Das GANZE Werk - Presseschau

epd medien Nr. 44, 9. Juni 2005

Zitat:
„Der Fall ‚Marienhof‘ zeigt, dass es modernen Placern gar nicht mehr nur darum geht, Markenlogos plump in die Kamera zu rücken - das könnte der Zuschauer in der Tat leicht erkennen und wüsste es kritisch einzuordnen. Nein, diese Leute haben ihre Techniken längst verfeinert, wollen mehr, Radikaleres. Sie wollen mitten in die Programme hinein, in die Spielstruktur der Serien, sie bestimmen mit über Figuren und Motive, sie diktieren die Themen und Dialoge. Mitten ins Herz der Programmautonomie“

Schleichwerbung

Die Schwarzarbeit des Fernsehens.
Der Bavaria-Skandal und die Folgen

Umfangreiche enthüllende Informationen

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Von Volker Lilienthal

Deutschland (epd). Noch am Vorabend der Bavaria-Enthüllung war auf SWR 3 ein öffentlich-rechtlicher Eigenwerbespot aus der Sparte „Gebührenmarketing“ zu hören. Unterlegt mit dem Musikbett der „Marienhof“-Erkennungsmelodie („Es wird viel passieren!“), bot der Sender seinen Hörern an: „Was alles mit Ihrer Rundfunkgebühr passiert, erfahren Sie unter 0711/929-46. (...) Die Gebührenexperten beraten Sie gerne.“

Kritische Gebührenzahler könnten das in den Tagen danach als Hohn empfunden haben. Die Zeitungen waren voll von der Nachricht, dass die öffentlich-rechtliche Tochterfirma Bavaria, die den „Marienhof“ und viele andere ARD-Produktionen herstellt, sich zusätzliches Geld aus illegalen Quellen geholt hatte (epd 42/05). Dabei sollten ihr doch jene knapp 20 Millionen Euro genügen, die ihr die ARD-Werbung Sales & Services alljährlich für die Herstellung von rund 250 Folgen der täglichen Seifenoper überweist - eine Investition, um im Werberahmenprogramm rund um „Marienhof“ und „Verbotene Liebe“ jene 182 Mio. Euro zurückverdienen zu können, die die ARD zumindest im vergangenen Jahr noch aus regulärer und legaler Werbung erlösen konnte.

Dies und die Gebührenmilliarden, genügt das denen nicht? So fragen jetzt viele. Inzwischen hat der Bavaria-Aufsichtsratsvorsitzende Reinhard Grätz öffentlich eine erste Andeutung gemacht, wie viel die verselbstständigte Münchener Tochterfirma aus den verbotenen Geschäften über die Jahre erlöst hat: Es soll sich um einen niedrigen sechsstelligen Betrag gehandelt haben; Genaueres muss noch der Wirtschaftsprüfer KPMG ermitteln.

Hohes Risiko für kleines Geld

Gerade wenn sich die erste Schätzung bestätigen sollte, stellt sich doch die Frage, wieso die Bavaria Film ihren Laden für relativ kleines Geld so weit öffnete und damit nicht nur peinliche Entdeckung und ihren guten Ruf riskierte, sondern auch mächtigen Ärger mit ihren eigenen Gesellschaftern und Auftraggebern. Schon wird in diesen Kreisen offen das Wort „Betrug“ in den Mund genommen (epd 43/05). Intendanten wie Fritz Pleitgen sind Wut und Enttäuschung deutlich anzumerken. Pleitgen wurde am 1. Juni bei einem Mittagessen in Brüssel, wo er zu medienpolitischen Gesprächen weilte, von dem epd-Bericht überrascht. Der Appetit dürfte nach der Lektüre nicht mehr ganz so groß gewesen sein. Was Pleitgen aber auch sagte: die Aufdeckung war notwendig, damit offenkundige Missstände abgestellt werden können („der schwerwiegendste Fall in meiner ganzen Amtszeit“).

Jürgen Doetz, der als Präsident des Verbands Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT) zeitgleich mit Pleitgen ebenfalls am Sitz der (u.a. die Bavaria prüfenden) EU-Kommission unterwegs war, freute sich über die gelungene Reiseplanung: Mit der Enthüllung über die jahrelangen Schleichwerbepraktiken einer öffentlich-rechtlichen Mehrheitsbeteiligung in Händen hoffte man der europäischen Wettbewerbsbehörde zusätzlich glaubhaft zu machen, dass bei der ARD wirklich kommerziell so einiges aus dem Ruder laufe. Schon kursiert das Bavaria-Dossier in Kreisen von EU-Parlamentariern und -Ministerialbeamten, dorthin auf den Weg gebracht vom Brüsseler Verbindungsbüro des Medienkonzerns Bertelsmann.

Die interne Kontrolle hat versagt

Man wird es den privaten Interessenvertretern nicht verübeln können, dass sie ihren Nutzen aus dem Skandal zu ziehen versuchen - auch wenn natürlich nicht das ganze öffentlich-rechtliche System für die Bavaria und das Fehlverhalten ihrer Verantwortlichen in Generalhaftung zu nehmen ist. „ARD = Schleichwerbung oder gar Korruption“, diese Gleichung stimmt nicht. Sehr wohl aber erlaubt der Fall Bavaria, die Wirksamkeit öffentlich-rechtlicher Kontrollmechanismen, also das gesamte System der (ehrenamtlichen) Gremienaufsicht, mit erheblichen Fragezeichen zu versehen.

Die Kontrolle ist offenbar nicht kritisch und nicht wirksam genug. Der Aufsichtsratsvorsitzende Reinhard Grätz, der ja auch als WDR-Rundfunkratsvorsitzender so einiges zu tun hat, lässt inzwischen öffentlich seine menschliche Enttäuschung über das Münchener Management durchblicken - muss sich aber auch fragen lassen, ob nicht seine eigene Gutgläubigkeit hinsichtlich der „feinen Firma“, für die man die Bavaria gehalten habe, in der Vergangenheit zu groß war.

Die Bavaria ist ja nicht irgendeine private (und externe) Produktionsfirma, sondern ein Beteiligungsunternehmen im ARD-Verbund, ein Fernsehproduzent, auf den die Gesellschafter WDR, SWR, MDR und der BR direkten Durchgriff hätten nehmen können. Wenn sie es denn nur vorher gewusst hätten, so heißt es jetzt. Spätestens seit Mai 2003, als epd Bavaria-Verantwortliche erstmals mit einer H.+S.-Offerte und dem L'tur-Extrembeispiel konfrontiert hatte, hätte die Bavaria-Geschäftsführung die Not der Stunde erkennen und ihren Aufsichtsrat über die drohenden Enthüllungen unterrichten können. Aber nichts geschah. Vielmehr versuchte der Bavaria-Partner H.+S. Unternehmensberatung, die Veröffentlichung über L'tur-Placements und andere Schleichwerbefälle zu verhindern - erfolglos, wie man jetzt weiß (vgl. Urteilsdokumentation in dieser Ausgabe).

„Eine Art Kettenhund“?

Hoffte man in Geiselgasteig, der gerichtliche Maulkorb werde Bestand haben? Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS) hat die Frage gestellt, ob die Bavaria die klagende Agentur H.+S. womöglich als „eine Art Kettenhund“ benutzt habe, um die Enthüllung der unerlaubten Kooperation juristisch unterbinden zu lassen. Intendant Jobst Plog, der mit seinem NDR nicht unmittelbar betroffen ist und insofern relativ unabhängig urteilen kann, bemerkte jetzt öffentlich: „Dass die Veröffentlichung der Recherche-Ergebnisse zudem gerichtlich verhindert werden sollte, gibt dem Ganzen eine unangenehme Note.“

Einige Merkwürdigkeiten geben zu denken: Der frühere „Marienhof“-Produzent Stephan Bechtle soll unmittelbar nach dem ersten Rechercheinterview zum Thema gefordert haben: „Da müssen wir blocken.“ Eine andere Quelle berichtet von einer Sitzung, in der gegen journalistische Anfragen zur Vorsicht und zum Dichthalten aufgefordert worden sei. Merkwürdig auch, dass dann im Gerichtsverfahren von der Klägerin nicht nur ein ZDF-Redakteur, sondern auch zwei Bavaria-Verantwortliche als Zeugen angeboten wurden. Der eine sollte mit seiner Aussage die angebliche Strafwürdigkeit der Recherche, der andere die angeblich uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit der Produktionsfirma, welche Requisite sie verwende und welche nicht, bezeugen. Das Gericht hat von diesen Beweisangeboten keinen Gebrauch gemacht.

Nicht nur Bavaria-Geschäftsführer Thilo Kleine - der, so Grätz, nicht einmal seinen Mitgeschäftsführer Dieter Frank eingeweiht hatte - sieht sich jetzt zunehmend unangenehmeren Fragen aus dem Gesellschaftskreis ausgesetzt. Auch Achim Rohnke, Chef der ARD-Werbung und Gesellschaftervertreter der WDR mediagroup, muss erklären, wieso er nicht schon im Mai 2003, nachdem er von den massiven L'tur-Placements erfahren und diese selbst als wettbewerbswidrige Schleichwerbung eingestuft hatte, die übrigen Gesellschafter informierte. Rohnke sagte, er habe Geschäftsführer Kleine „zu den Vorwürfen kontaktiert“. Dieser sei bereits informiert gewesen und habe den Vorgang prüfen lassen.

Die breite Spitze eines Eisbergs

Inzwischen wird an Relativierungen gearbeitet. Schleichwerbung sei ein offenes Geheimnis in der Branche, alle nutzten diese Nebenerwerbsquelle, der Fall Bavaria sei nur die Spitze eines Eisbergs. Das mag so sein, aber es ist eine breite Spitze. Die Bavaria selbst verteidigt sich damit, die Zusammenarbeit mit dem Placer Andreas Schnoor habe nicht das „vermutete“ Ausmaß gehabt. Schnoor selbst nennt aufdeckende Journalisten weiterhin, trotz Gerichtsurteil, „kriminell“ (so gegenüber der FAS) und hält sein eigenes Geschäft für absolut legal - dabei unter anderem unterschlagend, dass er das Wirtstier ARD über einen langen Zeitraum hinweg für verdeckte programmintegrierte Werbeplatzierungen missbrauchte - natürlich ohne Offenlegung gegenüber dem unfreiwilligen „Werbeträger“ Erstes Deutsches Fernsehen. Allein schon darin liegt ein erheblicher Wettbewerbsverstoß - zum Nachteil der ARD.

Deren interne Aufsicht hat auf mehreren Ebenen versagt. Die erste medienpolitische Konsequenz daraus: Es melden sich neue Kontrolleure, die sich für berufener halten. Die Landesmedienanstalten beispielsweise, die es besser fänden, wenn die Werbeaufsicht (und der Jugendmedienschutz) in ihren Händen läge (vgl. Meldung in dieser Ausgabe).

Wollen hier die Böcke Gärtner werden? Nicht nur, dass es einzelnen Landesmedienanstalten schon an der technischen Ausstattung, an Videorecordern für die Programmbeobachtung mangelt, wie man weiß. Es ist doch kaum zu vermitteln, dass noch am 1. Juni ein Interview mit Norbert Schneider, dem Vorsitzenden der Gemeinsamen Stelle Programm, Werbung, Medienkompetenz der Landesmedienanstalten, erscheint, in dem dieser gewisse Ausnahmen vom Schleichwerbeverbot für kleinere private Spartensender ins Gespräch bringt - und zwei Tage später nehmen just diese Landesmedienanstalten den „Marienhof“-Skandal zum Anlass, von der Politik zu fordern, doch besser sie mit der Schleichwerbekontrolle auch bei ARD und ZDF zu betrauen.

Ins Herz der Programmautonomie

Es darf nicht weiter verwundern, dass der Aufschrei des VPRT ausblieb. Sicher, Doetz freute sich über die gelungene Reiseplanung. Aber es gab keine unbedingte politische Forderung, das geltende Schleichwerbeverbot unbedingt durchzusetzen, bei öffentlich-rechtlichen wie privaten Sendern gleichermaßen. Damit entspräche der VPRT wohl nicht ganz der Praxis bei der eigenen Mitgliedschaft. Mehr noch, Doetz hatte Anfang Mai sogar eine Freigabe von Product Placement gefordert: Wenn im Vor- und Abspann über die Kofinanziers informiert würde, wäre die unerwünschte Irreführung des Zuschauers und Verbrauchers ausgeschlossen, so glaubt er (epd 36/05). Bei der für Medien zuständigen EU-Kommissarin Viviane Reding scheint er damit auf offene Ohren zu stoßen (vgl. Meldung in diesem Heft). Ähnlich wie Doetz äußerte sich jetzt Norbert Schneider im „Welt“-Interview.

Der Fall „Marienhof“ zeigt aber, dass es modernen Placern gar nicht mehr nur darum geht, Markenlogos plump in die Kamera zu rücken - das könnte der Zuschauer in der Tat leicht erkennen und wüsste es kritisch einzuordnen. Nein, diese Leute haben ihre Techniken längst verfeinert, wollen mehr, Radikaleres. Sie wollen mitten in die Programme hinein, in die Spielstruktur der Serien, sie bestimmen mit über Figuren und Motive, sie diktieren die Themen und Dialoge. Mitten ins Herz der Programmautonomie: für die Aufklärung darüber reicht kein eilig dahinhuschender Vor- und Abspann.

Der Gesetzgeber ist gefordert

Die breite Debatte, die der Bavaria-Skandal angestoßen hat, wird auch den Gesetzgeber beschäftigen müssen. Denn noch ist Schleichwerbung formell erst dann gegeben, wenn die verbotene Geldzahlung an den Sender selbst erfolgte - und dies, obwohl die Rechtsprechung schon 2002 eine Mitverantwortung auch der beauftragten Produzenten erkannt hatte (epd 52/02) und die deutschen Rechtsvorschriften noch im vergangenen Jahr auch aus dem Kreis der Landesmedienanstalten heraus als „völlig inoperationabel“ kritisiert worden waren.

Der Europabeauftragte der Landesmedienanstalten, Gernot Schumann, schlug damals u.a. vor, das Erfordernis der Werbeabsicht aus dem Rundfunkstaatsvertrag zu streichen und auch die Fälle zu erfassen, in denen der Veranstalter nichts von Schleichwerbevorgängen wisse, diese aber vom Auftragsproduzenten bewusst eingegangen würden. „Es kann hier nichts anderes gelten als im Bereich der Schwarzarbeit“, so Schumann (epd 40/04).

Zuvor aber muss die ARD, die von alledem nichts gewusst haben will, ihre angekündigten Aufräumarbeiten glaubhaft zu Ende führen. Der Verlust an Glaubwürdigkeit ist so oder so enorm. Selbst eine Pharmamanagerin, die an einem Drehbuch für die Ärzteserie „In aller Freundschaft“ mitstricken durfte, erklärte dem epd, seit sie wisse, was alles im Fernsehen man kaufen können, glaube sie „denen“ nichts mehr. Wenn das schon die Nutznießer sagen...

ursprüngliche Quelle: http://www.epd.de/medien/medien_index_35503.html