Das GANZE Werk - Presseschau
ZEITUNG FÜR MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER
wir im NDR, Februar - Ausgabe 64 | 2005
Interview mit Hörfunk-Programmdirektor Gernot Romann
"Mit Qualität im Wettbewerb behaupten"
Zu NDR Kultur: Ist die Reform zu weit gegangen? - Möglicherweise nicht weit genug... Wir haben es ja zunächst mit behutsamen Veränderungen versucht.
Die Radiowelt hat sich radikal verändert, das Medium selbst, aber auch der Geschmack und die Gewohnheiten seiner Nutzer.
Interview in Originalansicht (Pdf) |
Frage: Der NDR insgesamt erreicht täglich noch immer mehr als die Hälfte der Radiohörerinnen und -hörer im Norden. Wie wichtig ist es für uns, diese Führungsposition gegen die 13 kommerziellen Programme im NDR Sendegebiet zu verteidigen?
So wichtig, dass wir ständig an der Verbesserung unserer Programme arbeiten. Wir machen Radio für Hörer, für Gebührenzahler. Ziel bleibt die Marktführerschaft. Sie zu verteidigen, ist reizvoll, weil schwierig. Viele kommerzielle Konkurrenten sind nur auf Teilmärkten, das heißt in einzelnen Bundesländern, präsent. Sie haben es leichter, sich zu positionieren. Dennoch gibt es keinen Anlass für Resignation. Bislang haben sich die NDR Programme mit Qualität im Wettbewerb behauptet. Das muss uns auch in Zukunft gelingen. Hätten wir kaum noch Hörer und kaum noch Zuschauer - das Ende des solidar finanzierten Rundfunks wäre in Sicht.
Stimmt aus Ihrer Sicht die Aufstellung / Abgrenzung der Programmfamilie?
Diese Frage ist Gegenstand permanenter Überprüfung. Radioprogramme werden nicht in Stein gemeißelt. Sie müssen lebendig sein, sich immer wieder verändern. Derzeit stimmt das Angebot. Seriöse, umfassende, schnelle Information bei NDR Info. Ein interessantes kulinarisches Kulturangebot in Wort und Musik bei NDR Kultur. Die anspruchsvolle "Boulevardzeitung" NDR 2, unterhaltend, aber stets informativ. Ein attraktives Angebot mit N-JOY für jüngere Leute und - nicht zuletzt - NDR 1, die außerordentlich erfolgreichen Landesprogramme für die Generation ab 50. Aber wir wissen, dass die Nutzungsgewohnheiten der Hörer wechseln. Beispiel: Jugendliche stellen sich ihre Lieblingsmusik selbst zusammen. Das bedeutet eine große Herausforderung für N-JOY, ein noch attraktiveres Angebot zu machen, um das Unterhaltungsbedürfnis junger Menschen zu befriedigen. Das ist bislang mit imposanten Ergebnissen gelungen.
Ein gravierender und fortschreitender Hörerverlust hat zur Reform des klassisch geprägten Hörfunkprogramms geführt. Seither wird Kritik an NDR Kultur laut. Ist die Reform zu weit gegangen?
Möglicherweise nicht weit genug. Kritik gibt es immer, wenn man reformiert. Dass man reformiert, ist nicht übermäßig verwunderlich angesichts der unbestreitbaren Tatsache: Die Radiowelt hat sich radikal verändert. Das Medium selbst, aber auch der Geschmack und die Gewohnheiten seiner Nutzer. Die Frage was ist Kultur, was erwarten Hörer von einem Kulturprogramm im Radio wird aber höchst unterschiedlich beantwortet. Wir haben es ja zunächst mit behutsamen Veränderungen versucht. Mancher renommierte Kulturredakteur glaubte, das Programm dadurch populärer machen zu können, dass er frühmorgens Gartenzwerge verlost. Damit ließ sich der Hörerschwund nicht stoppen. Die Leute wollten keine Gartenzwerge, sie wollten angenehme Musik und aktuelle kulturelle Information. Manche, die sich über das Streben nach Quote mokieren, spotteten damals, NDR Kultur (früher Radio 3) habe weniger Hörer als der offene Kanal. Wer die Existenz von teuren Kulturangeboten sichern will, muss auch im Bereich von Minderheiten den Mut aufbringen für deutliche Reformen, muss sich orientieren an einem anderen, selbstverständlicheren, unandächtigeren Umgang mit Kultur, und er muss die Kritik jener Hörer ertragen können, die der alten, längst untergegangenen Radiowelt nachtrauern. Einer Welt, an die ich mich durchaus gern erinnere: die Familie, versammelt um ein Radiogerät beim gemeinsamen Genuss eines Hörspiels oder einer Fußballübertragung. Das ist ferne Vergangenheit. Von der Medienforschung wissen wir: NDR Kultur ist auf dem richtigen Weg. Wir haben neue Hörer hinzugewonnen, und die Mehrheit der bisherigen Stammhörer begrüßt die Reform. Unser Tagesangebot an klassischer Musik ist populärer, bisweilen sogar kulinarischer geworden. Zugleich haben wir die aktuelle kulturelle Information ausgeweitet. Wir berichten über wichtige Ereignisse nicht erst am Abend, sondern, wie in den meisten kultivierten Ländern der Welt üblich, am Morgen. Zweifellos ein Fortschritt, auf den die kulturinteressierten Hörer lange warten mussten. Geblieben sind und bleiben werden selbstverständlich: Lesungen, Hörspiele, Features, Opern, Konzerte, ganze Werke. Am Abend, wenn die meisten NDR Kultur-Hörer Zeit haben zum Zuhören.
Haben althergebrachte Genres wie Hörspiel und Kinderprogramm in Zukunft noch einen Platz im Radio?
Unbedingt. Das zeitweise totgesagte Hörspiel ist lebendiger denn je. Bei der Woche des Hörspiels der ARD in Köln oder im Hamburger "Abaton" kann man beobachten: Die Hörspielgemeinde ist jünger geworden, sie ist wach, und sie wächst. Der Hörbuchmarkt boomt. Wir reagieren darauf mit der Entwicklung neuer Hörspielformen. Auch für Mehrheiten-Programme wie NDR 2 und N-JOY. Kinder, davon bin ich fest überzeugt, brauchen die sinnliche Erfahrung des Radios. Man muss ihnen Geschichten erzählen und sie Geschichten erzählen lassen. Wir erzeugen Bilder in ihren Köpfen und wir füttern ihre Fantasie. Wir bieten ihnen Geschichten an, die sie weiter entwickeln. KiKa ist großartig. Aber Radio hat für Kinder eine eigene Dimension.
Einem besonders heftigen Konkurrenzkampf muss sich NDR 2 stellen, das einzige Radioprogramm, in dem der NDR werben darf. Derzeit sind Feinjustierungen am Auftritt zu bemerken. Wie soll sich das Programm im Wettbewerb behaupten? Durch Annäherung an die kommerziellen Konkurrenten oder durch Abgrenzung von ihnen?
NDR 2 muss Mehrheiten erreichen, Werbung verkaufen, sich im Wettbewerb mit einer kommerziellen Übermacht behaupten. Es geht um mehr als um Feinjustierungen. Es geht schon um eine Kurskorrektur. Information, Moderation - wir sind ein bisschen vom "Pfad der Tugend", will sagen: vom ursprünglich vereinbarten Konzept, abgekommen. Auch ein öffentlich-rechtliches Mehrheiten-Programm muss sich von der kommerziellen Konkurrenz unterscheiden. Vor allem durch die Qualität der Information, aber auch durch intelligente Moderation und Unterhaltung. NDR 2 Information darf sich nicht ausschließlich über Comedy definieren. "Münte" ist o.k. Aber am Morgen möchte ich wissen, wie es im Irak aussieht, und nicht, wo Effenbergs Kinder aufwachsen.
Die kommerziellen Sender sind auf jeweils ein Bundesland konzentriert. Braucht NDR 2 eine stärkere Regionalisierung?
NDR 2 ist durchaus in der Region verankert. Behauptet sich im größten Staatsvertragsland Niedersachsen bravourös gegen zwei starke regionale Rivalen. NDR 2-Hörer werden schnell, zuverlässig und umfassend über wichtige Ereignisse im Norden informiert, das gilt auch für Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Das Programm ist mit Konzerten und anderen Veranstaltungen im ganzen Sendegebiet präsent. NDR 2 ist die erfolgreiche Ergänzung erfolgreicher Landesprogramme.
Läuft NDR Info rund oder stehen auch hier Veränderungen an?
NDR Info hat sich gut entwickelt. Für die Meinungsführer im Norden ist es das Informationsangebot. Auch in der breiten Bevölkerung gewinnt dieses Programm immer mehr Anhänger. Das zeigt sich gerade wieder in diesen Wochen, wo alle Anteil nehmen am Schicksal der von der Flutkatastrophe betroffenen Menschen in Südostasien. Auch die Redaktion von NDR Info arbeitet ständig daran, das Angebot attraktiver zu machen. Eines der Ziele ist es, mehr Geschichten und Nachrichten durch eigene Recherche ins Programm zu bringen. Der Aufbau eines Reporter-Pools hat begonnen. NDR Info ist zweifellos die journalistische Eliteeinheit der NDR Radioprogramme.
Als jüngstes NDR Programm unterliegt N-JOY einem besonders intensiven Modernitätsdruck. Das Publikum muss immer wieder neu gewonnen werden. Wohin geht der Trend?
Junge Menschen haben heute eine Vielzahl von Medien zur Verfügung. Sie sitzen am PC, surfen im Internet und suchen dort Informationen und Musik. Sie holen sich die Informationen mehr aus dem Fernsehen als aus der Zeitung. Das ist eine Herausforderung für das NDR Jugendradio. N-JOY hat dabei die Funktion eines Navigators: Als musikalischer Trendsetter stellt es neue Musik aus der ganzen Welt vor und begleitet Entwicklungen und Trends redaktionell. Im Bereich Information bedient es Fragen und Themen, die junge Menschen interessieren. Die Programmbegleitung im Internet ist für N-JOY dabei von größter Bedeutung. Grundsätzlich muss N-JOY sein Publikum unterhalten - mit einer Mischung aus Musik und Information, die auf die Gewohnheiten der jungen Hörer eingeht.
Heiß diskutiert wird derzeit in der Öffentlichkeit die Einführung einer bindenden Musikquote für die (öffentlich-rechtlichen) Radioprogramme in Deutschland. Selbst die Politik hat sich beteiligt an dieser Debatte. Was halten Sie davon?
Die Hörfunkkommission der ARD vertritt nach wie vor den Standpunkt, dass musikalische Talentförderung und Qualität weder durch Quoten erreicht werden noch durch freiwillige Selbstverpflichtungen. Der Beschluss des Deutschen Bundestages ignoriert nicht nur die Zuständigkeiten (Rundfunk ist Ländersache), er ignoriert auch das höchst erfolgreiche Engagement der öffentlich-rechtlichen Programme für die deutsche Popmusik. Aber wir sind ja im Gespräch mit der Bundesbeauftragen für Kultur, Staatsministerin Dr. Christina Weiss, und mit Vertretern der Länder. Sie bescheinigen, NDR 2 sei auf einem "guten Weg", was wir als Kompliment, nicht als Attest empfinden. Ab März wird es im Abendprogramm probeweise ein Spezialangebot geben. Adressaten dieses Angebots sind nicht Kommissionen in Berlin oder anderswo, sondern die Hörer des erfolgreichsten Pop-Angebots in Norddeutschland.
Auch Programmdirektoren dürfen träumen: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, welchen würden Sie gern erfüllt sehen?
Ich träume niemals im Dienst.
DAS INTERVIEW FÜHRTE RALPH COLEMAN
Foto oben: Immer mehr goldene Schallplatten sammelt N-Joy. Und vor kurzem kam noch zweimal "Silbermond"-Platin dazu.
Foto unten: Technik vom Feinsten: Regie, Sendestudio und Cockpit von NDR Kultur.