Das GANZE Werk - Dokumentation
Arbeitsgericht Berlin, 11. Januar 2006, Urteilsbegründung
Prozess Martin Demmler gegen RBB
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e (Ausschnitte)
„Die Empörung des Klägers wird um so verständlicher, wenn man bedenkt, dass Herr Dr. Detig durch seine abschließende Bemerkung, der Mann sei ‚immer noch für Überraschungen gut‘, Goebbels quasi als spannende interessante Person und damit in einem positiven Licht darstellte“
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Die Klage hat Erfolg. (S. 11)
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die fristlose Kündigung unwirksam. (S. 12)
Zunächst ist der Beklagten nicht darin zuzustimmen, dass das Verhalten des Klägers die Straftatbestände einer Urkundenfälschung i.S.d. § 267 Abs. 1 StGB und einer Beleidigung i.S.d. § 185 StGB bzw. üblen Nachrede i.S.d. § 186 StGB erfüllt. (S. 12)
Herr Dr. Detig hatte während seiner Moderation geäußert, dass er selbst als auch jeder ARD-Intendant das Zitat von Goebbels ohne große Abstriche unterschreiben könnte. Wenn der Kläger diese Äußerung dahingehend wertet, dass Herr Dr. Detig in seiner Moderation die Aufgaben des Rundfunkprogramms mit den Forderungen von Joseph Goebbels in dem Zitat von 1936 verglichen und behauptet habe, diese Einschätzung entspräche den Interessen der ARD-Intendanten, stellt er keine falsche Tatsachenbehauptung auf, sondern hält sich im Rahmen der möglichen und sogar naheliegenden Interpretationen. Denn Herr Dr. Detig brachte in der Ankündigung tatsächlich zum Ausdruck, dass er selbst und die ARD-Intendanten die Ansicht Joseph Goebbels teilen, dass das Rundfunkprogramm so gestaltet werden müsse, dass es „den verwöhnteren Geschmack noch interessiert und dem Anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint“, und dass diejenigen Hörfunkteilnehmer, die einen höheren Anspruch an das Rundfunkprogramm haben, gegenüber der Mehrheit, die lediglich „Entspannung und Unterhaltung“ finden wolle, „kaum ins Gewicht fallen“. Im weiteren Verlauf der Moderation hatte sich Herr Dr. Detig, worauf der Kläger zutreffend hinweist, zwar von der Person Joseph Goebbels und dessen Rolle bezogen auf den öffentlichen Rundfunk distanziert, jedoch nicht von der inhaltlichen Aussage des Zitats. (S. 14)
Der Kläger ist ein Redakteur, der sich mit dem Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der ARD in besonderem Maße identifiziert. Er musste in der Vergangenheit erfahren, dass beim Kulturradio anspruchsvolle Programme immer mehr zurückgedrängt und durch weniger anspruchsvolle, aus seiner Sicht flache nichts sagende Programme ersetzt werden. Dadurch sah er den Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Gefahr und fühlte sich insbesondere auch in seinem persönlichen Wirkungskreis bedroht. Als Herr Dr. Detig diese Entwicklung dann ausgerechnet im Zusammenhang mit einem Zitat von Joseph Goebbels ansprach und die Situation so darstellte, als ob die Rundfunkphilosophie von Goebbels auch der Philosophie der ARD-Intendanten entspricht, zumindest, was die Verflachung des Programms betrifft, ist nachvollziehbar, dass der Kläger mit Empörung reagierte. Die Empörung des Klägers und dessen scharfe Kritik an der Moderation wird um so verständlicher, wenn man bedenkt, dass Herr Dr. Detig durch seine abschließende Bemerkung, der Mann sei „immer noch für Überraschungen gut“, Goebbels quasi als spannende interessante Person und damit nach allgemeinem Verständnis in einem positiven Licht darstellte, ohne dem auch nur irgendeine kritische Bemerkung hinzuzufügen. (S. 15 f.)
(...) Einiges (deutet) darauf hin und kommt auch in der Stellungnahme des Personalrats und verschiedenen Zeitungsartikeln zum Ausdruck und wird auch durch das Verhalten der Kollegen/innen des Klägers nach dem Ausspruch der Kündigung gestützt, dass das Arbeitsklima innerhalb der Abteilung Musik bzw. innerhalb des Senders der Gestalt ist, dass sich der einzelne Redakteur nicht so ohne weiteres zutraut, seine Kritik offen auszusprechen und damit Gehör zu finden. (S. 16)
Auch der Umstand, dass der Kläger, indem er als Absender einen anderen Namen wählte, planvoll vorgegangen ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere spricht dies nicht dagegen, dass es sich bei dem Verhalten des Klägers letztlich um eine „Kurzschlussreaktion“ handelte. Denn, wenn der Kläger sich die Angelegenheit tatsächlich genau überlegt hätte, hätte es weitaus näher gelegen, einen Bekannten zu bitten, die Schreiben im eigenen Namen zu versenden, zumal in diesem Fall keinerlei Gefahr bestanden hätte, dass er als wahrer Urheber entdeckt werden könnte. (S. 18) Nach alledem ist die fristlose Kündigung unwirksam. Eine Umdeutung in eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist kam schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beklagten den Personalrat hierzu nicht beteiligt hat. (S. 19)