Das GANZE Werk - Presseschau
Frankfurter Rundschau, 13. August 2005
Volker Lilienthal, Entdecker des Schleichwerbungsskandals,
über TV-Werbung und Transparenz
„Das ist keine Geschmacksfrage“
Im Krisenmanagement der ARD fehlt die selbstkritische Frage:
Wo sind höherrangige Programmmanager ihrer Kontrollpflicht nicht genügend nachgekommen?
Die Schleichwerber von heute wollen mehr. Denen genügt es nicht mehr, dass die Kamera mal flüchtig über ein Markenlogo wischt. Nein, die wollen die Themen unserer Fernsehsendungen bestimmen, die wollen sich ihre werblichen Dialoge am liebsten selbst in die Drehbücher schreiben. Das kann ja nicht im Sinne der EU-Kommission sein. Dieses Argument könnte die deutsche Medienpolitik jetzt in die Debatte einbringen. | ||
Wetten, dass... man die Biermarke im TV erkennen kann? Der Berliner Klaus Wowereit als Bayer bei Werbe-Spezialist Thomas Gottschalk. Bild: epd, Andreas Altwein dpa/lbn |
Frankfurter Rundschau: Herr Lilienthal, haben Sie von der ARD schon ein Jobangebot bekommen, nachdem Sie dem Senderverbund die größte Krise seit Bestehen beschert haben?
Volker Lilienthal: Wenn das so wäre, würde man mich wohl kaum anwerben. Nein, im Ernst: Ich sehe mich als unabhängigen Beobachter und Kritiker. Die Krise, die epd publik gemacht hat, ist für die ARD-Verantwortlichen die Chance, im eigenen Laden aufzuräumen. Die Aufmerksamkeit für Fehlentwicklungen, die die ARD in der Vergangenheit hat vermissen lassen, musste stattdessen von freier Presse auf die medienpolitische Tagesordnung gesetzt werden.
Haben Sie denn das Gefühl, dass dieser Selbstreinigungsprozess einen richtigen Weg geht?
Im Kern schon. Weil doch mehr als Bauernopfer gebracht, sondern einschneidende Konsequenzen gezogen wurden. Es sind Verfahren in Gang gesetzt worden, die Schleichwerbung in Zukunft erschweren werden - wobei ich mir nicht einbilde, dass nicht auch wieder Gras über die Sache wächst. Was ich nicht gut finde, ist eine gewisse Hysterie, die jetzt auch einzieht: Man muss nicht hinter jedem Markenzeichen in einem Krimi immer gleich ein bezahltes Placement vermuten.
Das ist jetzt der eigentliche Krimi beim „Tatort“?
Ja, aber ich glaube, die Sender sollten da nicht zu viel Kraft binden. Es genügt, Fahnder- oder Schimanski-Folgen dann zu prüfen, wenn sie zur Wiederholungsausstrahlung anstehen. Man kann aber nicht erwarten, dass die Sender jetzt den ganzen Fundus auf bloßen Verdacht durchforsten. Was im Krisenmanagement der ARD meiner Ansicht nach fehlt, ist die selbstkritische Frage: Wo haben höherrangige Programmmanager vielleicht auch versagt, wo sind sie ihrer Kontrollpflicht nicht genügend nachgekommen, wo haben sie missverständliche Empfehlungen gegeben? Auf der Fachebene hat die Aufsicht einigermaßen funktioniert, nicht aber im Management.
Wie sind Sie überhaupt auf das doch eigentlich alte Thema gekommen?
Das Thema scheint nur alt. In Wahrheit ist es alltäglich, also aktuell und von zunehmender Relevanz. Die Kommerzialisierung der Programme, die ich länger als zehn Jahre beobachte, hat erheblich zugenommen. Zu Ihrer Frage: Mir war ein Video zugespielt worden, das einige Jahre alt war. Darauf war ein Kundenakquise-Gespräch zu sehen: Eine Mitarbeiterin der Münchner Schleichwerbeagentur bot einem Interessenverband an, dessen Image jugendaffin im Marienhof aufzumöbeln. Und als ich hörte, dass diese Leute sogar behaupteten, sie könnten Drehbuchdialoge auf Bestellung schreiben lassen, dachte ich: Holla, der Sache müsste man mal nachgehen.
Sind Sie denn der Meinung, dass es ohne Werbung im Film geht? Dieses Bild vom Reisebüro im „Marienhof“: Ist das nicht eigentlich wirklichkeitsfremd, wenn man da nicht gleich L'tur hinschreibt?
Nein, finde ich nicht. Es gibt genügend andere Unternehmen, die auch Last-Minute-Reisen anbieten. Statt Magenta hätte die Kulissenfarbe auch Orange sein können. Das Verbot von Schleichwerbung ist keine Geschmacksfrage, es hat ja auch einen wettbewerblichen Hintergrund. Denn der Anbieter von Reisen, der sich ins Programm einkauft, hat einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Wettbewerber, der ganz legal nur reguläre Werbung einkauft. Auch um diese Schlechterstellung zu verhindern, ist es verboten.
Diese Filme sollen ja realistisch sein, auch wenn man sich darüber streiten kann, ob sie es sind. Aber wäre es dann nicht praktisch, man gäbe Werbung frei?
Ich bin absolut dagegen. Das Serien-Konzept der Realitätsnähe, das Sie ansprechen, ist ja gerade das Einfallstor für die Product-Placer. Zusammen mit den Produzenten können sie sich darauf hinausreden, das sei nun mal unsere reale Markenumwelt. Ist sie natürlich nicht - sondern eine bezahlt selektierte Version von Wirklichkeit.
Interview |
Volker Lilienthal, geboren 1959 in Minden / Westfalen, studierte Journalistik in Dortmund und promovierte in Neuerer Deutscher Literaturwissenschaft in Siegen. Bevor er zu "epd medien" kam, war er für die "Neue Westfälische" und den Handelsblattverlag tätig. Lilienthal hat einen Lehrauftrag an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt. Er ist Mitglied in den Jurys des Adolf-Grimme-Preises und der HR 2 Hörbuch-Bestenliste. Er wurde mit dem Bert-Donnepp-Preis (1991) und dem Hans-Bausch-Mediapreis ausgezeichnet. Seit 1. Mai dieses Jahres ist Lilienthal als Nachfolger von Uwe Kammann, der ans Grimme-Institut wechselte, Verantwortlicher Redakteur des Fachdienstes epd medien beim Evangelischen Pressedienst. Quasi als Einstieg bei seiner neuen Tätigkeit gelang ihm die Aufdeckung des Schleichwerbungs-Skandals. seg |
Glauben Sie, dass es tatsächlich einen werbenden Effekt hat, wenn diese Marken so gezeigt werden?
Ich glaube schon, dass so die Marken-Awareness, wie man das heute nennt, auf einem hohen Niveau gehalten werden kann. Den Zuschauern wird immer mal wieder ins Hirn geträufelt, es gibt doch diese Marke und jene. Es wird damit eine Bereitschaft gefördert, für reguläre Absatzwerbung empfänglich zu sein. Insgesamt halte ich die Schleichwerbung in ihrer Wirksamkeit aber für absolut überschätzt. Das nahezu Tragische an dieser Geschichte ist doch, dass die Bavaria Film ihren guten Ruf für wenig Geld riskiert hat - und dass zahlenden Kunden etwas aufgeschwatzt wurde, was bei weitem nicht so effektiv ist wie versprochen.
Manche Politiker fordern einen generellen Werbeverzicht von ARD und ZDF. Sendermanager entgegnen, das würde eine Gebührenerhöhung von etwa 1,50 Euro nach sich ziehen. Wäre ein Werbeverbot die Lösung des Problems?
An diese Spekulativrechnungen glaube ich nicht. Allerdings auch nicht an den Vorschlag von „Werbefreiheit“. Wenn man bei ARD und ZDF nicht mehr legal in Spotform werben könnte, würde das den Druck der Schleichwerber auf die Programme nur noch erhöhen. Die werden immer versuchen, ihr gut honorierten Botschaften irgendwo unterzubringen. Illusionär ist auch die Erwartung, nach einer Freigabe von Product-Placement könnten die Rundfunkgebühren gesenkt werden. Dafür ist das Schwarzgeld nun wirklich zu wenig. Es hat übrigens auch im Falle Marienhof nicht etwas die Ausstattung der Serie verbessert. Das hätte man ja noch verstehen können.
Sollte man auch das Sponsoring abschaffen, das man ja ebenfalls für Werbung halten kann - wenn etwa Krombacher die „Sportschau“ sponsert?
Man sollte es nicht ganz abschaffen. Denn teure Sportübertragungen sind heute ohne dieses Geld nicht mehr zu finanzieren. Sie haben aber vollkommen Recht, dass die Sponsor-Hinweise vor und nach Sportübertragungen im Hauptabendprogramm heute absolut wie Werbung aussehen. Das finde ich problematisch. Im vergangenen Jahr tagte eine hochmögende ARD-Arbeitsgruppe mit dem Ziel, die Sponsorhinweise dezenter zu gestalten. Sie sollten weniger grell und marktschreierisch daher kommen. Auf dem Bildschirm kann ich das noch nicht beobachten.
Haben Sie denn selbst konkrete Lösungsvorschläge für das Problem Schleichwerbung?
Ich bin kein Berater. Aber dies lässt sich doch sagen: Es braucht mehr Sensibilität bei den Programm abnehmenden Fernsehredakteuren, bei den Programmdirektoren, beim Publikum und nicht zuletzt bei der Medienpolitik.
Die Idee, Firmen, die ihre Produkte präsentiert haben, im Abspann zu nennen und so Transparenz herzustellen...
...halte ich für ein falsches Versprechen. Das funktioniert nicht. Das ZDF praktiziert das ja seit vergangenem Jahr. Schauen Sie, wie schnell diese Schriftbänder durchlaufen. Das ist flüchtig, wird kaum bemerkt. Und wenn es deutlicher wäre, bekäme der so genannte Sponsor nach der Platzierung mitten im Programm sozusagen einen zweiten Werbeeffekt frei Haus geliefert. Meines Erachtens ist das eine Mogelpackung.
Die Idee der EU-Kommission scheint ja in die Richtung zu gehen, dass man auf diese Weise mehr Transparenz zu schaffen sucht.
Ja, richtig. So argumentiert die EU-Kommission. Ich finde aber, die kritischen Erkenntnisse, die wir gerade hier in Deutschland gewonnen haben und die sich mit dem Seriennamen Marienhof ja nur beispielhaft verbinden, sollten von der deutschen Medienpolitik jetzt gegen das EU-Projekt in Stellung gebracht werden. Denn die Schleichwerber von heute wollen mehr. Denen genügt es nicht mehr, dass die Kamera mal flüchtig über ein Markenlogo wischt. Nein, die wollen die Themen unserer Fernsehsendungen bestimmen, die wollen sich ihre werblichen Dialoge am liebsten selbst in die Drehbücher schreiben. Das kann ja nicht im Sinne der EU-Kommission sein. Dieses Argument könnte die deutsche Medienpolitik jetzt in die Debatte einbringen.
Interview: Daland Segler