Das GANZE Werk - Presseschau
ARD und ZDF in der Krise
Warum ein Blick über den Ärmelkanal lohnt
Bei der BBC will man eine Dividende gewissermaßen in Programmqualität auszahlen
Von Peter Littger
Ein gutes Beispiel für Deutschlands Öffentlich-Rechtliche: Während ARD und ZDF ständig mehr Gebühren einfordern und auf Kritik mit Klagen reagieren, hat Englands staatlicher Rundfunkriese BBC die erste Identitätskrise fast schon überwunden und gelernt, den EU-Auflagen von mehr Selbstkontrolle und Transparenz Folge zu leisten.
BBC-Zentrale in London: Qualität statt Quantität Foto: AFP |
Während seit einigen Tagen fest steht, dass sich ARD und ZDF einigen grundlegenden Regeln des europäischen Wettbewerbsrechts unterwerfen müssen, versucht die BBC eine Identitätskrise zu bewältigen. Sie ist geprägt von der Verunsicherung über die politische Ausrichtung und die Unabhängigkeit des Programms, die Finanzierung des Apparats und die eigene Zukunft in der digitalen Welt. Zusätzlich bedrohen Massenentlassungen von bis zu 5000 Mitarbeitern den Frieden innerhalb der British Broadcasting Corporation. So mancher Verantwortliche in London wäre deshalb froh, hätte er bloß die Sorgen von ARD und ZDF.
Andererseits: So mancher Verantwortliche in den deutschen Sendern ahnt, dass die Probleme der britischen Kollegen in geballter Form auch über dem eigenen öffentlich-rechtlichen Himmel hereinbrechen werden.
Blauer Brief aus Brüssel
In einem blauen Brief aus Brüssel, den ARD und ZDF Anfang März erhielten, verlangt die europäische Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes mehr Transparenz und Selbstkontrolle. Sie will, dass die Rundfunkanstalten in München, Hamburg, Saarbrücken oder Mainz die Strategie für ihre Internetangebote und Digitalsender genauer beschreiben und auf kommerzielle Elemente verzichten. Außerdem sollen sie endlich ihre Finanzen offen legen, um in Zukunft gegenüber den deutschen Gebührenzahlern belegen zu können, wofür Geld ausgegeben und womit Geld eingenommen wird.
Dass sich ARD und ZDF auf eine baldige Erhöhung der Rundfunkgebühr freuen können, erscheint vor dem Hintergrund der Mahnung aus Brüssel geradezu paradox. Sobald alle 16 deutschen Länderparlamente zugestimmt haben, wären die Zwangsgebühren für die öffentlichen Sender in Deutschland pro Kopf rund drei Euro höher als in Großbritannien.
Wahrscheinlich werden die Auflagen der EU-Kommission dem föderalen Rundfunkkonglomerat in Deutschland Schwierigkeiten bereiten, und vielleicht, wer weiß, müssen ARD und ZDF eine Strafe bezahlen, weil sie mit ihren Onlineangeboten eine ungerechtfertigte Beihilfe für ein kommerzielles Angebot und damit unfairen Wettbewerb angestiftet haben.
„Bisher keine Kläger gegen BBC Online“
Die BBC konnte bisher einen Streit mit Brüssel über ihre reichhaltigen Internetseiten vermeiden, obwohl sie ganz ähnliche Angebote macht. Eine Beschwerde gegen die Fernuniversität der BBC wurde von der Kommission abgelehnt. BBC Online gilt als erfolgreichste Website Großbritanniens. Eine Überprüfung könne zu einer ähnlichen Aufforderung führen wie an die deutschen Sender, sagt eine hohe Beamtin der EU-Wettbewerbskommission. Lachend fügt sie hinzu: „Bisher gibt es aber keinen Kläger gegen BBC Online.“ Man rechne damit, dass die BBC nun einlenke und kommerzielle Angebote transparent mache und an Privatunternehmen auslagere.
EU-Kommissarin Kroes: Mehr Selbstkontrolle, mehr Transparenz Foto: Reuters |
Außerdem erfährt man, dass das internationale Hörfunkprogramm BBC World Service nicht von der Gebühr finanziert wird, sondern von der britischen Regierung. Nicht erwähnt wird indes, dass BBC World, das weltweite Fernsehen, werbefinanziert ist, aber Verluste schreibt. Es soll deshalb verkauft werden.
Bekenntnis zum freien und fairen Wettbewerb
Von einer solchen Übersichtlichkeit können deutsche Gebührenzahler bisher nur träumen. Wie seltsam intransparent etwa die ARD ist, erfuhr man zwischenzeitlich auf ihren Seiten „ARD intern“. Wer dort bis heute morgen noch unter „Finanzen“ hinter dem Link „Rundfunkgebühr“ Näheres erfahren wollte, landete auf einer fast leeren Seite mit der frechen Überschrift „Huch, hier wollten Sie doch sicher nicht hin.“ Darunter hieß es: „Auf jeden Fall könnten Sie uns helfen, das ARD-Internet-Angebot zu verbessern, wenn Sie uns einfach eine Mail an kontakt@ard.de mit einer kurzen Beschreibung des Fehlers schicken würden. Vielen Dank!“ Inzwischen wurde die Seite aktualisiert und mit den notwendigen Daten versehen.
Was in den Ohren deutscher Gebührenzahler sehr ungewöhnlich klingt, ist für BBC-Manager ein wichtiger Eckpfeiler des Selbstverständnisses: Sie sprechen von den „Eigentümern“ oder „Aktionären“, die sie bestmöglich informieren und unterhalten wollen - und sie meinen damit ganz gewöhnliche Menschen vor den Fernsehern, Radiogeräten und vor den Computerbildschirmen.
Das Shareholder Value Prinzip, das die BBC eklatant von ARD und ZDF unterscheidet, bedeutet, dass man eine Dividende gewissermaßen in Programmqualität auszahlen will. Dadurch sind ökonomische Pflichten und inhaltliche Absichten auf besonders enge Weise miteinander verbunden. Der Anspruch, möglichst viele Menschen mit möglichst hoher Qualität zu erreichen, ist ehrgeizig und teuer. Die Streikenden, die in diesen Wochen mit den roten Buttons „Save our BBC“ gegen ihre Entlassung protestieren, sind Opfer dieser Strategie. Das Bekenntnis zum freien und fairen Wettbewerb auf dem wohl innovativsten Medienmarkt in Europa hat einen Anpassungsdruck erzeugt, der weit über europäischen Wettbewerbsregularien hinausgeht. Die BBC befindet sich mitten im Kampf gegen die Konsequenzen ihrer vorbildlichen Marktfähigkeit. Was dem Rundfunkriesen jetzt helfen würde, wäre der klare Auftrag, Qualität vor Quantität produzieren zu dürfen.
BBC-Website: Nicht im Visier der EU-Kommissare Grafik: Spiegel Online |
„Es reicht nicht mehr, zu informieren, zu erziehen und zu unterhalten“
Die Verhandlungen sind bisher alles andere als schlecht für die BBC gelaufen. Vor wenigen Tagen veröffentlichte Ministerin Tessa Jowell ihr „Green Paper“ zur BBC-Reform, das unter anderem eine Verlängerung der Gebührenfinanzierung bis 2016 vorsieht. „For a strong BBC, independent of government“ heißt das Papier, und der radikalste Vorschlag darin ist die Abschaffung des bisherigen Board of Governors. Das Führungspanel hatte stets unter dem Konflikt gelitten, sowohl die Ziele der BBC definieren als auch deren Einhaltung überprüfen zu müssen. Das neue Board of Trustees soll sich vollständig auf die Kontrolle der BBC konzentrieren können.
Auch wurden die alten Ziele der BBC aus den Zwanziger Jahren neu beschrieben: „Es reicht nicht mehr zu informieren, zu erziehen und zu unterhalten, wie es der BBC-Gründer formuliert hatte“, sagte die Ministerin und empfahl neue Leitwerte wie „Kreativität“ und „kulturelle Exzellenz“ oder „Ausbildung“. Wichtig sei es, dass die BBC nur in die besten Ideen und Programme investiere und sich nicht weiter hinein ins Wettrennen des „Dumbing down“, der allgemeinen Verflachung, begebe. Jowell verlas genau das, wonach sich die BBC sehnt: Nur in der Qualität liege für einen gebührenfinanzierten Sender eine Zukunft im digitalen Zeitalter.
Deutsche Sender ARD und ZDF: Vorbild London Foto: DPA |
Innovation wurde hingegen auf der BBC-eigenen Fachmesse „Showcase“ in Brighton demonstriert. Besonders fiel dort der Film „The Girl in the Cafe“ auf, in dem der Regisseur Richard Curtis („Notting Hill“) eine Liebesgeschichte mit dem nächsten G-8 Gipfel verbindet. Der Film soll ausgestrahlt werden, während der Gipfel tagt.
Beeindruckend ist vor allem aus deutscher Sicht, wie sehr es die BBC immer wieder schafft, nicht in die politische Einflussnahme der britischen Parteien zu geraten. Der Medienexperte und Chefredakteur des „FT Magazine“, John Lloyd, erklärt das so: „Die Parteien haben nie Einfluss auf die Personalentscheidungen oder Programmauswahl der BBC gehabt. Für die BBC war deshalb niemals Anpassung ein Handlungsmotiv, sondern immer Veränderung.“ Leider sagt dieser Satz auch viel über ARD und ZDF aus.
So schmückt sich die BBC gewissermaßen mit einem Handlungsprinzip: dem permanenten Reformwillen. Immer wieder hat sie damit auch in der Vergangenheit an die Rezepte des Kochs Jamie Oliver erinnert, den sie berühmt machte: Er verwendet klassische Zutaten und kombiniert sie auf neue Weise, schmeckt zwischendurch genau ab und kocht am Ende ein Süppchen, das als innovativ durchgehen kann. Na gut, ein paar Wochen und Monate wird es noch garen müssen.
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Hamburger Abendblatt, 22. Januar 2005