Das GANZE Werk - Presseschau
DIE WELT, 30. März 2005
Der Druck aus Brüssel könnte die gesamte deutsche Fernsehlandschaft umkrempeln
Transparenz, Klarheit, Kontrolle
Was Brüssel von den Rundfunkanstalten fordert
von Kathrin Spoerr
Mit ihrem Brief von Anfang März droht die Europäische Kommission den öffentlichen Fernsehanstalten damit, die Rundfunkgebühren als unzulässige Beihilfen zu behandeln. Der Druck aus Brüssel könnte die gesamte deutsche Fernsehlandschaft umkrempeln. Der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart erklärt, warum Brüssel Recht hat.
DIE WELT: Herr Professor, gehören Fußballübertragungen zum öffentlichen Auftrag von Fernsehen?
Christoph Degenhart: Jedenfalls nicht in dem Maße, wie unsere öffentlichen Anstalten es anbieten. Das kritisiert auch die Europäische Kommission. Sport und Fußball gehören ins öffentliche Fernsehen, aber es ist eine Frage des richtigen Maßes. Dieses richtige Maß scheint mir bei den Anstalten nicht mehr in allen Fällen gewahrt. Sie treten damit in massive Konkurrenz zum Privatfernsehen. Hier droht eine Verfälschung des Wettbewerbs, wenn Gebührengelder eingesetzt werden.
DIE WELT: Sind die Rundfunkgebühren "Beihilfen"?
Degenhart: Die Europäische Kommission sieht es so. Zu Recht. Die Gebühren stammen zwar nicht direkt aus dem Staatshaushalt, tragen aber den Charakter einer Zwangsabgabe. Eine solche Zwangsabgabe darf nicht zur Verzerrung oder Beeinflussung des Wettbewerbs dienen.
DIE WELT: Die Rundfunkfreiheit ist in Deutschland ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut. Darf sich die Europäische Kommission da einmischen?
Degenhart: Sie will sich gar nicht in die Inhalte des Fernsehens einmischen. Auch wenn die Anstalten dies immer wieder geltend machen. Bisher wurden mit dem Argument Reformansätze immer wieder blockiert. Dies scheint sich jedoch zu ändern.
DIE WELT: Was ist eigentlich gegen staatliche Beihilfen einzuwenden?
Degenhart: Beihilfen sind von den Europäischen Verträgen nicht generell ausgeschlossen. Der Vertrag von Amsterdam akzeptiert auch die Gebührenfinanzierung des Rundfunks. Allerdings ist sie an Bedingungen geknüpft: Sie ist dort zulässig, wo es um den besonderen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht. Dieser Auftrag muß aber klar definiert sein. Dies ist bei den öffentlichen Rundfunkanstalten derzeit noch nicht der Fall. Diese Definition fordert aber die Kommission.
DIE WELT: Was konkret fordert Brüssel?
Degenhart: Erstens: Transparenz. Sobald die öffentlichen Anstalten wirtschaftliche Aktivitäten wie Rechtehandel und Onlinegeschäfte entfalten, muß die Finanzierung offengelegt werden. Quersubventionierungen sind unstatthaft. Zweitens: Klarheit. Der öffentliche Rundfunkauftrag muß genauer als bisher definiert werden. Seit 2004 bewegt sich der Rundfunkstaatsvertrag in diese Richtung. Drittens: Kontrolle. Die Anstalten müssen von einer unabhängigen Instanz überprüft werden.
DIE WELT: Wer soll das den Rundfunkanstalten vorschreiben?
Degenhart: Zuständig ist der Landesgesetzgeber. Der Rundfunkstaatsvertrag sieht auch Selbstverpflichtungen der Anstalten vor.
DIE WELT: Der Gesetzgeber hat bisher nicht genug getan?
Degenhart: Genau das kritisiert die Kommission. Die Dinge sind aber inzwischen in Fluß gekommen. Druck kommt von außen aus Brüssel. Zum zweiten aber auch von innen. Bei dieser Gebührenrunde haben die Anstalten ihre Grenze kennengelernt. Die Zeiten automatischer Gebührensteigerungsrunden sind wohl vorbei.
DIE WELT: Das Bundesverfassungsgericht stand bisher immer auf der Seite der Anstalten. Was passiert, wenn sie es bleiben?Degenhart: Das ist eine interessante Frage. Ein solcher Konfliktfall zwischen dem europäischen Gesetzgeber und dem Bundesverfassungsgericht ist noch nicht geklärt worden. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß das Bundesverfassungsgericht sich gegen das Recht der Gemeinschaft stellen wird. Ich glaube aber nicht, daß es diesen Konfliktfall geben wird. Die Forderungen der Kommission lassen sich durchaus verfassungskonform realisieren.
Interview: Kathrin Spoerr