Das GANZE Werk - Presseschau

Frankfurter Rundschau, 1. März 2006

Zitat:
Von der Tanns Philippika entzündete sich offenbar aber an einem selbst verantworteten Fall: Auf dem verbliebenen Prime-Time-Sendeplatz am Montagabend erreichten Reihen wie der von ihm befürwortete Wettlauf zum Mond nicht die gewünschten Quoten. Und um die geht es zuvörderst. Denn der „audience flow“, der Anteil der Zuschauer, die von einer Sendung zur anderen mitgehen, ist für die so wichtigen Quoten nicht ganz unwesentlich.

Der Bock als Gärtner?

Eine Kehrtwende: ARD-Koordinator von der Tann will Dokumentarfilme aufwerten

Von Daland Segler

Dokumentation zu Daten-Missbrauch (SWR)
Selbstredend sagt jetzt keiner was - laut. Aber dass Hartmann von der Tanns Brief an die Chefredakteure der ARD für Gesprächsstoff gesorgt hat, wird nicht nur auf den Fluren der Anstalten hörbar. Da hat der scheidende ARD-Chefredakteur noch einmal einen Stein ins Wasser geworfen, der nun für Wellen zwischen Hamburg und München sorgen dürfte. Zunächst vor allem wohl deshalb, weil von der Tann sein Motiv nicht eben deutlich macht. Und dann der Frage wegen, ob sich da nicht der Bock zum Gärtner erklärt?

Denn im Senderverbund gilt der 62-Jährige nicht wenigen als autoritärer Macher, der notfalls auch ohne Begründung seine Entscheidungen durchsetzt. Er hat etwa das letzte Wort bei ARD exclusiv, und gegen sein Veto soll noch kein Dokumentarfilm den Weg ins ARD-Hauptprogramm gefunden haben.

Von Dokumentationen und Reportagen spricht der Mann zunächst: Er hat festgestellt, dass der Zuspruch für diese Sendungen nachlässt. Man darf annehmen, dass es dem erfahrenen Journalisten auch und gerade um Journalismus im Fernsehen geht, und der ist in den vergangenen Jahren nicht eben aufgeblüht - die Kürzung der politischen Magazine ist das jüngste Beispiel dafür.

Nun aber stellt der mächtige ARD-Chefredakteur dem Anschein nach alles infrage, was er für richtig gehalten hat. Es gibt ARD-Kollegen, die sehen eine komplette Kehrtwende in dem, was der Koordinator in seinem Brief darlegt. Er sei es gewesen, der die Linie vertreten - und durchgefochten - habe, dass auf den Sendeplätzen für Dokumentationen Mehrteiler den Einzelstücken vorzuziehen seien. Dabei wurde seinerzeit schon diskutiert, ob nicht journalistisch spannende und aktuelle Filme auf spätere Sendeplätze abgeschoben werden müssten, wenn die Programmplanung sich an das Korsett der Reihen halten müsse.

Nun ist dieses Korsett noch enger geworden: Dokumentationen liefen in der ARD montags, mittwochs und freitags um 21.45 Uhr. Nach der Änderung der Programmstruktur folgt nun der Dokumentarfilm um 21 Uhr auf die Krimiserie am Montag, ARD exclusiv läuft mittwochs um 21.45 Uhr - wenn kein Fußball kommt, sonst noch später oder gar nicht, wie heute, wenn der Beitrag „Wer hat meine Daten?“ ausfällt - und am Freitag gibt es statt der Reportage nun eine Tatort-Wiederholung...

Von der Tanns Philippika entzündete sich offenbar aber an einem selbst verantworteten Fall: Auf dem verbliebenen Prime-Time-Sendeplatz am Montagabend erreichten Reihen wie der von ihm befürwortete Wettlauf zum Mond nicht die gewünschten Quoten. Und um die geht es zuvörderst. Denn der „audience flow“, der Anteil der Zuschauer, die von einer Sendung zur anderen mitgehen, ist für die so wichtigen Quoten nicht ganz unwesentlich.

Hartmann von der Tann
Hartmann von der Tann wurde 1943 in Villingen geboren. Nach seinem Studium der Betriebswirtschaft in Würzburg arbeitete er 1972 zunächst im Hörfunkstudio Karlsruhe des Süddeutschen Rundfunks. 1974 wechselte er zum damaligen Südwestfunk, wo er für Hörfunk und Fernsehen tätig war, bis er 1983 als ARD-Fernsehkorrespondent nach Mexiko ging. 1990 wurde er ARD-Sportkoordinator, 1993 ARD-Chefredakteur und ARD-Fernsehkoordinator für Politik, Gesellschaft und Kultur.   fr
Und da murren die Redaktionen der politischen Magazine am Montag, weil sie nicht den Zuschaueranteil von der vorhergehenden Dokumentation mitnehmen können wie ihre Kollegen am Donnerstag: Da profitieren Panorama, Monitor und Kontraste auch von der leichten Kost, die zuvor geboten wird - Degeto-Familien-Schmonzetten etwa.

So soll also die Aufwertung der Dokumentation offenbar auch den politischen Magazinen helfen. Nun gibt es zwar Stimmen, die - hinter vorgehaltener Hand - sagen, mehr Qualität sei die Garantie für eine bessere Quote und nicht der „audience flow“, aber zugleich wird von der Tann eben auch dafür verantwortlich gemacht, dass die eher „leichten“ Themen zunehmend kritische Beiträge verdrängt hätten.

Da empfindet es manch einer als Hohn, wenn der wegen seiner Neigung zum Pferdesport auch als „Herrenreiter“ apostrophierte Chefredakteur nun schreibt, es würde dem Programm mehr nützen, wenn - manchmal teure - Qualität vor Quantität ginge.

So hatte jüngst Jürgen Bertram, jahrelang Korrespondent in Südostasien, den ARD-Oberen in seinem Buch Mattscheibe vorgehalten, Themen wie der „Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie“ seien Beschäftigungen mit den „Liebschaften von Lady Diana“ gewichen. Und während von der Tann schreibt, man werde so lange nicht erfolgreich sein, „wie wir senden, was die Häuser liefern, anstatt herzustellen, was der Sendeplatz verlangt“, sieht etwa ein ARD-Reporter gerade in dieser „Abkoppelung zwischen Qualität und Sendeplatz“ das Vermächtnis des im Juni ausscheidenden ARD-Koordinators.

Ob der nun gegen Ende seiner Dienstzeit noch einmal einen Markstein setzen wollte mit seiner Kritik und ob er seinem Nachfolger Thomas Baumann damit ein Kuckucksei ins Nest gelegt hat oder die nun folgende Diskussion vor dessen Amtsantritt erledigt haben wollte, bleibt vorerst von der Tanns Geheimnis. Denn selbstredend wollte er zu seinem Brief nichts sagen.