeitig die Kürzung der Sendezeit von fünf bzw. sechs auf drei Stunden und den Wegfall von Live-Konzerten und Studiogästen verschweigen.

Punkt 3:

Ultraschall ist, da sind wir uns mit unserem Partner Deutschlandradio einig, die erste Adresse für Musik der Gegenwart in Berlin und Brandenburg.

Großartig, dass sich die Veranstalter selbst „einig“ sind. Welch dickes Eigenlob und welch beispiellose Rhetorik... Feine Neue Musik - leider wesentlich kleiner geworden. Wie praktisch, dass Sie den Adressaten in die Schublade des „Nicht-wissen-wollens“ stecken: Er kann, er darf ja nicht wissen, dass die Sendezeit von „Musik der Gegenwart“ von fünf auf zwei Stunden gekürzt wurde und jährlich vier Konzerte der Reihe „Musik der Gegenwart“ gestrichen wurden, während gerade „UltraSchall“ von einem auf zwei Konzerte aufgestockt wird.

Ihre Werbesprache überzeugt mich nicht

„Rhythm is it“, „Morbach live“ und „UltraSchall“, das sind also kulturell „die Fakten“ beim „kulturradio vom rbb“?

Nein, Frau Reim, das sind nur drei Glanzlichter, drei Highlights. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Und der Schatten? Verschwiegen, verschwunden, dazu keine „Fakten“. Das ist auch beispiellose Rhetorik. Das ist nicht glaubwürdig.

Wie in der Werbung. „Eines der renommiertesten Festivals...“ Einer/eine/eines der -sten. Super Superlativ.

Der wirkliche Schatten: das „Tagesbegleitprogramm“

Einer der beliebtesten Tricks der Formatradio- und Tagesbegleitverfechter ist es, mit dem Abendprogramm zu prahlen. So haben es NDR-Hörfunkdirektor Gernot Romann und NDR-Kultur-Wellenchefin Barbara Mirow bei NDR Kultur anfangs auch versucht.

Der Schatten, das sind nicht nur die Kürzungen im Abendprogramm (bei „Morbach live“ und „Musik der Gegenwart“), sondern das ist das „Tagesbegleitprogramm“ werktags von 6 bis 18 Uhr.

Wenn Sie schreiben, Frau Reim,

dass es uns gemeinsam gelungen ist, die Substanz unserer Radioprogramme zu erhalten.

dann mag es für den Erhalt der Sender überhaupt gelten, keineswegs aber für die kulturelle Substanz tagsüber beim „kulturradio vom rbb“. Hatte sich nicht Musikchef Dr. Christian Detig zitatweise zustimmend dafür ausgesprochen, dass „besonderer Bedacht auf die Entspannung und Unterhaltung“ gelegt werden solle? Warum nehmen Sie nicht zur Kritik des Kulturverfalls Stellung, obwohl Gerhart Baum es in seiner zusammenfassenden Kritik miteinschloss?

Das Programm der Kulturwelle des RBB und die kulturellen Förderungsaktivitäten des RBB haben im Laufe der letzten Jahre einen erheblichen Substanzverlust erlitten. (...) Insgesamt orientiert sich der Sender immer weniger an Qualitätsmaßstäben. Das Quotendenken, das vom Musikchef des Senders öffentlich zum Thema gemacht wurde, bestimmt immer stärker die Entscheidungen.

Das Tal der Ahnungslosen und des „Nicht-wissen-wollens“ werden Sie nicht finden

Einer der beliebtesten Tricks der Formatradio- und Tagesbegleitverfechter ist es, die Kritiker für vergesslich zu halten. Frau Mirow hatte in einem Brief doch glatt die Behauptung aufgestellt:

Bitte lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zugleich ein Missverständnis richtig stellen: Längere klassische Werke haben wir im Tagesprogramm von NDR Kultur, respektive Radio 3, respektive NDR 3 immer nur in Ausnahmefällen gespielt. Einen Zusammenhang mit der Programmreform gibt es nicht. Ungekürzt können Sie die Werke der großen Meister selbstverständlich im Abendprogramm von NDR Kultur genießen.

Die Seite, auf der wir mit Kopien aus Programmzeitschriften der Jahre 1996 (NDR 3) bis 1999 (Radio 3) Musiksendungen mit ganzen Werken dokumentierten und damit das Märchenhafte ihrer Behauptung enthüllten, ist eine der beliebtesten Seiten unseres Internetauftritts. Worin unterscheidet sich da prinzipiell Ihr ausschließlicher Verweis auf die positiven Seiten von „Morbach live“ und „UltraSchall“?

Einer der Beliebtesten ist es schließlich, den Kritikern Unkenntnis vorzuwerfen. Frau Reim, da kennen wir uns gut aus. NDR-Intendant Prof. Jobst Plog schrieb mir auf den Tag genau vor zwei Jahren, indem er auf einen Kritikpunkt der Resolution der Hamburger Telemann-Gesellschaft und auch heute noch gültigen Resolution des GANZEN Werks einging, folgende Polemik:

Vertreten sollte die Telemann-Gesellschaft allerdings eine Persönlichkeit, die das kritisierte Programm auch hört. Dies ist offenbar nicht bei allen Vereinsmitgliedern der Fall, wie die Äußerungen in Ihrem Brief vermuten lassen. Denn die Formulierung, dass „alte und klassische Musik anscheinend einem auf Show ausgerichteten Kulturbetrieb untergeordnet wird“, kann nur in grober Unkenntnis der tatsächlichen Programmbestandteile von NDR Kultur getroffen werden.

So hat er seine Kritiker nicht kleinreden können. Heute hat die Initiative Das GANZE Werk mehr als 1.900 Mitglieder und zusätzlich mehr als 2.400 Unterstützer. Vielleicht hatten Sie bisher mit dieser Methode Erfolg.

Für Gralshüter der Hochkultur aber ist selbst ein klassisches „Tagesbegleitprogramm“ eine Todsünde. Das Wochenblatt „Die Zeit“ resümierte neulich bitter: „So gräbt sich der Hörfunk sein eignes Grab.“ RBB-Intendantin Dagmar Reim, die den Umbau der Kulturwelle forciert hat, winkt bei solchen Einwürfen nur müde ab: „Ich wäre froh, wenn alle unsere Kritiker tatsächlich Radio hören würden.“ (Berliner Zeitung, 9. Dezember 2003)

Ihre „Fakten“ überzeugen mich nicht

Frau Reim, Sie unterstellen Gerhart Baum, er ließe seine „Meinung nicht von Fakten stören“, weshalb „weitere Argumentationen in der Sache sinnlos“ seien.

Ihre „Fakten“ überzeugen mich „in der Sache“ nicht. Wenn Sie eine Diskussion für „sinnlos“ halten, handeln Sie in meinen Augen voreilig oder versuchen Sie in trotziger Weise, einer gebotenen Diskussion auszuweichen. Das haben Sie schon auf der Rundfunkratssitzung am 9. Februar 2006 versucht - nach dem Motto: Bloß keine Diskussion über die Programmphilosophie. Diese Diskussion läuft aber wieder - seit der Goebbels-Moderation Ihres Musikchefs beim „kulturradio vom rbb“.

Bei einer Podiumsdiskussion am 22. Juni 2006 um 19.30 im Krönungskutschen-Saal der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin, veranstaltet vom Gründungsausschuss der „Initiative Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg)“, können Sie offen und öffentlich mit Gerhart Baum über folgende Frage ein Streitgespräch führen:

„rbb kulturradio - Wird der Kulturauftrag noch erfüllt?“

geschrieben am 25. Mai 2006

Lesen Sie zur Podiumsdiskussion am 22. Juni 2006 in Berlin:

„rbb kulturradio - Wird der Kulturauftrag noch erfüllt? - Ein Streitgespräch“
Der Gründungsausschuss der „Initiative Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg)“ als Veranstalter lädt ein zu einer Podiumsdiskussion am Donnerstag, 22. Juni 2006, um 19.30 Uhr in der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin, Krönungskutschen-Saal, Neuer Marstall - Schloßplatz 7, 10178 Berlin (Mitte)
Gründungsausschuss, 23. Mai 2006

Entwurf der Gründungsresolution: Mehr Radiokultur bei kulturradio
Nur mit einem attraktiven Programm kann kulturradio neue Hörer hinzu- und ehemalige Hörer zurückgewinnen
Gründungsausschuss der „Initiative Das GANZE Werk (Berlin-Brandenburg)“, 23. Mai 2006

Lesen Sie zur Korrespondenz von Gerhart Baum mit RBB-Intendantin Dagmar Reim:

Der Kommentar: Bekannte Argumentationsmuster
„Rosinenpickerei und Eigenlob - aber keine grundsätzlichen ‚Fakten‘“
Kommentar in der Form eines Zwiegesprächs, von Theodor Clostermann, 25. Mai 2006

Die Überprüfung: Die vier Punkte von Frau Reim
„Fakten“? Glanzlichter und ganz andere Tatsachen
Von Theodor Clostermann, 25. Mai 2006

Die Dokumentation: Alles auf einer Seite
Der Offene Brief von Gerhart Baum, die Antwort der Intendantin und die Überprüfung ihrer vier „Fakten“ nebeneinander, abschließend der Kommentar
28. März, 12. April und 25. Mai 2006

Die Antwort: Brief von RBB-Intendantin Dagmar Reim an Gerhart Baum
„Weitere Argumentationen in der Sache (sind) sinnlos, weil Sie Vorurteile an die Stelle von Urteilen setzen und Ihre Meinung nicht von Fakten stören lassen“
Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), 12. April 2006

Anfrage und Anklage: Offener Brief an die Intendantin des RBB
Aufruf zur Stärkung des Kulturauftrags des öffentlich-rechtlichen Hörfunks - Karlsruhe und Brüssel müssen eingeschaltet werden, Gerhart Baum, 28. März 2006

Lesen Sie zur weiteren Auseinandersetzung von Gerhart Baum mit dem kulturradio:

Radio ohne Kultur
Gerhart Baums Kritik am Rundfunk
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Januar 2006

Aushöhlung des Kulturauftrags durch Programme der so genannten Kulturradios
Die vollständige Pressemeldung von Gerhart Baum zum Kulturradio
Gerhart Baum, 10. Januar 2006, Erstveröffentlichung beim GANZEN Werk

Lesen Sie zum Kulturauftrag von Gerhart Baum:

Auftrag, nicht Wohltat - Öffentlicher Rundfunk und Neue Musik
Grundsätzliches zum Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
Das Bundesverfassungsgericht ist der Meinung, dass die „besondere Eigenart“ des öffentlichen Rundfunks erst durch die Erbringung solcher Programmteile „ihre Rechtfertigung“ findet, die unter kommerziellen Bedingungen notwendig defizitär bleiben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. März 2005