Das GANZE Werk - Presseschau
Hörzu, Online, 26. August 2005
Ein Insider packt aus: Martin Buchhorn, Regisseur, Produzent und Ex-Fernsehfilmchef, enthüllt, wie die Schleichwerbung bei der ARD intern toleriert wurde
„Macht’s, tragt nur nicht zu dick auf!“
Zusammenstellung: Vorwürfe an die ARD | Vollständiger Text (Online-Ausgabe) |
Zusammenstellung: Schleichwerbepraktiken
HÖRZU: Sie wurden also vom Sender quasi zum Betteln bei Industrie und Wirtschaft genötigt.
Buchhorn: Das kann man sagen, ja. Jedoch haben alle dem gleichen Ziel gedient: fehlendes Geld für Filme aufzutreiben. Uns sind die Vorschriften über die strikte „Trennung von Werbung und Programm“ sehr bewußt. Dennoch: Die Darstellung von „Dingen des täglichen Lebens“ im Fernsehen ist erlaubt, sonst könnte es keine aktuelle Berichterstattung, keine Dokumentarfilme und ähnliches geben. Die Öffentlich-Rechtlichen dürfen aber im Zusammenhang mit Schleichwerbung keine direkten Kontakte zu Wirtschaft und Industrie haben. Daher beschließt man über Agenturen oder Verbände Kooperationen. Diese Agenturen verdienen sehr gut. Die Frage war also: Verzichten wir aus Kostengründen auf einen tollen Stoff, oder finden wir zusätzliche Geldquellen? Wir haben auf diese Weise außerdem geholfen, die Rundfunkgebühren im Rahmen zu halten. Wir haben die Qualität der Filme gesteigert. Und wir haben unsere Zuschauer gehalten. (...) Und da die Fernsehleute in der Regel auch Kinofilme mitproduzieren, sind ihnen die anderen Finanzquellen bekannt gewesen.
HÖRZU: Welches Ausmaß hat die Schleichwerbung tatsächlich?
Buchhorn: Inzwischen ist sie fast überall zu finden, nicht nur im Film- und Unterhaltungsbereich. Nur ein paar augenfällige Beispiele: Die Zigarettenindustrie zahlt allein dafür schon Geld, daß in Filmen geraucht wird. Die Zigarrenindustrie zahlt dafür, wenn ein Protagonist Zigarren statt Zigaretten raucht. Die Gasindustrie dafür, daß beispielsweise unser „Tatort“-Kommissar Palu nicht auf einem Elektroherd, sondern auf einem Gasherd gekocht hat. (...)
HÖRZU: Können Sie weitere Beispiele nennen?
Buchhorn: Plötzlich steht dann eben eine bestimmte Flasche Bier oder Wein in der Szene. Oder ein Schauspieler nimmt mal eben ein Aspirin, ohne daß es groß auffallen darf. Und kein Kommissar fährt mit einem Auto im Film, das nichts mit geldwerten Vorteilen zu tun hätte. Die Liste der Beispiele ist sehr lang. Und solange es dem Film optisch nicht schadet, Dramaturgie und Inszenierung nicht leiden, ist das meiner Meinung nach auch völlig okay. Aber es müssen alle am gleichen Strang ziehen, sonst wird es plump, und der Zuschauer, den wir nie unterschätzen sollten, ist verärgert.
HÖRZU: Erkennen Sie Schleichwerbung, wenn Sie sonntags einen „Tatort“ sehen?
Buchhorn: Natürlich. Ich sehe überall, wo gezielte Schleichwerbung steckt, weiß, welche Gespräche da mit den Agenturen geführt worden sein müssen und wieviel Geld dafür ungefähr geflossen sein kann. Das ist aber ein weites Feld.
HÖRZU: Bei welchen Summen fangen Kooperationen mit der Wirtschaft für gewöhnlich an?
Buchhorn: Im unteren fünfstelligen Bereich. Zählt man die einzelnen Deals zusammen, kommt man zum Teil auf über 100.000 Euro pro Film. Bei Mehrteilern oder Serien summiert sich das. Durch diese Mittel kann ein Regisseur viel opulenter und konkurrenzfähiger arbeiten, letztendlich gewinnt auch die künstlerische Arbeit – der Film an sich.
HÖRZU: Erklären Sie das genauer.
Buchhorn: Der Drehbuchautor schreibt beispielsweise eine Verfolgungsjagd mit Polizeiautos und Hubschrauber und einem anschließenden Unfall ins Skript, inklusive Explosion. Da ist mir sofort klar, daß das etwa 50.000 Euro kosten wird. Man kann es natürlich billiger machen, und das habe ich auch immer erst versucht, solange es dramaturgisch – sprich künstlerisch – vertretbar war. Aber da das Publikum immer mehr an Spezialeffekte aus Hollywood-Filmen und Computerspielen gewöhnt ist, würde die Sparversion unglaublich mickrig aussehen. Eine Geschichte kann noch so gut sein, sie würde unter solchen Mangelerscheinungen entscheidend leiden. Man muß bildlich „aufmotzen“. Das kostet Geld. Und dann macht man sich auf die Suche danach. Ich habe mich im Interesse der Sache da nie gesträubt. Daß das kriminell sein soll, ist für einen vernünftigen Angeklagten nicht einsehbar. Wenn das alles sauber abläuft, kann am Ende nur der Zuschauer gewinnen, weil er einen besseren, schöneren oder spannenderen Film erlebt.
HÖRZU: Kann sich der Regisseur nicht gegen Schleichwerbung wehren? Immerhin sind die Plazierungen von Produkten im Film doch ein Eingriff in die künstlerische Freiheit.
Buchhorn: Der Regisseur wirkt in der Regel mit. Und zwar kooperativ. Wenn für einen Wein Geld in die Produktionskasse geflossen ist, der Regisseur in der Szene seine Figuren aber Bier trinken sieht, dann wird man zwar kurzfristig versuchen, die gleiche Summe bei der Bierindustrie zu bekommen. Klappt das nicht, muß der Regisseur das machen, was im Drehbuch steht, beispielsweise die Charaktere so ändern, daß sie glaubhaft Wein trinken. Er sitzt am kürzeren Hebel, will er im Geschäft bleiben. Außerdem werden die Regisseure in der Regel durch Provisionen an den Produktplazierungen beteiligt, in Form von Geld und anderen Leistungen, je nachdem. Kameraleute und die Verantwortlichen anderer wichtiger Departments bekommen diese Provisionen auch angeboten, sonst geht’s in die Hose. Wollen zu viele von dem Kuchen abhaben, lohnt sich allerdings die Kooperation nicht mehr, weil zu wenig für den Film übrigbleibt. Dann muß man die Finger davon lassen. (...)
HÖRZU: Welche Konsequenzen sind letztendlich zu ziehen?
Buchhorn: Wir brauchen endlich neue Rundfunkgesetze, wie es sie schon lange in anderen Ländern gibt. Denn wenn ich den Begriff Schleichwerbung ernst nehme, dann darf ich auch keine Sportberichterstattung mehr machen. Zum Beispiel sind bei Fußballspielen die einzelnen Werbebanden, die durch einen Rotationsmechanismus mehrere Firmen nacheinander präsentieren können, mit der Bildregie koordiniert. Die Bildregisseure wissen ganz genau, welche Kamera wann in welche Richtung blickt. Das wird mit der Bandenschaltung synchronisiert. Da wird nichts mehr dem Zufall überlassen. (...) Also: Gebt uns neue Gesetze. Produktionstochterfirmen wie u. a. die Bavaria wurden ja nur gegründet, weil die Öffentlich-Rechtlichen durch das Rundfunkgesetz dazu verdammt sind, keine Gewinne machen zu dürfen. Also wird die privatwirtschaftlich organisierte Bavaria GmbH von ARD-Anstalten mit Filmproduktionen beauftragt und macht Gewinne. Zum Jahresende werden diese Gewinne als Spende an die Mütter wieder abgeführt. (...)
Hörzu, 26. August 2005 (Printausgabe und Online) + Reaktionen - Lesen Sie:
• „Macht’s, tragt nur nicht zu dick auf!“
Ein Insider packt aus: Martin Buchhorn, Regisseur, Produzent und Ex-Fernsehfilmchef, enthüllt, wie die Schleichwerbung bei der ARD intern
toleriert wurde
- Zusammenstellung: Schleichwerbepraktiken - Zusammenstellung: Vorwürfe an die ARD
Die ersten Reaktionen:
• Die Stellungnahme der ARD (ARD-Vorsitzender Gruber)
Hörzu verletzt Grundregeln journalistischer Arbeit
• Die Gegenstellungnahme von HÖRZU, Axel Springer AG
HÖRZU weist Vorwürfe der ARD zurück
• Gegenüberstellung der Erklärungen von ARD und HÖRZU