Das GANZE Werk - Presseschau

Kritische Masse, 19. 10. 2005

Bei genauer Auslegung nach VG Wort wären mindestens viele Ausschnitte der Löschliste des NDR zu streichen

Mit freundlichen Grüßen

„Mit freundlichen Grüßen“ sind gerne recht unfreundliche Briefe unterschrieben

Mit freundlichen Grüßen
NORDDEUTSCHER RUNDFUNK
Dr. Werner Hahn (Justitiar) - Svenna Koch (Justitiariat)

heißt es in dem Brief an die Initiative Das Ganze Werk, die Aufforderung Audio- und Videodokumente aus dem Angebot ihrer Website zu entfernen enthaltend. Beiliegend eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung. Da kann einem schon bange werden, haben doch gewisse Verpflichtungserklärungen im anderen Teil Deutschlands vor einiger Zeit zahlreichen Menschen im Nachhinein das gesellschaftliche Genick gebrochen. Aber es geht ja um anderes, aber genau so Schlimmes.

Nicht jeder ist bereit und weder zeitlich noch finanziell dazu in der Lage, sich auf Prozesse um Fragen des Zitatrechts zu kümmern. Dem Ganzen Werk geht es um die Dokumentation der Verflachung von Kulturprogrammen im Rundfunk, es geht ihm nicht darum über Fragen des Urheberrechts Entscheidungen herbeizuführen - zum Guten oder Schlechten; das weiß man da ohnehin nicht.

Für die Kritik des Norddeutschen Rundfunks sind diese Dokumente als "Klang- und Film-Dokumente" nicht zwingend notwendig, obwohl natürlich auch hier gilt, der Ton macht die Musik. All das kann man auch abschreiben, doch mit dem gleichen Argument kann man fast alle Rundfunkwellen, vor allem die Inforadios, gleich in die Tonne hauen. Radio ist trotz allem immer noch klingend. Rundfunkspezifische Sendungen wie Musikfeatures oder Hörspiele sind eher selten. Und Musik gibts aus dem Internet oder der CD von privat oder der privaten Wirtschaft auch.

Daher ist die Frage, ob einer Moderation tatsächlich im Zweifel eine hohe urheberrechtliche Werkeigenschaft zugesprochen werden kann, nicht ganz ohne Vergnügen. Gebührenfinanzierte Werke der Moderation. Ich würde gerne mal wissen, ob der NDR da auch mit seinen Moderatoren im Einzelnen Verträge abschließt und wie er sie entlohnt und ob die Moderatoren daher noch über die VG Wort abrechnen und ob da eine adäquate angemessene Entlohnung über den Dienstvertrag hinaus stattfindet.

Die VG Wort sieht es so. Nicht meldefähig seien:

Bearbeitete Agentur-Meldungen, Wetterberichte, Trailer, Programmhinweise bzw. -vorschauen ; allgemeine Hinweise und Veranstaltungstipps, Verkehrsberichte, Jingles, rein redaktionelle Bearbeitungen und Zusammenstellungen von Texten und Manuskripten - also Beiträge, die keine eigene urheberrechtlich relevante Leistung (= eigenen Text) enthalten, sowie Werbetexte können wir nicht vergüten. Nachrichten, Schlagzeilen, Börsen- und Sportmeldungen berücksichtigen wir nicht. Internet-Beiträge können zur Zeit noch nicht gemeldet werden. (Quelle: PDF - Merkblatt Hörfunk)

Bei genauer Auslegung nach VG Wort wären also aus der Löschliste des NDR mindestens zu streichen:

- einem Moderationsbeitrag von NDR Kultur vom 7. Oktober 2005,
- mit einem Programmtipp von NDR Kultur vom 6. Oktober 2005,
- mit zwei Fernsehtipps von NDR Kultur vom 6. Oktober 2005,
- einem Jingle von NDR Kultur vom 6. Oktober 2005,
- fünf von NDR Kultur ausgestrahlten Moderationsbeiträge vom 6. Oktober 2005,
- einem Beitrag zur Reihe „Dichter am Ball„ von NDR Kultur vom 6. Oktober 2005,
- einem Trailer zu der Reihe „Dichter am Ball“ von NDR Kultur vom 6. Oktober 2005,
- einem Moderationsbeitrag von NDR Kultur vom 2. Oktober 2005,
- einem von NDR Kultur ausgestrahlten Prominententipp NDR Kultur vom 4. Oktober 2005,
- im NDR Fernsehen ausgestrahlten Trailern für das Programm von NDR Kultur,
- einem Beitrag aus der Gerd Show von NDR 2

Und über die anderen Fälle wäre sicher anders zu streiten, weil sie genau im Zusammenhang einer Argumentation stehen, die genau wie die Trailer, Tipps und Jingles im Zusammenhang einen Sinn ergeben. Nämlich den der Produktion von Unsinn und Verflachung.

Wir wissen aus jahrelanger Erfahrung wie autoritäre Regimes auch mit Hilfe von vorgeschobenen Rechtsregeln versuchen, unliebsame Dokumente verschwinden zu lassen und wir wissen auch, dass von Seiten der Höhersitzenden gerne Vorwürfe ignoriert werden, dass man Kritik aussitzt oder neumodisch durchregiert ohne links und rechts zu schauen.

Mit freundlichen Grüßen? Das klingt immer häufiger eher nach Drohung. Danke NDR, dass ihr dort wenigstens Zeit habt eure Rechtabteilung in Arbeit zu setzen, wenn schon einige eurer Rundfunkideologen kritikunfähig sind.

Ach, am Rande, die Hörerzahlen von NDR Kultur sind trotz des neuen tollen Programmschemas dennoch gefallen. Wäre doch eigentlich Zeit für eine Reform oder, was die Gebührenzahler billiger käme, die Übergabe wenigstens des Vor- und Nachmittagsprgrammes an KlassikRadio. Da wäre wenigstens auch eine Frequenz frei für wirklich engagierten Rundfunkjournalismus.

Nachtrag: Und übrigens, anders als bei Sendungen wie Kalkofes Mattscheibe oder Raabs TV Total will die Initiative Das Ganze Werk nicht höhere Besucherzahlen durch die Verbreitung des Schrotts von NDR Kultur erreichen, sondern diesen nur abschreckend zeigen, auch jenen Menschen, die noch nie etwas vom Kulturauftrag der Kulturwelle gehört haben. Einem Sender, dem im übrigen doch sehr an der Verbreitung seiner Qualität gelegen sein sollte, müsste sich doch über diese Dokumetation seiner journalistischen Perlen freuen. Bald könnte es sogar sein, dass nur noch aufgrund der Dokumentation des Ganzen Werks Hörerzahlensteigerungen drin sind :-) Es lebe die NDR-Freak-Show.

Lesen Sie dazu:
Schreiben des Justitiars des NDR und Entwurf der Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung
Presseerklärung der Initiative Das GANZE Werk
Artikel zu den Hörerzahlen von NDR Kultur