Das GANZE Werk - Presseschau

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Die Haltung, für die Gebühr eine stabile Wachstumsgarantie zu verlangen, jede Auflage oder von außen vorgeschlagene Begrenzung aber als Eingriff in die Programmautonomie zurückzuweisen, wird auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten sein. Denkbar ist durchaus eine Begrenzung des Quantums der Hörfunksender, des Ausgabenanteils und der Sendezeit für Sport, der Verzicht auf Werbung und bestimmte Genres und Formate, die Selbstverpflichtung zu konkreten Bildungs- und Kulturprogrammen.
Mit womöglich geringerer Grundgebühr und einigen Bezahldiensten können die öffentlich-rechtlichen Sender in der digitalen Vielfalt sogar eine Renaissance erleben. Nicht als quasi-staatliche Bürokratien, nicht durch maßlose Forderungen zu den technischen Verbreitungswegen, sondern allein durch die Besinnung auf unterscheidbare Inhalte, Haltung, Sprache und Stil, kurz: Durch ihre Kultur haben sie die Chance, sich als Fels im Ozean des Mainstreams zu behaupten.

Der Tagesspiegel, 25. März 2006

Die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen

Ihr zahlt! Wir senden

Das öffentlich-rechtliche Modell taugt nicht länger: ARD und ZDF müssen sich konzentrieren

Von Bernd Gäbler

In der Nachkriegsgesellschaft galt der Konsens, dass Hörfunk und Fernsehen wegen ihrer überragenden Bedeutung nicht privatwirtschaftlicher Initiative überlassen bleiben dürften. Aus dem Monopol heraus behauptete sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk danach im dualen System. Im Zuge der Digitalisierung werden ARD und ZDF erneut durchgeschüttelt. Der Tagesspiegel erörtert die neue Lage in drei Folgen. Teil 2: Die Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen

In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Ansturm und die Konkurrenz durch die neu entstandenen Privatsender überstanden. Kein Wunder, sagen manche Kritiker, mit einem stabilen Zustrom von mittlerweile rund sieben Milliarden Euro im Jahr sollte das wohl zu machen sein. Andere fragen nach dem Preis: Ist das Mithalten nicht erkauft durch zu viel Mit- und Nachmachen? Der Sinn der Privatsender besteht ja im Kern darin, für die Werbeindustrie jeweils genügend und passendes Publikum anzulocken. Wird im Wettbewerb der aufklärerische Sinn öffentlich-rechtlichen Sendens überhaupt noch deutlich? Glattes Programmieren, ritualisierte Formate, Starkult, in dem Prominenz mehr zählt als Kompetenz, Klatsch, Serienkitsch, Newshäppchen und Oberflächentalk haben die gebührenfinanzierten Sender längst übernommen. Wo aber ist die Seele geblieben von Radio und Fernsehen in gesellschaftlicher Verantwortung?

Nun gut, es gibt kompetente Auslandskorrespondenten, seriös gebliebene Nachrichten, regionale Informationen, das kleine Fernsehspiel, die ein oder andere Dokumentation zu Geschichte oder Wissenschaft, den Kinderkanal und Phoenix, „Kulturzeit“ auf 3Sat und den Deutschlandfunk - aber reicht das als Besonderheit im Vergleich zu dem, was auch der Markt zu leisten vermag? In Haltung, Stil, Ästhetik und Sprache scheint es bei Talk, Sport und Unterhaltung keine Differenz mehr zu den Privaten zu geben. Zu sehr rutscht der Zweck von ARD und ZDF, qua Auftrag und Anspruch im Massenmedium Normen zu setzen, an den Rand oder in die Sparte.

Die leitenden Damen und Herren mögen stolz sein auf das Erreichte. Wenn sie aber nicht bereit sind, die Hauptfrage für ihre Zukunft, die präzise und nicht bloß wolkige Definition des Auftrags, die Programmphilosophie, im Gespräch mit der Gesellschaft offen zu erörtern, dann können auch Großreiche an ihrer eigenen Unbeweglichkeit scheitern.

Die Haltung jedenfalls, für die Gebühr eine stabile Wachstumsgarantie zu verlangen, jede Auflage oder von außen vorgeschlagene Begrenzung aber als Eingriff in die Programmautonomie zurückzuweisen, wird auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten sein. Denkbar ist durchaus eine Begrenzung des Quantums der Hörfunksender, des Ausgabenanteils und der Sendezeit für Sport, der Verzicht auf Werbung und bestimmte Genres und Formate, die Selbstverpflichtung zu konkreten Bildungs- und Kulturprogrammen.

Auch die Auffassung, weil dieser schon die Gebühr bezahlt habe, müsse jedes öffentlich-rechtliche Programm auf allen digitalen Wegen kostenlos zum Endkunden transportiert werden, ist trügerisch und nur scheinbar offensiv. Gerade weil in der digitalen Welt das tatsächliche Nutzerverhalten präziser zu bestimmen ist als allein durch die Quote, die ja eine Hochrechnung ist, wird die Gebühr erneut unter Legitimationsdruck geraten. Eine offensive Antwort würde darin bestehen, jetzt mit den Gebührenzahlern eine Art neuen Gesellschaftsvertrag abzuschließen.

Warum soll nicht eine Garantie abgegeben werden, nie „heute“-Bild.de oder Tagesschau.google zu machen, dafür aber mit Basis-News beim Handy-TV dabei zu sein? Warum keine Einschränkung bei der bundesweiten Verbreitung der Dritten Programme oder nur Schwerpunkte für Internet und Podcasting geben?

De facto haben die Öffentlich-Rechtlichen die Jugend verloren. Durch Jargon und Anwanze wird das nicht aufzuholen sein. Vielleicht sollte man einfach ganze Programmflächen freiräumen für Jugendredaktionen mit einem weiten Feld von Partizipationsmöglichkeiten? Oder: Warum sollen nicht - sagen wir: Ranga Yogeshwar 250 Millionen Euro in die Hand gedrückt werden, damit er ein spannendes Download-Bildungsfernsehen entwickelt? Wenn die Sender momentan schwunghaften DVD-Handel mit alten Serien betreiben, warum sollen dann nicht - auch gegen eine zusätzliche Mini-Gebühr - die digitalen Archiv-Schätze für jedermann zum Herunterladen offen stehen? Warum soll es keine cross-medialen Initiativen zu Arbeitsvermittlung und spezifischer Qualifizierung geben? Statt jeden Status quo zu verteidigen und immer mehr zu wollen, wären zukunftsweisende Ideen zu spezifizieren. Noch ist die Angst vor Marginalisierung größer als der Blick auf neue Möglichkeiten.

Zur offenen Debatte gehörte natürlich auch mehr Transparenz über die Verwendung der Gebühren. Dazu gibt es keine ökonomische Analyse. Ist die Gebühr eine quasi-staatliche Unternehmensbeihilfe, eine Arbeitsplatzfinanzierung oder halb-sozialistische Subventionierung der Produktionswirtschaft? Wie sieht die reale Wertschöpfung der Anstalten des öffentlichen Rechts aus, für die letztlich der Staat haftet? Die bestehende Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) redigiert Wunschzettel, und die Rechnungshöfe prüfen die Gesetzestreue. So eine Analyse wäre wichtig, gerade wenn nicht alle Bereiche simpel betriebswirtschaftlicher Effektivität untergeordnet werden sollen. Vielleicht „rechnet“ sich ein Kinderprogramm ja gerade nicht und trotzdem ist das Geld hier gut angelegt.

Erörtert werden müsste auch, ob die Art der Rückbindung an die Gesellschaft, die weitgehend über die Quote einerseits und die interne Organisationsstruktur mit der Repräsentanz relevanter gesellschaftlicher Gruppen in den Gremien erfolgt, nicht durch ganz andere Mechanismen aufgefrischt werden sollte. Der ZDF-Intendant Markus Schächter lobt die eigene Anstalt schon mit den Worten, hier werde eine blendend funktionierende große Koalition praktiziert. Damit bestätigt er nur, wie sehr der Gesellschaftsbezug schon parteipolitisch überformt ist - bis hin zu den kuriosen Stellenbesetzungen nach rot-schwarzem Abzählreim.

Sind Festanstellung und Redaktionsstatut noch Mittel zum Schutz vor Beeinflussung, Ermunterung zu Recherche, Meinung und Experiment oder schon ins Gegenteil umgeschlagen und zu Schulen des Opportunismus verkommen? Werden nicht zu viele kantige Kerle und forsche Frauen verprellt oder als Abtrünnige angesehen? Die aktuelle Übung einiger Ex-Redakteure - dissidentes Nachtreten bei gesicherter Rente - lassen dies befürchten.

Die Kunden werden ihre Medien individueller nutzen und leistungsbezogen bezahlen wollen. Mit womöglich geringerer Grundgebühr und einigen Bezahldiensten können die öffentlich-rechtlichen Sender in der digitalen Vielfalt sogar eine Renaissance erleben. Nicht als quasi-staatliche Bürokratien, nicht durch maßlose Forderungen zu den technischen Verbreitungswegen, sondern allein durch die Besinnung auf unterscheidbare Inhalte, Haltung, Sprache und Stil, kurz: Durch ihre Kultur haben sie die Chance, sich als Fels im Ozean des Mainstreams zu behaupten.

Bernd Gäbler war von 2001 bis 2004 Geschäftsführer des Grimme-Institutes.