Das GANZE Werk - Presseschau
neue musikzeitung 11/2007 (November)
Bremer Bürger kämpfen um ihren Konzertsaal, aber Radio Bremen blockt
Keith Jarrett und weitere siebentausend Unterschriften
Music Village Campus als Alternative?
Bremen ist zwar kleinstes Bundesland in unserer Republik. Aber in dieser alten Hansestadt boomen nach wie vor nicht nur Wirtschaft und Handel, sondern sie weist aufbauend auf einer ansehnlichen musikalischen Tradition heute ein überaus aktives Musikleben mit einer engagierten treuen Hörerschaft auf. Hier ist Chorpflege ebenso tragfähig wie die Programme des Philharmonischen Orchester und der Kammerphilharmonie. Etliche Spezialensembles für Alte und Neue Musik lassen von sich hören. Auffällig ist auch Bremens Hochschullandschaft, zumal mit einem speziellen musikpädagogischen Ausbildungskonzept an der Universität. Und über 100 weitere Einträge musikalischer Aktiva weist der neueste Musik-Almanach des Deutschen Musikrats unter dem Stichwort Bremen auf. Vor 80 Jahren trat der Bremer Rundfunk als „neuer Faktor ins Musikleben ein“ (MGG), mit Sende- und Konzertreihen, mit originellen Produktionen, Festivals und Schwerpunkten in Musica Nova, historischer Aufführungspraxis und in Popularer Musik. Aber wie lange noch? Denn nun hat das in Bremen angesiedelte Archiv Deutsche Musikpflege einen besonders aktuellen Sammelauftrag die tausendfachen Stimmen der öffentlichen Meinung zu sammeln, die derzeit weit über Bremen hinaus Schlagzeilen machen: gegen den offensichtlichen Kuhhandel von Radio Bremen und seinem Intendanten, der für den Neubau sein bisheriges Domizil meistbietend und rücksichtslos verscherbelt hat. Im Mittelpunkt steht sein Konzertsaal, der den Bürgern Bremens jedoch als bevorzugtes unentbehrliches Podium besonders ans Herz gewachsen zu sein scheint und den sie nicht der Spitzhacke ausgeliefert sehen wollen.
Aufbau zu „Farben der Frühe“ für sieben Klaviere von Mathias Spahlinger. Foto: Friedrich-Karl Plinke
Interview mit Professor Klaus Bernbacher
neue musikzeitung: Welche Bedeutung hat dieser Sendesaal von Radio Bremen, für den seine Programmdirektion glaubt keine Verwendung mehr zu haben, aber für dessen Erhalt sich die Bremer Bürger und ein eigener Verein vehement einsetzen und für den mit Professor Klaus Bernbacher und Peter Schulze zwei Experten - selbst jahrlang für Radio Bremens Musikabteilung verantwortlich - sprechen?
Klaus Bernbacher: Der historische Sendesaal von Radio Bremen hat Musikgeschichte geschrieben. Er verfügt über 280 Plätze, hat eine berühmte Akustik und ist ein bemerkenswertes Zeugnis der Baukultur der 50er-Jahre! „... der eigenartigste, der schönste Saal“, so Bürgermeister Wilhelm Kaisen, und ein nationales Denkmal aus Sicht des Landesdenkmalpflegers, dem im Grunde von niemandem widersprochen wird. Der Saal vermittelt Intimität, Konzentration und Stille. Für Künstler und Hörer ein Idealfall. Namhafte Interpreten, unter anderem Harnoncourt, Alfred Brendel, Keith Jarret sowie 7.000 Musikliebhaber setzen sich mit ihrer Unterschrift für den Erhalt des Sendesaals ein. Es gibt keinen vergleichbaren Saal in Bremen. Er wurde zum Beispiel 2006 an 240 Tagen genutzt, davon die Mehrzahl öffentliche Konzerte, dazu Produktionen des Senders mit Partnern.
nmz: Für künftige Produktionen des Senders bedarf es dieses Saales nicht mehr?
Bernbacher: Auf Druck der Ministerpräsidenten erfolgten Kürzungen des Finanzausgleichs der ARD für unseren Sender, die der Intendant Prof. Dr. Heinz Glässgen im Programmbereich hauptsächlich durch Einschränkungen der Musikproduktion weitergeleitet und bewerkstelligt hat. Außerdem hat der Intendant entschieden, ohne eine gleichwertige Alternative zu haben, ab 2008 den Saal für den Sender nicht mehr zu belegen - eine unverantwortliche Haltung, um so mehr als sie dem öffentlich-rechtlichen Programmauftrag widerspricht.
nmz: Welchen Zwecken könnte der Sendesaal denn künftig dienen, welche Aufgaben ließen sich hier erfüllen? Gibt es realistischen Bedarf?
Bernbacher: Der Verein hat die Idee eines gemeinsamen Musikdorfes für Senioren und Studenten - Music Village - mit dem integrierten Sendesaal für das circa 20.000 Quadratmeter große restliche Hörfunkgelände vorgeschlagen und entwickelt. Als Vorbild gilt das Hamburger Künstlerdorf „New Living Home“, das der vormalige Hamburger Hochschulpräsident Hermann Rauhe als Initiator kürzlich in Bremen vorgestellt hat. Dieses Lebensmodell „50plus“ ist als gesellschaftliche Aufgabe zwischen den Generationen kürzlich durch den Wiesbadener Kongress des Deutschen Musikrates einschließlich einer Erklärung thematisiert worden und findet überall eine erhebliche Resonanz. Es besteht Handlungsbedarf. Für Bremen eine richtige Chance, zumal ein solventer Investor und Projektentwickler vorhanden ist, der bei konsequenter Anwendung dieses Konzepts auch für den Sendesaal dieses für tragfähig hält. Außerdem sind folgende Nutzungen möglich: Der Sendesaal soll vermietet werden für Studioproduktionen und Konzerte vor allem der Kammermusik und des Jazz. Als internationales Produktionszentrum wird der Saal weiterhin hochgeschätzt: Er ist geeignet für Kooperationen mit internationalen Platten- und Sounddesign-Firmen, Podcast-Produzenten, Hörbuchverlagen und auch für wissenschaftliche Experimente, zum Beispiel seitens der Forschungslabors zur Hörgeräteherstellung in Oldenburg, der Neurowissenschaften Uni Bremen et cetera. Konzerte im Dunkel (Aktion Mensch) findet dort ihren idealen Raum. Kulturveranstaltungen von Rang, Vorträge, Lesungen und Bürgerversammlungen haben im Sendesaal Platz. Stipendiaten könnten dort experimentieren, Ensembles der Bewohner proben und konzertieren. Er ist originär selbstverständlich auch weiterhin für Live-Sendungen geeignet seitens des RB und anderer.
nmz: Das sind großartige Visionen - aber welches sind nun die schlimmsten Hemmklötze, um einem solchen Konzept näher treten zu können?
Bernbacher: Das Land Bremen - nicht die Wirtschaft - ist pleite! Falsche riesige Investitionen des Scherf-Senates der großen Koalition haben dafür die Grundlagen geschaffen. Die im Mai neu gewählte rot-grüne Landesregierung muss gravierende Fehler ihrer Vorgänger bewältigen. Es wurden natürlich weitere Fehler gemacht, so zum Beispiel die Aufhebung der Unterschutzstellung des Saales - der neue zuständige Kultursenator und Bürgermeister Jens Böhrnsen, ein Verwaltungsjurist, rechnet andernfalls mit dem negativen Ausgang eines Prozesses vor dem Oberverwaltungsgericht. Das Land Bremen müsste dann den Ausfall der zweiten Tranche des Kaufvertrages zwischen dem gegenwärtigen Besitzer und Radio Bremen bezahlen. Der Bürgermeister würde es begrüßen - insofern eine Änderung zur vorigen Regierung - wenn es unserem Investor und dem Verein gelänge, durch größere private Mittel und eine Bürgerspende das fehlende Geld bis zu circa zwei Millionen Euro aufzubringen.
nmz: Es scheint fünf vor zwölf zu sein: Sehen Sie noch rechtliche, finanzielle und zeitliche Chancen für eine auf Dauer tragfähige Lösung? Werden Wunsch und Wille der Bürger, der Steuer- und Gebührenzahler in den Wind geschlagen? Sind Einsichten der streitbaren Partner tatsächlich Illusion, keine Solidarität in Sicht, kein Runder Tisch „pro Musica futura Bremiensa“, um eine für Bremen peinliche Tragikomödie zu vermeiden?
Bernbacher: Doch, es gibt noch Hoffnung, wenn die Spitzen der Politik und Parteien im Konsens unsere vielfältigen Bemühungen in der Öffentlichkeit nachhaltig unterstützen.