Das GANZE Werk - Presseschau
epd medien Nr. 27/2005, 9. April 2005
Öffentlich-Rechtliche und Privatradios tagen gemeinsam
Noch zu retten?
Bericht einer Tagung am 5. April 2005 in Ludwigshafen mit ausführlicher Bestandsaufnahme der Zukunftsperspektiven
Leitartikel von Diemut Roether
epd Neue Technologien und verändertes Hörerverhalten fordern das Radio heraus. Über die Zukunft des Mediums diskutierten etwa 60 Radiomacher, Medienforscher und Wissenschaftler am 5. April in Ludwigshafen bei der Tagung "Abgedreht? Welche Bedeutung hat die Gattung Hörfunk in der Zukunft?". Sie wurde vom Saarländischen Rundfunk und der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR) gemeinsam organisiert."Rettet das Radio!" forderte die Wochenzeitung "Die Zeit" im Februar und fragte, wo es sie noch gebe, die guten Sender. Weit pessimistischer formulierte es "Wired", die amerikanische Zeitschrift für Internet-Kultur und mehr. Sie verkündete im März auf ihrem Titel "das Ende des Radios". Allerdings fügte sie in kleineren Buchstaben und in Klammern hinzu "wie wir es kennen".
Ist das Radio noch zu retten? Man zweifelt, wenn man liest, dass öffentlich-rechtliche Hörfunkdirektoren engagierte Zuhörer als "selbsternannte Kultur-Ajatollahs" beschimpfen, weil diese es gewagt haben, sich kritisch über die Reform eines Kulturprogramms zu äußern. Eigentlich müssten sich Radiomacher doch darüber freuen, wenn ihre Hörer sich so sehr für Sendungen einsetzen, dass sie Initiativen gründen, Webseiten ins Netz stellen und zu Unterschriftenaktionen aufrufen. Doch den Verantwortlichen scheint das starke Interesse an ihrem Programm eher unangenehm zu sein und Kritik mögen sie schon gar nicht - weder in Hamburg noch in Berlin oder Frankfurt. Radiohörer sollen Gebühren zahlen, zuhören und schweigen.
Etwas zurückhaltender als die "Zeit" oder "Wired" formulierten es die Veranstalter der Tagung "Abgedreht? Welche Bedeutung hat die Gattung Hörfunk in der Zukunft?", der Saarländische Rundfunk und die Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk, am 5. April in Ludwigshafen. Ein ziemlich nüchterner Titel für eine Veranstaltung, in der es immerhin um das Radio ging, dessen (redaktionellen) Machern die Professorin für christliche Publizistik Johanna Haberer große Leidenschaft für ihr Medium attestierte.
Radio verkauft sich schlecht
Doch die Lage muss ernster sein als der leidenschaftslose Titel vermuten lässt, wenn öffentlich-rechtliche und private Sender sich tatsächlich zu einer gemeinsamen Veranstaltung durchringen konnten. Sie ist sogar so ernst, dass private und öffentlich-rechtliche Sender im März eine gemeinsame Organisation gründeten, die "Gattungsmarketing für den Werbeträger Radio" betreiben will: Die Radiozentrale soll das Image des häufig als "Dudelfunk" geschmähten Mediums aufwerten helfen (vgl. Meldung in dieser Ausgabe).
Und Eile tut Not, denn das Werbemedium Radio, stellte Erwin Linnenbach, Geschäftsführer der Radiogesellschaft Regiocast, bei der Tagung in Ludwigshafen fest, bekam im vergangenen Jahr nur noch 2,9 Prozent des gesamten Werbekuchens im Medienmix ab. Vor vier Jahren waren es noch fünf Prozent und im europäischen Durchschnitt sind es auch heute noch fünf Prozent. Neben den niederländischen und britischen Erfolgszahlen, die Linnenbach auf der Tagung präsentierte, nimmt sich die Entwicklung des Werbemediums Radio in Deutschland recht kläglich aus: In Großbritannien stiegen die Ausgaben für Werbung im Hörfunk in den vergangenen zehn Jahren um 173 Prozent, in den Niederlanden um 185 Prozent.
Nun könnten sich die Radiomacher ja auch mal an die eigene Nase fassen und fragen, was sie falsch machen, wenn sie ihr "Produkt" Radio offenbar so schlecht an die Werbeindustrie verkaufen. Es könnte ja auch sein, dass die aufdringlichen Radiospots nicht nur permanent den Hörern, sondern (nur gelegentlich?) gar den Werbern selbst auf die Nerven gehen.
Wann beginnt endlich die Zukunft?
Aber es ist natürlich immer leichter, die Schuld bei anderen zu suchen: Laut Linnenbach sind es die unterschiedlichen Landesmediengesetze, die verhindern, dass sich der Radiomarkt erfolgreicher entwickelt. "Es gibt keinen deutschen Privatfunkmarkt", sagte Linnenbach, "es gibt 15 verschiedene Landesmediengesetze und 15 verschiedene Hörfunksysteme." Das stört natürlich eine Holding wie Regiocast - die an mehr als 30 Privatsendern in unterschiedlichen Bundesländern beteiligt ist - mehr als den kleinen Regionalsender, der sich mit seiner Landesmedienanstalt und dem Landesmediengesetz ganz gut arrangiert hat. Und es schützt vor ausländischer Konkurrenz. Den großen britischen oder amerikanischen Unternehmen sei der deutsche Radiomarkt "zu kompliziert", stellte Linnenbach fest.
In die gleiche Kerbe schlug Helmut G. Bauer, Medienberater und einst Geschäftsführer des nordrhein-westfälischen Mantelprogramms für die Lokalsender, radio NRW. Die deutschen Privatradios seien ob ihrer mittelständischen Struktur nicht zukunftsfähig. Die Eigenkapitalausstattung der Privatsender reiche nicht aus, um in neue Technologien wie Digital Audio Broadcasting (DAB) zu investieren. Es sei daher wirtschaftlich notwendig und richtig gewesen, dass die meisten privaten Hörfunkveranstalter "ihre zaghaften Bemühungen um DAB" wieder eingestellt hätten.
Die digitale Zukunft des Radios, vielleicht die Zukunft des Radios überhaupt, sie will in Deutschland einfach nicht beginnen. Im Juni 1995 unterzeichneten die Rundfunksender, Landesmedienanstalten, die Geräteindustrie, die Telekom, die Bundesregierung und die Länder gemeinsam das erste Memorandum zur Einführung des digitalen Hörfunks DAB (epd 49/95). Wer sich heute, zehn Jahre später, in Frankfurt einen der neuen DAB-Empfänger in schickem silberfarbenem Design zulegt, die es inzwischen immerhin für erschwingliche 149 Euro zu kaufen gibt, dürfte jedoch angesichts des eher übersichtlichen Angebots reichlich enttäuscht sein. Ganze sechs Programme kann er in Hessen zurzeit auf DAB empfangen: Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur, harmony.fm, planet radio, Radio Fortuna und Sky Radio. Hinzu kommt vielleicht - je nach Einzugsgebiet - noch das eine oder andere Programm aus Bayern oder Rheinland-Pfalz, Cont.Ra vom SWR zum Beispiel oder BR Das Modul.
Wie viele und welche DAB-Sender genau in Frankfurt zu empfangen sind, kann auch die Initiative Hessen Digital Radio aus dem Stand nicht sagen. Kein Wunder also, dass erst 80.000 Haushalte in Deutschland mit einem DAB-Empfänger ausgerüstet sind.
Stoff zum Senden
Der Hessische Rundfunk jedenfalls, der 1997 ganz vorne bei der technologischen Entwicklung dabei sein wollte und vier so genannte Plus-Programme für den digitalen Testbetrieb startete, sendet heute keines seiner (noch) sieben Radioprogramme auf DAB. Der öffentlich-rechtliche Sender verabschiedete sich bereits 2001 aus dem Experiment mit der digitalen Verbreitung. Die zusätzlichen Sender werden sehr zum Ärger der Privaten auf den knappen UKW-Frequenzen verbreitet.
Die Klage der WDR-Hörfunkdirektorin Monika Piel über die "Deckelung" der Zahl der öffentlich-rechtlichen Radiosender im Staatsvertrag klingt daher ebenso nach "Jammerei" (Stadelmeier) wie das ewige Lamento der Privatsender über die Wirtschaftlichkeit verhindernden Auflagen der Landesmedienanstalten. So wie bei den Privatradios "durchaus Geld verdient wird", wie der Chef der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei, Martin Stadelmeier, in der Diskussion feststellte, ist es bei den ARD-Anstalten wiederum schwer vorstellbar, dass sie nicht einen ihrer fünf, sechs oder sieben Hörfunksender umwidmen könnten, um neue interessante Angebote für DAB zu entwickeln: einen Kinderkanal zum Beispiel oder einen Kanal, auf dem nur Hörbücher und Lesungen gespielt werden. Die Ideen, die Piel vorstellte, klangen vielversprechend, und Geld kosten würde ihre Realisierung - so die Hörfunkdirektorin - auch kaum. Schließlich hätten die öffentlich-rechtlichen ja genug Stoff zum Senden. Warum also tun sie es nicht?
An Punkten wie diesen fielen die Referenten auf der Tagung leider immer wieder in die alten Argumentationsmuster zurück: Hier die öffentlich-rechtlichen mit ihren hehren Wort- und Informationsprogrammen, als würden sie nicht selbst oft und schlecht genug die Privaten kopieren; und da die wirtschaftlich ach so schwachen Privaten, die sich einer übermächtigen Konkurrenz der gebührenfinanzierten Sender ausgesetzt sehen.
"Leidensdruck"
Nach "Jammerei" klang aber auch das Lamento, das Öffentlich-Rechtliche und Private ausnahmsweise unisono anstimmten: Die Klage vom Radio als Medium, das neben dem Fernsehen in der öffentlichen Wahrnehmung immer zu kurz komme. Vielleicht können manche Privatsender von Glück sagen, dass kein Politiker so genau hinhört, was sie den ganzen Tag senden. Einige verstießen "in einer Weise gegen die Lizenzauflagen, dass einem angst und bange" werde, sagte Stadelmeier.
Als wäre die Lage doch noch nicht ernst genug, als wäre der "Leidensdruck", von dem Thomas Hirschle, der scheidende Präsident der Landesanstalt für Kommunikation in Baden-Württemberg, sprach, immer noch zu gering.
Die Zukunft des Radios, sie stellt sich je nach Blickwinkel sehr unterschiedlich dar. Wer nur über das "Produkt" Radio und über "Geld" redet wie Linnenbach, wer Schlagworte wie "Rahmenbedingungen für Zukunftsinvestitionen" oder "Regionale Stärke und nationale Schlagkraft" oder - am schönsten! - "Veränderungslust statt Reformstau" an die Wand wirft, könnte dies natürlich genauso, mit den gleichen Worthülsen bei einer Tagung über die Zukunft der Automobilbranche oder bei der Arbeitsgemeinschaft Selbstständige in der SPD vortragen.
Wer hingegen wie Johanna Haberer an die Leidenschaft engagierter Programmmacher und der Hörer erinnert, wer das Radio als wichtigen Kulturträger und Träger des kulturellen Gedächtnisses beschwört, wer an die Kultur des Zuhörens erinnert, die das Radio in den vergangenen achtzig Jahren entwickelt und gepflegt hat, für den ist der Hörfunk mehr als nur eine Industrie.
Die Zukunft des Radios wird, wenn man den Machern von "Wired" glaubt, vor allem vielfältig. In den USA macht es die digitale Satelliten-Technik möglich: Die Satellitenradiogesellschaften XM oder Sirius bieten mehr als hundert Radioprogramme für 10 bzw. 13 Dollar im Monat an. 4,4 Millionen Abonnenten zahlen bereits für die Vielfalt, und die "Wired"-Macher haben beobachtet, dass viele Satellitensender den Stil des National Public Radio kopieren: Sie machen Sendungen, bei denen man richtig hinhören muss, und setzen auf den Gedanken der Fan-Gemeinde. Natürlich hat man bei der Zeitschrift auch schon einen Namen für das Phänomen: NeoRadio.
Dem entspricht eine Beobachtung der Medienforscher der ARD: Die Kultur- und Informationsprogramme des Senderverbundes, meist Programme mit einem hohen Wortanteil, haben ihre Hörerschaft in den vergangenen Jahren immer weiter ausgebaut. Laut der im März veröffentlichten Media-Analyse schalteten im vergangenen Jahr 4,8 Millionen Hörer an jedem Werktag ein ARD-Kultur- oder Informationsprogramm ein, das entsprach einem Zuwachs von 130.000 Hörern.
"Neo-Radio"
Die "Wired"-Macher, die auf dem Titel das Ende des Radios verkündeten, schreiben im Heft selbst das goldene Zeitalter des alten Mediums herbei: Nischen-Sender auf allen Kanälen. "Als Zuhörer haben wir dank der neuen Technologien mehr Optionen als nur den Kanal zu wechseln: Wir können jetzt einen neuen starten. Im Land der Weblogs ist die One-Man-Show der König der Medien."
Vorbei scheint damit auch die Zeit der engen Musikrotation. Denn warum sollte ein iPod-Besitzer noch einen Sender mit den "besten Hits der letzten fünfzig Jahr" einschalten? In seinem kleinen eleganten Kästchen kann er mehr Titel speichern als manche Sender in der Rotation haben, und er kann diese auch noch selbst nach seinem persönlichen Musikgeschmack programmieren. Und wer die ewigmunteren Moderatoren der Morgenshows nicht mehr erträgt, nimmt per Computer seine eigene Radioshow auf und stellt sie anderen "podcastern" im Netz zur Verfügung.
Das schon tot geglaubte Musikradio könnte so im Zeitalter des iPods eine unerwartete Renaissance erleben: Als Instanz, die neue Musiker vorstellt und auf besondere Neuerscheinungen aufmerksam macht. Denn wie sagte ein junger Mann bei der Tagung in Ludwigshafen? - "Ich habe schon so viel Musik auf meiner Festplatte. Ich brauche jemanden, der mir neue Bands vorstellt und mich auf Neuerscheinungen aufmerksam macht." So einer ist beim Satellitensender Indie 103 der Ex-Gitarrist der "Sex Pistols", Steve Jones.
Die Erfahrungen in den USA widerlegen auch Stephan Ory, den Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk (APR), der es als "rückwärtsgewandt" bezeichnete, das Radio als Informationsmedium zu begreifen. Aber vermutlich wird in dieser Zukunft auch für den von Ory beschriebenen Ideal-Sender noch Platz sein, der "unterhaltend durch den Tag führt" und nur "punktuell auf Ereignisse hinweist".
Platz wird auch sein für den Mediendienst, von dem Manfred Prosch, der Geschäftsführer von Digitalradio Südwest, schwärmte: ein Kanal für Wellness & Gesundheit, in dem "freundliche junge Leute die Hoteliers zu ihren Angeboten befragen, das Ganze schön eingebettet in Musik". Ein solcher Dauerwerbesender müsste dann wohl auch keine lästigen publizistischen Auflagen mehr erfüllen.
Wenn das Radio eine Zukunft haben soll, schrieb Haberer den Machern ins Stammbuch, müssten sie vor allem ihre Zuhörer ernst nehmen. Denn Radio mag zwar ein Massenmedium sein, aber es suggeriert dem Zuhörer stärker als das Fernsehen, dass es nur für ihn sendet. The audience is listening.
epd medien Nr. 27, 09. April 2005
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