Das GANZE Werk - Presseschau
Hamburger Abendblatt, 29. November 2006
Im Anschluss: Zwei Leserbriefe
• „Vieles hat sich geändert“ von Barbara Mirow, Leiterin NDR Kultur, 5. Dezember 2006
• „Schneller Verdruss“ von Theodor Clostermann, Sprecher Das GANZE Werk (Nord), 15. Dezember 2006
NDR Hörfunk - Die Änderungen des Kultursenders in 50 Jahren
Für Hörer, die zuhören
1956 gehörte der NDR mit seinem dritten Programm zur Avantgarde – heute gibt's für die bewusst Zuhörenden nur noch wenig
Von Hans-Jürgen Krug
Artikel in Originalansicht (speichern/drucken - Pdf) |
Hamburg - Ende 1956 war es endlich soweit: Nach zwei kurzen Versuchsreihen 1954 und 1955 startete der Norddeutsche Rundfunk (NDR) am 1. Dezember 1956 sein neues Hörfunkprogramm, das dritte Programm. Der NDR ging auf Augenhöhe mit der legendären britischen BBC und vor allem dem noch legendäreren „Third Programme“. Und in Deutschland waren die Radiomacher des NDR ganz vorne, Avantgarde: Noch kein anderer Sender hatte es gewagt, ein eigenständiges Kulturprogramm einzurichten. Ein Programm besonders für Wortsendungen und - so sprach man 1956 - für die „Anspruchsvollen“. Andere befürchteten bereits 1956, dass die Gründung einer Kulturwelle zur Auslagerung „geistiger Inhalte“ von den populären NDR-Wellen führen werde.
Das dritte Programm war ein ganz besonderes Radioangebot - und es erinnerte zunächst eher an ein Theater- als an ein Hörfunkprogramm. Die Sendungen begannen ganz bewusst erst um 20.15 Uhr. Die gebildeten Hörer sollten erst noch die „Tagesschau“ sehen können und sich dann uneingeschränkt der Radiokultur widmen, den schönen Künsten, der Wissenschaft, den Hintergründen, der Politik, dem Hörspiel, aber auch dem Jazz, der Neuen Musik und der klassischen Musik.
„Wer hört uns?“, fragte der damalige NDR-Intendant Walter Hilpert zur Eröffnung des Programms: „Hoffentlich nicht alle, hoffentlich nicht viele... Wir erwarten Zuhörer, zum Zuhören bereite Hörer. Aber wenn Sie sich dann diesem Programm zuwenden, dann erwarten wir Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Das ist eigentlich die einzige, allerdings auch die wichtigste Voraussetzung.“
Als NDR 1 und NDR 2 nach und nach durchhörbarer gemacht wurden, wurde NDR 3 tagsüber - so kann man in Wolfram Köhlers Buch „Der NDR“ nachlesen - zum „Auffangbecken“ für Vielerlei zwischen Kurszettel und Schulfunk. Für den Abend aber stellten die „Herausgeber“ Ernst Schnabel, Walter Höllerer, Hans Werner Henze oder Rolf Liebermann ihr in Kulturkreisen hoch gerühmtes Drittes zusammen.
Doch nur etwa zwei Prozent der Hörer hörte Anfang der 1970er-Jahre auch das anspruchsvolle Programm. Trotz der starken Orientierung an Ernster und Neuer Musik galt das Dritte als wortorientiertes „Getto“. Formal blieb NDR 3 ein Kästchenradio und - so nochmals die NDR-Geschichte - "alles, wie es war". Ende der 1980er-Jahre wurde dann die Wortwelle NDR 3 zur musikdominierten Klassikwelle reformiert. Das Programm wurde - so der damalige Wellenchef Wolfgang Knauer - „neu erfunden“, jetzt mit deutlich musikalischen Schwerpunkten und seit 1997 unter dem Namen Radio 3.
Inzwischen prägt ein strenges Format die Nachfolgewelle NDR Kultur: kurze Wortbeiträge, kurze Klassikstücke, knappe Moderationen dominieren das Tagesprogramm. Nur am Abend sind die alten Strukturen des dritten Programms noch rudimentär wahrnehmbar. Viel mehr Hörer als die zwei Prozent der elitären Anfangsjahre werden freilich auch heute nicht erreicht. Doch von der hehren Orientierung an den bewusst zuhörenden Kulturfreunden hat man sich in der Rotenbaumchaussee ziemlich konsequent verabschiedet. Heute wirbt NDR Kultur mit dem Slogan „Hören und genießen“.
Leserbriefe
An das Hamburger Abendblatt
Brieffach 2110, 20350 Hamburg - E-Mail: briefe@abendblatt.de
Beide Leserbriefe in Originalansicht (Collage - Pdf) |
Hamburger Abendblatt Dienstag, 5. Dezember 2006 | Hamburger Abendblatt Freitag, 15. Dezember 2006 | |
NDR HÖRFUNK | ||
Vieles hat sich geändert | Schneller Verdruss | |
„Für Hörer, die zuhören“, HA, 29. November | Leserbrief „Vieles hat sich geändert“, Hamburger Abendblatt, 5. Dezember | |
50 Jahre NDR Kultur-Programm: Wahrlich ein Anlass zu feiern, ist NDR Kultur doch mit mehr als 1,1 Millionen regelmäßigen Hörern das meistgehörte Kulturprogramm im Norden. Vieles hat sich in einem halben Jahrhundert geändert, nicht zuletzt das Programmverständnis der Macher in einer völlig veränderten Medienlandschaft. Anders als seinerzeit von NDR-Intendant Hilpert postuliert, bieten wir einem breiten Publikum Radiokultur in allen Spielarten und vielen Facetten. Weiter zunehmende Hörerzahlen machen deutlich: Wir haben uns von niemandem verabschiedet. Den „bewusst Zuhörenden“ sei zum Beispiel die Sendereihe „Am Morgen vorgelesen“ empfohlen. Weltliteratur zum Hören und Genießen, jeweils eine halbe Stunde, zur allerbesten Sendezeit. | Frau Mirow (Leiterin, „NDR Kultur“, die Redaktion) legt in ihrem Leserbrief Wert auf „bewusst Zuhörende“ und betont, dass sich „NDR Kultur“ von niemandem „verabschiedet“ habe. Damit verabschiedet sie sich von ihrer bisherigen These, „NDR Kultur“ sei tagsüber für Nebenbeihörer und entspreche mit seinem Wort-Klassik-Mix den gewandelten Hörergewohnheiten. Frau Mirow gibt eine Realität zu. Gerade mit seinen Wortbeiträgen versucht „NDR Kultur“, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Deren häufige Inkompetenz und Aufdringlichkeit aber führen bei vielen Hörern zum schnellen Verdruss. | |
Barbara Mirow, Leiterin NDR Kultur | Theodor Clostermann, per E-Mail | |
Originalfassung des Leserbriefes |
Lesen Sie weitere Artikel von Hans-Jürgen Krug zum Thema NDR Kultur:
Alles ist gut
Klassik, Claims und Crosspromotion bei NDR Kultur
epd medien Nr. 60 - Leitartikel vom 4. August 2004
Alarm beim NDR: Radio 3 in der Krise
Hamburger Abendblatt 19. August 2002